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2. Theoretische Grundlagen

2.1 Stress

2.1.1 Modelle über die Verarbeitung und Regulation von Stress

Es gibt eine Reihe von unterschiedlichen Vorstellungen, welche neuronalen Strukturen bei der Verarbeitung und Regulation von Stress eine Rolle spielen. Obwohl eine genetische Basis für schwerwiegende psychische Störungen nicht bestritten werden kann, bestätigt ein genetischer Einfluss von maximal 50 Prozent, dass Störungen und ihre Psychopathologien nicht auf eine alleinige genetische Grundlage reduziert werden können (Cardno & Gottesman, 2000).

Ein anderes Konzept ist der allostatic load. Das griechische Wort allo bedeutet variabel. Im Kontrast zur Homöostase, welche sich auf die Fähigkeit eines Individuums bezieht einen stabilen internalen Zustand zu halten, meint allostatisch die Flexibilität sich Stressoren anzupassen (McEwen, 1998b). Diese Stressoren können von physikalischer Deprivation (Kälte, Lärm, Nahrungs- oder Schlafdeprivation) bis zu Furcht provozierenden Situationen, die eine Alarmreaktion auslösen, reichen. Die Reaktionen auf schwerwiegenden Stress, die das Überleben im Kontext von lebensbedrohenden Situationen begünstigen, sind kurzfristig durchaus adaptiv.

Langfristig können sie jedoch, wenn das Erholen von dem akuten Ereignis nicht von einer adäquaten Homöostase – die die akute Anpassungsreaktion auf den Stressor beendet – begleitet ist, zerstörende Auswirkungen auf psychologische und physiologische Funktionen haben. Diese Auswirkungen werden als „allostatic load“

bezeichnet.

McEwen (2002) beschrieb in seinem Modell des allostatic load (siehe Abbildung 2.1), dass sich die Allostase als Reaktion auf das Wegrennen vor einem Feind, dem Entfliehen akuter Gefahr oder die Bekämpfung einer Bedrohung entwickelt.

Es sorgt beim Menschen für ein erhöhtes Level von Stresshormonen, so dass man Herausforderungen begegnen kann. Wenn der allostatic load zu hoch wird, kann es nicht nur zu Schmerzen, Verlust von Appetit oder Überfressen kommen. Bei langfristig erhöhtem allostatic load könnten auch Organe – einschließlich des Gehirns – geschädigt werden (Bremner, 1999b).

Abbildung 2.1: Die Entwicklung des allostatic load [Aus: McEwen, 1998b].

Neuroendokrinologisch ist die Stressreaktion durch die Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HHN-Achse) charakterisiert (siehe Abbildung 2.2). McEwen (2002) erklärte, dass die Allostase tief im Gehirn beginnt, an der Stelle, wo der Hypothalamus über zwei Wege mit den endokrinen Drüsen in Verbindung steht. Der Hypothalamus kontrolliert verschiedene endokrine Drüsen und damit den Spiegel, der von ihnen ausgeschiedenen Hormone. Die Hormone des Hypothalamus beeinflussen auch die Hypophyse und die dort produzierten (Stress)-Hormone. Wenn die HHN-Achse gut funktioniert, hilft sie dem Menschen mit Stress umzugehen. Bei lang anhaltendem, ununterbrochenem Stress kommt es jedoch zur Überaktivität der HHN-Achse, was dann entweder über Immunsuppression zu einer starken Erkältung führen oder aber Depression, starke Adipositas, einen Verlust von Muskelmasse oder mentale Störungen auslösen kann. Wenn die Gefahr vorbei ist, sollte die Stressreaktion abnehmen. Bei einigen Menschen bleibt sie nach früher oder chronischer Stressbelastung jedoch oftmals erhalten und beeinflusst dadurch die Gesundheit und das Verhalten.

Abbildung 2.2: Die zwei Systeme der Stressreaktion: links kurzfristige, rechts längerfristige Wirkungen von Stress [Aus: Pinel, 2001].

Der Einfluss von Stressoren ist bei verschiedenen psychiatrischen Störungen, wie beispielsweise Major Depression (Pryce, Rüedi-Bettschen, Dettling & Feldon, 2005), Schizophrenie (Meyer, Taiminnen, Vuori, Äijalä & Helenius, 1999; Maynard, Sikich, Lieberman & LaMantia, 2001) und Substanzmissbrauch (Mullen, Martin, Anderson, Romans & Herbison, 1996), untersucht worden. Gelegentlich ist dieser Einfluss in psychopathologische und pathogenetische Modelle integriert worden. Im Allgemeinen ist die unangemessene Reaktion des Stresssystems mit einer großen Vielfalt von Beeinträchtigungen in psychiatrischen Bedingungen, ihrer Entwicklung und Schwere – wie beispielsweise unvollständige Remission oder Rezidive bei der Schizophrenie (Doering et al., 1998) – verbunden worden. Die unangemessene Stressreaktion hängt darüber hinaus von der genetischen Vulnerabilität des Individuums, dem spezifischen Typ der Aussetzung gegenüber unangenehmen Umweltfaktoren sowie ihrem zeitlichen Anhalten ab. Nach Thompson, Pogue-Geile und

S

Sttrreessssoorr

Gehirn

sympathisches Nervensystem

Nebennierenmark

Hypophysen-vorderlappen

Nebennierenrinde

Noradrenalin und Adrenalin

Glucocorticoide

Grace (2004) ist die Vulnerabilität eine Funktion der genetischen und der neuronalen Entwicklungspathologie von Gehirnsystemen, die auch mit Stresssystemen verbunden ist. Zum Beispiel könnte der normale, mit der Adoleszenz verbundene Anstieg in der HHN-Achsen-Responsivität zusammen mit dem gleichzeitigen Anstieg in der Stressbelastung in einer positiven Rückmeldeschleife resultieren, die den Ausbruch oder die Verschlechterung einer psychischen Störung auslöst. Die Stress bezogene Erhöhung der Sekretion von corticotropin-releasing factor (CRF) Hormonen könnte während sensibler Perioden der Gehirnplastizität in der Kindheit und Adoleszenz (Paus, 2005;

Steinberg, 2005; Thompson et al., 2004) hippocampalen Volumenverlust (Heim et al., 2004; McEwen, 2003), Sensibilisierung und veränderte Rückmeldeeigenschaften der HHN-Achse hervorrufen, die wiederum die Hyperresponsivität auf darauf folgenden sozialen Stress fördern.

Bremner (2002) ging in seinem Modell über die Auswirkungen von Stress von der Atrophie des Hippocampus aus. Der Hippocampus und die Amygdala (siehe Abbildung 2.3) gehören zu den zwei Hauptzielen von Stresshormonen im Gehirn. In diesen Strukturen können die Neurone ihre Form, ihre Verbindungen sowie die Anzahl der Zellen stark verändern. Da die Amygdala eine Struktur ist, die an dem emotionalen Ausdruck beteiligt ist, kann das Individuum durch eine Veränderung in dieser Struktur verletzlicher gegenüber lebensbedrohenden Begegnungen werden. Wenn das Stressniveau sehr hoch ist, können der Hippocampus und seine lebensnotwendige Funktion des Gedächtnisses – speziell die Gedächtnisinhalte bezüglich des Kontextes – geschädigt werden. Dabei ist es besonders in gefährlichen Situationen wichtig, sich an einen bestimmten Kontext zu erinnern. Die Schädigung des Hippocampus hat jedoch zur Folge, dass er in seiner normalen Funktion immer mehr eingeschränkt wird, während er in demselben Augenblick das Furchtnetzwerk der Amygdala stärkt.

Es konnte gezeigt werden, dass traumatischer und chronischer Stress zu großen Gehirnschädigungen und lang anhaltenden Dysregulationen führen kann, so dass Symptome, die mit psychologischen Traumata verbunden sind, als neurologische Störungen (zum Beispiel Depression oder Schizophrenie) verstanden werden können (Bremner, 1999b).

Abbildung 2.3: Darstellung des Limbischen Systems mit Hippocampus (hellblau) und Amygdala (dunkelblau) [Aus: Pinel, 2001].

Aus der Stressforschung ist bekannt, dass Stress über Belohnungs- und Abwehrsysteme zu Veränderungen von motivationalen Zuständen führt. Das mesolimbische System, das dopaminerge Neurone im ventralen Tegmentum aufweist, die zum Nucleus Accumbens und den präfrontalen Kortex projizieren, ist nicht nur in kognitive Funktionen sondern auch in die Verarbeitung von Motivation, Belohnung und Verstärkung involviert (vgl. Abbildung 2.4; Charmandari, Kino & Souvatzoglou, 2003).

Abbildung 2.4: Das mesotelencephale Dopaminsystem, das sich aus dem nigrostriatalen System (dunkelblau) und dem mesolimbischen System (hellblau) zusammensetzt [Aus:

Klivington, 1992].

Obwohl paralimbische und präfrontale Gebiete sowie das Dopaminsystem auf ähnliche Weise der affektiven und Belohnungsverarbeitung zugeteilt sind, stehen, abhängig von experimentellen Details, spezifische Systeme im Vordergrund. Zum Beispiel aktivierte eine unmittelbare, finanzielle Belohnung Teile des limbischen Systems und des paralimbischen Kortex, die mit dem Dopaminsystem des Zwischenhirns verbunden sind (McClure, Laibson, Loewenstein & Cohen, 2004), während der orbitofrontale Kortex durch unvorhersehbare (Ramnani, Elliott, Athwal &

Passingham, 2004) oder verzögerte Belohnung (Dalley, Cardinal & Robbins, 2004) aktiviert worden war. Der präfrontale Kortex war hingegen in der Mediation der Belohnungs- und Stresseffekte involviert (Bremner, 2002; McEwen, 2004).

Obwohl Symptome wie negativer Affekt, Anhedonie, Hilflosigkeit oder reduzierte Sensitivität auf soziale Verstärker häufig so gebraucht werden, als wenn sie für eine bestimmte psychiatrische Störung wie Major Depressive Disorder (MDD) oder Schizophrenie spezifisch seien, können sie doch auch Marker eines veränderten Belohnungssystems bei Menschen mit MDD oder Schizophrenie sein. Denn da sich sowohl das Belohnungs- als auch das Abwehrsystem mit dem Stresssystem überlappen (Lang, McTeague & Cuthbert, 2005), lässt die Assoziation zwischen berichtetem Kummer und einer verminderten Aktivität des Abwehrsystems bei ängstlichen und depressiven Patienten eine verbindende Psychopathologie gegenüber plastischen Veränderungen des Belohnungs-/ Abwehrsystems nach Stressbelastung annehmen.

Ziel dieses theoretischen Abschnitts war eine Übersicht des bisherigen Forschungsstands von Gehirnstrukturen und daraus abgeleiteten Modellen, die als kritische Faktoren bei der Vulnerabilität von Stress mediierenden Systemen in ihrem Beitrag zu psychopathologischen Störungen diskutiert werden. Im Folgenden soll nun der aktuelle Forschungsstand zum Zusammenhang von Stress und psychiatrischen Störungen vorgestellt werden.