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II Theoretische Überlegungen

5 Kommunikation zwischen Trainer und Athlet

Der allgemeine Theorieteil zur Kommunikation unter Anwesenden beschrieb ausführlich mit welchen grundsätzlichen Bedingungen und Zusammenhängen in Gesprächssituationen zu rechnen ist. Die erste Blickrichtung wurde hierbei an einem abstrakten Theoriegebäude der Systemtheorie aufgebaut, um den zugrundeliegende Kommunikationsbegriff klarzu-stellen, den Prozesscharakter von Kommunikation in Themen und Beiträgen zu verdeutli-chen sowie auch die grundsätzliche Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation zu erläu-tern. Im weiteren Verlauf stand schließlich das Verhältnis zwischen Kommunikation und Bewusstsein im Zentrum der Beschreibungen. Es konnte gezeigt werden, welche Möglich-keiten dem einzelnen Individuum gegeben sind, Kommunikation einerseits wahrzunehmen und sich umgekehrt auch daran zu beteiligen. Ausgangspunkt waren in erster Linie die individuellen Konstruktionen und die unterschiedlichen Ausdrucksformen zur Teilnahme an Kommunikation. Aber auch der individuelle, identitätsfördernde Umgang mit dynami-schen Erwartungszusammenhängen konnte deutlich machen, mit welcher sozialen Kom-plexität sich eine Gesprächssituation aufladen kann.

In einem Gespräch muss sich das Individuum folglich nicht nur mit den Erwartungen tat-sächlich anwesender Gesprächspartner auseinandersetzen und versuchen seine Identität entsprechend zu behaupten90. Die Differenziertheit der Gesellschaft erzeugt außerdem dif-ferenzierte Erwartungskollagen aus ganz unterschiedlichen sozialen Teilsystemen. Dabei muss der Einzelne sowohl allgemeine gesellschaftliche Leitorientierungen als auch spezi-fische Systemstrukturen beachten, wenn er erfolgreich91 an einer jeweiligen Kommunika-tion teilnehmen möchte. Dies gilt auch dann bzw. gerade dann, wenn es sich nur um eine kurzzeitige Teilnahme handelt.

„Der Alltag des individuellen Akteurs ist demnach gekennzeichnet durch ein Oszillieren zwischen den Handlungsimperativen sozialer Systeme (...). Dieses Fluktuieren zwischen den verschiedenen so-zialen Sphären konturiert die Innenwelt des Individuums, weil es die Fähigkeit erforderlich macht, unterschiedliche und auch heterogene Systemlogiken identifizieren und voneinander unterscheiden zu können.“

(Bette, 1999, S. 33)

Gleiches gilt auch für Gespräche zwischen einem Trainer und seinem Athleten. In der So-zialdimension sind die Beteiligten mehr als nur Trainer und Athlet; sie tragen ihre indivi-duellen Umweltbezüge gleichermaßen zusammen und verknüpfen sie mit sportspezifi-schen Logiken, Vorgaben und Regelungen zu einem Netz von Independenzen und Inter-dependenzen. Ihr individuelles, kooperatives oder auch konkurrierendes Handeln ist zu-gleich system- und umweltbedingt; Kommunikation im Sport wird demnach sowohl mit

90 An dieser Stelle sei auf den Begriff der Individualisierung verwiesen. Mit Bezug zum Sport hat bereits Bette (vgl.

1999, S. 33ff und S. 150ff) ausführlich dazu geschrieben.

Es ist davon auszugehen, dass entsprechend auch andere manifestierte Anspruchsgedanken einer Gesellschaft sich in Interaktionen bemerkbar machen. Vor allem kulturelle Unterschiede von Gesprächspartnern sind daher als ein Grund für Verständnisprobleme anzuführen.

91 Erfolgreich im Sinne einer Mitteilung und ihrer Information, die von einem Gesprächspartner verstanden wird.

interner Selbstbezüglichkeit als auch mit heterogenen, externen Erwartungen konfrontiert (vgl. Bette, 1999, S. 34f). Die Kommunikation zwischen Trainer und Athlet ist also nicht ein rein auf den Sport zu begrenzendes Phänomen, sondern besteht in Teilen immer auch aus Verknüpfungen zu vielseitigen Umwelteinflüssen. Mit Bezug auf den Spitzensport zeichnet sich eine entsprechende Kommunikation umso mehr durch ihre hohe leistungs-sportlichen Spezifika und Bindungen aus.

Vor dem Hintergrund der bisherigen theoretischen Analyse von Gesprächen in der Gesell-schaft widmet sich der folgende Abschnitt nun konkret den Interaktionen zwischen Trainer und Athlet im Spitzensport. In Ausrichtung an die weiter oben formulierte Fragestellung geht es explizit um Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet im Spitzensport. Es soll aufgezeigt und theoretisch begründet werden, wie eine sportbezogene Interaktion differen-ziert werden kann. Dafür rücken im Folgenden genau die systeminternen und -externen Strukturen, Bedingungen und Bezüge in den Fokus, die Einzelgespräche im Spitzensport arrangieren, ordnen und beeinflussen können. Mit Blick auf die anwesenden Gesprächs-partner sollen daran anschließend auch die sportrelevanten Leistungs- und Erfolgsfaktoren aufgearbeitet werden, die in entsprechenden Einzelgesprächen thematisiert werden kön-nen. Die bisher angeführten theoretischen Zusammenhänge um Luhmann, Krappmann und Goffman wurden dazu bereits früh von Klaus Cachay aus einem sportwissenschaftlichen Blickwinkel aufgegriffen (vgl. Cachay, 1978, S. 165f und 227f).

5.1 Die Wettkampfeinheit des Spitzensports

Möchte man Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet beschreiben, ist es erforderlich einen eindeutigen Ausgangspunkt der weiteren Beobachtungen auszuwählen und auszu-bauen. Aus der gewählten Problemstellung fokussiert das Einzelgespräch auf die Logik und Ausrichtung des Spitzensports an Leistung sowie der Differenz von Sieg und Nieder-lage. Weder für einen übergeordneten gesellschaftlichen Zusammenhang noch für das Ein-zelgespräch selbst ist es jedoch möglich diese theoretische Ordnungsleistung zu vollbrin-gen. Erst durch den Bezug auf eine Organisation lassen sich empirische Einzelereignisse wie Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet in ihrer Polykontexturalität92 beschrei-ben und erklären (vgl. Luhmann, 1994, S. 195). Entscheidend ist hierbei, dass alle anderen

92 Mit Blick auf den Spitzensport lässt sich besonders die Polykontexturalität des Körpers betonen. Hierzu schreibt Bette (1999, S. 138-143): „Sozialsysteme, die aus Kommunikation und nichts als Kommunikation bestehen, berück-sichtigen den Umweltfaktor Mensch nicht irgendwie, sondern rekonstruieren ihn entlang ihrer spezifischen Codie-rung. Sie nutzen das, was in ihre Selbstbezüglichkeit hineinpasst. Alle anderen Restaspekte, die für den Menschen und dessen Dasein natürlich auch wichtig sind, erzeugen lediglich Irritation und Umweltrauschen. (...) Das semanti-sche Korrelat [des] Sozialsystems [Spitzensport] heißt Leistung. Es drückt die Präferenz des Sieg/Niederlage-Codes aus und bestimmt das Verhältnis des Systems zu seiner Körperumwelt. Nicht die sporadisch, zufällige Hinendung zum Körper ist in Training und Wettkampf wichtig. Im Vordergrund steht die systematische, durchrationalisierte, von Experten in spezifischen Situationen angeleitete Einwirkung auf den Körper anhand ausgefeilter Programme. (...) Der Sportlerkörper muss gleichsam in die vom Sport ausdifferenzierten Zeit-, Sach- und Sozialhorizonte hineinpassen.

Ein Körper, der die temporale Differenz von Wettkampf, Training und Erholung nicht aushält, den sachlichen Anfor-derungen der jeweiligen Sportdisziplin nicht entspricht, sich den sozialen Erwartungen (Konkurrenz und Integration)

formal gleichen und faktisch gleichzeitig möglichen Beobachtungen und Logiken damit nicht ausgeklammert werden, sondern überhaupt erst in einen eindeutigen Bezug gesetzt werden können.

In Anlehnung an Cachay und Thiel (1997), Thiel (2002a) und Borggrefe et al. (2006) sowie Borggrefe (2008) betrachten wir im Folgenden diese Organisationen des Spitzensports als Wettkampfeinheiten93, die sich um Mannschaften, Trainingsgruppen oder auch einzelne Sportler formieren. In Sportvereinen kann es dementsprechend sogar zur Ausbildung meh-rerer Wettkampfeinheiten kommen. Ordnende Funktion hat in erster Linie die gemeinsame Teilhabe an einer Meisterschaftsrunde oder aber auch eine bestimmte Altersgruppenzuge-hörigkeit. Während die Athleten entsprechend dieser Ordnung meist schon formal an eine einzige Wettkampfeinheit gebunden sind, können Trainer, Physiotherapeuten oder Ärzte auch an mehreren Wettkampfeinheiten teilhaben. Für alle Wettkampfeinheiten gilt jedoch, dass sie sich sich in erster Linie durch ihre Orientierung an der Handlungslogik des Spit-zensports auszeichnen. Das wird dabei das Ziel verfolgt

„durch eine Formalisierung der spitzensportlichen Kommunikation die Wahrscheinlichkeit sportli-chen Erfolgs zu erhöhen und das Risiko von Niederlagen möglichst gering zu halten. (...) Durch die Festlegung spezifischer Leistungsnormen und hochselektiver Teilnahmebedingungen versucht man, die Akteure voll und ganz auf die Erfüllung ihrer Mitgliedschaftsrolle und Erreichung sportlichen Erfolgs festzulegen und störende Umwelteinflüsse möglichst aus dem Kontext auszublenden.“

(Borggrefe, 2008, S. 107)

Für einen Trainer oder Athleten beginnt somit im Moment der Bindung an entsprechende formale Richtlinien in Form der Mitgliedschaft in einer Wettkampfeinheit eine spitzen-sportliche Wirklichkeit94. Folglich müssen sich ihre zukünftigen Beiträge in diesem Kom-munikationszusammenhang95 an den vorgegebenen Strukturen96 ausrichten, um anschluss-fähig zu sein.

verweigert, hat in einem an Sonderkörpern interessierten Sozialbereich keine Anwesenheitsrechte. Bewusstsein und Körper müssen kooperieren, wenn spitzensportliche Kommunikation stattfinden soll.“

93 Ausgangspunkte der theoretischen Überlegungen zu Wettkampfeinheiten des Spitzensports liegen unter anderem in der Gruppensoziologie. Über die Bedingungen von Gruppen im Hochleistungssport hat Cachay (1983) bereits ge-schrieben.

94 Hier verdeutlicht sich eine gesellschaftliche Funktion der Organisation: „Es scheint, dass wir den Zusammenhang von Funktionssystemen und Organisation mit genau dieser Differenz beschreiben können, dass die Funktionssysteme, gerade weil sie keinen Mechanismus der Exklusion haben, auf Organisationen angewiesen sind, die genau dies leisten können. So dass wir überall die Situation antreffen, dass es politische Organisationen gibt, kirchliche Organisationen, Produktionsstätten, wirtschaftliche Organisationen, schulische, universitätsmäßige Angebote oder Forschungsorgani-sationen, womit innerhalb von Funktionssystemen Verhalten geregelt werden kann“ (Luhmann, 2005, S. 283). Und weiter bei Luhmann (Luhmann, 1994, S. 193): „Innerhalb ihres Organisationsbereichs können deshalb Funktionssys-teme über Inklusion und Exklusion entscheiden. Das hat einen doppelten Effekt. Sie können Personen auswählen, die für eine Tätigkeit in ihren Organisationen in Betracht kommen, und andere ausschließen.“

95 Dies lässt sich auch weiter konkretisieren: „Da Mitgliedschaften durch Entscheidungen begründet werden und das weitere Verhalten der Mitglieder in Entscheidungssituationen von der Mitgliedschaft abhängt, kann man Organisati-onen auch als autopoietische Systeme auf der operativen Basis der Kommunikation von Entscheidungen charakteri-sieren. Sie produzieren Entscheidungen aus Entscheidungen und sind in diesem Sinne operativ geschlossene Systeme“

(Luhmann, 1997d, S. 830f).

96 „Durch diese spezifischen Strukturen formaler Organisation, die vor allem Prozesse der Hierarchiebildung und der Kommerzialisierung bedingen, gewinnen insbesondere die Symbolsysteme der Macht und des Geldes in Wettkampf-einheiten des Spitzensports an Relevanz“ (Borggrefe, 2008, S. 109).

Im Rückgriff auf die bisherigen Erkenntnisse sieht sich damit das Mitglied einer Wett-kampfeinheit einem Bündel an zu koordinierenden Erwartungshaltungen ausgesetzt, die mit einer Teilnahme am Spitzensport verbunden sind: dies sind in erster Linie die spezifi-schen Erwartungen innerhalb der Wettkampfeinheit selbst und eine Kollage an Erwartun-gen aus den unterschiedlichsten Bereichen wie beispielsweise Familie, Freunde, Medien, Ärzten, Therapeuten, Beruf oder Ausbildung. Aus individueller Perspektive ergänzen das Bild zusätzlich die eigenen Erwartungen sowie die Erwartungshaltungen anderer Mitglie-der Mitglie-der Wettkampfeinheit als potentielle Interaktionspartner. Der folgende Abschnitt ver-folgt das Ziel die Komplexität dieses Erwartungsbündels zu reduzieren und gleichzeitig theoretisch zu konkretisieren, welche Konsequenzen damit für Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet zur Leistungsoptimierung im Spitzensport einhergehen können.

Organisierte Gespräche

Einzelgespräche zwischen Trainer und Athlet sind als spezifische Interaktionen einer Wett-kampfeinheit zu kategorisieren. Sie beziehen sich auf eine aktuelle Trainingsleistung, das letzte Wettkampfergebnis, die Trainingsplanung oder auch auf rein persönliche Belange der Beteiligten in Verbindung mit sportlicher Leistung. Ausschlaggebend ist zunächst, dass die beiden anwesenden Personen sich als Trainer und Athlet durch ihre Gebundenheit an den formalen Richtlinien, Vorgaben und Zielen ihrer Wettkampfeinheit auszeichnen und sich so in ihrer Kommunikation beeinflussen bzw. organisieren lassen. Für eine ausführli-che Konkretisierung dieser Erwartungszusammenhänge ist es erforderlich das Verhältnis der Interaktion Einzelgespräch zur Organisation Wettkampfeinheit genauer zu klären. Ein-zelgespräche unterscheiden sich dabei nicht grundsätzlich von anderen Formen der Inter-aktion innerhalb einer Wettkampfeinheit; seien es beispielsweise Besprechungen mit der gesamten Mannschaft oder auch Kleingruppen. Ihr Alleinstellungsmerkmal liegt vielmehr in der Möglichkeit einer sehr spezifischen Themenwahl und der eindeutigen sowie unaus-weichlichen wechselseitigen Wahrnehmbarkeit der beiden Interaktionspartner.

Im Folgenden liegt der Fokus auf dem organisatorischen Einfluss der Wettkampfeinheit in seiner grundsätzlichen Bedeutung und auch Reichweite, um die prinzipielle Einordnung eines Einzelgesprächs in einen organisatorischen Rahmen deutlich zu machen. Den Ein-stieg in weitere Überlegungen bietet dabei erneut die Differenz von Interaktion und Ge-sellschaft. Im Zuge dieser Differenzierung löst sich der Einfluss der Gesellschaft auf das Interaktionssystem und die gesellschaftliche Aufgabe der Organisation wird offensichtlich (vgl. Kieserling, 1999, S. 335ff): nur eine Organisation ist jetzt noch in der Lage diese Differenz einzufangen und entsprechend eine Interaktion in ihrer gewonnenen Freiheit zu strukturieren. Damit zeigt sich in dieser spezifischen Strukturierung schlussendlich der Un-terschied zwischen geselligen und organisierten Gesprächen: „Innerhalb von Organisatio-nen gerät die Interaktion unter den Druck bestimmter Einschränkungen und ReduktioOrganisatio-nen, die ihr ein größeres Potenzial für Komplexität in spezifischen Hinsichten erschließen“

(Kieserling, 1999, S. 335).

Organisationen bilden ihr System durch das Element der Entscheidung. Interaktionen da-gegen setzen lediglich die Reduktion auf Handlung voraus. Im Zusammenspiel mit der Organisation bieten Interaktionen daher einen Schonraum vor Entscheidungen. Kommu-nikation unter Anwesenden kann somit optional auf die Zumutung von Entscheidungs-druck verzichten; es entsteht kein Zwang zur Systematisierung von Entscheidung (vgl.

Kieserling, 1999, S. 336f). Die Interaktion unter Anwesenden ist damit auch nicht als funk-tionaler Mechanismus in die Organisation eingebunden, sondern ist stets ein System eige-ner Art und konfrontiert so die Beteiligten auch mit interaktionseigenen Problemen, „die sich nicht aus einer Dekomposition des Systemzwecks ergeben und mit ihrem Problemlö-sungsbereich weitgehend querstehen zu dem, was die Organisation als eindeutig positiven oder eindeutig negativen Beitrag qualifizieren könnte“ (Kieserling, 1999, S. 343).

Dennoch lässt sich für die Interaktion ein Erwartungsdruck beschreiben, der aus der orga-nisatorischen Systemebene aufgebaut wird. Ihm kann in der Interaktion allerdings nur durch größere Abstriche an systemeigenen Möglichkeiten entsprochen werden. Der Ext-remfall einer vollständig aus der Umwelt gesteuerten Selektivität der Interaktion ist zudem nur schwer vorstellbar und theoretisch nicht zu belegen (vgl. Kieserling, 1999, S. 340ff).

Aufgrund ihrer geringen Eigenkomplexität besitzen Interaktionssysteme vielmehr eine na-türliche Autonomie gegenüber der Gesellschaft und dementsprechend auch der Organisa-tion (vgl. Kieserling, 1999, S. 344). OrganisaOrganisa-tionen sind also nicht in der Lage ihren Ope-rationstypus der Entscheidung in die Interaktion hineinzutragen. Umgekehrt können oft-mals nur Bruchstücke von dem, was in Interaktionen kommuniziert wird, auch als Ent-scheidungen in der Organisation rekonstruiert werden; und auch fehlerhafte Rekonstrukti-onen sind dabei möglich. Die Differenz der beiden Systemebenen bleibt somit selbst dann noch erhalten, wenn ein Interaktionssystem eindeutig einer Organisation zuzuordnen ist (vgl. Kieserling, 1999, S. 358).

Unabhängig von den unterschiedlichen Operationsweisen und Komplexitätsmustern sind organisatorisch umfasste Interaktionen ein besonderes, soziales Phänomen. So verdeutlicht sich die Organisation in der Interaktion bzw. die Interaktion spiegelt die Organisation in sich wieder. Für eine Orientierung an der Organisation stehen der Interaktion allerdings nur die anwesenden Personen zur Verfügung und nichts anderes. Formale oder informale Einzelheiten der Organisation, die den Organisationsmitgliedern verborgen bleiben, sind damit auch nicht in einer organisierten Interaktion97 zugänglich, können entsprechend nicht zum Thema gemacht werden und die Interaktion demnach auch nicht organisieren (vgl. Kieserling, 1999, S. 359f).

97 Die bereits beschriebenen Unterschiede der verschiedenen Möglichkeiten zur Systembildung werden hier noch einmal konkretisiert: „Organisationen entstehen, wenn Systeme über besondere Mitgliedschaftsrollen ausdifferenziert werden, die durch Entscheidungen mit Personen besetzt werden, deren Verhalten durch die Organisation konditioniert werden kann. (...) [Organisationen] sind eine besondere Form, Gesellschaft durch programmatisch verdichtete Kom-munikation fortzusetzen. Sie eröffnen Entscheidungsspielräume, die es andernfalls nicht gäbe, und sie ermöglichen es dadurch, die Irritabilität des Systems zu steigern“ (Luhmann, 1994, S. 189).

Gesamtstruktur einer Wettkampfeinheit

Um diese Einbindung der anwesenden Interaktionspartner in formale und informale Struk-turen genauer beleuchten zu können, gilt es zunächst beide Strukturarten weiter theore-tisch98 aufzuarbeiten. Die organisierten Interaktionen unter anwesenden Mitgliedern und ihre Beeinflussung durch und von Entscheidungen der Organisation99 werden dafür in den Fokus weiterer Überlegungen gerückt; anders betrachtet wird „auf der Grundlage formali-sierter Mitgliedschaft eine Verselbständigung der Organisation als System erreicht. (...) Der Einheit der Organisation entspricht eine nicht reduzierbare Vielheit von Interaktionen“

(Kieserling, 1994, S. 171). Im Zuge dieser Verselbständigung sind konsequenter Weise auch ausschließlich Interaktionen unter Anwesenden in der Lage Probleme unzulänglicher Formalisierung100 zu lösen oder zumindest temporär zu überbrücken (vgl. Kieserling, 1994, S. 172). Für einen entsprechenden Zugang wird angenommen, „dass der Begriff der informalen Organisation und mit ihm der Gruppenbegriff durch eine Theorie der Interak-tionssysteme101 ersetzt wird“ (Luhmann, 2000, S. 25).

Jede Entscheidung der Organisation ist Ergebnis einer Entscheidungskommunikation, die sich an einer formalen Ordnung orientiert. Die formale Bedingtheit der Mitgliedschaft bleibt immer grundlegender Bestandteil aller Kommunikation in der Organisation oder den jeweiligen organisierten Interaktionen. „Aus der Sicht der Organisation erzeugt erst die organisationale Verdichtung von Relationen Entscheidungssituationen, die Personen (als Mitglieder) in die Lage bringt, entscheiden zu können, weil sie entscheiden müssen“

(Willke, 2009, S. 68). Für organisierte Interaktionen reicht die Möglichkeit einer formalen Situationsauslegung bereits aus, „um sicherzustellen, dass die Themenentwicklung sich mindestens indirekt an denjenigen Bedingungen orientiert, von denen Mitgliedschaft der Anwesenden und die systemweite Anerkennung ihrer Kommunikation abhängen“ (Kieser-ling, 1994, S. 179f). Die Organisation bietet den Anwesenden einer Interaktion

98 Hierbei muss die allgemeine Annahme beachtet werden, dass der Systemtheorie ein konzeptionelles Instrumenta-rium fehlt, um informale Strukturen beschreiben zu können (vgl. Fuhse, 2005, S. 7). Luhmann versucht dagegen das Verhältnis zwischen formaler und informaler Systembildung als ambivalent zu begreifen (vgl. Luhmann, 1984, S.

259); damit bietet er, unter anderem einer eigenen Argumentation, die Grundlage für anschließende theoretische Wei-terentwicklungen.

99 „Auf dem Bildschirm der Organisation erscheint die Interaktion daraufhin als Vollzug von Arbeit oder als Pro-grammdurchführung, (...) Auf der Ebene ihrer Interaktionen ist jede Organisation daher sehr viel leichter strukturiert, als mit ihren eigenen Mitteln transparent gemacht werden kann. Beobachter der Organisation, die sich auf Interaktion konzertieren, gewinnen denn auch typisch den Eindruck, dass die gesamte Organisation auf einer Überschätzung ihrer eigenen Ordnungsleistung beruht. Die Theorie der informalen Ordnungsbildung rekonstruiert diesen ambivalenten Eindruck“ (Kieserling, 1994, S. 171).

100 Im Weiteren hat dies auch entscheidende Bedeutung für die Rolle der organisierten Interaktion. In letzter Konse-quenz wird es innerhalb der Organisation möglich, „Programmatik und Opportunismus zu integrieren“ (Kieserling, 1994, S. 181).

101 Der von Kieserling (1994) eingeführte Begriff des Interaktionszusammenhangs führt hierbei die einzelnen theore-tischen Überlegungen zusammen. Gruppen unterscheiden sich damit nicht mehr durch ihre Latenz von einfachen Sozialsystemen (vgl. Neidhardt, 1979, S. 643).

weg die Alternative von mehr Formalität ohne dabei einen Zwang zur Formalität notwen-dig zu machen. Der tatsächliche Grad einer Formalisierung102 wird erst im Verlauf sowie Kontext einer Interaktion erkennbar (vgl. Kieserling, 1994, S. 180). Für eine Orientierung in der Organisation ist es gerade deshalb wichtig, dass der Einzelne „Interaktionsverhalten und Entscheidungsprozess laufend zugleich unterscheiden und aufeinander beziehen“ kann (Kieserling, 1999, S. 362).

Ob und wie Entscheidungen aus Interaktionen in der Organisation dann rekonstruiert wer-den bzw. eine entscheiwer-dende Funktion erfüllen, hängt wiederum von wer-den aktuellen Ent-scheidungsprämissen und besonders den anwesenden Personen ab: nicht jedes Mitglied ist in der Position, um über Entscheidungsprämissen der Organisation aufgrund informaler Absprachen entscheiden zu können und damit Veränderungen zu initiieren. Es kann dies-bezüglich zwar vermutet werden, „dass mittels Formalisierung meist eine gewisse Orien-tierung aller Mitglieder auf das Systemziel ,Erfolg‘ hin gelingt, so dass der ,Sinn‘ weitge-hend festgelegt ist, gleichwohl aber Interpretationsräume bleiben dürften und damit die Möglichkeiten, eigene Wünsche und Vorstellungen einzubringen“ (Cachay & Fritsch, 1983, S. 513f). Der Kommunikationsprozess einer Organisation kann durch Formalität nicht in letzter Konsequenz geordnet werden, sondern ist potenziellen Irritationen und auch Strukturveränderungen ausgesetzt.

Diese Irritationen und Strukturveränderungen gehen aus einer sozialen Dynamik der Or-ganisation hervor (vgl. Kieserling, 1994, S. 176f): Ausgangspunkt ist stets die Persönlich-keit anwesender Mitglieder und ihr Streben nach persönlicher ZurechenbarPersönlich-keit der eigenen Kommunikationsbeiträge fernab formalisierter Pflicht auf einen Konsens. Verbunden mit dieser selektiven Selbstdarstellung in Interaktionen unter Anwesenden, ziehen Personen als Mitglieder der Organisation immer auch andere Erwartungen auf sich, die jedoch in ihrer relativen Bedeutung nicht den organisationsspezifischen Verhaltenserwartungen ent-sprechen. Sie gleichen vielmehr untergeordnet die Einseitigkeit der formal verbindlichen Organisation aus103. Die soziale Dynamik und Komplexität der Organisation zeigt sich da-mit schlussendlich im Wechselspiel zwischen formalen und informalen Strukturen.

Während sich formal gesicherte Erwartungen durch ihre Interaktionsunabhängigkeit, All-gemeingültigkeit, Präzision und große Reichweite auszeichnen, setzen informal stabili-sierte Erwartungen in erster Linie auf Personenabhängigkeit, Zwischenmenschlichkeit und unmittelbare Wahrnehmbarkeit. Formale und informale Erwartungszusammenhänge

102 Diesbezüglich ist nicht davon auszugehen, dass es zu einem ständigen Wechsel zwischen mehr Formalität und mehr Informalität kommt. Vielmehr stabilisieren sich Interaktionszusammenhänge zur einen oder anderen

102 Diesbezüglich ist nicht davon auszugehen, dass es zu einem ständigen Wechsel zwischen mehr Formalität und mehr Informalität kommt. Vielmehr stabilisieren sich Interaktionszusammenhänge zur einen oder anderen