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2. FRILUFTSLIV

2.1 Definition und Begriffsklärung

Seine differenzierteste Ausprägung hat Friluftsliv in Norwegen erlangt, wo es zum festen Bestandteil der nationalen Identität geworden ist und von Seiten des Staates gefördert wird. Dementsprechend differenziert ist auch die Literatur auf Norwegisch.

Sie reicht von philosophischen Texten über Gesetzestexte und Lehrpläne bis hin zu Forschungsarbeiten und journalistischen Beiträgen. So ist es nicht verwunderlich, dass noch keine allgemein gültige Definition von Friluftsliv existiert, sondern viele ver-schiedene Ansätze nebeneinander bestehen. Sie alle wiederzugeben, würde den Rah-men dieser Arbeit sprengen. Deshalb sei hier nur auf die Arbeit von VOIGT (2002) verwiesen, die einen umfassenden Überblick liefert.

Die hier vorliegende Arbeit beschränkt sich auf die deutschsprachige Literatur, die wesentlich übersichtlicher ist, aber vollkommen ausreicht, um das Phänomen Frilufts-liv zu verstehen. Doch selbst hier ist keine einheitliche Definition zu finden. Wörtlich übersetzt bedeutet Friluftsliv „Freiluftleben“ (vgl. Weinholz 1989, Titel des Buches) oder „Leben unter freiem Himmel“ (Liedtke 2003, S. 3). Eine solche Übersetzung kann zwar für eine Definition erste Ansätze liefern, muss dafür aber noch weiter diffe-renziert werden. WEINHOLZ (1989) versucht sich an einer eigenen Definition. Für ihn ist Friluftsliv

„ein gelegentliches, einfaches und uneigennütziges Leben im Zusammenspiel mit der freien Natur, das zu einer Freundschaft und Verantwortung gegenüber der Na-tur und der Schöpfung führen kann“ (Weinholz 1989, S. 30).

In dieser deskriptiven Definition sind Elemente enthalten, auf die er im folgenden nä-her eingeht und die das Verständnis erleichtern. Unter Friluftsliv - WEINHOLZ arbei-tet mit dem übersetzten Begriff ‚Freiluftleben’ - ist folgendes zu verstehen:

- Freiluftleben ist ‚gelegentlich’, weil der Mensch es neben seiner modernen Ar-beits- und Lebenswelt in seiner Freizeit praktiziert. Es verneint nicht die Ge-sellschaft von heute, die durch Technik und Fortschritt geprägt ist, sondern bietet vielmehr eine Ergänzung, einen Ausgleich zu diesem Leben.

- Freiluftleben ist ‚einfach’ und damit auf eine gewisse Art ursprünglich. Es er-innert an das Leben unserer Vorfahren, die ihre Existenz noch durch Jagen und Sammeln sichern mussten. Es versucht, die Distanz, in die der Mensch wäh-rend seiner Geschichte zur Natur geraten ist, abzubauen und wieder Erlebnis und Verständnis der Natur zu vermitteln.

- Freiluftleben ist ‚uneigennützig’ und als ‚Zusammenspiel’ mit der Natur zu verstehen. Die Natur wird als Partner betrachtet und nicht nur als bloße Quelle von Ressourcen, die wir zu unserer Bereicherung benutzen können. Wertvoll wird das Leben dadurch, dass die Natur uns Freude und Zusammengehörigkeit vermitteln kann und damit dazu beiträgt, unserem Leben einen Sinn zu geben.

- Freiluftleben findet in der ‚freien Natur’ statt. Bedingung dafür, dass die aufge-suchte Landschaft die gewünschte Wirkung entfalten kann, ist ihr relativ natur-naher Zustand. Das Leben soll den Rhythmen der Natur gehorchen.

- Freiluftleben als ‚Leben’ deutet an, dass es sich dabei nicht bloß um eine zeit-lich beschränkte Aktivität handelt, sondern den Menschen viel ganzheitzeit-licher berührt als z.B. eine Sportart. Es werden Körper, Geist und Seele gleicherma-ßen angesprochen. Die Natur ist nicht nur Kulisse, sondern Lebensraum. Au-ßerdem wirkt das Freiluftleben bis in unser alltägliches Leben und unsere Einstellungen hinein und wird dadurch zu einer Lebensphilosophie.

- Freiluftleben als ‚Freundschaft und Verantwortung gegenüber der Natur’ unter-streicht die Forderung, nach einem Lebensstil zu suchen, der von Harmonie zwischen Mensch und Natur gekennzeichnet ist. Im Freiluftleben erkennt der Mensch sich als Teil der Natur und lernt dadurch den Wert der Natur jenseits von Nutzen und Gewinn schätzen.

(vgl. Weinholz 1989, S. 30f)

Auch VOIGT (2002) stellt in seiner Arbeit eine eigene Definition auf, die noch einige zusätzliche Elemente enthält:

„Friluftsliv ist ein von traditionellen skandinavischen Bewegungs- und Daseins-formen geprägtes Kulturphänomen, das Aufenthalt und physische, psychische und sozial stimulierende, nicht konkurrenzorientierte (Freizeit)Aktivitäten in relativ unberührter Natur beinhaltet, wobei auf einfache, aber zweckmäßige Ausrüstung und einen nachhaltigen ökologisch geprägten Umgang mit der Natur Wert gelegt wird“ (Voigt 2002, S. 16).

Als zusätzliche Komponenten kommen bei dieser Definition der kulturelle Ursprung in Skandinavien hinzu, der auf traditionellen Lebensformen beruht, sowie die Bedingung der Konkurrenzfreiheit, die Friluftsliv damit deutlich vom englisch geprägten (Leistungs-)Sport unterscheidet. Außerdem hebt VOIGT (2002) die Einfachheit der Ausrüstung hervor. Er schlägt weiterhin einige Bewertungsebenen vor, die darüber entscheiden, ob eine Aktivität als Friluftsliv bezeichnet werden kann:

- Umgebung: Findet die Aktivität in (relativ) unberührter Natur statt?

- Ressourcen: Sind die eingesetzten Materialien (relativ) einfach? Und vor allem:

Werden unnötig Ressourcen verschwendet (z.B. durch Motorisierung)?

- Gesinnung der Aktiven: Aus welcher Motivation heraus wird die Aktivität be-trieben? Steht das Naturerlebnis im Vordergrund?

(vgl. Voigt 2002, S. 38)

Besonders interessant erscheint dabei der dritte Punkt. Betrachtet man eine Aktivität auf ihre Zugehörigkeit zum Friluftsliv, so entscheidet sich die Frage eventuell erst im letzten Aspekt. Ein Wald- oder Orientierungslauf kann z.B. in den Bereichen Umge-bung und Ressourceneinsatz den Forderungen des Friluftsliv entsprechen, wird er al-lerdings durch leistungssportliche oder kommerzielle Beweggründe motiviert, so kann er nicht als Friluftsliv-Aktivität bezeichnet werden. Hierbei wird deutlich, wie schwie-rig es ist, Friluftsliv zu definieren und ihm eindeutige Inhalte zuzuweisen. Wie beim eben genannten Beispiel kann der entscheidende Unterschied nur in der Einstellung der Beteiligten liegen und sich deshalb einer objektiven Bewertung entziehen.

Ein sehr einfacher Zugang jenseits der Definitionsproblematik ergibt sich über das Curriculum norwegischer Schulen, in denen Friluftsliv unterrichtet wird. Hier werden fünf zentrale Prämissen formuliert, die das Friluftsliv kennzeichnen und die bei der Ausübung möglicher Aktivitäten erfüllt sein müssen:

- Man lebe draußen, in natürlicher Umgebung.

- Man gebrauche keine technischen Fortbewegungsmittel.

- Der ganze Mensch soll gefordert werden.

- Es gibt kein Konkurrenzdenken.

- Man vermeide, der Natur zu schaden bzw. sie zu verschmutzen.

(vgl. Buschmann u. Lagerstrøm 1999, S. 8)

Diese fünf Prämissen liefern konkrete Handlungsanweisungen und machen es damit leichter, zu verstehen, was Friluftsliv bedeutet. Auch hier sind natürlich noch Kontro-versen möglich. Was z.B. ist unter technischen Fortbewegungsmitteln zu verstehen?

Dem Leser, der sich nicht wissenschaftlich mit dem Thema befasst, bieten diese fünf Punkte eine Vorstellung davon, wie sich das Bewegungsphänomen Friluftsliv kenn-zeichnet und welche möglichen Inhalte es hat.