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3 Forschungsergebnisse in der Vorschau

1.2 LehrerInnenpersönlichkeit und Habitus im Kontext von

1.2.2 Modelldarstellung

Bourdieu (1982, 1996b, 1998a) definiert den Habitusbegriff als „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ (Lenger et al. 2013) eines Menschen, in denen sämtliche inkorporierten, früheren sozialen Erfahrungen zum Ausdruck kommen. Er legt damit das Hauptaugenmerk auf die inneren, wirksamen Strukturen der Person. Für die vorliegende Untersuchung und Diskussi-on stellt der Fokus auf eben diese inneren Vorgänge der Inkorporierung der betreffenden PersDiskussi-on, konkret der Berufsanfängerin bzw. des Berufsanfängers und im Sprachgebrauch Bourdieus des Subjekts, den wesentlichen Kerngedanken dar.

Zur Rekonstruktion des Bourdieu‘schen Habituskonzepts bedarf es der Darstellung der bereits verwendeten Begriffe des Habitus, der Habitualisierung, der Inkorporierung sowie jenes des Subjekts. Weitere relevante und von Bourdieu eingeführte Begriffe werden ebenfalls beschrie-ben: das Feld inklusive der Phänomene Macht und Kapital, das mit dem Subjekt resonierende (Rosa 2018) Objekt und der für den Übergang charakteristische Akt der Inkorporierung.

1.2.2.1 Feld, Macht und Kapital

Der Begriff des Feldes bzw. die Feldtheorie Bourdieus beschreibt ein gesellschaftliches System (Diaz-Bone 2010). In einer Gesellschaft existieren mehrere autonome Felder, wobei jedes Feld eine abgrenzbare Funktion in der Gesellschaft einnimmt. Eigenständige Felder sind etwa Jus-tiz, Gesundheit, Wirtschaft (Bourdieu und Wacquant 1996). Für die vorliegende Arbeit sind u.a. die Felder LehrerInnenbildung und formale Bildung (siehe auch Abb. 11: Wechselwirkung zwischen den Feldern im schulischen Kontext) von Bedeutung. Die grundlegenden Merkmale des jeweiligen Feldes sind nach Bourdieu die klaren Regeln und die feldinternen Gemeinsam-keiten (Barlösius 2011). Ein bestimmtes Feldinteresse konstituiert somit ein eigenständiges und autonomes Feld, indem es einen Schwerpunkt bzw. Hauptgegenstand festlegt (ebd.). Dadurch wird inhaltlich bestimmt, was sich im Feld ereignet. Atkinson (2011) drückt den Zusammen-hang zwischen Feld und Habitus folgendermaßen aus:“ […] each organisation […] has its own habitus.“

In Bezug auf das jeweilige inhaltliche Feldinteresse führt Bourdieu den Begriff der Illusio (Bour-dieu 1998a) ein und gibt zu bedenken, dass es neben dem eigentlichen Feldinteresse auch andere Interessen gibt: Erlangung von Macht, Geld, Ansehen etc. Im Feld kann z.B. ein gutes Image aufrechterhalten werden, indem die Illusion hierarchische Auseinandersetzungen etc. verschlei-ert (Barlösius 2011). Aus der Sicht der im Feld Beteiligten (Subjekt, Objekt) entsteht die Illu-sion durch die jeweils feste Überzeugung, dass es sich trotz des Wissens um die beschriebenen Nebeninteressen lohnt, im Feld teilzunehmen (Fuchs-Heinritz und König 2014). Das Ergebnis

ist ein „heimliches Einverständnis“ (Barlösius 2011, S. 100) mit den Spielregeln des Feldes, die stillschweigend übernommen werden.

Das Konzept der Feldstruktur (Bourdieu 1996a) liefert neben den wichtigsten Eigenschaften und Metakonzepten zur Analyse des existierendes Feldes auch zwei weitere wesentliche Er-kenntnisse: den Einblick in die „Machtstruktur [und in die] Distributionsstruktur von Kapi-talsorten“ (ebd., S. 139). Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von „Herrschenden und Beherrschten“ (ebd., S. 137). Die Herrschenden sind stets in der Minderheit, haben im Feld jedoch den größeren Einfluss als die Beherrschten, die Feldstrukturen zu bestimmen. Die Be-herrschten mit weniger Kapital und Machtpositionen kämpfen für Veränderungen in der Feld-struktur. Insofern sind Feldstrukturen bzw. die charakteristischen Eigenschaften eines Feldes stets im Wandel (Bourdieu 1996a; Fuchs-Heinritz und König 2014).

Unter Kapital oder Kapitalsorte versteht Bourdieu (1996a, S. 128) eine „Waffe“ oder ein „um-kämpftes Objekt“, was der/dem BesitzerIn (Subjekte und Objekte) Macht und Einfluss gibt.

Bourdieu unterscheidet vier Kapitalsorten: soziales, ökonomisches, kulturelles und symboli-sches Kapital. Je nach ihrer „Kapitalausstattung“ (Nairz-Wirth 2011, S. 168) positionieren sich die AkteurInnen im Feld. Soziales Kapital umfasst Beziehungen, Freundschaften, Kooperatio-nen etc. Unter ökonomischem Kapital sind Geld und Besitz gemeint. Das kulturelle Kapital bil-det den großen Bereich des Wissens, der Bildung, der Kunst etc. ab, während zum symbolischen Kapital Anerkennung, Ehre etc. gehören (Barlösius 2011; Bourdieu 1996a). Nach der Darstel-lung des Feldes als Wirkungsbereich bzw. -raum der Habitualisierung, mit den Determinanten Macht und Kapital, folgt im Anschluss der Blick auf die zentralen Elemente im Feld im Sinne des Habitualisierungskonzepts nach Bourdieu: auf Subjekt und Objekt.

1.2.2.2 Subjekt und Objekt

Im Habitusmodell von Bourdieu (Bourdieu 2015a; Lenger et al. 2013; Schumacher 2013) in-teragieren innerhalb des Feldes Subjekt und Objekt, jeweils ausgestattet mit Macht und Kapital (Abb. 5).

Abb. 5: Subjekt und Objekt interagieren und resonieren im Feld

In Abbildung 5 wird die Positionierung von Subjekt und Objekt innerhalb des Feldes dargestellt.

Subjekt und Objekt stehen sich dynamisch interagierend gegenüber und verfügen ihrerseits jeweils über Macht und Kapital. Die in Kapitel II.1.2.2.1 beschriebenen Phänomene Macht und Kapital determinieren die Interaktion12, welche auf einer Überwindung der Differenz zwischen der

äuße-12 In Exkurs: Unverfügbarkeit und Resonanz (Kap. II.1.2.2.3) wird auf Resonanz (Rosa 2018) als besondere Form der Interaktion eingegangen.

ren physischen Welt, dem Objekt, und einer inneren psychischen Sphäre des Subjekts basiert. Das bedeutet, dass sich die soziale Welt auch im Subjekt spiegelt und nicht rein äußerlich aufzufassen ist (Schumacher 2013). Bourdieu (1996a) verwendet für Subjekt und Objekt den Begriff AkteurIn.

Er vermeidet damit, das Verständnis auf rationale Einzelpersonen zu reduzieren. Die kollektiven AkteurInnen wie Organisationen, Institutionen werden damit berücksichtigt, wenngleich in ei-nem Feld die meisten AkteurInnen (Subjekte und Objekte) tatsächlich Einzelpersonen sind.

Durch das „Eindringen der Gesellschaft in die einzelnen Menschen“13 (Schumacher 2013, S. 142) erscheinen auch Einzelsubjekte (neben den Objekten) letztlich nicht als individuell handelnde Personen, vielmehr als soziale AkteurInnen. Für Bourdieu (2015a) ist der Akt der In-teraktion zwischen Subjekt und Objekt auch insofern ein zentrales Moment seines Habituskon-zepts, als er die Gegensätze zwischen Subjektivismus und Objektivismus als die grundlegendsten und verderblichsten in den Sozialwissenschaften ansieht.

Rosa (2018) stellt mit seinem Zugang zur Resonanz als eine Form der Interaktion (Abb. 5) eine Verbindung zur bereits diskutierten Kontingenz bzw. Unverfügbarkeit (Kap. II.1) und letztlich zur Habitualisierung her. Mit der Darstellung des Resonanzbegriffs nach Rosa im anschließen-den Exkurs wird diese Brücke sichtbar gemacht, um sich darauf folgend der Rekonstruktion seines Resonanzbegriffs in Bezug auf die Habitualisierung anzunehmen.

1.2.2.3 Exkurs: Unverfügbarkeit und Resonanz

Rosa (2018) diskutiert das Phänomen der Resonanz aus dem Blickwinkel der Unverfügbarkeit.

Aufgrund inhaltlicher Parallelitäten zum Bourdieu’schen Habituskonzept im Allgemeinen und dem Akt der Inkorporierung im Speziellen wird der Resonanzbegriff im Verständnis Rosas skiz-ziert. Im ersten Schritt wird Bezug auf den Begriff der Unverfügbarkeit genommen, damit im zwei-ten das Resonanzverständnis daraus abgeleitet werden kann. Schließlich erfolgt die Darstellung der erwähnten Parallelität und relevanter Zusammenhänge mit dem Habituskonzept Bourdieus.

Für Rosa (2018) liegt der Verdacht nahe, dass „das Verschwinden der Erfahrung des Angeru-fenwerdens eine Folge der grenzenlosen Verfügbarkeit [ist]“, wobei mit „Angerufenwerden“

der Beginn eines Resonanzprozesses gemeint ist. Unter der grenzenlosen Verfügbarkeit versteht der Autor das zentrale Bestreben der Moderne, die Welt ökonomisch und technisch verfügbar, wissenschaftlich erkennbar und beherrschbar, rechtlich berechenbar, politisch steuerbar und zu-gleich alltagspraktisch kontrollierbar und erfahrbar zu machen. Die „Verfügbarmachung“ (ebd., S. 21) besteht aus vier unterschiedlichen Elementen bzw. kann in vier Dimensionen unterteilt werden: Zunächst werden Dinge, Phänomene etc. (1) „sichtbar“ (ebd.) gemacht, damit sie in Folge (2) „erreichbar bzw. zugänglich“ (ebd.) sind. Damit „unauflöslich verbunden“, so Rosa (2018, S. 21–22), ist die Dimension des (3) „Unter-Kontrolle-Bringen[s]“ (ebd., S. 22) bzw. des Bestrebens nach dem „beherrschbar [M]achen“ (ebd., S. 21f ). Schließlich erfolgt das (4) „Nutz-barbachen bzw. [die] Indienstnahme“ (ebd., S. 22), die Instrumentalisierung durch Transfor-mation im Sinne der eigenen Projektionen und Wünsche ist das Ergebnis. Die Diskussion über Unverfügbarkeit lässt sich auf Ungewissheit als Teil der pädagogischen Profession (Kap. I.1.1) übertragen. Hier wie dort herrscht Ambivalenz zwischen dem Wunsch nach Kontrolle bzw.

Beherrschbarkeit einerseits und dem offenen Umgang mit Kontingenz bzw. Krisen andererseits.

Die Kontingenzerfahrung zieht Ungewissheit und mögliche Krisen nach sich, daraus werden im Sinne der pädagogischen Professionalisierung Lösungen generiert. Analog dazu bereitet Unver-fügbarkeit den Nährboden für Resonanz und Interaktion, wodurch Professionalisierung bzw.

Habitualisierung initiiert werden.

13 Resonanz bzw. Inkorporierung (Kap. II.1.2.2.4) aufgrund der Interaktion

Rosa (2018) hebt hervor, dass gerade die Unverfügbarkeit im Sinne der fehlenden Voraussag-barkeit von Reaktionen von Menschen, Organisationen etc. eine Voraussetzung dafür ist, „in Resonanz treten zu können“. Insofern, und hier zeigt sich eine erste Parallelität zu Bourdieu, sind Feldstrukturen mit ihren je eigenen Macht- und Kapitalausstattungen der Motor für die In-teraktion, die Resonanz und die im nächsten Kapitel thematisierte Inkorporierung. Der Autor identifiziert außerdem Resonanz als „Beziehungsmodus“ mit den Momenten der „Berührung“

(Affizierung), der „Selbstwirksamkeit“ (Antwort) und der „Anverwandlung“ (Transformati-on), was als eine weitere inhaltliche Überschneidung mit dem Bourdieu’schen Habitusmodell gesehen werden kann (Abb. 6).

In Abbildung 6 werden die jeweiligen Triaden der Resonanz nach Rosa (2018) und der Habitu-alisierung nach Bourdieu (1996a, 2015a) dargestellt und in Beziehung gesetzt.

Abb. 6: Trias von Resonanz (Rosa 2018) und Habitualisierung (Bourdieu 1996)

Die Triaden „Affizierung  – Antwort  – Transformation“ (Rosa 2018) und „wahrnehmen  – denken – handeln“ (Bourdieu 1982, 1996a, 2015a) lassen sich in inhaltlich verwandte Paare gruppieren: Affizierung – wahrnehmen, Antwort – denken und Transformation – handeln.

Folglich deckt sich die Grundidee Bourdieus, wonach Habitus (siehe auch Kap. II.1.2.2.5) als

„Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ und Habitualisierung als Inkorporierung sämtlicher früher sozialer Erfahrungen (Bourdieu 1982, 1996a; Lenger et al. 2013) gesehen werden kann, weitgehend mit dem Konzept Rosas (2018) zum Phänomen der Resonanz. Mit einer Idee in Resonanz zu treten, setzt der Autor mit „erreichen, berühren“ (ebd., S. 39) bzw.

Affizierung gleich, was im Sinne Bourdieus mit „wahrnehmen“ (Bourdieu 1982) übersetzt werden kann. Rosa (2018) spricht erst dann von Resonanz, wenn anschließend eine „eigene, aktive Antwort erfolgt“ (ebd., S. 39) und wenn die „Selbstwirksamkeit“ (ebd., S. 40) von der Person selbst ausgeht: Das Subjekt denkt bzw. reflektiert im Habituskonzept (Bourdieu 1982).

Schließlich folgert Rosa (2018), dass die Veränderung der Weltbeziehung durch Transformati-on ein kTransformati-onstitutives Element der ResTransformati-onanz darstellt. Durch Handlungen verändert das Subjekt bei Bourdieu (1982) die Weltbeziehung. Die Trias aus Affizierung, selbstwirksamer Antwort und Transformation (Rosa 2018) weist zur Triade wahrnehmen – denken – handeln (Bourdieu 1982) eine weitere Parallele auf. Rosa sieht das Moment der Unverfügbarkeit als notwendige Voraussetzung für Resonanz (ebd., S. 43). In der Habitualisierung ist das Moment der Kontin-genz (Paseka 2011; Schrittesser 2011) ein ständiger Begleiter.

Die Triaden nach Rosa (2018) und Bourdieu (1982) greifen mit der bereits diskutierten Un-gewissheit als Teil der pädagogischen Profession (Paseka et al. 2018; Schrittesser 2011) in Ka-pitel I.1.1 thematisch ineinander und sind konstitutiver Teil der LehrerInnenaus- und -weiter-bildung, in letzter Konsequenz auch der LehrerInnenprofessionalisierung. Dieses Konzept der Professionalisierung wird in Anwendung des Habituskonzepts nach Bourdieu auf die LehrerIn-nenprofessionalisierung (Kap. II.1.2.3) näher beleuchtet.

Im Habituskonzept nach Bourdieu ist die Inkorporierung eine bzw. die entscheidende Phase. Im Folgenden wird dieses Phänomen genauer betrachtet.

1.2.2.4 Inkorporierung

Die Inkorporierung stellt in der vorliegenden Rekonstruktion des Habituskonzepts nach Bour-dieu (BourBour-dieu 2015a; 2015b; Lenger et al. 2013; Schumacher 2013) den wesentlichen Prozess im Laufe der Habitualisierung, der letztlich zum Habitus führt, dar (Abb. 7). Unter Inkorporie-rung versteht Bourdieu (2015a) die Einverleibung von Erkenntnissen, die über Interaktion und Resonanz, letztlich basierend auf den Triaden wahrnehmen – denken – handeln bzw. Affizie-rung – Antwort – Transformation, entstehen.

Abb. 7: Inkorporierung im Habitualisierungsprozess

Die Interaktion zwischen Subjekt und Objekt innerhalb des Feldes kann als Resonanz (Rosa 2018) interpretiert werden. Die Resonanz wird von verschiedenen Faktoren, wie Unverfügbar-keit (ebd.), Kontingenz ((Paseka 2011; Schrittesser 2011), determiniert. Im Habituskonzept Bourdieus gestalten sie sich durch Macht- und Kapitalunterschiede innerhalb der Feldstruktur (Bourdieu 1982).

Die „Vermittlung zwischen sozialen Akteuren und gesellschaftlichen Strukturen“ (Schumacher 2013, S. 134), in Abbildung 7 als Interaktion bzw. Resonanz dargestellt, führt über die Inkor-porierung schließlich zur Überwindung des Gegensatzes von Subjektivismus und Objektivis-mus (ebd.). Insofern wird Inkorporierung als „Einverleibung historisch entstandener sozialer Strukturen“ (ebd., S. 135) bzw. als Verinnerlichung früherer sozialer Erfahrungen (Lenger et al.

2013) verstanden. Aufgrund der Einverleibung bzw. Verinnerlichung erfolgt die Umwandlung von Fremdzwängen in Selbstzwänge. Durch die Inkorporierung sozialer Zwänge werden diese schließlich habitualisiert (Schumacher 2013).

Der Vorgang der Einverleibung bzw. der Inkorporierung macht deutlich, dass Habitus keine schicksalhafte, vorbestimmte Determinante darstellt (Nairz-Wirth 2011), sondern dass die Ha-bitualisierung durch integrative, reflexive und in diesem Sinne durch unbewusste sowie bewuss-te Prozesse debewuss-terminiert wird. Im anschließenden Abschnitt werden die Begriffe Habitualisie-rung und Habitus genauer betrachtet.

1.2.2.5 Habitualisierung führt zum Habitus

Folgt man der Grunddefinition und betrachtet Habitus als „Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata“ (Bourdieu 1982), ist damit nicht nur der Habitus als Endprodukt festge-legt, sondern bereits der Weg dahin gekennzeichnet: die Habitualisierung (Abb. 8).

Abb. 8: Habitualisierungsschema nach Bourdieu (1982)

Die Triade wahrnehmen (W), denken (D) und handeln (H) stellt über die Inkorporierung den Prozess der Habitualisierung dar. Bourdieu verortet den Habitus zwischen den sozialen Akteu-rInnen (Subjekt) und der sozialen Struktur (Objekt). Die Vermittlung (Interkation, Resonanz, Inkorporierung) zwischen Subjekt und Objekt bzw. zwischen Individuum und Gesellschaft im Feld ist ein holistisches Konzept und gilt als die zentrale Idee im Habituskonzept Bourdieus (Bourdieu 2015a; Lenger et al. 2013) (Abb. 9).

Abb. 9: Habitus als holistisches Konzept (Bourdieu 1982)

Im Feld interagieren und resonieren das mit Macht und Kapital ausgestattete Subjekt und Ob-jekt, wobei sich das Subjekt in der Trias wahrnehmen (W) – denken (D) – handeln (H) bewegt.

Interaktion und Resonanz, beides determiniert durch Kontingenz, Ungewissheit und Unver-fügbarkeit (Paseka et al. 2018; Rosa 2018; Schrittesser 2011), führen zum Prozess der Inkor-porierung, der Verinnerlichung sozialer Erfahrungen (Lenger et al. 2013). Die Kohärenz von Interaktion, Resonanz, Inkorporierung und Triade des Subjekts bildet über Habitualisierung

den Habitus. Dieser ist in diesem Sinne das Dispositionssystem sozialer AkteurInnen, das die Prozesse der Verinnerlichung der sozialen Praxis repräsentiert. Letztlich wird durch diese Pra-xis die Inkorporierung der sozialen Laufbahn eines Individuums dargestellt, wobei die Hand-lungsanweisungen des Habitus unbewusst und eben aufgrund der Inkorporierung automatisch erfolgen. Insofern bleiben Handlungen dem Bewusstsein der Akteurin bzw. des Akteurs meist versagt (Lenger et al. 2013). Damit wird nachvollziehbar, dass die sozialen AkteurInnen nach keinen mechanischen Gesetzen handeln, nicht wie „geregelte Automaten gleich Uhren“ (Bour-dieu 2011) funktionieren. Handeln heißt in diesem Zusammenhang nicht Befolgen oder Voll-ziehen einer Regel, sondern Einsetzen „inkorporierte[r] Prinzipien eines generativen Habitus“

(ebd.), selbst in den kompliziertesten Handlungsverläufen. Es handelt sich also um „durch Er‑

fahrung erworbene, folglich je nach Ort und Zeit variable Dispositionen“ (ebd., kursiv im Ori-ginal). Im Kontext der formalen Bildung findet die Habitualisierung des Subjekts (Studierende, Lehrende) durch Inkorporierung von sozialen Erfahrungen (Lenger et al. 2013) aufgrund der Interaktion und Resonanz mit dem Objekt (System, Kollegium etc.) statt. Auf das Phänomen der Triade wahrnehmen – denken – handeln, welches in der vorliegenden Rekonstruktion die Essenz der LehrerInnenprofessionalisierung darstellt, wird im Kapitel Habitus als Konzept der Professionalität: Kernidee der Rekonstruktion (Kap. II.1.2.3.2) gezielt eingegangen.

Als Quintessenz der bisherigen Erkenntnisse zur Habitualisierung im Sinne Bourdieus kann zusammengefasst werden, dass das Subjekt über den erworbenen Habitus je nach Situation be-liebig viele Handlungsschemata generieren und danach agieren bzw. reagieren kann (Abb. 10).

Abb. 10: Generierung beliebig vieler Handlungsschemata

Das Subjekt befindet sich in der Trias wahrnehmen (W) – denken (D) – handeln (H) und bil-det über die Habitualisierung als Resultat der Interaktion, Resonanz und letztlich Inkorporie-rung den Habitus (Abb. 10). Dieser generiert für beliebig viele Situationen beliebig viele Hand-lungsschemata. Bourdieu (2011) spricht in diesem Zusammenhang von der schöpferischen Dimension des Handelns und der Praxis sowie von den generativen Fähigkeiten des Habitus aus erworbenen und gesellschaftlich konstituierten Dispositionen. „[…] unendlich viele, an stets neue Situationen sich anpassende Praktiken“ (Bourdieu 2015a) bzw. Handlungsschemata sind das Resultat eines ausgebildeten Habitus.

Für AkteurInnen im Bildungsbereich bedeutet das generative Prinzip des Habitus eine Chance bzw.

Erleichterung: Die beliebig vielen (schulischen) Situationen konstituieren sich als Kontingenz,

Un-gewissheit und Unverfügbarkeit (Paseka et al. 2018; Rosa 2018; Schrittesser 2011). Anstatt nach dem oftmals artikulierten Werkzeugkoffer zu suchen, kann das habitualisierte Subjekt (Studierende, Lehrende) auf die schöpferische Dimension (Bourdieu 2011) des Habitus hoffen und vertrauen.

Handlungsschemata werden im Sinne der Kontingenz, Ungewissheit und Unverfügbarkeit (ebd.) beliebig oft und variabel generiert, aus der Krise (Dietrich 2018; Kosinár 2018) wird eine Chance.

Im folgenden Kapitel wird das oben theoretisch dargestellte Habituskonzept nach Bourdieu auf die LehrerInnenprofessionalisierung übertragen und konkretisiert.