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Evdokija Petrovna Rostopfiina (1811 1858 <*׳) stand durch ihre Dich- tungen mehr in der ö ffe n tlich e n Aufmerksamkeit, war einem breiteren Kreis von Lesern bekannt und wurde den großen Dichtern ih re r Z eit a ls näherstehend empfunden als a lle ih r vorangegan- genen S c h rifts te lle rin n e n . Bereits mit e l f Jahren schrieb Evdokija SuSkova Gedichte, m it vierzehn Jahren las sie im Familienkreis - der ih re dichterische Begabung weder b i l l i g t e noch fö rd e rte , das Mädchen aber mitunter als eine A rt Se- henswürdigkeit vor Bekannten Gedichte vortragen lie ß - ein s e lb s tv e rfe rtig te s Drama. Vjazemskij, als einer ih re r z u fä llig e n Hörer, v e rö ffe n tlic h te ohne ih r Wissen 1831 erste Gedichte von ih r . 1833 h e ira te te Evdokija SuSkova den Grafen Rostopiin und war danach in der Lage, im Winter 1836/37 und 1837/38 in Petersburg in einem prächtigen Hause die lite ra ris c h e Gesellschaft Petersburgs zu empfangen: Žukovskij, Krylov, Gogol׳ , Odoevskij, Pletnev, Sollogub, A. Turgenev.

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Von Kindheit an war sie mit Lermontov bekannt, später mit Puskin, und es verband sie eine lebenslange Freundschaft m it dessen Frau Natalja Gonëarova. Lermontov widmete ih r 1831 das Gedicht "Dodo" (das i s t der Kosename Evdokijas) und 1841 "Graf ine RostopSinoj". Ih re rs e its schrieb RostopSina bei der Abreise Lermontovs 1841 aus Petersburg fü r ihn das Gedicht "Na dorogul".

Von Zeitgenossen wird belegt, daß PuSkin den Tag vor seinem Duell im Hause der RostopSins verbrachte.

Offenbar h ie lte n diese Freundschaften in ihren menschlichen Beziehungen wie auch im Annehmen ih re r poetischen Begabung bis zum Tode der beiden großen Dichter an.

Die dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts waren allgemein fü r die russische Poesie n ich t nur eine Zeit der Sammlung nach den gescheiterten Bestrebungen, dem Lande die F re ih e it zu geben, sie waren auch eine Z e it, in der v ie le r le i Einflüsse auf genommen und große Veränderungen fü r die kommenden Jahrzehnte e in g e le ite t wur- den. Und diejenigen, die diese Veränderungen in ihren Anfängen mittrugen, dabei in ihrem dominierenden lyrischen Gefühl von der Romantik getragen, hatten fü r eine Zeit einen großen Erfolg beim Publikum und verloren ihn in dem Maße, wie man sich von diesem romantischen Welt- und Kunstverständnis entfernte*

In diesen Zusammenhang i s t auch Evdokija RostopKina zu b rin - gen, die zum Ausklang der dreißiger Jahre in vielem a ls den beiden großen Dichtern Lermontov und Puškin ebenbürtig g a lt. Nach PuŠkins Tod wurde ih r sogar von einigen K ritik e rn die Führungsrolle in der zeitgenössischen Dichtkunst zugesprochen2*.

Dazu tru g unter anderem bei, daß Sukovskij dieser Frau ein aufsehenerregendes Geschenk machte* Das le tz te Heft PuŠkins, in das dieser seine neuen Gedichte eintragen w o llte , schickte er ih r mit dem Auftrag, es auszufüllen im Sinne PuSkins. So rückte sie Ende der dreißiger und zu Beginn der v ie rz ig e r Jahre im Verständnis einiger ih re r Zeitgenossen in die erste Reihe der russischen Dichter auf. Unbestritten gebührt ih r dieser Rang im Vergleich zu den Dichterinnen dieses Jahrzehnts, von denen Gotovceva, Teplova, Pavlova, Žukova und Gan g le ic h z e itig m it ih r wirkten.

Der Ruhm Rostopčinas gründete sich in ih re r Z e it, so

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berichteten Zeitgenossen, auf eine Vielzahl verschiedenster Faktoren. Sie führte ein prunkvolles und ganz in der russischen T ra d itio n sehr gastfreundliches Haus, das sowohl die Spitzen der L ite ra tu rg e s e lls c h a ft zu ihren lite ra ris c h e n Abenden zog wie es auch jedem Interessenten gestattet war, die in ihrem Hause gesammelten B ilder zu besichtigen. Ihre Bekanntschaft mit PuÄkin und Lermontov, das ih r von Žukovskij entgegengebrachte Vertrauen in ih r poetisches Talent, die persönliche Bekanntschaft mit weiteren führenden Literaten ih re r Z eit, die sie, ungeachtet von deren Zugehörigkeit zu den Slawophilen oder Westlern, bei sich empfing - a l l das führte zu einer allgemeinen Anerkennung ih re r Person und ihres dichterischen Werkes, das in dieser Z e it in a lle n führenden Z eitschriften und in Buchausgaben erschien. Ihre Stücke wurden im Moskauer "Kleinen Theater" und im Petersburger

"Kaiserlichen Theater" gespielt. Zum Ende der v ie rz ig e r Jahre empfing sie zu ihren lite ra risch e n Abenden Almazov, Zagoskin, Pisemskij, Polonskij, M. Dmitriev, Evgenija Tur, Berg, Mej, Edel'son, Szerbina, Tjutčev. In ihrem Salon wurden L. T o lsto j und A. O strovskij miteinander bekannt29.

Nicht z u le tz t trug zu ihrem allgemeinen Ansehen die Veröf- fentlichung des Gedichtes "N a sil'n yj brak" bei, geschrieben 1845 auf dem Wege von Krakau nach Wien.

Damals und später is t es o f t als ein Indiz gesehen worden, daß die Dichterin auch über eine Salonlyrik "hinausgehen" und gese llschaftlich-revolutionä re Ideen besingen könne. So i s t Rostopčina die einzige Frau, die Aufnahme gefunden hat in einen 1970 herausgegebenen großen Sammelband "Freie russische Poesie der zweiten Hälfte des 18. und ersten Hälfte des 19. Jahrhun- d e rts "30. Uns scheint, daß man ohne den fre ih e itlic h e n Gedanken im mindesten zu schmälern, von einer anderen Bedeutsamkeit sprechen kann: "N a sil'n yj brak" offenbart wie kaum ein anderes ih re r Werke ihre in d ivid u e lle Schaffensmethode. Auf der Ebene des Dargestellten repräsentiert es das Generalthema Evdokija RostopČinas: die Unvereinbarkeit von wahrer Liebe und einer Ehe aus Vernunftsgründen. Ih r Schaffen rankt sich derart eng um dieses Thema, daß die K r itik e r mitunter die feinen Nuancen einzelner ih re r Werke nicht mehr spürten und ih r "Salondichtung"

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vorwarfen, die sich le t z t lic h nur um ein Problem drehe - um den Besuch von Bällen.

"N a s il׳ nyj brak" macht vom thematisierten Widerspruch zwischen den auf "verbrieften Rechten" des Mannes beruhenden Besitzansprüchen auf die Ehefrau und deren Aufbegehren gegen ein Niederwerfen a l l ih re r wahren Gefühle durchaus keine Ausnahme, s p it z t aber schon von der Anlage der Widersprüche stärker zu als andere Gedichte. Das Gedicht beginnt mit der Aufforderung eines Barons an seine Diener:

S o b ira jte s ', słu g i i vasally , Na k r o tk ij gospodina zovi Sudite, ne bojas׳ opaly, ־

Zu rich te n aber i s t seine Frau, und diesem Baron sind selbst Diener und Vasallen als Richter geeignet, wenn es g i l t , männliche Ansprüche gegenüber einer Frau durch ric h te rlic h e n Spruch geltend zu machen. Der Vorwurf la u te t auf Ungehorsam, Undankbarkeit gegenüber a l l den Dingen, die er ih r , der M ittellosen, geschenkt hat. Sie aber bezeugt ihm keine Liebe;

No nedovol'na i grustna Neblagodarnaj a ?ena

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Was er nach geltender S itte und Recht erkauft hat, i s t n ich t nur sie selbst als Person, sondern auch den Anspruch auf ihre Gefühle und ihre Liebe. Das steht n icht zur Diskussion oder zum Gedanken- austausch im Dialog mit der Ehefrau, sondern es wird vor einem Gericht - und dazu noch vor einem abhängigen - eingeklagt:

Pust׳ zašči££aetsja ona, Moja prestupnaja Jena!

Doch die Verteidigung gerät sehr schnell zu einer Anklage, in der die gewaltsame Ehe sich als Freiheitsberaubung erweist:

Ž ila ja vo l'n o i sžastlivo, Svoju lju b ila v o lju ja .

Dies i s t eine S ituatio n, die sie mit vielen jungen Mädchen in Rußland t e i l t , die im Hause der Eltern eine gute Erziehung und o f t eine ausgezeichnete Bildung erh ie lte n . Um so härter mußte dann der Bruch durch die nicht f r e i w i l l i g eingegangene Ehe empfunden werden:

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No pobedil, p le n ił menja

Sosedej zlych nabeg ch iŠ £ livyj.

Ja predana, ja prodana - Ja uznica, ja ne fena!

Ih re rs e its fü h rt sie nun vor, da/3 diese Ehe ih r den Umgang mit ihren eigenen Verwandten verwehrt, das Verbot des Stolzes auf ihre Vorfahren, den Verlust der Freunde, den Verzicht auf die eigene Muttersprache bedeutet. Die Verteidigung s te ig e rt sich bis zu einem Punkt, da der ungerechte Vorwurf und die Berechtigung des Hinausschreiens der e rlitte n e n Demütigungen außer Zweifel stehen:

EŠČe

1׳ , terpja takuju dolju, T a it' ot vsech ее dolina Nasil'no vzjataja iena? . . . 3י

Das Gedicht trä g t den U n te rtite l "Ballada i a lle g o r ija " und wurde zunächst als eine Ballade ganz im Sinne der von Rostopčina verfolgten Linie gesehen. Dazu trug bei, daß man Züge ih re r eigenen Biographie zu entdecken meinte. So war das Gedicht auch gedruckt worden, hatte die Zensur ohne Widerspruch passiert. Erst allmählich erkannte man das Allegorische und wußte die an Mickewicz gerichtete Widmung zu deuten. Der a lte Baron im Gedicht wurde als das zaristische Rußland erkannt, in der mit Gewalt gefangen gehaltenen Frau das unterdrückte Polen gesehen. Die Zensur hatte zu spät eingegriffen, die Ausgabe der Z e its c h r ift wurde zwar verboten, aber das Gedicht Rostopiiinas ging bereits von Hand zu Hand. Die durch den Zaren verfügte Ausweisung aus Petersburg verstärkte das Ansehen der Dichterin.

Das gesamte lyrische, epische und dramatische Schaffen dieser bemerkenswerten Frau kann hier nicht annähernd umrissen werden. Sie selbst bereitete eine vierbändige Ausgabe ih re r poetischen Werke vor, schrieb u. a. den Roman in Versen "Das Tagebuch eines Mädchens" (Dnevnik devuSki, 1850), den Roman "Eine glückliche Frau" (Sčastlivaja ženŠČina, 1851/52) und das mit dem U n te rtite l "Roman in Briefen" versehene umfangreiche Prosawerk

"Im Hafen" (U p ris ta n i, 1857).

Hatte ihre Lyrik sie einst berühmt gemacht und, wenn auch nicht u n g e te ilt, auch in der K r it ik Zustimmung gefunden, so t r a f

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ihre Prosa in der Jahrhundertmitte auf scharfen Widerspruch• M it unverhohlener Iro n ie ze rp flü ckt Dobroljubov den Roman "U p r is ta n i" , wobei das e ig e n tlic h Verletzende in einem generalisierenden Preisgeben jedes auch noch so geringen künstlerischen Anspruches der Verfasserin l ie g t und ih re r Rolle in der russischen Poesie n ic h t einmal andeutungsweise gedacht w ird. Sein S t i l sei h ie r n ic h t w eiter kommentiert, sondern m it einem Beispiel belegt: ,,A lle , die ihre kläglichen Stücke 'Kto kogo р г о и й іі', 'Uedet i l i n e t' usf. gelesen haben, verziehen bei der Erinnerung daran u n w illk ü rlic h das Gesicht wegen des sauren Gefühls - genauso, wie a l l jene, die ihre Komödien , Neljudimka׳ ,

'Seroejnaja ta jn a ' и. ä. gelesen haben, sich bis je t z t vor Lachen n ic h t halten können, wenn sie sich der in ihnen abgebildeten nutzlosen menschlichen Handlungen erinnern"32.

Es i s t dies die überzeugte und kompromißlose Position einer gänzlich anderen Generation von L ite ra te n , deren Ausrichtung auf R e a litä t, G e s e lls c h a fts k ritik , auf das J e tz t und die Zukunft keinen B lic k auf vergangene Verdienste g e s ta tte t. In dieser Hinsicht r ic h te t sich Dobroljubovs K r i t i k n ic h t gegen Rostopčina als Frau - aber sie zeigt auch kein Verständnis fü r einen möglicherweise weiblichen Zug, der Dobroljubov so v e r b lü fft und w iderstrebt: "Ganz im Gegenteil, er (der Autor, also die Autorin - F. G.) geht bis zu einem solchen Grade in der Lage der Helden auf, d rin g t d e ra rt in ihre Interessen ein, da/3 sie ihre Gefühle und Überzeugungen genauso d a rle g t, als ob es ihre eigenen wären"31.

Es mu/3 der verletzende Grundton der Dobroljubovschen wie der von CernySevski j 34 vorgenommenen Besprechungen ih re r Werke aus den fü nfziger Jahren gewesen sein, der Evdokija Rostopčina, in deren Salon doch immer die Koexistenz von Ideen und deren Trägern als Kredo g e s te llt und von einer Vielzahl der Besucher auch akzeptiert wurde, nun ih re rs e its zu heftigen Angriffen veranlagte. Sie wählte dafür lite ra ris c h e Formen, n icht ohne sich der Gefahr auszusetzen, ihre Figuren gar zu sehr zum Sprachrohr ih re r Ideen zu machen. In der Komödie "Die Rückkehr č a c k ijs nach Moskau, oder Eine Begegnung bekannter Personen nach

fünfundzwanzigjähriger Trennung" (Vozvrat Čackogo v Moskvu, i l i

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Vstreča znakomych l i c posle d v a d c a tip ja tile tn e j ra z lu k i, 1856) rechnet sie auf ihre Heise m it Westlern und Slawophilen gleichermaßen ab.

Die aufgebrochene t ie f e K lu ft konnte bis zu RostopČinas Tod 1858 n ic h t überwunden werden. Sie sei an einem Gedicht verdeut- l i c h t , das aus Ogarevs Feder stammt und den anklagenden T it e l

"Der Abtrünnigen" (Otstupnice, 1857) tr ä g t. Ogarev gedenkt zunächst

To vremja svetloe, kogda Vy X i l i barySneju m ilo j V Moskve и Čistovo pruda.

Ih r Lebensgefühl damals als "s S a s tliv ", ih re Hoffnungen fü r die Zukunft als lebendig empfindend, bekennt er sich zu dieser Zeit und zu diesem Gefühl, das von der jungen Gastgeberin des be- rühmten Salons ausging:

Vy b y li Sudno chor05i ;

Čerty lic a u vas dySali . . . V te d ni, kogda neugomonno Iskalo serdce Xarkich slov.

Um so b it t e r e r i s t die Enttäuschung, die er nun empfindet, nachdem er meint, sie habe sich abgekehrt von den einstigen Idealen. Den Anstoß fü r diese Vermutung weiß er a lle rd in g s in seinen Versen selbst wenig d e u tlich zu machen. Er bindet ihn an einen V o r fa ll, da sich Rostopïina in einem Gespräch mit einem Franzosen, wobei er Zeuge wurde, ve rä ch tlich über Muse und Seele der Russen geäußert habe:

I russkuju c h v a lili muzu

Za podlyj skład, za rabskij duch.

Nein, dies kann n ic h t der gesamte Hintergrund sein fü r eine so scharfe Verurteilung:

čto vy otstupnica s v ja ty n i, Čto vy s k o ry s tiju rabyni Svoj golos pro dali za vzdor?

und n ic h t fü r jenen Grad von Reue, den ein e in s tig e r Freund und Weggefährte von ih r fo rd e rt:

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Pokajtes' iskrenno, te p lo , Рокаj te s ' s g o r'kimi slezami, Pokuda vremja ne uSlo!35

Gerade durch die Erinnerung an die gemeinsame glückliche Ver- gangenheit, an die Ideale der Jugend, die als besonders h e ilig gelten, erhalten diese Zeilen einen t i e f e r gehenden, ganz per- sönlichen und schmerzlichen Vorwurf. Zwar wird vermutet, daß dieses Gedicht Rostop&ina unbekannt b lie b , jedoch muß man bei der noch immer verbreiteten Praxis, daß Gedichte und Epigramme als Handschriften in Kennerkreisen weitergegeben wurden, davon ausgehen, daß es ihrem Ruf als russischer D ichterin sehr ge- schadet hat.

A ll dies h a rrt einer ausführlichen, unvoreingenommenen Analyse. Gegenwärtig i s t das Interesse an dieser D ichterin o ffe n s ic h tlic h wieder erwacht. Sowohl in Anthologien a ls auch in Einzelausgaben kehrte sie zum russischen Leser zurück und auch die lite ra tu rw is s e n s c h a ftlic h e Beschäftigung m it ih re r Poesie hat wieder eingesetzt. In Leningrad wurde 1990 eine D issertation36 v e r te id ig t, die nach dem Platz der Dichtung Rostopïinas in der L y rik ih re r Z e it fr a g t. Im A utorreferat, das gegenwärtig nur zu־

gänglich i s t und aus dem n ich t auf die ganze A rb e it geschlossen werden kann, ze ig t sich die Verfasserin betont zurückhaltend, ja abstinent gegen eine Betrachtungsweise, die nach dem Einbringen der W eiblichkeit der D ichterin fragen würde, was auch aus verwendeten Begriffen wie "íe n S íin a - poêt" hervorgeht.

Dabei scheint uns, daß gerade in jener Epoche, in die Rostopiinas B lü te z e it poetischer Ausstrahlungskraft f ä l l t und in der sie sich auch selbst kunstprogrammatisch äußert, der Zeitpunkt in der Geschichte der russischen F ra u e n lite ra tu r herangereift i s t , der es erlaubt, verallgemeinernde Überlegungen zur "W eiblichkeit" in der russischen L ite r a tu r anzustrengen.

Bisher sch e ite rte dies an der fehlenden ö ffe n tlic h e n Reflexion dieses Problems sowohl durch die S c h rifts te lle rin n e n selbst als auch durch die K r i t ik .

H ie rfü r wird der A r tik e l des Philosophen, P u bliziste n und L ite r a tu r k r itik e r s Ivan K ireevskij "Über russische S c h r ifts te l- lerinnen" bedeutsam: Er erschien 1834 in einem Odessaer Almanach

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und geht aus von einer Würdigung der aufklärerischen T ä tig k e it der vielgelesenen Z e its c h r ift "Damskij Xurnal". Seine A rb e it hat einen besonderen Anlaß. Sie s t e l l t die Antwort auf einen B rie f der vorwiegend durch ih re S chriften fü r Kinder bekannten und geachteten S c h r ift s te lle r in Anna Zontag dar, versucht jedoch s ic h tlic h , einen größeren Bogen zu spannen.

Zunächst r u f t er noch einmal jenes von V orurteilen geprägte Verständnis wach, das m it dem Wort " S c h r ifts te lle r in " noch bis vor kurzem verbunden gewesen s e i: " . . . Tinte am Finger, Pedanterie im Geist und Typographie im Herzen"57. Dem begegnet er mit einem beeindruckenden Panorama der V ie lf a lt an Talenten, was ihn dann zu seiner eingangs erwähnten Frage zurückkehren

lä ß t: " . . . und eben deshalb kann ich mir n ic h t erklären, woran es lie g t , daß sie so wenig geschätzt sind in unserer L ite r a tu r " 5*.

Seine b is heute ungeheuer modern gebliebene Antwort sucht er in einem Vergleich m it "aufgeklärten Staaten" zu gewinnen, denen gegenüber in Rußland die Frauen "im allgemeinen weniger Gutes tun . . . und dies nur deswegen, w eil dort ein gemeinsames Gefühl sie veranlaßt,

gemeinsam

zu handeln, während bei uns jede nur fü r sich selbst handeln kann"59.

Wir hatten bisher an vielen Beispielen demonstriert, daß d o rt, wo es Frauen gelungen war, mit ih re r Dichtung an die Ö ffe n tlic h k e it zu gelangen, ihre Aufnahme unter Anerkennung ih re r W eiblichkeit v e r lie f . Die K r i t i k v e rh ie lt sich zur Betonung des

"Weiblichen" auch bei Rostopïina überwiegend p o s itiv , wie es etwa bei Nikitenko überschwenglich zu lesen i s t : " . . . in der weiblichen Poesie jedoch sind es entschieden die besten Verse von a lle n , die jemals von bezaubernden Damenhändchen zu Papier gebracht worden sind"40. Pletnev und Sevyrev bestärken Rostopiina darin, auf diesem Wege weiterzugehen. In einem B rie f Vjazemskijs an A. Turgenev heißt es: "Welch tie fe s Gefühl, welche S ch lich th e it und K ra ft des Ausdruckes, und doch - w ie vie l Weibliches! "4I

Bei a lle r Freundlichkeit b le ib t le t z t lic h die nähere Be- Stimmung des "Weiblichen" in der Dichtung selbst zu einem Zeitpunkt im dunkeln, als man geneigt war, es zu akzeptieren.

Auch die wiederkehrenden Hinweise auf das die weibliche Dichtung

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jener Z e it offenbar prägende Gefühl reichen zu einem Verständnis dieses Phänomens n icht aus. Es kann n ic h t bloß um ein Konstatieren von Vorhandensein oder Fehlen von Gefühlen gehen, sondern es muß offenbar nach dem Grade, der Konsequenz bis hin zur T o ta litä t, in der Gefühle Anlaß, Gegenstand und Z ie l weiblichen Schreibens sein konnten, gefragt werden. Daß dann immer noch zu bestimmen i s t , ob dies a p r io r i ein ,,w eiblicher"

Zug i s t oder ob es die sich zwangsläufig herausbildende Eigenschaft eines Menschen i s t , dessen T ä tig k e it nach außen derart beschnitten i s t , daß er sich nur über das Gefühl entäußern kann, i s t von einer Literaturanalyse schon n ic h t mehr a lle in zu le is te n . So muß auch ohne jede Vorbehalte anerkannt werden, daß so v ie l Lob der "W eiblichkeit" durch die Zeitgenossen RostopČinas wohl kaum ih re r Poesie a lle in g a lt, sondern auch Ausdruck der Achtung, Verehrung und n icht selten V e rlie b th e it gegenüber einer solchen Ausnahmeerscheinung in der Gesellschaft war.

Solcherart Freundlichkeit gegenüber einem herausgestellt weiblichen Charakter von L ite ra tu r i s t später weniger anzu- tr e ffe n . Eher mußten S c h rifts te lle rin n e n und Dichterinnen bemüht sein, einer Formel zu folgen, die da heißt: Ne poetessa - a poet*

Es i s t v i e l f ä l t i g nachzulesen, daß die Anerkennung von Frauen in der L ite ra tu r damit einhergeht, daß es K ritik e rn nachzuweisen g e lin g t, es handle sich im vorliegenden Falle um eine d e u tlich männliche A rt zu schreiben. Ein Vorgehen der umgekehrten A rt, den Wert eines Dichters dadurch zu beschreiben, daß man seine in d iv id u e lle Schreibweise als "w eiblich" bezeichnet, b ild e t die Ausnahme und wird zudem, wie im Falle einer C harakteristik Rilkes, durch eine Frau vorgenommen42.

Rostopčina selbst äußert sich in vielen Gedichten (N a sil'n y j brak, Kak dolžny p is a t' 2enSčiny, Černovaja kniga Puškina) zu diesem Problem des "Weiblichen" in der Poesie und e n tw irft in ihrem Drama "Neljudimka" (1849), das stark autobiographische Züge tr ä g t, den schwierigen Weg einer Frau zur lite ra ris c h e n Anerkennung.

Bereits 1840 hatte Rostopčina ein kunstprogrammatisches Ge- d ich t mit dem T ite l "Kak doliny p is a t׳ XenSÄiny" geschrieben, in dem sie eine besondere Beziehung zur weiblichen Dichtkunst

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hervorhebt:

. . . no každyj ženskij s tic h

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