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Fajt, Jiˇrí (Hrsg.):Karl IV. Kaiser von Gottes Gna-den. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxem-burg 1310-1437. München: Deutscher Kunstver-lag 2006. ISBN: 978-3-422-06598-7; 679 S.

Rezensiert von:Marc C. Schurr, Kunstgeschicht-liches Seminar, Universität Freiburg/Fribourg (Schweiz)

Der im renommierten Deutschen Kunstverlag er-schienene, opulent bebilderte Band enthält den Ka-talog zu den 2005 im Metropolitan Museum, New York, und 2006 auf der Prager Burg gezeigten spektakulären Schauen, welche das künstlerische Schaffen am Hof der Kaiser und Könige aus dem Geschlecht der Luxemburger eindrucksvoll prä-sentierten. Beides, Ausstellungen und Publikation, sind eng verbunden mit einem Forschungsprojekt zur Hofkultur Ostmitteleuropas, das am „Geistes-wissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kul-tur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig“

(GWZO) realisiert wird. Dementsprechend ist das von Projektleiter Jiˇrí Fajt unter Mitarbeit von Mar-kus Hörsch und Andrea Langer sowie mit Unter-stützung der New Yorker Kuratorin Barbara Drake Boehm herausgegebene Werk weit mehr als ein ge-wöhnlicher Ausstellungskatalog. In einer ganzen Reihe von synthetisierenden Texten wird der histo-rische Hintergrund beleuchtet und gleichzeitig der Versuch unternommen, die im Auftrag der Hofge-sellschaften entstandenen Kunstwerke in verglei-chender Abgrenzung zu anderen Werken der Zeit als Medien künstlerischer Repräsentation im Sin-ne herrschaftsbegründender Selbstinszenierung er-kennbar zu machen. Durch diese Herangehenswei-se, so der Herausgeber im Vorwort, sollten alte, na-tionale, kunstlandschaftliche oder auch rein formal stilgeschichtliche Ansätze abgelöst werden.

Der Band gliedert sich in acht große Ka-pitel, die sich um die erwähnten historisch-kunstgeschichtlichen Essays gruppieren. Zu den einzelnen Objekten gibt es darüber hinaus kurze, von verschiedenen renommierten Autoren signier-te Begleitsignier-texsignier-te. Das erssignier-te Kapisignier-tel wird durch einen Text von Markus Hörsch eingeleitet und behandelt die künstlerische Repräsentation im Umfeld der bedeutendsten, unmittelbaren Vorfahren Karls IV., seines Großvaters Kaiser Heinrichs VII., seines

Onkels Balduin, Erzbischof von Trier, und seines Vaters König Johann von Böhmen. Daran schließt ein naturgemäß zu den wichtigsten und umfang-reichsten des Bandes zählendes, der Person Kaiser Karls IV. selbst gewidmetes Kapitel an. Die ein-führenden Textbeiträge stammen hier von Barbara Drake Boehm, Jiˇrí Fajt und Robert Suckale. Das dritte Kapitel ist der Stadt Prag gewidmet und ent-hält Essays von Barbara Drake Boehm, und Vivi-an B. MVivi-ann. Insbesondere im brillVivi-anten Beitrag von Paul Crossley und Zoë Opaˇci´c kommt auch die für das Thema in ihrer Bedeutung kaum zu unterschätzende, im Katalogteil aber aus nachvoll-ziehbaren Gründen so gut wie nicht repräsentierte Baukunst zu ihrem Recht. Das vierte Kapitel er-weitert mit Texten von Kaliopi Chamonikola, Jiˇrí Fajt, Romuald Kaczmarek und Evelyn Wetter den Blick auf die Länder der böhmischen Krone, wäh-rend das anschließende fünfte Kapitel in Beiträ-gen von Jiˇrí Fajt, Markus Hörsch, Adam S. La-buda und Robert Suckale die für Karl IV. wich-tigsten Regionen des Reiches mit einbezieht. Den beiden Söhnen und Nachfolgern Karls IV., Wen-zel und Sigismund, sind schließlich die Kapitel sechs und acht gewidmet. Während Drake Boehm und Fajt das einleitende Essay zum Kapitel, wel-ches die Kunst unter Wenzel IV. zum Gegenstand hat, verfasst haben, zeichnen für die Begleittexte zum Sigismund-Kapitel Ernö Marosi und Wilfried Franzen verantwortlich. Das siebte Kapitel behan-delt schließlich unter dem Titel „Bewegung und Gegenbewegung“ (S. 540) zwei enorm wichtige übergeordnete Fragestellungen. Dabei beschäftigt sich Gerhard Schmidt mit einem formalen Aspekt und versucht, die für die Epoche gängigen Stilbe-griffe der ‚Internationalen Gotik’ und des ‚Schö-nen Stils’ einer Klärung zuzuführen. Diese Arbeit ist umso verdienstvoller, als gerade für die den Ka-talogtexten zugrunde liegende Absicht einer histo-rischen Interpretation des künstlehisto-rischen Stils die genaue Definition der Stilkomplexe und der für sie gewählten Terminologie eine Grundvoraussetzung ist. Jan Royt hingegen versteht Bewegung und Ge-genbewegung eher aus einer historisch geprägten, bildwissenschaftlichen Perspektive heraus und be-handelt das für das Verständnis der kulturellen Ent-wicklung in den böhmischen Ländern so essentiel-le Thema von Kirchenreform und Hussitentum mit

ihren vielschichtigen Auswirkungen auf die künst-lerische Produktion.

Insgesamt gesehen leistet der vorliegende Band einen bedeutenden Beitrag zur mediävistischen Kunstgeschichte. Mit der dezidierten Perspekti-ve seiner Essays findet der Katalog Anschluss an aktuelle Diskurse der Geschichtswissenschaft, die unter den Stichworten von Performanz und Insze-nierung geführt werden, aber auch der Kunstge-schichte im Zeitalter des ‚medial turns’.

Wenn dabei die von Fajt und Suckale ge-meinsam verfassten Beiträge besonders zu beein-drucken vermögen, ist dies keine Überraschung.

Schließlich knüpft der Katalog mit seiner General-these eines ‚kaiserlichen Stils’, welcher im Kunst-zentrum Prag geprägt wurde und von dort aus quasi zur künstlerischen ‚corporate identity’ des Kaisers und seiner Gefolgsleute geriet, an frü-here Arbeiten Suckales an.1 Was für die Epo-che Ludwigs des Bayern durchaus Widerspruch provoziert hat2, gewinnt durch die zeitliche Er-weiterung der Perspektive an Überzeugungskraft.

Gleichwohl bleibt kritisch festzuhalten: Letztlich muss jeder Einzelfall, jede mutmaßliche Motiva-tion einer Stilübernahme/-annäherung individuell und differenziert untersucht werden, was den Rah-men des auf die Luxemburger konzentrierten Aus-stellungsprojektes zweifellos gesprengt hätte. Um so mehr aber stellt sich die Frage, ob man wirk-lich immer und überall jene Intentionen unter-stellen muss, die Fajt und Suckale auf die griffi-ge Formel griffi-gebracht haben: „Wo auch immer wir einen kaiserlichen Ratgeber als Stifter von Kunst-werken nachweisen können, stellen wir fest, dass sie entweder aus Prag importiert oder von böh-mischen bzw. böhmisch geschulten Künstlern ge-schaffen wurden. Das kann heuristisch auch um-gekehrt werden: Findet sich irgendwo ein der böh-mischen Kunst eng verwandtes Werk, so darf man dahinter einen Anhänger Karls vermuten.“ (S. 183) Insbesondere der zuletzt genannte Umkehrschluss birgt doch einigen kunstgeschichtlichen Spreng-stoff. Seine Gültigkeit hängt neben der Aussage-kraft der historischen Fakten sicherlich entschei-dend von der Sorgfalt der Anwendung der stil-analytischen Kriterien ab. In welchem Maß und wie ausschließlich müssen denn die Physiognomi-en der Gesichter und die Drapierung der

Gewand-1Suckale, Robert, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993.

2Köstler, Andreas, Rezension zu Robert Suckale, Die Hof-kunst Kaiser Ludwigs des Bayern, in: Kunstchronik 48 (1995), S. 288-291.

falten mit den Modellen übereinstimmen, damit man von einer Stilübernahme sprechen kann? Wo sind bei nachrangigen Werken stilistisch die Gren-zen zwischen zufälliger Beeinflussung und bewus-ster Imitation des Vorbildes zu ziehen? Diese kriti-schen Fragen sind berechtigt, gilt es doch den Ho-rizont der Rezipienten einzubeziehen.

Letztlich aber ist das hier skizzierte Spannungs-feld eine zwangsläufige Begleiterscheinung der Methode, die ja darauf abzielt, die Wahl der künst-lerischen Form einer historischen Interpretation zu unterziehen. Es wird dabei immer Raum für Zwei-fel und Irrtümer, bisweilen sogar Streitfälle geben, was aber nicht dazu verleiten darf, die Methode als solche zu diskreditieren, zumal wenn man, wie die westliche Kultur das seit der Aufklärung implizit ständig tut, künstlerischen Artefakten eine histori-sche Aussagekraft beimessen will. Auch die klas-sische historische Forschung sieht sich im übrigen, selbst wenn sie sich ausschließlich mit Schriftquel-len beschäftigt, denselben oder ähnlich gelagerten Problemen der Interpretation oder Auslegung ge-genüber.

Was der vorliegende Band vermittelt, bleibt ein faszinierendes Gesamtpanorama der karolinischen Kunst und ein überzeugendes Plädoyer für die historische Interpretierbarkeit der künstlerischen Form. Beeindruckend ist darüber hinaus die inhalt-liche Homogenität und Kohärenz des vielschichti-gen Werks, wofür dem Herausgeber Jiˇrí Fajt, der zudem einen Großteil der synthetisierenden Tex-te selbst verfasst oder mitsigniert hat, größTex-ter Re-spekt zu zollen ist.

HistLit 2008-2-024 / Marc C. Schurr über Fa-jt, Jiˇrí (Hrsg.):Karl IV. Kaiser von Gottes Gna-den. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxem-burg 1310-1437. München 2006. In: H-Soz-u-Kult 09.04.2008.

Fouquet, Gerhard (Hrsg.):Die Reise eines niedera-deligen Anonymus ins Heilige Land im Jahre 1494.

Frankfurt am Main: Peter Lang Publishing 2007.

ISBN: 978-3-631-56777-7; 311 S.

Rezensiert von:Gritje Hartmann, Deutsches His-torisches Institut in Rom

Die jüngere Forschung zu den Reiseberichten der spätmittelalterlichen Jerusalempilger hat die große Anzahl der überlieferten Texte häufig für

verglei-G. Fouquet (Hrsg.): Reise eines Anonymus ins Heilige Land 2008-2-195

chende Untersuchungen genutzt. Besonders auf-schlussreich ist dabei die Analyse von Parallel-berichten, also von Texten verschiedener Teilneh-mer derselben „Reisegruppe“, wie Arnold Esch in zwei wegweisenden Aufsätzen gezeigt hat.1Da im Spätmittelalter die Jerusalempilger in der Regel im Frühjahr in Venedig eintrafen, um hier die jährli-che Pilgergaleere zu besteigen, die sie nach Jaffa (und wieder zurück) brachte, und sie während des Aufenthalts im Heiligen Land von den in Jerusa-lem ansässigen Franziskanern als Gruppe betreut wurden, teilten die Reisenden den Großteil ihrer Erlebnisse miteinander. In den Berichten über die Pilgerfahrt, die ein Teil von ihnen verfasste, konn-ten sich diese jedoch in sehr unterschiedlicher Wei-se niederschlagen, was Aussagen über die indivi-duelle Wahrnehmung und die Darstellungsabsicht der Verfasser ermöglicht.

Auch aus dem Jahr 1494 sind mehrere Berich-te überliefert, von einer ereignisreichen Fahrt, bei der die Pilger unter anderem ein heftiges Erdbe-ben auf Kreta miterlebten und in Palästina weit über das übliche Maß hinaus von der muslimi-schen Bevölkerung drangsaliert wurden. Umso er-freulicher ist es, dass der bisher nur als Handschrif-tenfragment edierte Text eines deutschen Anony-mus2nun in einer vollständigen Version vorliegt.

Der Band ist aus einem Lektürekurs an der Uni-versität Kiel im Wintersemester 2003/04 hervor-gegangen und enthält außer dem Pilgerbericht in einem ersten Teil mehrere Beiträge. Sie befassen sich mit verschiedenen Aspekten des Textes: der niederadligen Lebensform des Anonymus (Ger-hard Fouquet, S. 19-35), dem vorbereitenden Auf-enthalt in Venedig (Christian Hagen, S. 57-70), der Seereise (Nils Kimme/Sabine Reimann, S. 71-79), der politischen Situation angesichts des osmani-schen Vordringens (Bernd S. Robionek, S. 81-95), den insbesondere religiösen Fremdheitserfahrun-gen (Thomas E. Henopp, S. 97-116) und der spät-mittelalterlichen Frömmigkeit (Sina Westphal, S.

117-124); es folgt eine Übersicht über die Statio-nen der Reise (S. 125-129). Während diese

Auf-1Esch, Arnold, Vier Schweizer Parallelberichte von einer Jerusalem-Fahrt im Jahre 1519, in: Bernard, Nicolai; Rei-chen, Quirinus (Hrsg.), Gesellschaft und Gesellschaften.

Festschrift zum 65. Geburtstag von Ulrich Im Hof, Bern 1982, S. 138-184; ders., Gemeinsames Erlebnis – individuel-ler Bericht. Vier Parallelberichte aus einer Reisegruppe von Jerusalempilgern 1480, in: Zeitschrift für historische For-schung 11 (1984), S. 385-416.

2Schön, Theodor, Eine Pilgerfahrt in das heilige Land im Jah-re 1494, in: Mittheilungen des Instituts für OesterJah-reichische Geschichtsforschung 13 (1892), S. 435-469.

sätze nicht viel Neues zur Erforschung der Jeru-salempilgerfahrten beitragen, ist die Studie von Tobias Delfs über die Verfasserfrage (S. 37-55) hervorzuheben. Bei letzterer handelt es sich um einen komplizierten Fall, der in der bisherigen For-schung unterschiedliche Antworten gefunden hat.

Von den sechs erhaltenen Handschriften sind zwei – die beiden älteren – nur als Fragment überlie-fert und nennen den Autor nicht. Die anderen vier sind alle erst um 1600 entstanden; je zwei von ih-nen weisen den Text Reinhard von Bemelberg bzw.

Konrad von Parsberg zu. Bisher wurde meist an-genommen, sie gäben drei verschiedene Berichte wider. Delfs geht davon aus, dass es sich nur um einen einzigen Bericht in unterschiedlichen Ver-sionen handelt, der aufgrund seiner bayerischen Bezüge vermutlich in den Umkreis des Münch-ner Hofs gehört, und legt überzeugend dar, warum weder Reinhard von Bemelberg noch Konrad von Parsberg als Verfasser in Frage kommen, eben-so wenig wie der zuletzt ins Spiel gebrachte Ru-dolf von Werdenberg. Vor allem aber verweist er darauf, dass alle vier vollständigen Handschriften vom selben Schreiber, Christoph Tegernseer, ko-piert wurden und dass die Abweichungen und die Nennung der angeblichen Autoren auf dessen Ar-beitsweise zurückzuführen sind. Diese Ergebnisse werden bei der weiteren Erforschung des Textes zu berücksichtigen sein.

Denn leider ist diese mit der Edition im zwei-ten Teil des Bandes (S. 133-253) noch nicht abge-schlossen. Sie gibt nur eine der vollständig über-lieferten Handschriften wieder (UB Gießen, Hs.

165), es handelt sich also nicht um eine kritische Edition. Die Auswahl der Gießener Handschrift wird zudem nicht begründet, und es fehlt jeder Ver-gleich der Handschriften. Bis auf Weiteres wird man also diese Ausgabe und diejenige von Theo-dor Schön (siehe Anm. 2) nebeneinander benützen müssen, ohne zu wissen, wie die Verlässlichkeit dieser Textzeugen einzuordnen ist.

Der Bericht des Anonymus ist nur knapp kom-mentiert; im Wesentlichen werden Orte und Per-sonen identifiziert. In einigen Fällen irrt der Kom-mentar, zumal er zumindest teilweise die Perspek-tive des 15. Jahrhunderts zu wenig berücksichtigt.

So werden z.B. die Reliquien der heiligen Lucia in Venedig in der Kirche SS. Geremia e Lucia loka-lisiert (S. 139, Anm. 9); im 15. Jahrhundert wur-den sie jedoch in der Kirche S. Lucia aufbewahrt, und erst nach deren Abbruch im 19. Jahrhundert gelangten sie nach SS. Geremia e Lucia. Ein

Ver-gleich mit anderen Pilgerberichten hätte unter an-derem falsche Identifizierungen von Heiligen ver-hindern können: Bei dem heiligen Leo in Modon (Peloponnes) etwa handelt es sich nicht um Leo I.

(und dieser wurde auch nicht „im 16. Jh. in den Pe-tersdom überführt“ [S. 160, Anm. 1], sondern als erster Papst dort bestattet), und in der Nähe von Bethlehem wurden die Gräber von Paula und Eu-stochium verehrt, so dass die Angabe des Anony-mus, dort seien „Sannct Paulus der Einsidel unnd Sannct Eustachius vor Zeitten begraben [...] wor-den“ (S. 213), zu korrigieren gewesen wäre.

In einem Anhang finden sich noch die Beschrei-bung der Pilgergaleere aus dem Parallelbericht des Mailänder Kanonikers Pietro Casola in deutscher Übersetzung (S. 271-275), ein „Verzeichnis heils-geschichtlicher Personen“ (S. 277-297), eine Karte mit der Reiseroute des Anonymus (S. 298) und ein Orts- und Personenregister (S. 299-311).

Insgesamt ist zu begrüßen, dass nun auch eine vollständige Version des bisher nur in der Edition von Schön zugänglichen Textes vorliegt und neues Licht in die Verfasserfrage gebracht werden konn-te, auch wenn ein systematischer Handschriften-vergleich und eine kritische Edition weiter ausste-hen.

HistLit 2008-2-195 / Gritje Hartmann über Fou-quet, Gerhard (Hrsg.): Die Reise eines niedera-deligen Anonymus ins Heilige Land im Jahre 1494. Frankfurt am Main 2007. In: H-Soz-u-Kult 24.06.2008.

Giandrea, Mary Frances:Episcopal Culture in La-te Anglo-Saxon England. Woodbridge: Boydell &

Brewer 2007. ISBN: 978-1-84383-283-6; 264 S.

Rezensiert von:Dominik Waßenhoven, Mittelal-terliche Geschichte, Universität Bayreuth Als „Ein Europa der Bischöfe“ charakterisierte Ti-mothy Reuter in seinem gleichnamigen Aufsatz die Bedeutung von Bischöfen in der Zeit um die erste Jahrtausendwende.1 Dieser Bedeutung wur-de in wur-der Forschung zum ostfränkischen Reich auch Rechnung getragen, wohingegen die Bischö-fe des angelsächsischen England bislang nur we-nig Beachtung gefunden haben. Hier will Mary

1Reuter, Timothy, Ein Europa der Bischöfe. Das Zeitalter Burchards von Worms, in: Hartmann, Wilfried (Hrsg.), Bi-schof Burchard von Worms. 1000–1025, Mainz 2000, S.

1–28.

Frances Giandrea mit der erweiterten Fassung ih-rer Dissertation Abhilfe schaffen. Im ersten Ka-pitel („(Re)Writing History“) stellt sie zunächst die Quellenlage dar und geht ausführlich auf die nach der normannischen Eroberung von 1066 ent-standene Historiographie ein, die das Bild von der angelsächsischen Gesellschaft – teils bewusst – umdeutete und auch auf die moderne Forschung prägend wirkte. Giandreas Fazit, dass die wich-tigsten Historiographen des 12. Jahrhunderts viel über die Mentalität ihrer eigenen Zeit verraten, für verlässliche Aussagen zur angelsächsischen Ge-schichte aber nur mit äußerster Vorsicht zu ge-brauchen sind, setzt sie in den folgenden Kapi-teln selbst konsequent um, nicht ohne zu berück-sichtigen, dass auch die Quellenzeugnisse aus der angelsächsischen Zeit oft problematisch sind. Im Gegenteil ruft sie die äußerst schwierige und häu-fig ambivalente Quellenlage immer wieder ins Ge-dächtnis. In den übrigen fünf Kapiteln des Buches widmet sich Giandrea den unterschiedlichen Auf-gabenfeldern eines Bischofs, wobei ein graduelles Vorgehen vom gesamten Königreich bis zur loka-len Ebene auszumachen ist.

Das Verhältnis der Bischöfe zum König wird im zweiten Kapitel („The Servitium Regis“) ausführ-lich behandelt. Dabei geht es um Gesetzestexte, die zwar von den Königen erlassen, aber in den meisten Fällen von Bischöfen verfasst wurden, um die Verbindungen zum Königshof, um die Sakrali-tät des Königtums und die Krönung und Salbung der Herrscher durch Bischöfe, um die Teilhabe der Prälaten an der Regierung sowie um die bischöfli-che Beteiligung an Kriegen. In diesem Kapitel fin-den sich viele Anknüpfungspunkte zur deutschen Forschung über die ottonisch-salische Reichskir-che. Doch obwohl Giandrea auch die Verbindun-gen angelsächsischer Bischöfe zum Kontinent the-matisiert (S. 62–63), kommt sie auf die möglichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede nicht zu spre-chen. Die sich ergebenden Fragen, beispielsweise ob die Sakralität des Königtums eine ähnlich be-deutende Rolle gespielt hat wie im ostfränkischen Reich, bedürfen aber vielleicht auch eher einer ei-genen Untersuchung, die den Rahmen von Gian-dreas Abhandlung gesprengt hätte. Im Zusammen-hang mit der Verleihung gräflicher Rechte an Bi-schöfe hätte die Kenntnis der deutschen Debatte allerdings vor dem zu weitreichenden Schluss ge-warnt, den Königen eine planende Besetzung der Bistümer zu attestieren, die ein Gegengewicht zum

M. F. Giandrea: Episcopal Culture in Late Anglo-Saxon England 2008-2-146

weltlichen Adel bilden sollte.2

Im dritten Kapitel („Cathedral Culture“) ver-sucht Giandrea, Leben und Kultur in den Kathe-dralgemeinschaften näher zu beleuchten, und zieht dazu neben der Regula canonicorum – einer angel-sächsischen Kanonikerregel, die auf Chrodegangs Regel und den Institutiones Aquisgranenses ba-siert – vor allem den handschriftlichen Befund von liturgischen Texten und von Studienliteratur heran.

Lässt sich nur wenig über das kulturelle Leben an den Kathedralen sagen, so ist es noch schwieriger, Aussagen über die priesterlichen Aufgaben der Bi-schöfe zu treffen (Kap. 4: „Pastoral Care“). Auch hier greift Giandrea wieder auf die Überlieferung der Handschriften zurück, die es ihr erlaubt, die Ordinierung von Priestern, die Weihe von Kirchen und die öffentliche Bußpraxis zu behandeln. Ei-ne zahlenmäßig größere Quellengruppe bilden die Homilien, deren weite Verbreitung darauf schlie-ßen lassen, dass die Diözesankleriker und Bischöfe regelmäßig predigten.

Die ausführlichen Untersuchungen der bischöf-lichen Besitzungen im fünften Kapitel („Episco-pal Wealth“) beruhen hauptsächlich auf dem Do-mesday Book. Giandrea zieht aus der Auswertung des Materials, das im Anhang („Value of Epis-copal Holdings“) in Teilen aufgeführt wird, den Schluss, dass die Landschenkungen von Königen an Bischöfe im 10. und 11. Jahrhundert in Zahl und Größe abnahmen, führt das aber nicht auf ein ver-mindertes Interesse an der Förderung von Bistü-mern zurück, sondern auf die geänderte wirtschaft-liche Gesamtsituation. Statt Land erhielten die Bi-schöfe vermehrt Steuererleichterungen, Regalien und gräfliche Rechte sowie wertvolle Gegenstän-de, beispielsweise Handschriften. Die wirtschaft-liche Situation eines Bistums hing aber auch stark von den Fähigkeiten der einzelnen Bischöfe ab; ein Desinteresse konnte hier desaströse Folgen haben.

Das sechste Kapitel („Community and Authori-ty“) beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die bischöfliche Autorität in die lokale Gesellschaft eingebunden war. Allerdings greift Giandrea hier vor allem Themen wieder auf, die bereits vorher angeschnitten wurden. Die Frage der Bindungen lokaler Förderer wird zwar um den Aspekt der

Me-2S. 62: „There were no episcopal dynasties such that

Me-2S. 62: „There were no episcopal dynasties such that