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Besonders die ökologische Problematik, die in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit getreten ist, hat auch den Begriff ‚Natur’ in aller Munde kommen lassen. Wenn Menschen von Natur sprechen, geschieht dies in aller Regel mehr oder weniger unreflektiert. Es wird stillschweigend eine Überein-stimmung der Bedeutung von ‚Natur’ vorausgesetzt. Betrachtet man den Sachverhalt dagegen genauer, scheint das Thema sehr komplex und komplizierter zu sein, als ge-meinhin angenommen.

Schon eine erste Annäherung an den Begriff ‚Natur’ weist Unstimmigkeiten auf, die nicht einfach aufzulösen sind und auf die Komplexität des Begriffs hinweisen.

HEILAND (1992) bringt diese Kontroverse in folgendem Zitat zum Ausdruck:

„Zunächst ist Natur schlechthin alles, der gesamte Kosmos, doch folgt sofort die Einschränkung: Natur als Gegensatz zu menschlicher Tätigkeit. Was also ist Na-tur? Ist sie nun der gesamte Kosmos und schließt alles mit ein, also auch den Menschen und seine Kultur, seinen technischen Fortschritt und damit verbunden ihre mögliche Zerstörung? Ist also auch Naturzerstörung natürlich? Was wäre dann Naturschutz? Oder ist Natur nur das, was vom Menschen unberührt und

un-beeinflusst ist? Dann gäbe es auf diesem Globus vermutlich keinen Quadratzen-timeter Natur mehr. Im ersten Falle wäre alles Natur, im zweiten Falle nichts.

Beide Male wäre der Begriff sinnlos“ (Heiland 1992, S. 2).

Eine solch unbegrenzte bzw. inhaltslose Begriffsbestimmung kann nicht Ziel der Be-mühungen sein, sich dem Begriff ‚Natur’ anzunähern. HEILAND (1992) gelangt in seinen Überlegungen zu der Einsicht, dass ‚Natur’ nur schwierig über eine positive Eingrenzung definiert werden kann:

„Wenn wir im Alltag den Begriff ‚Natur’ oder auch ‚natürlich’ verwenden, dann gebrauchen wir ihn immer, bewusst oder unbewusst, als Abgrenzung, als Gegen-satz zu etwas anderem. Natur - Kultur, Natur - Kunst, natürlich - unnatürlich, na-türlich - gezwungen, Natur - Vernunft, Natur - Zivilisation, Natur - Technik, Natur - Mensch sind Beispiele hierfür. Natur wird dabei von dem jeweils anderen Begriff her näher bestimmt“ (Heiland 1992, S. 4).

Darüber hinaus hat Natur im alltäglichen Gebrauch und Verständnis einen Doppelcha-rakter: Natur ist einerseits Objekt der Naturwissenschaften, die es Technik, Industrie und Wirtschaft ermöglichen, sie als Ressource für die Erfüllung menschlicher Bedürf-nisse zu nutzen. Andererseits sehnt sich der Mensch - auch als Ausgleich zur techni-sierten Arbeits- und Lebenswelt - nach der Natur, nach Landschaften mit Wäldern, Bergen und Seen, an deren Schönheit er sich erfreuen und vom hektischen Berufsalltag erholen kann. In diesem Zusammenhang erscheint uns die Natur nicht als wertloses Objekt, sondern als Subjekt, dem wir einen eigenen Wert und Charakter zugestehen und das zur Aufrechterhaltung unseres Wohlbefindens beiträgt. Diese zwei Seiten ei-ner Medaille drücken sich in eiei-ner oft widersprüchlichen Doppelbeziehung aus:

„Natur wird gleichzeitig gesucht und ausgebeutet, verehrt und missachtet. Als Objekt ermöglicht sie uns unseren Lebensstil, als Subjekt kompensiert sie die mit ihm verbundenen nachteiligen Folgen“ (Heiland 1992, S. 5).

Es ist dieses scheinbar widersprüchliche Objekt-Subjekt-Verhältnis, das für unser heu-tiges Naturverständnis kennzeichnend ist. Dies äußert sich auch in dem Versuch, Kul-tur und NaKul-tur zu trennen und als Gegensätze zu verstehen. Die KulKul-tur, also im weiteren Sinne alles vom Menschen Geschaffene, setzt die Betrachtung der Natur als Objekt voraus, da jede menschliche Handlung gleichzeitig Eingriff in die Natur bedeu-tet. Trotzdem kann man den Menschen nicht losgelöst von der ihn umgebenden Natur verstehen. KUCKHERMANN (1993) sieht in der Tätigkeit des Menschen, also im Vollzug von Handlungen, die zentrale Verbindungsstelle zwischen Mensch und Natur.

Zum Verhältnis von Kultur und Natur kommt er zu folgender Einschätzung:

„Es ist offensichtlich, dass selbst technisch hochentwickelte Werkzeuge wie Bauwerke und Verkehrsmittel dem Naturkreislauf nicht entzogen werden können, also immer auch Naturstoff bleiben, und dass selbst die scheinbar unberührteste Natur, die uns umgibt, Kulturlandschaft ist. Die Natur gibt es nicht mehr; sie exis-tiert so wenig wie eine Kultur außerhalb des Naturprozesses. Der Versuch eine solche Trennung vorzunehmen, der spätestens mit der Entstehung der Städte das Denken über die Natur beherrscht, lässt sich als Prozess einer kollektiven Ver-drängung des Naturelements im menschlichen Handeln interpretieren und ist letztlich eine Fiktion des Alltagsbewusstseins“ (Kuckhermann 1993, S. 44).

Der persönlichen Einstellung zur Natur kommt also anscheinend eine entscheidende Bedeutung zu, wenn man danach fragt, was Natur ist, was natürlich ist. Diesem Phä-nomen versucht IMMLER (1989) in einem Definitionsversuch Rechnung zu tragen:

„Natur ist das umfassende Sein, das vor uns bestand, das uns hervorgebracht hat, dem wir angehören und das über uns und unsere Erkenntnis hinausgeht. Natur ist ein reproduktiver und poietischer (vom griechischen Begriff für herstellendes Handeln, Anmerkung des Verfassers) Schöpfungsprozess. Alle Produkte und Produktivitäten dieses Prozesses sind in sie eingebunden. Insbesondere sind die Fähigkeiten, sich der Natur bewusst zu werden, und alle Resultate dieser Fähig-keiten Bestandteile der Natur. Nicht-Natur ist allein jenes Bewusstsein, das seinen Ursprung zwar in der Natur hat, das sich aber von ihr abwendet und sich gegen sie verselbstständigt“ (IMMLER 1989, S. 28).

Auch MEYER-ABICH (1990) sieht in unserem Bewusstsein den zentralen Bezugs-punkt, der unser Verhältnis zur Natur bestimmt. Die Ursache für unser in eine Krise geratenes Naturverhältnis sieht er in einer falschen Grundhaltung der Natur gegenüber.

Seine Argumentation beruht auf der Annahme, dass andere Lebewesen nicht nur um uns, sondern mit uns in der Welt sind. Die Industriegesellschaft hat ihre Rolle in die-sem Ganzen so missverstanden,

„als sei die ganze Welt nichts als der menschliche Lebensraum, und spricht des-halb nur von einer einzigen Umwelt, unserer Umwelt, die es zu schützen gelte.

Dadurch sind wir in eine Krise geraten, die unseres Verhältnisses zur Natur. Ach-ten wir die anderen UmwelAch-ten nicht in ihrer Eigenständigkeit, so lassen wir ande-re Lebewesen ihande-ren Lebensraum allenfalls noch in dem des Menschen finden. Wir sehen nicht ihren Eigensinn und Eigenwert im Ganzen der Natur, sondern verhal-ten uns so, als seien sie bloß für uns da. So missverstanden, wird sogar der Um-weltbegriff selbst irreführend: Als unsere Umwelt erscheint alle Welt nun nur noch als das, was um uns ist. Um diesem Irrtum, der die bisherige Umweltpolitik prägt, zu entgehen, sollten wir die übrige Welt als unsere natürliche Mitwelt an-sehen und behandeln“ (Meyer-Abich 1990, S. 11).

Den Grund dafür, warum sich diese Idee einer Mitwelt bisher nicht durchsetzen konn-te, sieht MEYER-ABICH (1990) in der Geschichte der Menschheit begründet. Die meiste Zeit seiner Entwicklung musste der Mensch sich gegen eine übermächtig er-scheinende Natur behaupten, sich seinen Lebensraum selber schaffen und der Natur abringen. Hierin liegt auch das Bewusstsein begründet, die Natur als „das Andere“

(Meyer-Abich 1990, S. 50) zu begreifen und folgerichtig eine geistige Trennung von Natur und Kultur vorzunehmen. Heute hat sich die Lage jedoch grundlegend geändert:

„Es ist schon lange nicht mehr die Natur, die uns bedroht, sondern wir sind es, die sie bedrohen“ (Meyer-Abich 1990, S. 50). Der veränderten Situation entsprechend sollte der Mensch sein Verhältnis zur Natur überdenken. In einem neuen Verständnis des Menschen als Teil des Ganzen lösen sich die vorher gezogenen Grenzen zwischen Na-tur und KulNa-tur auf. KulNa-tur ist vielmehr als der „menschliche Beitrag zur Naturgeschichte“ (Meyer-Abich 1990, S. 51) zu verstehen oder, wie KUCKHERMANN (1993) es formuliert: „Kultur ist nicht das Ergebnis des menschlichen Naturverhältnisses, sie ist das menschliche Naturverhältnis“ (S. 46). Die daraus zu ziehenden Schlüsse formuliert MEYER-ABICH (1990) folgendermaßen:

„Wenn wir in diesem umfassenden Sinn Kultur in die Welt bringen, wird eine Welt mit Menschen schöner und besser sein als eine Welt ohne Menschen. Es war ein Missverständnis, dass der Mensch nur auf Kosten der Schöpfung Schöpfer sein kann. Er soll es um der Schöpfung willen sein“ (Meyer-Abich 1990, S. 51).

Das gerade beschriebene ‚mitweltliche’ Verständnis von Natur und der Rolle des Men-schen findet sich auch im Friluftsliv wieder. Auch hier wird der Mensch als Teil des Ganzen verstanden. Der daraus resultierende Respekt vor allem Lebendigen ist Bedin-gung für gelingendes Zusammenleben aller Lebewesen dieser Erde. Die Rückkehr in naturnahe Landschaften und das Bewusstwerden, dass gerade auch ein einfaches Le-ben als erfüllend und sinnstiftend erlebt wird, ist ein grundlegendes Element des Fri-luftsliv, ohne dabei jedoch die menschliche Zivilisation abzulehnen (vgl. auch Weinholz 1989, S. 31f). Friluftsliv kann einen Beitrag dazu leisten, die weitere Ent-fremdung des Menschen von der Natur zu verhindern und unser Bewusstsein dafür zu sensibilisieren, dass wir ein Teil eines großen Ganzen sind (vgl. auch Kaplan & Kaplan 1989). Friluftsliv ist dabei Weg und Ziel zugleich: Friluftsliv ist ein Weg, der uns die Möglichkeit gibt, zu unseren Wurzeln zurückzukehren und dadurch unseren Respekt für das Leben zu fördern und uns unserer Verantwortung für die Natur bewusst zu werden. Friluftsliv ist Ziel, weil es im kleinen Modell sein kann für ein zukünftiges Leben im Einklang mit der Natur.