4. Modellgestützte Szenarioanalyse
4.4 Simulation zukünftiger Stromerzeugungs- und Stromlastmengen
4.4.2 Modellierung der Stromerzeugungsmengen
86
87 zusammengefassten Faktoren, mit welchen die Eingangsdaten aus Kapitel 4.3.4 im Modell hochgerechnet werden.
Tabelle 4: Bestimmung der λ1 Skalierungsfaktoren für die Stromerzeugung in Ausbauszenarien der vom BMWi in Auftrag gegebenen Energiereferenzprognose187
Bestimmung der λ1 Faktoren für Szenarien der Übertragungsnetzbetreiber im Szenariorahmen der Netzentwicklungspläne Strom 2030
Da in den von den Übertragungsnetzbetreibern veröffentlichten Szenarien keine Prognosen zu zukünftigen Stromerzeugungsmengen angegeben sind, erfolgt die Bestimmung der Skalierungsfaktoren auf Grundlage der in den Prognosen angegebenen erwarteten Erzeugungsleistungen einzelner Technologien. Die Höhe der jeweiligen Skalierungsfaktoren wird dabei je Erzeugungstechnologie errechnet aus dem Quotienten der prognostizierten Erzeugungsleistung geteilt durch die installierte Erzeugungsleistung in 2015. Zusammenfassend ergeben sich für die
187 Eigene Darstellung nach Prognos, EWI, GWS (2014); die letztverfügbare gegenwärtige Stromerzeugung wurde mit Daten der Übertragungsnetzbetreiber normiert auf 2015
88 einzelnen Szenarien und Erzeugungstechnologien die in folgender Tabelle zusammengefassten Faktoren, mit welchen die Eingangsdaten aus Kapitel 4.3.4 skaliert werden.
Tabelle 5: Bestimmung der λ1 Skalierungsfaktoren für die Stromerzeugung in Ausbauszenarien der Übertragungsnetzbetreiber188
Berücksichtigung höherer Direkteinspeisung aus Biomasse
Der Hochrechnung über einen Skalierungsfaktor liegt die Annahme zugrunde, dass ein vergleichbares Verbrauchs- bzw. Erzeugungsprofil des gegenwärtigen Stromversorgungsprofils auch in Zukunft eintritt. Während diese Annahme für das verhältnismäßig stabile Verbrauchsverhalten der Gesellschaft, die wetterabhängige Stromerzeugung sowie die technisch bedingten Eigenschaften der Kernkraftnutzung voraussichtlich über längere Zeit gültig sein wird, ist für die Stromerzeugung aus Biomasse eine Besonderheit zu berücksichtigen.
Für viele Biomasseerzeugungsanlangen entfällt bereits heute mit der verpflichtenden Direktvermarktung die priorisierte Einspeisung und durch einige Erzeugungsvarianten, wie z. B. Biogasanlagen, kann eine gesteuerte Erzeugung von
188 Eigene Darstellung nach Daten 50Hertz Transmission, Amprion, TenneT TSO, TransnetBW (2016)
89 Spitzenlaststrom angeboten und gehandelt werden. In Zukunft ist deshalb davon auszugehen, dass ein Teil der erwarteten Biomassestrommenge auf Spitzenlastbetrieb umgestellt wird, anstatt wie bisher zur Deckung des Grundlastbedarfs beizutragen.
Im Modell wird die Stromeinspeisung aus Biomasse deshalb auf zwei Arten berücksichtigt. Erstens wird angenommen, dass ein Teil der Erzeugungsanlagen weiterhin ein konstantes Erzeugungsband leistet. Zweitens wird eine vorläufige Residuallast berechnet,189 in der frei regelbare Biomassekraftwerke die Lastspitzen bedienen, bevor für die tatsächliche Residuallast konventionelle Kraftwerke zum Einsatz kommen. Dieses Vorgehen wird im Modell für jede 24 Stunden Handelsperiode des Day-Ahead-Markets vorgenommen.190 In Summe ergeben beide Teilerzeugungsmengen die Gesamtstromeinspeisung aus Biomasse entsprechend den in Kapitel 4.4.1 vorgestellten Szenarien. In der Literatur, insbesondere in den zugrundeliegenden Szenarien der Energiereferenzprognose und des Szenariorahmens der Übertragungsnetzbetreiber, werden keine Prognosen zur Art der zukünftigen Einspeisung aus Biomasse und zur Höhe der erwarteten Unterscheidung des Lastcharakters genannt.
Aus erzeugungstechnischen Gründen wird voraussichtlich der größte Anteil der zukünftigen Stromerzeugung aus Biomasse jedoch weiterhin bedarfsunabhängig erzeugt. Im Modell wird deshalb das Verhältnis des Anteils der Biomasse Grundlaststromerzeugung zur Biomasse Spitzenlaststromerzeugung mit etwa 90:10 angenommen. Insgesamt kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die hieraus ergebenden Auswirkungen als gering einzuschätzen sind, da alle herangezogenen Szenarien übereinstimmend nur einen geringen Zubau an Biomasse
189 Die vorläufige Residuallast wird berechnet als Residuallast nach Einspeisung von Strom aus Windkraft, Photovoltaik, Wasserkraft, Atomkraft und konstantem Anteil Biomasse, vor Einspeisung von Strom aus konventionellen Kraftwerken
190 Die technische Umsetzung im Modell sieht vor, dass eine Einspeisung von Biomasse Spitzenlaststrom u. a. über Annahmen zur Installierten Erzeugungsleistung und zur maximalen Dauer der Einspeisung kalibriert wird
90 Erzeugungskapazitäten prognostizieren.191 Im Modell dieser Arbeit werden pro Szenario die nachfolgend aufgelisteten Biomasse Grund- und Spitzenlastanteile angenommen.
Tabelle 6: Annahme zur Zusammensetzung der modellierten Biomassestromerzeugung192
Details zur Stromerzeugung konventioneller Kraftwerke
In der Simulation wird angenommen, dass der Einsatz regelbarer konventioneller Kraftwerke mit Ziel der Versorgung der nachgefragten Residuallast in jeder der 24 Stunden x 365 Tage erfolgt. Die Einsatzreihenfolge einzelner Kraftwerkstypen richtet sich dabei nach der Nebenbedingung einer Minimierung der Erzeugungskosten.
Grundsätzlich kann die Stromerzeugung aus konventionellen Kraftwerken entsprechend den Ausführungen in Kapitel 2.4.1 nach deren Auslegungs- und damit Verwendungszweck in die Lastarten Grundlast-, Mittellast- und Spitzenlast unterteilt werden. Aufgrund der geringen Brennstoffkosten wird in der Simulation von einer
191 Die zu Beginn dieses Abschnitts ermittelten Skalierungsfaktoren λ1 für den Ausbau von Biomasse liegen in allen Szenarien unter 1,19
192 Eigene Darstellung
91 konventionellen Erzeugung von Grundlast durch Braunkohleverbrennung dann ausgegangen, wenn hierfür eine ausreichend hohe installierte Erzeugungsleistung von Braunkohlekraftwerken zur Verfügung steht und ein durchgehendes Residuallastband nachgefragt wird. Von einem Einsatz der verbleibenden konventionell-thermischen Kraftwerke wird in der Simulation dann ausgegangen, wenn eine Nachfrage von unter 24 Stunden, d. h. kürzer als der Handelszeitraum, bedient werden muss, oder wenn das Tagesminimum der Residuallast über der installierten Braunkohlekraftwerksleistung liegt.
Die Höhe der installierten Erzeugungsleistung von Braunkohlekraftwerken hat deshalb einen hohen Einfluss auf die Modellergebnisse. Aktuell beträgt die installierte Leistung von grundlastfähigen Braunkohlekraftwerken knapp unter 25 GW.193 Im Rahmen der Energiewende ist jedoch davon auszugehen, dass aufgrund der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz durch hohe CO2- und Luftschadstoffemissionen sowie einer geringen Anpassungsfähigkeit an in immer stärkerem Maße schwankende Residuallasten die Braunkohlestrom-erzeugungskapazitäten zurückgebaut werden.
Der erste Schritt dieser Entwicklung wurde in der Verständigung zur Überführung von Braunkohlekraftwerksblöcken in eine Sicherheitsreserve beschlossen. Die Bundesregierung vereinbarte mit Betreibern deutscher Braunkohlekraftwerke die Abstellung von Braunkohlekraftwerken i. H. v. 2,7 GW, welche ab 2017 für zunächst 4 Jahre als Sicherheitsreserve auf Abruf bereitstehen müssen, in dieser Zeit nicht am Marktgeschehen teilnehmen dürfen und abschließend stillzulegen sind.194 Weiterhin befinden sich in Deutschland derzeit keine Braunkohlekraftwerke in der Bauphase. In den letzten Jahren wurden zwar diverse Pläne von Kraftwerksbetreibern vorangetrieben und öffentlich gemacht, zuletzt jedoch alle in Planung befindlichen Projekte zur Errichtung oder Erweiterung von Braunkohlekraftwerken
193 BMWi (2016), Energiedaten Tabelle 22
194 Vgl. Verständigung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft mbH (Mibrag) sowie Helmstedter Revier GmbH vom 02.11.2015
92 eingestellt.195 Diese Entwicklung legt den Schluss nahe, dass ein zukünftiger Zubau von Braunkohlestromerzeugungskapazitäten äußerst unwahrscheinlich ist. In der vom BMWi in Auftrag gegebenen Energiereferenzprognose sowie im Szenariorahmen der Übertragungsnetzbetreiber spiegelt sich diese Entwicklung im angenommenen Rückgang der Erzeugungskapazitäten wider. Den Simulationsrechnungen wird in den Szenarien deshalb die Entwicklung des nachfolgenden Abbaupfads der installierten Erzeugungsleistung von Braunkohlekraftwerken zugrunde gelegt:
Tabelle 7: Angenommener Abbaupfad der installierten Erzeugungsleistung von Braunkohlekraftwerken je Szenario196
195 So beispielsweise der von Mibrag geplante Bau des Braunkohlekraftwerks Profen. MDR (2015).
Der von RWE geplante, noch nicht endgültig entschiedene Bau eines weiteren Blocks im Braunkohlekraftwerk Niederaußem wäre als Modernisierung zu werten, da der Zubau von 1,1 GW (Block L) mit einer Stilllegung von vier älteren Blöcken mit einer Leistung von 1,2 GW einherginge.
RWE (2017b)
196 Eigene Darstellung nach Prognos, EWI, GWS (2014) und 50Hertz Transmission, Amprion, TenneT TSO, TransnetBW (2016)
93 Im Zusammenhang mit konventionellen Kraftwerken stellt im Modell die Annahme der spezifischen CO2-Emissionen eine weitere bedeutende Einflussgröße dar. Die spezifischen CO2-Emissionen konventioneller Kraftwerke hängen von den Eigenschaften des eingesetzten Brennstoffs sowie vom technologisch bedingten Wirkungsgrad des eingesetzten Kraftwerkstyps ab.197 Während die Brennstoffeigenschaften als nicht beeinflussbare Größen zu betrachten sind, wird in Zukunft grundsätzlich von einer Verkleinerung des konventionellen Kraftwerksparks sowie technologischem Fortschritt ausgegangen. Die Altersstruktur des konventionellen Kraftwerksparks in Deutschland ist sehr inhomogen und kennzeichnet sich durch sehr lange Betriebszeiten sowie ein Durchschnittsalter von mehreren Jahrzehnten. Beispielsweise reicht das Alter der deutschen Braunkohlekraftwerke bis zu 50 Jahre, während das Durchschnittsalter etwa 35 Jahre beträgt.198 Der Stand der Technik des durchschnittlichen Kraftwerkparks weicht deshalb in allen konventionellen Erzeugungstechnologien deutlich vom aktuellen Stand der Technik ab.199,200 Für den Abbau von Erzeugungskapazitäten wird erwartet, dass zunächst ältere Kraftwerke mit höheren Instandhaltungskosten und geringerer Effizienz abgeschaltet werden, welche sich nicht mehr zu konkurrenzfähigen Preisen am Strommarkt beteiligen können. Die verbleibenden, tendenziell neueren Kraftwerke werden in den nächsten Jahrzehnten regulatorischen Vorgaben und ökonomischen Anreizen für eine Modernisierung unterliegen. Für die Zukunftsszenarien wäre deshalb das Heranziehen der spezifischen CO2-Emissionen des durchschnittlichen aktuellen Kraftwerkparks nicht angemessen, da tendenziell zu alte, in Zukunft voraussichtlich abgeschaltete konventionelle Kraftwerke in Betracht gezogen und die Modernisierung bestehender Kraftwerke nicht berücksichtigt werden würde. Im Modell wird deshalb für den zukünftigen Kraftwerkspark die Annahme
197 Pehnt (2010), S. 108
198 Umweltbundesamt (2015), S. 12
199 Im Vergleich dazu beträgt die CO2-Intensität des aktuellen Kraftwerkparks im Durchschnitt für die Braunkohleverstromung 1,158 t CO2/MWh, bei Steinkohlekraftwerken 0,904 t CO2/MWh und bei Erdgas befeuerten Kraftwerken 0,399 t CO2/MWh; Umweltbundesamt (2015), S. 9
200 Pehnt (2010), S. 109
94 getroffen, dass die durchschnittlichen spezifischen CO2-Emissionen der am weitesten reichenden Szenarien bis auf die Höhe des aktuellen Stands der Technik abgesenkt werden. Aufgrund der Abschaltung älterer Kraftwerke und von erwarteten Modernisierungsmaßnahmen wird im Modell für die dazwischenliegenden Szenarien von einer linearen Abnahme der spezifischen Emissionen zwischen dem aktuellen durchschnittlichen Kraftwerksportfolio und zukünftigen spezifischen Emissionen ausgegangen. Nach Szenarien zugeordnet ergibt sich hieraus die Verwendung folgender spezifischer CO2-Emissionen:
Tabelle 8: Zusammenfassung der Annahmen zu spezifischen CO2-Emissionen je Szenario201