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Monika Hofmann, 20 jährig, Medizinstudentin, Basel

I. Augenzeugenbericht

von Herrn W. Schärli, Alpin-Of. 2. AK, Luzern l. Wetter-, Schnee- und Lawinenverhältnisse

,.Samstag, 4. 4. 59 sehr schön, auf ca. 2000 m windstill, höhere Lagen leichter Wind aus SSE. Morgen-temperaturen: etwas über 0°. Im Verlaufe des Vormittags starke Erwärmung, inten-sive Sonneneinstrahlung, warm, Frühlingswetter.

Schnee: Jochpaß und höhere Lagen: Wechselschnee, zwischen Pulver und Windharst an Nord-hängen. Sulzschnee an S und W Hängen.

Lawinenverhältnisse: genau dem Bulletin des Institutes für Lawinenforschung Weißfluhjoch-Davos ent-sprechend.

Föhnlage.

2. Beobachtungen

Um 10.45 Uhr verfolgte ich den Aufstieg der Partie am steilen NW-Hang des Reißend Nollen. Die Ko-lonne bestand nach meiner Zählung aus 15 Personen· und 1 Nachzügler. Der Aufstieg vollzog sich mehr oder weniger in geschlossener Einerkolonne. Sie kam gut vorwärts und machte marschmäßig einen sehr guten Eindruck.

Flg. 2l Lawinenunglück am Reißend Nollen bei Engelberg a) Karte 1 :50 000

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b) Der Reißend Nollen von Trüb-see gesehen. 1) Anrißlin.ie der Un-glückslawine; 2) Absturzrichtung der Hauptschneemassen ins Sulzli; 31 Sturzrichtung der Opfer gegen die Engstlenseite: 4) In dieser Gegend westwärts der Krete, lag die Verun-fallte, 5) Standort des Augenzeugen W. Schärli (Rotstöckli). (Sommerauf•

nahme K. Heß, Trübsee)

Alpinistisch fragwürdig, in bezug auf die Lawinenverhältnisse, war die Wahl und die Anlage der Auf-stiegsspur. Der steile Schneehang, im obern Teil nicht an Felsen verankert, wurde in der gesamten Breite in etlichen Zickzackwindungen überwunden. Einem Beobachter mußte die dadurch geschaffene gespannte Zone des ganzen Hanges bewußt werden.

Vor dem Mittag stieg ich vom Jochpaß in Richtung Jochstock Pt. 2566 auf. Ich hatte beabsichtigt, die Abfahrt durch das Große Sulzli nach Trübsee, eine sehr begangene Route, zu machen. Um diese Zeit war ich allein, jedoch unter Bekanntgabe meiner genauen Marschroute.

Die Lawinenverhältnisse am Reißend Nollen erfüllten mich mit einiger Besorgnis. Aus diesem Grund be-schloß ich abzuwarten, bis die Partie die Abfahrt vom Nollen antrat. Die Abfahrt über das Groß-Sulzli führt direkt unter den Steilhängen und Felspartien des Nollens durch. Weiter beobachtete ich, daß nie-mand in der Traverse vom Wenden-Sattel her in den westlichen Teil dieses Steilhanges geriet. Die bei-den genannten Routen münbei-den in die Flanke der „Gefahrenzone" ein.

Vorsorglich bereitete ich eine Deckung in der Felsennische des Jochstöcklis vor. Nach einiger Warte-zeit erschienen am Grat des Reißend Nollen die ersten Fahrer der Basler Studenten.

Der Kolonnenführer fuhr vorsichtig. Er legte oberhalb der Aufstiegsspur eine neue Abfahrtsspur an.

Weitere Fahrer folgten ihm. Lawinenabstände konnte ich nicht beobachten, die Spitzenfahrer fuhren ziem-lich aufgeschlossen. Diese Einfahrtsspur in den Hang erfolgte in der Fahrrichtung nach rechts, schräg zum Hang. Auf der Höhenkote von ziemlich genau 2900 m hielt der Spitzenfahrer (Dr. Fritz Pieth) an und wendete mit einer Spitzkehre. Die nachfolgenden Fahrer schlossen auf. Der erste Fahrer setzte seine Schrägfahrt fort, traversierte erstmals die Aufstiegsspur. Nach 1-2 Skilängen riß das Schneebrett an dieser Stelle an.

3. Unfallverlauf Zeit des Unfalles; 12.47 Uhr.

Lawinentyp: trockene Schneebrettlawine. - Anriß: scharf und zackig. Die Rißbildung erfolgte unter schar-fem Knall zuerst östlich der Abbruchstelle und gradlinig schräg abwärts verlaufend, dann innerhalb einer Sekunde westlich des Fixpunktes, bei etwas dumpferem Knall, ebenfalls auf der ganzen Länge des Feldes, unmittelbar unterhalb der Felsen. Zerstäubende Schneemassen entwickelten eine gewaltige Staublawine.

Die gesamte Nordflanke war in Bewegung.

Ausmaß: Obere Anrißbreite und Gleitfläche: 1200 rn.

Meereshöhen: Anriß: 2900 m

Lawinenkegel: 2200 m Seite Engstlen 2250 m Seite Groß-Sulzli

4. Situation auf dem Lawinenfeld

Ich stellte beim Anriß der Lawine fest, daß der vorderste Skifahrer in die Tiefe gerissen wurde. Ihm rutschten zwei weitere nach. In diesem Moment suchte ich Schutz in der vorbereiteten Felsennische des Jochstockes. Wie zu erwarten, verspürte ich sehr starken Luftdruck und ich wurde von einer dichten Staub-lawine, die rasch vorüberzog, mein „Biwak" vorübergehend verdunkelnd, überflutet.

Nach dem Verschwindepunkt des Erstverschütteten zu schließen, war die Absturzbahn in Richtung Pt.

2566 Jochstock und westlich davon.

Die Nachlawine hatte ein nur geringes Ausmaß. Sie bewegte sich ab Kote 2700 m über den Felsbändern oberhalb des Großen Sulzlis. Es wurden keine Personen erfaßt.

5. Verlauf der Suchaktion

Sofort nach dem Abgleiten der Nachlawine stieg ich gegen das Lawinenfeld. Ich nahm Rufverbindung mit zwei Nichtverschütteten, die mit den Ski auf der stehengebliebenen Schneeschicht hinunterfuhren. Sie meldeten bei ihrer ersten Kontrolle, daß sicher 2 Personen vermißt werden. Sofort wurde ihnen Hilfelei-stung zugesichert und sie wurden verständigt, daß eine Rettungskolonne aufgeboten wird. Gleichzeitig ver-anlaßte ich die beiden, sofort zur Hochhütte 2220 m abzufahren, damit die Zahl der Verschütteten festge-stellt werden könne. Es war zur Zeit des Unfalles nicht bekannt, wieviele Partien sich auf dem Reißend Nollen befanden.

6. Einsatz der Rettungsmannschaft

Der Hüttenwart der Jochhütte alarmierte den Obmann der Rettungsstation SAC Engelberg, Paul Gan-der.

c) Die Unglücklawine, während des Absturzes aufgenommen. In der Bildmitte das Jochstöckli, durch das die Lawine in die beiden Arme gegen Engstlen (rechts)

und Großes Sulzli-Trübsee (links) aufgeteilt wurde. Seitwärts links und rechts oberhalb der Lawinen-Staubwolke sind die Schneemassen noch im

Abgleiten begriffen.

7. Auffinden der Verunfallten

Auf dem Jochpaß stellten sich spontan hilfsbereite, gute Alpinisten zum Einsatz zur Verfügung. Nach-dem die Absturzrichtung bekannt war und sogar vom Jochpaß aus Abstürzende gesehen worden waren, begaben sich Gruppen von Helfern (Patrouillen zu 2-3 Mann) zum Lawinenkegel Engsten. Diese Spur wurde zugleich Meldeachse für den spätem Einsatz.

Nach dem Erstellen des Verzeichnisses der Teilnehmer an der Nollen-Tour stand fest, daß vier Perso-nen fehlten. Nach kurzer Zeit trafen Meldungen ein, wonach:

1. Dr, Fritz Pieth, Leiter des Studentenlagers, sich im Sattel des Jochstockes-Sulzli befinde, Zustand: leicht verletzt

2. Frl. Monika Hofmann gefunden wurde, etwa 150 m über dem Ende des Lawinenkegels, im Schnee Zustand: tot

3. Herr Huber ca. 150 m über dem letzterwähnten Standort Zustand: Beinbruch

4. Frl. M. Teichmann in nächster Umgebung liegend Zustand: leicht verletzt evtl. Knöchelbruch

Die Hilfeleistung und der Abtransport erfolgte durch die 3 gebildeten Gruppen, unter Zuteilung des Arztes, mit San.-Material inkl. Pulmotor, Sauerstoffgeräte, 2 Lawinenhunde-Führern. Funkverbindung war sichergestellt. Die Pikettstellung weiterer Hilfskräfte in Engelberg war rechtzeitig angeordnet.

8. Bemerkungen

Der Lawinenunfall erforderte eine Tote und drei Verletzte. Es ist eine besondere Tragik, daß dieses Unglück einem ältern, erfahrenen Skifahrer und Alpinist, einem bewährten Leiter, zustieß. Es soll über nie-manden ein Urteil gefällt werden, wenn festzustellen ist, daß das Unglück ursächlich in einer unrichtigen, persönlichen Beurteilung der Lawinenverhältnisse liegen dürfte.

Es ist nicht Sache dieses Berichtes, näher darauf einzutreten, ob der Leiter sichernde Anordnungen (La-winenabstände beim Abfahren, Anlegen der Lawinenschnüre) traf."

II. Bericht eines eingesetzten Lawinenhundeführers

Herr Karl Heß, Hotel Trübsee, erwähnt in seinem Bericht weitere interessante Details. Ueber den Ab-sturz der Lawine sagt er: .,Vom Hotel aus konnten wir beobachten, daß eine riesige Staubwolke das ganze Gebiet vom Jochstöckli einhüllte. Der Staub schoß in raschem Tempo hinunter gegen das Sulzli, um am Gegenhang desselben zurückzuprallen. Der Luftdruck war im Hotel sehr spürbar, die Tannen legten sich im Wind und feiner Schneestaub ergoß sich über das Hotelareal." Wer die dortigen topographischen Ver-hältnisse und Distanzen kennt, kann das gewaltige Ausmaß dieses Absturzes ermessen.

Ueber die Rettungsarbeiten führt Heß aus: ,.Bevor wir etwas unternehmen konnten, wollten wir mit Gewißheit Auskunft von der Jochpaßhütte über den Vorfall. Man konnte dort im Moment noch gar nichts sagen. Ca. um 13.15 Uhr fragte der Sohn von Herrn Schärli, der im Alpstübli zurückgeblieben war, ob wir etwas vom Schicksal seines Vaters wissen; dieser sei kurz nach Abbruch der Lawine durchs Sulzli hinuntergefahren.

„Ich selbst machte mich bereit, telefonierte dem einzigen neben mir zurzeit anwesenden, zwar im Bett liegenden Lawinenhundeführer, Sepp lnfanger, er solle auch mitkommen. Gleichzeitig orientierte ich Herrn Gander, Rettungschef des SAC, daß wahrscheinlich ein Unglück geschehen sei, allerdings habe man noch keine genauen Anhaltspunkte. Vom Hotel aus konnte man dann beobachten, daß da und dort aus dem Schnee der Abrutschzone Gestalten aufstanden, und als ich bereits mit dem Hund nach Jochpaß auf Fahrt war, erfolgt der zweite Abbruch mit den später abfahrenden Studenten."

Dieser zweite Absturz ereignete sich, als die sieben noch auf dem Gipfel sich aufhaltenden Kameraden der Verunglückten abfahren wollten. Sie lösten dabei eine kleinere Lawine, und drei Skifahrer wurden zu Tal gerissen. Alle drei blieben unverletzt.

„Nach Eintreffen auf dem Jochpaß stellte ich fest, daß die Situation ganz unklar war. Niemand wußte Bestimmtes zu sagen und von den unverletzt gebliebenen sah ich auf der Lawine niemanden. Sepp Infan-ger begab sich zum Jochstöckli, während ich auf der Seite gegen Engstlenalp suchen wollte, wo angeblich zwei Vermißte sein mußten. Zwei Helfer sah ich ca. 300 m unter mir im Abstieg über die Lawine und plötzlich riefen diese nach oben: ,Ski gefunden!' Eine Skispitze ragte dort ca. 15 cm aus dem Schnee und wir gruben rasch nach. Ohne Lawinenschaufel wäre nichts auszurichten gewesen, da der Schnee bereits sehr hart gepreßt war. Nach 10 Minuten stießen wir auf ein Bein und alarmierten sofort den mit mir auf Joch paß eingetroffenen Arzt, Dr. Regli. Nach Frei! egung des Körpers konnten wir bereits eine starke Unterkühlung feststellen. Die Augen waren wohl noch klar, doch an Hand der völlig gebrochenen Glie-der hatte man den Eindruck, daß Frl. Hofmann von den Schneemassen erdrückt wurde. Wir begannen so•

fort mit der künstlichen Beatmung. Obwohl wir über den inzwischen eingetroffenen Funk - SE 101, die sich ausgezeichnet bewährt haben - das AMBU-Gerät angefordert hatten, dauerte es sehr lange, bis das-selbe eintraf. In der Zwischenzeit versuchte der Arzt, durch Spritzen das Herz anzuregen. Auch Sauer•

stoff wurde zugeführt.

Nachdem ich immer noch keine Gewißheit hatte, ob noch jemand vermißt sei, begann ich die Suche mit .,Arco·· vom Ende des Lawinenkegels aufwärts, d. h. ca. 800 m unterhalb der Fundstelle von Frl. Hofmann.

Der Lawinenkegel hatte hier spaltenähnliche Furchen von Höhen bis zu 8 m; man konnte sie nicht über-springen. Nach 30 Minuten wurde mir mitgeteilt, daß alle Vermißten geborgen seien."

III. Bemerkungen

Die Skitour auf den Reissend Nollen 3003 m wurde früher selten ausgeführt; in den letzten