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III Empirische Untersuchung

6 Mikrofunktionale Systemanalyse

6.1 Vorüberlegungen

Für die vorliegende Arbeit lässt sich aufgrund des explorativen Forschungscharakters, des systemtheoretisch-konstruktivistischen Zugangs und der angeführten Fragestellung ein quantitatives Vorgehen ausschließen. Ausgehend von der deskriptiven Theoriearbeit gilt es deshalb sich im Rahmen eines qualitativen Paradigmas des interpretierenden Verstehens zu bewegen, um Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet als soziales Phänomen „in ihrem Kontext137, in ihrer Komplexität und in ihrer Individualität zu erfassen, zu beschrei-ben und zu verstehen“ (Lamnek, 2005, S. 247). Das obeschrei-ben beschriebeschrei-bene theoretische Modell erhebt dabei keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist offen für Verbesserungen und Weiterentwicklungen im Verlauf der Dateninterpretation. Ein wesentliches Ziel der empirischen Untersuchung liegt dabei in der Erfassung und Rekonstruktion von typischen Deutungs- und Handlungsmustern sowie zugrundeliegenden Strukturen (vgl. Lamnek, 2005, S. 185ff und S. 249). In diesem Sinne geht es mit Hilfe qualitativ-rekonstruktiver Forschungsmethoden138 explizit um „die Rekonstruktion von Lebensorientierungen“

(Bohnsack, 2007a, S. 32) in Einzelgesprächen zwischen Trainer und Athlet im Spitzen-sport.

Bei der folgenden Analyse von Einzelgesprächen interessieren dann in erster Linie eben solche Strukturen, die auch den unmittelbaren Gesprächsverlauf dominieren. Hierbei ist maßgeblich der von Erving Goffman entwickelte methodologische Rahmen der Interakti-onsethnologie (Goffman, 1974b) zu beachten. Interaktionsprozesse zwischen Trainer und Athlet sollen in dieser Konsequenz naturalistisch, in ihrem natürlichen Milieu aufgesucht, beobachtet und dokumentiert werden. Für die benannte Methode der mikrofunktionalen Analyse verweist Willems (vgl. 2012, S. 44) darauf, dass Goffman besonders die audiovi-suelle Aufzeichnung der Gesprächssituationen als qualitativ neue Grundlage hervorhebt:

Ein einzelnes Verhaltenselement wird somit in seinem Bezug zu Vergangenheit, Gegen-wart und Zukunft einer Interaktion aufschlussreich interpretierbar (vgl. Goffman, 1981).

Und auch die wechselseitige Wahrnehmung der anwesenden Gesprächspartner wird, in der grundlegenden Verflechtung von Simultaneität und Sequenzialität ihrer Prozessstruktur, überhaupt erst in einer angemessenen Multidimensionalität beobachtbar (vgl. Wagner-Willi, 2009, S. 144ff). Besonders die, simultan zum gesprochenen Wort, mitgeteilten non-verbalen Informationen tragen einen entscheidenden Teil zu einem Gesamteindruck des Gesprächsverlaufs bei. Eine reine Textinterpretation des gesprochenen Wortes stieße hier

137 In Verbindung mit einem konstruktiven Paradigma ist in Bezug auf die Ausdrucksformen von Trainer und Athlet in Einzelgesprächen auch auf ein Sprachverständnis zu setzen, „in dem Sprache ein kontext-abhängiger und zugleich kontext-transformierender Prozess ist, der Welt inszeniert“ (Rüegg-Sturm, 2001, S. 22f).

138 Der Einsatz qualitativ-rekonstruktiver Forschungsmethoden zeigt sich beispielhaft auch in einer weiteren sport-wissenschaftlichen Arbeit bei Mayer (2010).

unmittelbar an ihre Grenzen und könnte dem vielschichtigen Untersuchungsgegenstand nicht in geforderter Weise gerecht werden.

Allerdings scheint der Zugang entsprechender Beobachtungen des sozialen Phänomens der Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet erschwert. Es ist zu erwarten, dass bestimmte Gesprächsthemen zwischen den Gesprächspartnern bewusst nur außerhalb der Wahrneh-mungsreichweite dritter Personen angesprochen werden. Auch für den beobachtenden For-scher ist deshalb mit einer immer wieder deutlich werdenden Zugangsproblematik zum Forschungsgegenstand zu rechnen; das heißt, ein mangelndes Vertrauen der Trainer bzw.

der Athleten und eine resultierende Verschlossenheit gegenüber dem Forscher und der au-diovisuellen Datenaufzeichnung kann offensichtliche wie unmerkliche Widerstände und Zurückhaltungen auslösen. Aus ethischen Gesichtspunkten verbieten sich jedoch ver-deckte Beobachtungen von Einzelgesprächssituationen, um diese Problematik der Daten-erhebung zu umgehen. Auch für eine fallübergreifende Vergleichbarkeit ist dagegen ein offener Feldzugang zu wählen, der sich Einzelgesprächssituationen nicht teilnehmend und möglichst passiv nähert. Gemäß einer konfliktfreien Datenerhebung ist im Forschungspro-zess explizit darauf zu achten, dass die Untersuchungspersonen Gelegenheit bekommen, sich der Wahrung Ihrer Privatsphäre zu versichern, um sich leichter auf die audiovisuelle Datengewinnung einlassen bzw. unbelasteter daran gewöhnen zu können. Neben den Ge-sprächssituationen zwischen Trainer und Athlet sind aus explorativen Gesichtspunkten auch alle direkt und indirekt beobachtbaren sozialen, sachlichen und zeitlichen Rahmen-bedingungen zu berücksichtigen.

Ein solcher Zugang provoziert jedoch auch blinde Flecken. Selbst eine tiefgehende, objek-tivierte Analyse der so beobachteten Einzelgespräche lässt nur wenige Rückschlüsse über subjektive Bedeutungen und Relationen zu. Insbesondere der Einfluss eines Interaktions-zusammenhangs zwischen den Gesprächspartnern kann auf dieser Datenbasis nicht zufrie-denstellend rekonstruiert werden. Dies verlangt entsprechend nach methodischen Konse-quenzen und einer Gegenüberstellung mehrerer unterschiedlicher empirischer Datenmate-rialien. Es gilt hier ergänzend, relativierend und reflektierend den direkten Zugang zu den Subjekten zu wählen, um sie als Experten ihrer „eigenen Bedeutungsgehalte“ (Mayring, 2002, S. 66) zur Sprache kommen zu lassen und vor allem auch die „historischen Dimen-sionen“ (Lamnek, 2005, S. 682) zu berücksichtigen. Vor dem Hintergrund der mikrofunk-tionalen Systemanalyse wählt die vorliegende Arbeit deshalb einen qualitativen multime-thodischen Ansatz, der in der Lage ist, eine objektivierte Analyse mit den subjektiven Kon-struktionen der Protagonisten zu verbinden.

Die Interpretation der zentralen Fragestellung, über die Funktion von Einzelgesprächen zwischen Trainer und Athlet im Spitzensport, lässt nun aber mehrere Forschungsrichtun-gen zu. Im grundsätzlichen Verständnis geht es hierbei vor allem um die GeForschungsrichtun-genüberstel- Gegenüberstel-lung von Mannschafts- und Individualsport. Während sich der theoretische Teil dieser

Ar-beit darauf konzentriert, allgemein gültige Beschreibungen über Einzelgespräche im Spit-zensport bereitzustellen, soll für den weiteren Untersuchungsverlauf vielmehr eine Ent-scheidung für einen der beiden Sportbereiche getroffen werden139. Die langjährige spitzen-sportliche Erfahrung des Autors in Theorie und Praxis sowie entsprechende persönliche Kontakte begünstigen hier die Entscheidung einer Einschränkung des Forschungsbereichs auf Sportspielmannschaften des Spitzensports. Entsprechend wird die zentrale Fragestel-lung dieser Ausrichtung angepasst:

Welche Funktion haben Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet in Sportspielmann-schaften des Spitzensports?

Im Weiteren sind auch die Leitfragen für die Untersuchung noch einmal präzisiert:

• Wie lassen sich Einzelgespräche in einen Prozess der Leistungsoptimierung einordnen?

- Welche Bedeutung wird Einzelgesprächen beigemessen?

- Wie werden Einzelgespräche zur Leistungsoptimierung eingesetzt?

- Über welche leistungsrelevanten Themen wird in Einzelgesprächen gesprochen?

• Wie werden Einzelgespräche gestaltet? Ist das optimal?

- In welchen Rahmenbedingungen werden Einzelgespräche geführt?

- Wie werden verbale, paraverbale und nonverbale Ausdrucksformen gestaltet?

- Welche typischen Verhaltensmuster der Gesprächsteilnehmer lassen sich beschrei-ben?

• Wie werden Einzelgespräche bewertet? Wann werden sie als erfolgreich wahrgenom-men?

- Welche typischen Erwartungshaltungen stehen in Verbindung mit einem Gesprächs-erfolg?

- Welche Rolle spielt die Gesprächsgestaltung für den Gesprächserfolg?

- Woran wird ein Gesprächserfolg erkennbar?

6.2 Untersuchungsplan

Ein Untersuchungsplan umfasst neben dem eigentlichen Untersuchungsziel auch den letzt-endlichen Untersuchungsablauf (vgl. Mayring, 2002, S. 40). Mit Hilfe von Regeln und Rahmenbedingungen beschreibt der Untersuchungsplan damit die Logik, welche die ur-sprünglichen Forschungsfragen mit den Methoden der Datenerhebung und Datenauswer-tung verknüpft (vgl. Yin, 2003, S. 19).

139 Aktuelle Forschungsergebnisse zu Einzelgesprächen zwischen Trainer und Athlet im Spitzensport legen eine ent-sprechende Einschränkung nahe (Merz & Thiel, 2014).

Im Folgenden wird dazu eine explorative empirische Untersuchung beschrieben, um die bisher nur theoretisch beschriebenen Hintergründe der Funktion von Einzelgesprächen im Spitzensport auch empirisch erfassen zu können. Ziel der empirischen Untersuchung ist es mit einer mikrofunktionalen Analyse sowohl die Wechselseitigkeit im konkreten Ge-sprächsverlauf, als auch die polykontexturale Eingebundenheit der Gesprächspartner dar-zustellen. Das Einzelgespräch wird damit nicht nur als solches Gegenstand der Forschung, sondern wird ebenso als wiederkehrender Teil des kommunikativen Alltags zwischen Trai-ner und Athlet erfasst. Die Analyse bezieht sich demnach sowohl auf die inTrai-nere Dimension des Gesprächs, als auch auf die äußere, übergeordnete Dimension der Bedingungen und Konsequenzen von Einzelgesprächen zwischen Trainer und Athlet. Ein besonderer Wert wird hierbei auf die Rekonstruktion subjektiver Wahrnehmung mit Bezug auf die Bedeu-tung, die Gestaltung und den Erfolg von Einzelgesprächen gelegt. Auf diese Weise wird es möglich, sich der Vielschichtigkeit des Forschungsgegenstands schrittweise zu nähern, um auch einzelne Bestandteile genauer beschreiben und einordnen zu können. Diese Viel-schichtigkeit bezieht sich in einem weiteren Verständnis auch auf den Quer- und Längs-schnitt einer Zeitdimension sowie auf inhaltlich relevante Faktoren der Kommunikation.

Für die entsprechende Analyse der Komplexität von Einzelgesprächen zwischen Trainer und Athlet bietet sich deshalb die Einzelfallanalyse an. „Fallanalysen stellen eine entschei-dende Hilfe dar bei der Suche nach relevanten Einflussfaktoren und bei der Interpretation von Zusammenhängen“ (Mayring, 2002, S. 42). Durch den ständig möglichen Rückgriff auf den Fall erreicht man genauere und tiefer gehende Einblicke wie auch Ergebnisse in nur schwer zugänglichen Gegenstandfeldern (vgl. Mayring, 2002, S. 42ff). Die Wett-kampfeinheit einer Sportspielmannschaft, mit den sich ereignenden Einzelgesprächen zwi-schen Trainer und Athlet, stellt ein solches Gegenstandfeld dar. Nach Lamnek (vgl. 2005, S. 325f) lässt sich das Einzelgespräch analytisch dabei als extremer Fall eines sozialen Aggregats betrachten, welches als Dyade von Trainer und Athlet gehalten wird. Im Rah-men einer Fallstudie fokussiert die Untersuchung sowohl die Binnenstruktur als auch die Außenkontakte mehrerer dieser sozialen Aggregate innerhalb einer Wettkampfeinheit.

Wie bereits angeführt, konzentriert sich die Untersuchung hierbei auf Sportspielmann-schaften des Spitzensports. Innerhalb einer Sportart140 befasst sich die Studie mit der Ana-lyse zweier Einzelfälle (Damen- und Herrenmannschaft) desselben Leistungsniveaus (A-Kader). Die Fallstruktur der Untersuchung ermöglicht dementsprechend auch die Gegen-überstellung geschlechtsspezifischer Besonderheiten im Umgang mit Einzelgesprächen.

Für den Einsatz der wissenschaftlichen Forschungsmethoden lässt sich vorab ein Anspruch festhalten: „Gerade der Versuch, alle bedeutsamen Aspekte, Dimensionen, Facetten etc.

eines Untersuchungsobjektes im Blick auf das Untersuchungsziel zu erfassen, verbietet

140 Aufgrund der geforderten Anonymität der untersuchten Personen wird an dieser Stelle auf die Sportart nicht weiter eingegangen. Unter Wahrung dieser Anonymität kann der Autor zur weiteren wissenschaftlichen Verwendung der Daten und Ergebnisse Zusatzinformationen bereitstellen.

eigentlich den Einsatz nur einer Erhebungsmethode“ (Lamnek, 2005, S. 299). Im Untersu-chungsablauf werden zur Datenerhebung Verfahren der nicht-teilnehmenden Beobach-tung, des fokussierten Interviews, der biografischen Methode und des Experteninterviews kombiniert. Die Erhebungsmethoden lassen sich entsprechend ihres Einsatzes im Untersu-chungsablauf einer Beobachtungs- und einer Interviewphase zuordnen.

Als ein Teil der mikrofunktionalen Systemanalyse orientiert sich dabei die Phase der nicht-teilnehmenden Beobachtung am Grundgedanken der Feldforschung und „will ihren Ge-genstand in möglichst natürlichem Kontext untersuchen, um Verzerrungen durch Eingriffe der Untersuchungsmethoden bzw. durch die wirklichkeitsferne Außenperspektive zu ver-meiden“ (Mayring, 2002, S. 55). Im weiteren Verlauf der Fallanalyse dienen diese Be-obachtungsdaten für den ausgewählten Untersuchungszeitraum als Basis einer objektivier-ten141 Darstellung der Gegebenheiten in und um die Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet. Aus diesem Datenmaterial werden je Fall vier ausgewählte Einzelgespräche für die Interviewphase aufbereitet und analysiert. Die letztendliche Gestaltung einzelner Bestand-teile der Interviewphase orientiert sich, im Sinne einer Gegenüberstellung der Ergebnisse, auch an dieser Gesprächsanalyse.

Im Gegensatz zum Anspruch einer objektivierten Darstellung der Beobachtungsphase kon-zentriert sich die Interviewphase unmittelbar auf die individuellen Wahrnehmungen der beobachteten Gesprächsteilnehmer als Grundlage der geforderten Methodentriangulation.

Das fokussierte Interviewverfahren142 (Merton, Fiske & Kendall, 1956) wird dazu für die Athleteninterviews mit der biografischen Methode (Fuchs, 1984; Kohli, 1981;

Szczepanski, 1962) und für die Trainerinterviews mit dem problemzentrierten Interview (Witzel, 1985) verknüpft143. Aus den genannten Interviewbausteinen ergibt sich für Trainer und Athleten je ein unterschiedlicher Interviewleitfaden, wobei sich der problemzentrierte Teil des Trainerinterviews weitgehend auf die Erkenntnisse aus den biografischen Inter-views der jeweiligen Athleten beziehen soll.

Neben den beiden Gesprächspartnern sind jedoch offensichtlich weitere Personen der Wettkampfeinheit als Interviewpartner interessant, um einerseits die Bedingungen und Konsequenzen von Einzelgesprächen tiefergehend analysieren zu können und andererseits eine Validierung der jeweiligen Interviewaussagen zu erreichen. Diese Personen sind in erster Linie die Assistenztrainer. Das wissenschaftliche Interesse an ihnen besteht nicht nur, weil sie aufgrund ihrer Funktion einen Einblick in den Kommunikationsalltag ihres

141 Über den Unterschied zwischen objektiv und objektivierbar bei Wagner-Willi (2007, S. 140): „Videographisches Material ist darüber hinaus, wie alle im Forschungsprozess erstellten Dokumente, durch die Standortgebundenheit der Forscherinnen und Forscher mit strukturiert und auch daher nicht als ,objektiv‘ zu bezeichnen (aber auch nicht als ,subjektiv‘ (...) – da die Entscheidungen durch objektivierbare Kriterien und methodologische Verfahrensweisen ge-prägt sind)“.

142 Auch wenn das fokussierte Interview als eine Frühform des problemzentrierten Interviews einzuordnen ist (vgl.

Mayring, 2002, S. 67), soll es an dieser Stelle bewusst, aufgrund seiner im Kern quantitativen Forschungslogik (vgl.

Lamnek, 2005, S. 370), als eigenständiger Teil einer Kombination verschiedener Interviewverfahren eingesetzt wer-den.

143 Ein konkretes Beispiel für den erfolgreichen Einsatz einer Kombinatorik verschiedener Interviewverfahren lässt sich innerhalb der Sportwissenschaft bei Mayer (2010) aufgreifen.

Cheftrainers haben, sondern auch weil sie in ihrer Trainerfunktion selbst schon Erfahrun-gen mit Einzelgesprächen unterschiedlicher Art machen konnten. Eine andere hierfür inte-ressante Personengruppe ist die der Physiotherapeuten. Ihre operative Nähe bzw. oftmals auch Vertrautheit zum Athleten und seiner biopsychosozialen Gesamtheit verspricht einen erweiterten Blick auf Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet. Die Datenerhebung der subjektiven Wahrnehmungen dieser Außenkontakte des sozialen Aggregats Einzelge-spräch erfolgt mit Hilfe eines Experteninterviews.

Für eine Auswertung und Interpretation der erhobenen Daten wird im Einklang mit der Systemtheorie einer qualitativ-rekonstruktiven Sozialforschung und dem entwickelten Forschungsinteresse die dokumentarische Methode angewendet. Sie kommt dabei in ihren Formen der Gesprächsanalyse (Bohnsack, 2007a; Przyborski, 2004), der Videointerpreta-tion (Bohnsack, Fritzsche & Wagner-Willi, 2014; Fritzsche & Wagner-Willi, 2014; Wag-ner-Willi, 2007) und Interviewinterpretation (Bohnsack, Nentwig-Gesemann & Nohl, 2007; Nohl, 2012) zum Einsatz. Im Vordergrund steht dabei die Ausrichtung auf einen Zugang zum impliziten und konjunktiven Erfahrungswissen der beobachteten bzw. befrag-ten Personen, indem man sich schrittweise deren individuellen oder auch kollektiven Er-fahrungsraum erschließt (vgl. Bohnsack et al., 2007, S. 15). Diese Annäherung geschieht in Form einer zweistufigen Interpretation: vom Was einer Beobachtung erster Ordnung zum Modus Operandi, dem Wie von Relationen und Beziehungen, auf der Ebene einer Beobachtung zweiter Ordnung (vgl. Vogd, 2010, S. 123). Mit Hilfe der dokumentarischen Methode ist man somit in der Lage das gesamte sozialperspektivische Geschehen in seinen verschiedenen Kontexturen rekonstruierend in Beziehung zu setzen (vgl. Vogd, 2010, S.

138). Das Individuum und seine Interessenkonstellationen steht dabei im Mittelpunkt die-ser Polykontexturalität kommunikativer Zusammenhänge in und aus Interaktionen, Orga-nisationen sowie gesellschaftlichen Funktionssystemen (vgl. Miebach, 2010, S. 311).

6.3 Verfahren der Datenerhebung

Im Folgenden Abschnitt werden die Methoden der Datenerhebung, die in den beiden Un-tersuchungsphasen zum Einsatz kommen, im Einzelnen genauer beschrieben. Hierbei wird auch darauf Wert gelegt die Kombination der unterschiedlichen Vorgehensweisen heraus-zuarbeiten, um die Betrachtung des Forschungsgegenstands aus mehreren Perspektiven deutlich zu machen. Die Triangulation konzentriert sich dabei auf die Kombination unter-schiedlicher Daten, die aus verschiedenen Quellen zu verschiedenen Zeitpunkten, an un-terschiedlichen Orten und bei verschiedenen Personen erhoben werden. Audiovisuelle Da-ten werden hierfür als eigenständige Erkenntnisquelle mit verbalen DaDa-ten trianguliert (vgl.

Flick, 2012, S. 310ff).

6.3.1 Indirekt teilnehmende Beobachtung

Die Beobachtungsphase zielt auf eine objektivierte Darstellung von Einzelgesprächen in ihrem natürlichen spitzensportlichen Umfeld. Über einen zweitägigen Untersuchungszeit-raum werden dafür einzelne Interaktionen zwischen Trainer und Athlet in unterschiedli-chen Rahmenbedingungen des Trainings- und Wettkampfalltags audiovisuell aufgezeich-net. Die Beobachtungen erfolgen dabei nur insofern strukturiert, als dass besonders darauf geachtet wird die Interaktionen des Trainers mit einzelnen Athleten festzuhalten. Im Rah-men einer peripheren Mitgliedschaft (vgl. Lueger, 2000, S. 62) an der Wettkampfeinheit der beobachteten Trainer und Athleten, wahrt der Forscher in dieser Untersuchungsphase eine neutrale Distanz, übernimmt keine zentralen Funktionen und partizipiert bewusst nicht an bestimmten Aktionen. Der Schwerpunkt einer indirekt bzw. passiv teilnehmenden Be-obachtung liegt auf der ergänzenden Funktion einer selektiven BeBe-obachtung von Rahmen-bedingungen, die von der Kamera nicht registriert werden aber für die weitere Analyse von Wichtigkeit sein können (vgl. Fritzsche & Wagner-Willi, 2013, S. 274). Im Bewusstsein der explorativen Grundausrichtung der Untersuchung werden dafür in einem Beobach-tungsprotokoll auch alle anderen beobachtbaren Kommunikationsakte zwischen Trainer und Mannschaft während Trainingseinheiten, Wettkämpfen oder außerhalb offensichtlich sportlicher Zusammenhänge schriftlich dokumentiert. Auf diese Weise wird es möglich, die aufgezeichneten Einzelgespräche in einen unmittelbaren sozialen, sachlichen und zeit-lichen Kontext einzuordnen. Bestandteil dieser selektiven Beobachtungen sind ebenso die Beschreibungen räumlicher Rahmenbedingungen, Tageszeiten und detaillierte Zeitab-läufe.

Mit dieser Form der audiovisuell gestützten, indirekt teilnehmenden Beobachtung wird dem Forscher durch die nachträgliche Reproduktion der Grunddaten eine kaum erreichbare Detaillierung und mikroperspektivische Analyse von sozialer Wirklichkeit ermöglicht (vgl. Wagner-Willi, 2007, S. 125f). Audiovisuelle Medien tragen damit ganz erheblich dazu bei, dass präzise Analysen über beobachtbares Verhalten als eine Ergänzung zu sub-jektiven Daten aus Interviews eingesetzt werden können. Wesentliches Untersuchungsziel audiovisueller Aufzeichnungen und Grundlage anschließender Analysen, sind vor allem die nonverbalen Signale der objektivierbaren Kommunikationsprozesse (vgl. Ellgring, 1995, S. 204ff).

6.3.2 Athleteninterview

Das Athleteninterview lässt sich in vier aufeinanderfolgenden Abschnitten beschreiben:

die Rekonstruktion einer Athletenbiografie, die Rekonstruktion eines Interaktionszusam-menhangs, die Fokussierung auf den Gesprächsverlauf und die Reflexion zu Einzelgesprä-chen zwisEinzelgesprä-chen Trainer und Athlet. Im Rahmen eines Interviewleitfadens werden diese vier Phasen in ihrer Abfolge zeitlich und inhaltlich fixiert sowie die jeweiligen spezifischen Aspekte mit Bezug auf eine Fokussierung der Gesprächsverläufe erfasst. Die Entscheidung

für einen strukturierenden Leitfaden beruht auf der bewussten methodologischen Entschei-dung, im Sinne des Forschungsinteresses eine maximal mögliche aber angemessene Of-fenheit des Interviews zu erreichen (vgl. Helfferich, 2014, S. 562f).

Rekonstruktion von Athletenbiografie und Interaktionszusammenhang

Die beiden Phasen der Rekonstruktion öffnen mit Hilfe der Biografieforschung für die vorliegende Untersuchung einen Zugang zur sozialen Wirklichkeit um Einzelgespräche des Spitzensports, „bei dem die Individualität des Akteurs berücksichtigt bleibt und diese Individualität sozial verursacht und strukturiert gedacht wird“ (Lamnek, 2005, S. 655);

denn nur aus dem Lebenslauf sowie den damit verbundenen Lebenserfahrungen einer Per-son, lässt sich ihre je besondere Identität verstehen (vgl. Schimank, 2002, S. 221). Im For-schungsinteresse stehen so die persönlichen Auffassungen und die Beschreibungen von individuellem Verhalten im Verlauf sozialer Situationen. Untersuchungseinheit ist aber nicht das soziale Aggregat, sondern stets die erlebende Person (vgl. Lamnek, 2005, S.

688ff). Auf der Suche nach Antworten für die vorliegenden Forschungsfragen setzt das biografische Interview dafür auf die gesprochene Präsentation eines Lebenslaufs in den organisatorischen Zusammenhängen (vgl. Fischer-Rosenthal, 1995, S. 253) einer Wett-kampfeinheit des Spitzensports. Es zielt dabei sowohl auf die grundlegenden privaten, be-ruflichen und sportlichen Voraussetzungen des Athleten als auch auf die spezifische Re-konstruktion einer individuellen Lebensepisode, bestehend aus dem Interaktionszusam-menhang zwischen Trainer und Athlet. Basis einer Rekonstruktion dieses Interaktionszu-sammenhangs sind im Einzelnen die zeitlichen, sozialen und sachlichen Aspekte einer Zu-sammenarbeit zwischen Trainer und Athlet. Als zeitliche Aspekte gelten hierbei alle Infor-mationen, die den zeitlichen Rahmen, die prinzipielle Art und Weise sowie die Häufigkeit der Zusammenarbeit beschreiben können. Unter den sozialen Aspekten werden in erster Linie die für eine Beziehung subjektiv relevanten Eindrücke und Erfahrungen verstanden.

Und unter den sachlichen Aspekten geht es im weiteren Sinne um eine Themenwelt der Interaktionen zwischen Trainer und Athlet. Diese Themenwelt vergangener Interaktionen ist dabei nicht Artefakt einer übergeordneten Sozialstruktur, sondern unmittelbarer Zu-gangspunkt zur Binnenstruktur einer gekreuzten Lebensgeschichte der jeweiligen Trainer und Athleten. Die Innensicht des Athleten auf diese Themenwelt und ihre Relevanz für die eigene spitzensportliche Karriere steht dabei im Erkenntnisinteresse des biografischen In-terviews.

In Anlehnung an das von Thiel, Diehl, Giel, Schnell, Schubring & Mayer (2011) entwi-ckelte biografische System-Mapping wird dazu die Mind-Map-Technik mit dem biografi-schen Interview verknüpft. Der Einsatz dieser Technik erleichtert zum einen die Erinne-rungsleistung des Interviewten und gilt als eine „Möglichkeit, die biografischen Daten zu erhärten“ (Mayring, 2002, S. 44). Dieser Teil des Interviews konzentriert sich vollständig auf die Rekonstruktion einer Themengeschichte des Athleten mit seinem Trainer. Dazu wird der Athlet gebeten Themen aus der vergangenen Zusammenarbeit mit dem Trainer zu

identifizieren. Um die Themenwelt zwischen Trainer und Athlet leichter entwickeln zu können, dient als Hilfsmittel eine Mind-Map mit insgesamt sechs vorbereiteten

identifizieren. Um die Themenwelt zwischen Trainer und Athlet leichter entwickeln zu können, dient als Hilfsmittel eine Mind-Map mit insgesamt sechs vorbereiteten