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4. Die Wirkung von Naturerlebnissen auf den Menschen

4.3 Naturerlebnisse in der Therapie

Im vorangegangenen Kapitel wurde die Rolle von Naturerlebnissen für die Entwick-lung des Kindes und seiner Persönlichkeit hervorgehoben. Welche Auswirkungen na-türliche Elemente und ihre Wahrnehmung auf die Psyche und das Wohlbefinden von Erwachsenen haben, ergibt sich indirekt aus Ansätzen, die sich mit der heilenden Wir-kung von Natur beschäftigen.

So untersuchten ULRICH et al. (1991) und ULRICH (1984) in zwei Studien die Wir-kung von Natur auf die Psyche bzw. den Heilungsprozess. In der ersten Studie wurden erwachsenen Probanden nach einem Stress erzeugenden Film über Arbeitsunfälle Fil-me von Naturszenen (Pflanzen und Gewässer) und Stadtszenen (verkehrsreiche Stra-ßenszenen) vorgeführt. Dabei zeigte sich, dass die Betrachter bei Naturszenen sich

wesentlich schneller erholten und sich entspannter fühlten als bei den Stadtszenen.

Diese Effekte zeigten sich sowohl in physiologischen Parametern wie Herzfrequenz, Muskelspannung und Hautwiderstand, als auch in den von den Pobanden berichteten Stimmungslagen wie Angst, Ärger und Erregung. Dabei war die Entspannung („stress recovery“) schon in den ersten Minuten besonders deutlich. ULRICH et al. (1991) fol-gern daraus, dass schon kurze Konfrontationen mit naturnahen Umgebungen die stressmindernden Effekte hervorrufen können. In der zweiten Untersuchung (Ulrich 1984) wurden in Alter, Geschlecht und Beschwerden vergleichbare Patienten in unter-schiedlichen Krankenhauszimmern untergebracht. Die eine Gruppe hatte aus dem Fenster einen Blick auf eine Baumgruppe, während die andere nur eine Backsteinmau-er odBacksteinmau-er das Nachbargebäude sah. DBacksteinmau-er Heilungsprozess dBacksteinmau-er Gruppe, die Bäume vor dem Fenster hatte, verlief wesentlich günstiger als bei der Vergleichsgruppe. Die Patienten benötigten weniger Schmerzmittel, riefen seltener nach dem Krankenhauspersonal und konnten früher entlassen werden. Dieses erstaunliche Ergebnis spricht eindeutig für eine die Heilung und Gesundung fördernde Wirkung von Naturwahrnehmung.

Ähnliche Hinweise auf die Heilung fördernde Wirkung von Naturerfahrungen fand SCHWERTL (1989) bei der Befragung von Patienten. Sie fand dabei heraus, dass Krankenhauspatienten es sehr schätzen, wenn das Krankenhaus über einen angeschlos-senen Garten verfügt. Die Gartenanlage sei nach Aussage der Patienten geeignet, die Krankenhausatmosphäre vergessen zu machen und den Heilungsprozess zu beschleu-nigen. Zusammen mit den Befunden von ULRICH (1984) und ULRICH et al. (1991) sprechen diese Ergebnisse sehr dafür, die heilende Wirkung der Natur viel stärker in ganzheitliche Behandlungskonzepte mit einzubeziehen. Als ein solches ganzheitliches Konzept kann z.B. die Gartentherapie bezeichnet werden. UNTERHOLZER (2003) unterscheidet dabei zwischen passiver und aktiver Gartentherapie. Die passive Garten-therapie beruht auf Bedürfnissen von Patienten wie auch SCHWERTL (1989) sie in ihren Befragungen wiederfand. Letztendlich geht es darum, den Patienten einen Park oder Garten anzubieten, der schon allein durch seine Anwesenheit Heilungs- und Ge-sundungsprozesse beschleunigen hilft. Ein sehr viel neuerer Ansatz, der in Europa noch keine weite Verbreitung gefunden hat, ist der Ansatz der aktiven Gartentherapie.

Sie ist als interdisziplinäre Methode zu verstehen, bei der sich Psycho-, Physio- und Ergotherapeuten, Ärzte, Landschaftsarchitekten und Gärtner daran beteiligen, Thera-piegärten zu konzipieren und entsprechende Programme für die Patienten zu

entwi-ckeln. Im Gegensatz zu anderen Verhaltenstherapien kommt hier das Element des Na-türlichen hinzu, das einen Bezug zu Wachstum und Entwicklung ermöglicht, dem Ziel auch jeder Therapie. Als erstaunlich wirkungsvoll hat die Gartentherapie sich bei psy-chiatrischen Patienten und Suchtkranken erwiesen. NEUBERGER (2003) formuliert die Vorteile der Gartentherapie folgendermaßen:

„Gärten machen Leben und Wandel direkt emotional zugänglich. Die meisten Pa-tienten stellen eine Verbindung zwischen sich und den Pflanzen her. (...) Die Ori-entierung an der Natur, die Rückbesinnung auf das eigene Werden und Wachsen öffnet den Weg zu Normalität und Gesundheit. (...) Pflanzen sind in der Lage, herzustellen was sie zum Überleben brauchen. Sie zeigen, welche Entwicklungen möglich sind: Ausbreitung, Entfaltung, Wachstum und Reife. Sie zeigen aber auch Absterben, Rückzug und Tod. Pflanzen können stellvertretend für geliebte und ungeliebte Gefühle stehen, sie können Spiegel und Projektionsfläche der ei-genen Persönlichkeit sein“ (Neuberger 2003, S. 32).

Auch hier werden also Eigenschaften des Natürlichen genutzt, um einen symbolischen Bezug zur eigenen Persönlichkeit herzustellen, mit dem Ziel, individuelle Entwick-lungsmöglichkeiten zu entdecken. Diese Sichtweise deckt sich mit dem Beitrag von SEEL (1991). In seiner „Ästhetik der Natur“ (Titel des Buches) skizziert er drei Di-mensionen der menschlichen Naturwahrnehmung. Eine davon ist die „Natur als kor-respondierender Ort“ (Seel 1991, S. 89-134). Die Natur wird als Möglichkeit genutzt, sich der eigenen Lebenssituation bewusst zu werden, Zugang zu eigenen Lebens- und Erlebensmöglichkeiten zu erhalten und Antworten auf Fragen der eigenen Existenz zu bekommen. Dabei wird die Natur mit der eigenen Lebensgeschichte, mit Kindheitser-innerungen und biographischen Situationen in Verbindung gebracht, um über Deutun-gen von Naturphänomenen dem eiDeutun-genen Leben Sinn zu geben. Diesen speziellen Aspekt der menschlichen Naturwahrnehmung macht sich offensichtlich die eben be-schriebene Gartentherapie zunutze (vgl. auch Kaplan & Kaplan 1989, S. 150-174).

Von einem weiteren ganzheitlichen Ansatz in der Gesundheitspolitik berichtet ADLER (2003), wenn sie die Möglichkeiten des ‚Grünen Rezepts’ in Norwegen und die Über-tragung für Deutschland bespricht und diskutiert. In Norwegen haben Ärzte die Mög-lichkeit, bei Beschwerden und zur Prävention von Zivilisationskrankheiten statt Medikamenten ein ‚Grünes Rezept’ auszustellen. Es geht dabei in erster Linie um ein auf den Patienten abgestimmtes Bewegungsprogramm, das eine langfristige Verhal-tensänderung hin zu einem bewussteren Umgang mit der eigenen Gesundheit zum Ziel hat. Zwar besteht prinzipiell auch die Möglichkeit, Fitness-Sportarten zu verschreiben, die Wahl fällt jedoch meist auf Friluftsliv-Aktivitäten. Dies liegt einerseits daran, dass

Friluftsliv die Möglichkeit bietet, aus einer Vielzahl an möglichen Aktivitäten ein in-dividuelles Programm zusammenzustellen. Andererseits wird aber auch hier ganz be-wusst die gesundheitliche Wirkung von Naturerlebnissen hervorgehoben, die beim Friluftsliv zusätzlich zur Bewegung wirksam werden (vgl. Adler 2003, S. 40ff).

GEBHARD (1993) formuliert in seinem Beitrag abschließend eine Vermutung, warum sich Naturerlebnisse in psychotherapeutischen Zusammenhängen als so wirksam er-wiesen haben. Er geht dabei von unserem ambivalenten Verhältnis zur Natur aus, die als faszinierend und schön, aber auch als fremd und beängstigend wahrgenommen werden kann:

„Möglicherweise ist es auch diese Ambivalenz, die Naturerlebnisse für Menschen so anziehend macht. Die Natur gerade in ihren widersprüchlichen, ambivalenten Eigenschaften ist so vielleicht für die nie von Ambivalenzen freie menschliche Seele ein Ort, wo die inneren Ambivalenzen ihr bedrohliches oder auch krankma-chendes Potential verlieren können. Indem die Natur sozusagen mit größter Selbstverständlichkeit Widersprüchliches, Ambivalentes, Spannungsreiches so-wohl ist als auch symbolisch repräsentiert, kann sie zum symbolischen Hoff-nungsträger dafür werden, dass sich Widersprüche, auch innerseelische Widersprüche, ‚dialektisch’ aufheben lassen“ (Gebhard 1993, S. 144).