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II Theoretische Überlegungen

4 Kommunikation unter Anwesenden

Wenn man kommuniziert, dann verfolgt man indirekt und intuitiv das Ziel verstanden zu werden. Man möchte, dass mittgeteilte Informationen von einem Kommunikationspartner in der Weise verstanden werden, wie sie ursprünglich gemeint waren. Darüber hinaus be-steht häufig ein Anspruch, dass Kommunikationsangebote nicht nur verstanden, sondern auch angenommen werden und Einigkeit entsteht. Die Überlegungen zu einer erkenntnis-theoretischen Grundposition haben gezeigt, mit welchen grundlegenden Schwierigkeiten Kommunikation zwischen beobachtenden, psychischen Systemen zu kämpfen hat. Der fol-gende Abschnitt beschäftigt sich daher mit den grundlefol-genden Fragen zu erfolgreicher Kommunikation, dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft sowie der sozia-len Interaktion zwischen anwesenden Personen. Die theoretische Analyse bezieht sich auf eine sportsoziologische Aufarbeitung und Anwendung der Systemtheorie auf Kommuni-kation zwischen Trainer und Athlet um Borggrefe et al. (2006), Borggrefe (2008), Cachay

& Thiel (2000), Mayer (2010) sowie Thiel (2002a) und stellt die Erkenntnisse in einen Zusammenhang zur Problemstellung dieser Arbeit.

Der Zugang auf die beschriebenen Themenbereiche konzentriert sich zunächst auf die Er-arbeitung eines breiten Verständnisses systemtheoretischer Grundlagen mit Bezug auf ei-nen Kommunikationsbegriff und die prinzipielle Möglichkeit einer prozesshaften Fortset-zung von Kommunikation. Nach der Diskussion relevanter Unwahrscheinlichkeiten von Kommunikation gilt es das Bewusstsein anwesender Personen als Ausgangspunkt für die-sen Prozess in Verhältnis zum Sozialen zu setzen. Dabei sind die für ein Individuum mög-lichen Ausdrucksformen Kern dieser Betrachtung und Diskussion. Mit der Aktivierung einer Interaktionstheorie und die Einordnung von Gesprächen unter Anwesenden in einen gesellschaftlichen Zusammenhang wird es abschließend möglich, auch das anwesende In-dividuum und die Frage nach einer Individualität im Gespräch aufzuarbeiten.

4.1 Erfolgreiche Kommunikation

Kommunikation kann nur gemeinsam, als sozialer Prozess, funktionieren. Die Selektion einer Mitteilung und ihrer Information wird durch den Empfänger geleistet; eine direkt, auf die Psyche einer Person durchgreifende Kommunikation gibt es nicht und kann es nicht geben. Selbst ein Befehl, der einer Person erteilt wird, setzt voraus, dass der jeweilige Be-fehlsempfänger die Mitteilung und ihre Information versteht, um sein zukünftiges Verhal-ten befehlskonform auszurichVerhal-ten. Ein Empfänger „ist in seinem VerhalVerhal-ten (nicht einmal in seiner Wahrnehmung) nicht passiv durch den Sender bestimmt, sondern aufgrund seiner Strukturdeterminiertheit in jedem Moment aktiv an der Gestaltung des Geschehens betei-ligt“ (Simon, 2009, S.57f). Die Selbstständigkeit des Verstehens determiniert maßgeblich die Kommunikation. So wird man auch mit Begriffen wie Sender und Empfänger dem

Kern kommunikativer Handlungen nicht gerecht. Eindeutiger ist die Unterscheidung zwi-schen einem Mitteilenden alter und einem Adressaten ego (vgl. Luhmann, 1984, S. 195).

Es bleibt die Frage, wie Kommunikation zwischen alter und ego überhaupt möglich ist.

Hinter dieser Frage steht auch das gedankliche Problem, Kommunikation von Bewusstsein argumentativ zu lösen. Die Relevanz und Voraussetzung von Physis und Psyche für die Kommunikation ist unbestritten, aber die Differenz muss begründet werden, um wiederum ihre Zusammenhänge und Abhängigkeiten verdeutlichen zu können. Einen ersten Schritt bieten Luhmann und Willke mit ihren Ausführungen zu einem Kommunikationsbegriff38, der im Folgenden beschrieben wird.

Der Kommunikationsbegriff

Luhmann beginnt seine Beschreibung eines Kommunikationsbegriffs mit zwei Vorbemer-kungen. Zum einen betont er die Differenz von Psychologie und Soziologie, um die Eigen-ständigkeit der Kommunikation von Begriffen wie Individuum und Subjekt zu unterstrei-chen. Er begegnet der verbreiteten Annahme, dass Menschen oder Subjekte als die Han-delnden und Kommunizierenden betrachtet werden, mit der Aussage: „Demgegenüber möchte ich behaupten, dass nur die Kommunikation kommunizieren kann und dass erst in einem solchen Netzwerk der Kommunikation das erzeugt wird, was wir unter Handeln39 verstehen“ (Luhmann, 1997b, S. 19). Zum anderen integriert er in seine Überlegungen das allgemeine Systembildungsprinzip der Selbstreferenz und greift so die Abhängigkeit einer Beobachtung sozialer Tatsachen von ihrer zugrunde liegenden Selbstreferenz auf. Damit verortet Luhmann seine theoretischen Gedanken „auf der Ebene des Beobachtens von Be-obachtungen (...) – auf der Ebene der second order cybernetics im Sinne Heinz von Fo-ersters“ (Luhmann, 1997b, S.20). Der Ansatz Luhmanns Überlegungen ist dabei die Be-schreibung eines Kommunikationsbegriffs, der von Bewusstsein oder anderen emergenten Realitäten bzw. autopoietischen Systemen differenziert wird (vgl. Luhmann, 1997b, S. 20).

Die emergente Realität Kommunikation „kommt zustande durch eine Synthese von drei verschiedenen Selektionen – nämlich Selektion einer Information, Selektion der Mitteilung dieser Information und selektives Verstehen oder Missverstehen dieser Mitteilung und ih-rer Information“ (Luhmann, 1997b, S.21). Der entscheidende Zugang zu einem Kommu-nikationsbegriff, und zugleich Grundbedingung für Kommunikation, findet sich nach Luh-mann in der Differenz von Mitteilung und Information. Nur durch die Unterscheidung von

38 Dabei muss man jedoch relativieren, dass die Reichweite eines Kommunikationsbegriffs in der Gesellschaft immer historisch bedingt und gegenwartsabhängig sein wird (vgl. Luhmann, 2009, S. 314).

39 „Dass dennoch Handlungen möglich und relevant sind, ist dazu kein Widerspruch. Kommunikationen sind zwar fundierend, aber sie sind insofern schwierig zu behandeln, als sie entstehen und sogleich wieder vergehen. Sie haben keinen Bestand in der Zeit, sondern leben nur insofern fort, als sie von weiteren Kommunikationen aufgriffen und weitergeführt werden. Kommunikationen bilden einen schwer zu durchschauenden Strom von Bedeutungen, der für das Alltagsgeschäft vereinfacht und handhabbar gemacht werden muss. Dazu dienen Handlungen. Handlungen sind konzipiert als Zurechnungen von Kommunikationen auf Handelnde. Handlungen interpunktieren den Kommunikati-onsstrom und lösen einzelne beobachtbare Figuren und Muster heraus, die als konkrete Ereignisse einem Handelnden zugerechnet, gewissermaßen mit einer Adresse versehen und damit verortbar gemacht werden“ (Willke, 2009, S. 67).

Informationswert und Mitteilungsgrund eines kommunizierten Inhalts kann sich Kommu-nikation zu einer reinen Wahrnehmung von Verhalten abgrenzen und in Gang kommen.

Zwar ist es möglich sich sowohl verstärkt auf die Informationen als auch auf das mitlau-fende Verhalten zu konzentrieren, aber die Selektion bzw. Unterscheidung ist grundlegend.

Ohne diese Differenz bleibt Wahrnehmung, als psychisches Ereignis ohne kommunikative Relevanz, im Bewusstsein verschlossen und kann somit nicht direkt Grundlage für an-schließende Kommunikation werden (vgl. Luhmann, 1997b, S. 21f). Somit zeigt sich die Beobachtungsleistung der kommunizierenden Systeme als Grundvoraussetzung aber auch Einschränkung für die Möglichkeiten der Kommunikation (vgl. Willke, 2009, S. 66).

Im Verstehen zeigt sich dann die Fortsetzung der Kommunikation bzw. die Voraussetzung für einen Anschluss der Kommunikation. „Dass Verstehen ein unerlässliches Moment des Zustandekommens von Kommunikation ist, hat für das Gesamtverständnis von Kommu-nikation eine sehr wegtragende Bedeutung. Daraus folgt nämlich, dass KommuKommu-nikation nur als selbstreferentieller Prozess möglich ist“ (Luhmann, 1984, S. 198). „Verstehen ist nie eine bloße Duplikation der Mitteilung in einem anderen Bewusstsein, sondern im Kom-munikationssystem selbst Anschlussvoraussetzung für weitere Kommunikation, also Be-dingung der Autopoiesis des sozialen Systems“ (Luhmann, 1997b, S. 22). In diesem Sinne emanzipiert sich die Kommunikation von den beteiligten Bewusstseinssystemen durch ein eigenes Verstehen oder Missverstehen, über das zwar kommuniziert werden kann, aber eben nur unter der Berücksichtigung der beschriebenen Bedingungen für Kommunikati-onssysteme. So sind nicht nur die Elemente, sondern auch die Strukturen eines Kommuni-kationssystems durch das System selbst bestimmt. Der Umgang mit Verstehensschwierig-keiten oder eine Absicherung von Verstehen mündet in der Regel in Kommunikation über Kommunikation in Form von Rückfragen und weiteren Erläuterungen (vgl. Luhmann, 1997b, S.22f). Die Autopoiesis der Kommunikation zeigt sich aber tatsächlich nicht im Verstehen, sondern im Zwang zur Annahme oder Ablehnung einer mitgeteilten und ver-standenen Information. In diesem Entscheidungsmoment sichert sich das Kommunikati-onssystem die eigene Fortsetzbarkeit, indem es die Möglichkeiten für anschließende Kom-munikation öffnet. Ob dies in Form von Konsens, Dissens oder auch bewusster Ignoranz erfolgt, ist dabei zweitrangig (vgl. Luhmann, 1997b, S. 24ff).

Information, Mitteilung und Verstehen sind „unterschiedliche Selektionen, deren Selekti-vität und deren Selektionsbereich überhaupt erst durch die Kommunikation konstituiert werden“ (Luhmann, 1997b, S. 24). Dieser Sachverhalt konkretisiert noch einmal die Be-schreibung eines Kommunikationssystems als vollständig autopoietisch geschlossenes System, das nur durch Kommunikation, und nichts anderes, beeinflusst bzw. bereichert werden kann. Kommunikation ist die Operation sozialer Systeme und damit Motor der Autopoiesis, die das soziale System von seiner Umwelt abgrenzt. Und an diesem Punkt schließt sich die Argumentation von Luhmann zur Differenz von Kommunikation und Be-wusstsein: Kommunikation „ist genuin sozial insofern, als sie zwar eine Mehrheit von

mit-wirkenden Bewusstseinssystemen voraussetzt, aber (eben deshalb) als Einheit keinem Ein-zelbewusstsein zugerechnet werden kann“ (Luhmann, 1997a, S. 81). Psychische und bio-logische Systeme sind somit als relevante Umwelt zu betrachten, ohne die soziale Systeme nicht ihre Kommunikation in Gang setzen können. Als Umwelt begrenzen sie „die Mög-lichkeiten der Strukturierung und Entwicklung sozialer Systeme, und sie irritieren sie und regen sie dadurch zur Entwicklung an, aber sie legen sie nicht kausal fest“ (Simon, 2009, S. 89).

Luhmann verdeutlicht in seiner Revision des Kommunikationsbegriffs logisch die Diffe-renz von Sozialem und Psychischem; die Operationen psychischer Systeme sind Gedan-ken, die sozialer Systeme Kommunikationen. Trotz ihrer Geschlossenheit bestehen weit-reichende Abhängigkeiten und Wirkungszusammenhänge zwischen den beiden Systemty-pen, die beobachtet und beschrieben werden können40. Es gilt jedoch zu akzeptieren, dass sie sich gegenseitig nicht steuern können. Sie bleiben für einander Umwelt in Form von Rauschen, Irritation bzw. Störung und regen auf diesem Weg einerseits Gedanken oder umgekehrt Kommunikation an. Der Kommunikationsprozess wird damit ohne Kenntnis der beteiligten Bewusstseinssysteme und ihrer Strukturen beobachtbar. Entscheidend ist vielmehr den Verlauf bzw. die Prozessnatur der Kommunikation zu erkennen, um konkrete Beschreibungen formulieren zu können (vgl. Luhmann, 1997b, S. 28).

Auch Carmen Borggrefe (2008) betont ein soziologisches Verständnis von Kommunika-tion für ihre sportsoziologische Arbeit über erfolgreiche KommunikaKommunika-tionsstrategien von Trainern im Spitzensport. Sie verdeutlicht dies vor allem an dem Bestreben, die Soziologie als eigenständige wissenschaftliche Disziplin zu positionieren und damit das Soziale „als eigenständige, als gegenüber dem Psychischen emergente Ebene“ zu begründen (Borg-grefe, 2008, S. 33). Sie nutzt die Revision des Kommunikationsbegriffs von Helmut Willke (2005a), um diesen Sachverhalt für das weitere Vorgehen ihrer Arbeit zu verdeutlichen.

Nach Willke ist Luhmanns Beschreibung der Kommunikation, als Synthese dreier Selek-tionen zu einem emergenten Produkt, weiter zu präzisieren. Er sieht besonders in Luh-manns Verständnis des Verstehensprozesses eine Rückkehr zum Bewusstsein des psychi-schen Systems und damit eine unvollkommene Begründung der Kommunikation als sozi-ale Tatsache (vgl. Willke, 2005, S. 105). Eine dementsprechende Revision des Kommuni-kationsbegriffs stützt sich auf der intuitiven Annahme,

„dass die entscheidende Differenz, um die es beim Aufbau der emergenten Entität Kommunikation geht, nicht die Differenz von Information und Mitteilung ist, sondern die Differenz der unterschiedli-chen Stufen oder Formen der Symbolisierung, in denen das Denken einerseits, die Sprache (als langue) andererseits Bezüge und Verweisungen herstellen und damit die soziale Interaktion mit der Aufgabe

40 „Ein Beobachter kann also hohe strukturierte Interdependenzen zwischen psychischen und sozialen Systemen er-kennen. Und trotzdem: die psychische Selektivität kommunikativer Ereignisse im Erleben der Beteiligten ist etwas völlig anderes als die soziale Selektivität; und schon bei einer geringen Aufmerksamkeit auf das, was wir selbst sagen, wird uns bewusst, wie unscharf wir auswählen müssen, um sagen zu können, was man sagen kann“ (Luhmann, 1997, S. 29).

konfrontieren, diese nicht hintergehbare doppelte Kontingenz durch eine dritte Symbolisierung - die Kommunikation - aufzuheben und in konfirmierte Erwartungsmuster zu fassen.“

(Willke, 2005, S. 105)

Es wird daher das Ziel verfolgt, die entscheidenden Details deutlicher herauszuarbeiten, die Kommunikation zu einer sozialen Tatsache machen und eine Differenz zu psychischen oder mentalen Tatsachen begründen können. Willke erweitert das Verständnis der drei Se-lektionen Information, Mitteilung und Verstehen, um eben diese soziale Einordnung ihrer Einheit zu verdeutlichen.

Willke beginnt mit der Selektion der Information und macht deutlich, dass weitere Über-legungen an einer anderen Begrifflichkeit ansetzen müssen. Informationen als das zu be-zeichnen, was in Kommunikation mitgeteilt wird, ist problematisch, weil sie nicht als Komplex mitgeteilt werden können. Informationen bilden lediglich den Ausgang einer Mitteilung. So kommt Willke zu dem Schluss, dass Daten, und nicht Informationen, der Rohstoff der Kommunikation sind. Jedes psychische System sammelt mit Hilfe von Be-obachtungen Daten und das Bewusstsein des Menschen bereitet diese Daten zu Informati-onen auf. alter kann ego letztendlich nur Daten zur Beobachtung anbieten (vgl. Willke, 2005, S. 105f).

An dieser Stelle wird auch das Problem individueller Wirklichkeitskonstruktionen konkret sichtbar. Beobachtet ego mitgeteilte Daten von alter, dann gewinnt er aus ihnen entspre-chend seiner eigenen Relevanzkriterien, Präferenzen und Gewichtungen Informationen.

Die so durch das Bewusstsein von ego aufbereitete Daten bleiben jeweils rein individuell und unterscheiden sich im Regelfall von den ursprünglichen Informationen auf Seiten von alter. Diese divergierenden Informationen werden im kommunikativen Alltag durch einen fiktiven Konsens abgestützt. Eine vergleichbare Sozialisation, ein gemeinsamer Kultur-kreis oder ein einheitliches Arbeitsgebiet können eine Übereinstimmung der von alter und ego produzierten Informationen positiv beeinflussen (vgl. Willke, 2005, S. 106). Indem man Daten als Rohstoff von Kommunikation bezeichnet, öffnet sich die weitere Diskus-sion auch deutlicher in Richtung nonverbaler Kommunikation und schließt diese in den Kommunikationsprozess mit ein. Im Bewusstsein produzierte Informationen liefern für al-ter somit nicht nur die Grundlage verbaler Daten in Form von Inhalt, sondern sie werden auch durch nonverbale und paraverbale Daten ergänzt bzw. erweitert. An dieser Stelle nimmt Willke in seinen Ausführungen indirekt Bezug auf empirische Daten zur Informa-tionsverarbeitung und Eindrucksvermittlung von Sprechakten nach Albert Mehrabian (1972), die besagen, dass Wörter und ihr Inhalt in einer Rangordnung der Kommunikation erst nach den stimmlichen Elementen und Gesichtsausdrücken zum Tragen kommen.

So nimmt Kommunikation letztendlich in der Auswahl von Informationen durch alter ihren Ursprung. „Genese und Auswahl von Informationen als inhaltlicher Rohstoff von Kom-munikation gründen zwingend auf Differenzen der Symbolisierung, die als symbolisch ge-koppeltes Zusammenspiel von Denken und Sprache ein Sprechen (...) hervorbringen“

(Willke, 2005, S. 107). Luhmann verkürzt in seinen Ausführungen zum Kommunikations-begriff die Beschreibung der Mitteilung auf den Entschluss41 von alter, „den Willen zur Mitteilung von Information als Bestandteil und Phase eines Kommunikationsprozesses“

(Willke, 2005, S. 108). Den Kern der Kommunikationsleistung sieht er vielmehr in der Differenz „zwischen dem Informationswert ihres Inhalts und den Gründen, aus denen der Inhalt mitgeteilt wird“ (Luhmann, 1997b, S. 21). Damit begründet Luhmann in erster Linie die Abgrenzung von Kommunikation zu bloßer Wahrnehmung. Für Willke ist die Mittei-lung jedoch von komplexerer Bedeutung und „als Moment der symbolischen Kopplung zwischen Bewusstsein und Kommunikation zu verstehen“ (Willke, 2005, S. 108). Das Be-wusstsein leistet auf diesem Wege die Verknüpfung mit Sprache und ermöglicht Kommu-nikation als Prozess, der sich in letzter Konsequenz von Bewusstsein lösen „und nach ei-genen Regeln und der inneren Form von Kommunikation ablaufen“ kann (Willke, 2005, S. 108). In diesem Sinne fungiert die Mitteilung als Startmoment für Kommunikation, die daraufhin aufgegriffen und fortgesetzt wird oder aber auch ignoriert wird.

In der Auseinandersetzung mit Verstehen verweist Willke darauf, die Überlegungen da-hingehend zu öffnen und weiterzuführen, Verstehen als sozial konstituiert zu betrachten.

Er betont die Eigenständigkeit des Sozialen, unabhängig von einer Reduzierung auf das Handeln Einzelner (vgl. Willke, 2005, S. 111); damit hebt er einen Zurechnungsprozess hervor, um „zwischen einem Verstehen auf der Ebene des Bewusstseins und einem Ver-stehen auf der Ebene sozialer Systeme“ zu unterscheiden (Borggrefe, 2008, S. 40). Diese gedankliche Offenheit nutzt Willke für die Fortsetzung seiner Revision des Kommunika-tionsbegriffs, um die Perspektive des Verstehens auszuweiten; und dies nicht in einem er-weiterten Verständnis von Verstehen, sondern im konkreten Bezug auf „die umfassendere Kategorie des Wissens“ (Willke, 2005, S. 111). Er verdeutlicht den Nutzen und die Leis-tung von Verstehen, für sinnhaft konstituierte Systeme, indem Verstehen als eine Zwi-schenstufe in die Produktion der entscheidenden Ressource Wissen eingeordnet wird (vgl.

Willke, 2005, S. 111f).

Wie auch Luhmann integriert Willke in seine Überlegungen die vierte Selektion der Prü-fung auf Annahme und Ablehnung beobachteter und im Bewusstsein aufbereiteter Daten.

Durch diese Selektion wird im Verstehen einer Mitteilung und ihrer Information das Wis-sen erzeugt (vgl. Willke, 2005, S. 113). „Verstehen ist im Kern Partizipation an einer kom-munikativen Praxis und muss deshalb nicht mit Deutungen über inhaltliche Richtigkeit oder gar Konsens aufgeladen werden“ (Willke, 2005, S.119).

41 „Die Mitteilung an einen ,individuellen Willen zum Sprechen‘ zu binden, kann daher insofern irreführend sein, als dadurch die Bedeutung von Nonverbalität, Codierung und Nichtintentionalität aus dem Blick gerät. Entscheidend für ein Zustandekommen von Kommunikation ist nicht, ob alter tatsächlich einen ,Willen zum Sprechen‘ ausbildet und sich entschließt, eine bestimmte Information verbal mitzuteilen, sondern ob ego eine solche Mitteilungsabsicht beo-bachtet und alter demnach einen ,Willen zum Sprechen‘ unterstellt“ (Borggrefe, 2008, S. 38).

Der Informationsgewinn aus beobachteten Daten ist damit nur der Anfang einer Operation, die sich auf Sinnbildung42 konzentriert. „Wissen ist in diesem Sinne unabdingbar das Er-gebnis (...) der Herstellung einer sinnhaften Ordnung aus dem Chaos verfügbarer oder an-brandender Informationen“ (Willke, 2005, S. 113). Setzt man die Gedanken zu sozial kon-stituiertem Verstehen an dieser Stelle fort, so wird schnell deutlich, dass auch Wissen daran ausgerichtet werden muss. Erfolgreiche Kommunikation, abgeschlossen durch Verstehen, erzeugt damit nicht nur personales Wissen, sondern eben auch kollektives Wissen, ein Wis-sen des sozialen Systems43. Für beide Wissensformen gilt, wie auch für das Verstehen, dass sie nur erschlossen werden können; sie sind in erster Linie implizites Wissen und entziehen sich damit einer direkten Beobachtung (vgl. Willke, 2005, S. 116f). „Dieses kollektive Wissen verdichtet sich zu generalisierten Erwartungen und entwickelt in der Folge eine Eigenlogik, einen sich selbst steuernden Prozess der Kommunikation“ (Borggrefe, 2008, S.41). Diese Erwartungen stellen sowohl die Grundlage als auch die Ausrichtung für sozi-ale Praxis dar und bedingen somit den Aufbau sozisozi-aler Systeme (vgl. Willke, 2005, S. 118).

Bei genauer Betrachtung der Revisionen eines Kommunikationsbegriffs nach Luhmann und Willke stellt sich nicht die Frage nach einem entweder-oder, stattdessen ist es die Mög-lichkeit einer Ergänzung der beiden Gedankenzüge zu einem Gesamtbild eines Kommuni-kationsbegriffs. Aus der Präzisionsarbeit Willkes ergibt sich damit nicht eine weitere Ent-wicklungsstufe des Luhmannschen Kommunikationsbegriffs, sondern die Hervorhebung einer zentralen Problematik, die in der systemischen Trennung zwischen Kommunikation und Bewusstsein zu finden ist. Bevor jedoch dieser Differenz weiter nachgegangen werden kann, muss der Frage nach der Funktionsweise von Kommunikation weiter auf den Grund gegangen werden.

Fortsetzbarkeit von Kommunikation

Für weitere Einblicke lässt sich zunächst an den Anschlussakten und Voraussetzungen für die Kommunikationseinheit ansetzen. Hier gehen die Beschreibungen von Luhmann und Willke über die Grenzen des eigentlichen Kommunikationsbegriffs hinaus, wenn sie die Eigenständigkeit von Kommunikation als soziale Einheit in ihren Revisionstexten begrün-den. Für beide entspricht Kommunikation der Einheit aus Information, Mitteilung und Ver-stehen; wenn auch in etwas unterschiedlicher begrifflicher Präzision. Beide sprechen je-doch von einer vierten Selektionsleistung in der Annahme und Ablehnung mitgeteilter In-formationen. Diese Selektion allerdings, und auch alles weitere, vollzieht sich „außerhalb der Einheit einer elementaren Kommunikation und setzt sie voraus“ (Luhmann, 1984, S.

42 Auf der dritten Selektionsstufe von Kommunikation „geht es darum, die Fülle an Informationen zu ordnen, zu organisieren, in überschaubare und handhabbare Zusammenhänge zu bringen und nicht passende Informationen zu ignorieren, sie also der Disziplin einer Strukturierung oder Systematisierung zu unterwerfen“ (Willke, 2005, S. 112).

43 „Eine sich in der Operation des Verstehens vollendende Kommunikation hat Wirkung auf der Seite der sprechenden Personen, deren mentale Symbolik die neuen Erfahrungen als individuelles Wissen speichert, und sie hat Wirkung auf der Seite des involvierten Sozialsystems, dessen kommunikative Symbolik die neuen Erfahrungen – das, was dem Symbolsystem als differentielle Aktivierung, Relativierung, Konfirmierung, etc. bestimmter Komponenten widerfährt – als systemisches Wissen speichert“ (Willke, 2005, S. 166).

203). Im Verstehen wird zwar eine Zustandsänderung des Adressaten bezweckt sowie er-reicht, nur eben auch gleichzeitig die Kommunikation als Einheit abgeschlossen. Die wei-teren Reaktionen, wie Annahme oder Ablehnung, sind nicht mehr Teil der Kommunikati-onseinheit bzw. des Kommunikationsbegriffs. Dies gilt auch für die Übernahme einzelner

203). Im Verstehen wird zwar eine Zustandsänderung des Adressaten bezweckt sowie er-reicht, nur eben auch gleichzeitig die Kommunikation als Einheit abgeschlossen. Die wei-teren Reaktionen, wie Annahme oder Ablehnung, sind nicht mehr Teil der Kommunikati-onseinheit bzw. des Kommunikationsbegriffs. Dies gilt auch für die Übernahme einzelner