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Akupunkturtherapie bei psychischen Störungen

2 EINFÜHRUNG UND LITERATURÜBERSICHT

2.8 Akupunkturtherapie bei psychischen Störungen

Sowohl in China als auch in Westeuropa und Nordamerika wird in zunehmendem Maße Akupunkturtherapie bei psychiatrischen Erkrankungen angewandt. Neben und zusammen mit psychotherapeutischem Vorgehen ist die Akupunktur mit ihren vielfältigen psychischen Wirkungen geeignet, die Pharmakotherapie zu ergänzen bzw. zu ersetzen. Akupunktur ist meist mit psychisch harmonisierenden, angstlösenden und entspannenden Effekten verbunden. Bei vielen psychischen Störungen sind auch andere Organsysteme beteiligt. Therapieentscheidend ist hierbei das diagnostische Auffinden der gestörten Organe und deren Störungsmuster.

Über die Körperakupunktur können psychische Erkrankungen wie (reaktive) Depression, psychogene Erschöpfungszustände, Burn-out-Syndrom, Rekonvaleszenz nach chronischen Erkrankungen, Erregungszustände, Schlafstörungen, Suchterkrankungen wie Drogen-, Alkohol- und Zigarettenabhängigkeit, Adipositas etc. behandelt werden (Stux, 2003).

Von Eich et al. (2000) wurde eine Studie über die Wirkung von Körperakupunktur bei Patienten mit leichten Depressionen (ICD 10 F32.0, F32.1) oder generalisierten Angststörungen (ICD 10 F41.1) durchgeführt. Diese Arbeitsgruppe konnte nachweisen, dass die Akupunkturbehandlung eine wesentliche Verbesserung des Patientenwohlbefindens und eine bedeutende Reduktion der für die beiden Erkrankungen typischen Symptome bewirkt.

Sowohl die generalisierte Angststörung als auch akute Situationsangst können mit Akupunktur behandelt werden (Jorm et al., 2004).

Die anxiolytische Wirkung der Ohrakupunktur ist bisher nur in wenigen Studien untersucht worden. Wang et al. (2001) veröffentlichten wissenschaftliche Arbeiten,

die aufzeigten, dass mittels Ohrakupunktur sowohl Alltagsangst als auch perioperative Angst reduziert werden kann. Unter anderem sahen sie den Vorteil der Ohrakupunktur im Kontext einer akuten Angstbehandlung auch darin, dass sie leicht erlernt werden und öfters zur Anwendung kommen kann.

2.9 Zahnärztliche Indikationen und Kontraindikationen

Die Akupunktur wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit langem offiziell in einer provisorischen Liste als Behandlungsoption verschiedener Symptome und Syndrome geführt. In der Zahnheilkunde zeichnet sie sich vor allem durch die gute Wirksamkeit bei den schmerzhaft entzündlichen Erkrankungen und den Funktionsstörungen aus. Die wichtigsten Indikationen aus dem Fachbereich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde sind der nachfolgenden Zusammenstellung zu entnehmen.

Indikationen der Akupunktur

Schmerztherapie - Schmerzreduktion vor, während und nach zahnärztlichen und chirurgischen Behandlungen und bei Verletzungen

- Therapie von Neuralgien und Neuritiden im Zahn-, Mund- und Kieferbereich

Therapie bei Entzündungen und

Funktionsstörungen - Adjuvante Behandlung aller entzündlichen Erkrankungen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich

- Abwehrstärkung

- Begleittherapie von Funktionsstörungen des stomatognathen Systems (Myoarthropathie, Bruxismus, Kieferklemme)

- Begleittherapie von Funktionsausfällen der Nerven im Zahn-, Mund- und Kieferbereich

Psychosomatische Störungen - Relaxation im Rahmen zahnärztlicher Eingriffe - Akupunkturtherapie bei Aversion gegen

Zahnersatz und zahnärztlichen Behandlungen (Angst, Würgereiz, vasovagale Synkope)

- Unterstützende Behandlung der psychogenen Causa diverser Krankheitsbilder (Myoarthropathie, Parodontopathie,

Salivationsstörungen, Glossodynie, Globus hystericus)

Störherddiagnostik und Störherdtherapie

- Diagnostik und Therapie von Schadstoff- und Materialbelastungen, Materialtestungen

- Diagnostik und Therapie von Zahnstörherden

Energetische Stabilisierung - Terrainverbesserung bei chronischen und rezidivierenden Erkrankungen

- Energetische Stabilisierung vor, während und nach umfangreicher zahnärztlicher Therapie

Kontraindikationen der Akupunktur

Die Kontraindikationen für eine

Akupunkturtherapie sind dagegen äußerst gering und beziehen sich vorwiegend auf Bereiche außerhalb des Fachgebietes der - Hormonaktive Punkte bei Schwangeren - Gerinnungsstörungen (nicht bei der Ohrakupunktur)

- Hautveränderungen im Bereich der Einstichstelle der Akupunkturnadel

3 Patienten und Methoden

3.1 Überblick

3.1.1 Studiendesign

Es handelte sich um eine prospektive, randomisierte und kontrollierte Studie. Aus methodischen Gründen konnte nur eine Einfachverblindung erreicht werden.

3.1.2 Zielkriterien

Hauptzielkriterium war die akute Zustandsangst, ausgelöst durch den zahnärztlichen Eingriff, für dessen Erfassung der STAI X1 und die VAS eingesetzt wurden. Weitere Zielparameter waren das Ausmaß der Sedierung des Patienten und die Zufriedenheit des zahnärztlichen Behandlers mit dem Patientenverhalten während des Eingriffs. Die Messzeitpunkte (MP) lagen 40 min. vor Beginn der zahnärztlichen Behandlung (MP 1), 5 min. vor der zahnärztlichen Behandlung (MP 2) und nach der zahnärztlichen Behandlung (MP 3). Zusätzlich wurden kontinuierlich (mit Ausnahme der zahnärztlichen Eingriffszeit) die physiologischen Parameter Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung erfasst.

3.2 Patientenkollektiv

Nach der Zustimmung der lokalen Ethikkomission zu der Studie, wurden alle Patienten der Zahn-, Mund- und Kieferklinik der Medizinischen Hochschule Hannover, bei denen eine Zahnextraktion durchgeführt werden sollte, angesprochen. Es wurden Patienten mit sehr ähnlichen Extraktionsindikationen ausgewählt, um eine möglichst große Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erhalten

und störende Untersuchungseinflüsse durch eventuelle Komplikationen auszuschließen.

Es wurden insgesamt 67 Patienten, die den nachfolgend genannten Ein- und Ausschlusskriterien entsprachen, untersucht. Pro Kontrollgruppe wurden 19 Patienten rekrutiert, während an weiteren 10 keine Intervention (Nichtinterventionsgruppe) durchgeführt wurde. Alle Patienten wurden vor Untersuchungsbeginn ausführlich über den Studienablauf aufgeklärt. Nachdem sie ihr schriftliches Einverständnis gegeben hatten, wurden sie randomisiert den Gruppen „Ohrakupunktur“, „Placeboakupunktur“ und „Midazolam“ zugeordnet.

3.2.1 Einschlusskriterien

• Patienten, bei denen eine Zahnextraktion durchgeführt werden sollte

• Alter zwischen 18 und 65 Jahren

• Bereitschaft zur Teilnahme an der Studie

Weiterhin legten wir großen Wert darauf, dass die zu untersuchenden Patienten über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügten. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Patienten die ihnen gestellten diffizilen Fragen zu ihrer persönlichen Angstsituation auch vollinhaltlich verstehen und beantworten konnten.

3.2.2 Ausschlusskriterien

• Körpergewicht unter 50 kg, bzw. über 120 kg

• Eine bestehende oder vermutete Schwangerschaft

• Überempfindlichkeit gegen Benzodiazepin-Derivate

• Myasthenia gravis

• Akute Vergiftung oder Behandlung mit Alkohol, Schlafmitteln, Opioiden, Neuroleptika, Antidepressiva sowie Lithium

• Schizophrenie oder endogene Depression (laut ICD 10 „major Depression“) in der Anamnese

• akutes Engwinkelglaukom

• schwere Leberfunktionsstörung

• Kardiorespiratorische Erkrankungen, insbesondere Bradyarrythmien, instabiler Hypertonus, KHK oder COLD

• angeborene, erworbene oder iatrogene Blutgerinnungsstörungen

• schwere Nierenfunktionsstörungen

• Suchterkrankungen

3.3 Methoden

3.3.1 State-Trait-Angstinventar (STAI)

Beim State-Trait-Angstinventar (STAI) handelt es sich um die deutsche Adaptation des von Spielberger et al. (1970) entwickelten „State-Trait Anxiety Inventory“. Ziel des State-Trait-Angstmodells ist die Beschreibung der Beziehung zwischen Angst als Zustand (state anxiety) und Angst als Eigenschaft (trait anxiety) unter Berücksichtigung von Situationseinflüssen und verschiedenen intrapsychischen Prozessen. Der STAI besteht aus zwei Skalen mit jeweils 20 Items zur Selbstbeschreibung.

Spielberger (1972) definiert State-Angst (Zustandsangst) als einen durch Anspannung, Besorgtheit, Nervosität, innere Unruhe und Furcht vor zukünftigen Ereignissen gekennzeichneten Zustand. Angst als vorübergehender emotionaler Zustand variiert in der Intensität über Zeit und Situationen.

Die mit dem STAI-Test ermittelten Trait-Angstwerte (Angst als Eigenschaft) verändern sich im Gegensatz zu der State-Angst über Zeit und Situation kaum. Die Trait-Angst bezieht sich laut Spielberger (1972) auf relativ stabile interindividuelle Differenzen in der Neigung, Situationen als bedrohlich zu bewerten und hierauf mit einem Anstieg der Zustandsangst zu reagieren. Hochängstliche tendieren dazu, mehr Situationen als bedrohlich einzustufen und auf solche Situationen mit einem höheren Angstieg der Zustandsangst zu reagieren als Niedrigängstliche. Die Retest-Reliabilitäten (Stabilitätskoeffizienten) erreichen die für Trait-Tests erforderliche Höhe und sind auch für verschiedene Bevölkerungsgruppen stabil (Bartsch, 1976;

Vossel & Fröhlich, 1979). Auf die Darstellung von Retest-Reliabilitäten für die State-Angstskala verzichtet Spielberger (1972), da die Skala zur Änderungsmessung konstruiert wurde und statische Vergleiche in diesem Zusammenhang wenig sinnvoll erscheinen.

State-Angstskala (STAI X1)

Die State-Angstskala dient der Erfassung von Angst als Zustand (State-Angst / s.Anhang Fragebogen A). Sie besteht aus zwanzig Feststellungen, mit denen der Patient beschreiben soll, wie er sich jetzt, d.h. in diesem Moment fühlt. Zehn Feststellungen sind in Richtung Angst formuliert (z.B. „Ich fühle mich angespannt“,

„Ich bin beunruhigt“, „Ich bin verkrampft“), zehn andere in Richtung Angstfreiheit (z.B. „Ich bin ruhig“, „Ich fühle mich wohl“, „Ich bin entspannt“). Die Beantwortung der Fragen erfolgt auf einer vierstufigen Skala mit Intensitätsangaben:

Überhaupt nicht (1), Ein wenig (2), Ziemlich (3), Sehr (4).

Trait-Angstskala (STAI X2)

Die Trait-Angstskala zur Erfassung von Angst als Eigenschaft (Trait-Angst s. Anhang Fragebogen B) stützt sich auf zwanzig Feststellungen, mit denen der Patient

beschreiben soll, wie er sich im Allgemeinen fühlt. Dreizehn Feststellungen sind in Richtung Angst formuliert (z.B. „Mir ist zum Weinen zumute“, „Ich glaube, dass mir meine Schwierigkeiten über den Kopf wachsen“, „Unwichtige Gedanken gehen mir durch den Kopf und bedrücken mich“), sieben andere in Richtung Angstfreiheit (z.B.„Ich bin vergnügt“, „Ich bin ruhig und gelassen“, „Ich bin ausgeglichen“). Die Beantwortung erfolgt auf einer vierstufigen Skala mit Häufigkeitsangaben:

Fast nie (1), Manchmal (2), Oft (3), Fast immer (4).

3.3.1.1 Praktische Durchführung

Die Testanweisung von Laux et al. (1981) empfiehlt, falls bei einem Untersuchungszeitpunkt beide Skalen durchgeführt werden sollen, zuerst die State- Angstskala beantworten zu lassen, und danach die Trait-Angstskala. Dies geschieht, weil die Höhe der Zustandsangst (State-Angst) in starkem Maße von der jeweiligen Erhebungssituation abhängt, und es nicht auszuschließen ist, dass eine vorherige Bearbeitung der Trait-Angstskala die nachfolgend erhobenen Zustandswerte systematisch beeinflussen könnte. Demgegenüber liegen empirische Befunde vor, die zeigen, dass die Beantwortung der Trait-Angstskala durch den situativen Kontext kaum beeinflusst wird. Der Zeitbedarf für die Bearbeitung einer Skala wird mit drei bis fünf Minuten angegeben, was sich mit unseren Erfahrungen deckt. Um eine möglichst hohe Vergleichbarkeit der erzielten Ergebnisse zu gewährleisten, führten wir die Befragungen streng nach der Testanweisung in einer ruhigen und entspannten Atmosphäre durch.

3.3.2 Visuelle Analogskala (VAS)

Die visuelle Analogskala (VAS) ist eine Skala zur Selbsteinschätzung, bei der der Patient im Gegensatz zu fixen Intervallskalen (FIS) nicht an feste Intervalle

gebunden ist, sondern seine Aussage innerhalb eines vorgegebenen Rahmens völlig frei gewichten kann. Die VAS beruht auf den Arbeiten von Freyd (1923), Hayes und Peterson (1921) Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Die VAS wird in der Psychiatrie und in der Schmerzmedizin häufig zur Verlaufsbeschreibung von Stimmungs- und Schmerzzuständen angewendet und ist umfangreich dokumentiert und validiert (Folstein & Luria, 1973; Millar et al., 1995). Der Vorteil einer VAS gegenüber einer FIS ist eine deutlich höhere Sensitivität bei gleicher Reliabilität (Joyce et al., 1975).

In unserer Studie benutzten wir die VAS (s. Anhang Fragebogen C) zur Ermittlung und Quantifizierung des augenblicklichen Angstgefühls des Patienten zum jeweiligen Untersuchungszeitpunkt. Die Patienten wurden gebeten ihre jetzige persönliche Angst, die sie in diesem Augenblick empfanden, auf der nicht unterteilten 10 cm langen Skala mittels eines Kreuzes einzutragen. Die dabei erzielbaren Werte sind absolut zwischen 0 und 10. Die beiden Endpunkte der Skala verbanden wir mit den Aussagen „Ich habe gar keine Angst“ bzw. „Ich habe sehr große Angst“, so dass die Aussage „Ich habe gar keine Angst“ dem Punktwert 0 entspricht und die Aussage

„Ich habe sehr große Angst“ dem Punktwert 10 entspricht. Eine feinere Unterteilung der Skala bzw. eine genauere Auswertung der Ergebnisse bringt offensichtlich keine Vorteile, und ist in der Literatur nicht beschrieben. Markierte der Patient sein Kreuz über ein Skalenende hinaus, so wurde dies sinngemäß mit 0 oder 10 gewertet.

Mehrfachmarkierungen kamen in unserer Studie nicht vor.

3.3.3 Sedierungsgrad

Der Sedierungsgrad der Patienten wurde anhand eines fünfstufigen Punkte-Systems beurteilt: 1 = agitiert, unkooperativ, 2 = wach, unruhig, 3 = ruhig, öffnet spontan die Augen, 4 = schläfrig, reagiert auf einen leichten Reiz, 5 = tief schlafend, erweckbar

nur durch starken Reiz. Diese Skala wurde ursprünglich von Wilton et al. (1988) angewendet, um den präoperativen Sedierungsgrad von Vorschulkindern zu beurteilen.

3.3.4 Physiologischer Status

Herzfrequenz (HF) und Sauerstoffsättigung (SaO2) wurden mittels Pulsoximetrie- und Blutdruckmessgerät der Firma Datex kontinuierlich während des Untersuchungszeitraums erfasst und alle 5 Minuten dokumentiert.

3.3.5 Beurteilung des Patientenverhaltens durch den Zahnarzt

Die Beurteilung des Patientenverhaltens wurde von dem behandelnden Zahnarzt anhand einer 5-Punkte Skala (1 = sehr schlecht, 2 = schlecht, 3 = befriedigend, 4 = gut, 5 = sehr gut) durchgeführt. Dies geschah direkt im Anschluss an die Behandlung und erfolgte ebenfalls einfach blind.

3.4 Dokumentation

3.4.1 Aufklärungsbogen und Einverständniserklärung

Im Aufklärungsbogen und in der Einverständniserklärung (s. Anhang Dokumentation D) wurden die Patienten ausführlich und umfassend über Ablauf, voraussichtlichem Nutzen und eventuellen Risiken dieser Studie informiert. Zusätzlich erhielten die Patienten einen für ihre Gruppe entsprechenden Aufklärungsbogen „Akupunktur“

oder „intranasales Midazolam“. Desweiteren wurde darüber informiert, dass die Einwilligung zu dieser Studie jederzeit ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann. Gleichzeitig wurde das Einverständnis der Patienten eingeholt, die erhobenen Daten in anonymer Form für wissenschaftliche Veröffentlichungen zu verwenden.

3.4.2 Anamnesebogen

Mit dem für diese Studie entworfenem Anamnesebogen (s. Anhang Dokumentation E) wurden die Patienten gezielt nach Erkrankungen und Medikamenteneinnahmen befragt, die zu den Ausschlusskriterien (s. 3.2.2 Ausschlusskriterien) gehören.

3.4.3 Dokumentationsdaten

Auf dem Dokumtentationsbogen (Anhang Dokumentation F1/2) wurde Folgendes dokumentiert:

• Untersuchungsbeginn

• Uhrzeit im 5 Minuten Intervall

• Herzfrequenz und art. Sauerstoffsättigung im 5 Minuten Intervall

• Untersuchungsende

3.5 Untersuchungsablauf

Der Untersuchungsablauf gliederte sich im Wesentlichen in vier einzelne Abschnitte (Diagramm 4-1). Um eine möglichst hohe Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erzielen, wurden alle Patienten in einem abgetrennten Nebenraum in ruhiger Atmosphäre ohne Störeinflüsse befragt. Hier wurden die verschiedenen Interventionen an den entsprechend randomisierten Patienten durchgeführt.

Diagramm 3-1

3.6 Ohrakupunktur und ihre Durchführung

Vor der Nadelung wurde das Ohr gründlich mit Cutasept® F Haut-Antiseptikum desinfiziert. Verwendet wurden sterile Einmalnadeln der Firma Seirin B-type (No. 3;

0,2x0,15 mm), die sich als Stahlnadeln hervorragend für die Ohrakupunktur eignen.

Sie bestehen aus einer Nadelspitze, einem Nadelstiel und einem Nadelgriff aus Kunststoff. Sie wurden mit einer sehr großen Präzision an den Angst reduzierenden Punkten eingestochen. Die Nadeln verblieben ohne weitere Manipulation für 30 Minuten. Wir verwendeten die Chuo-Einstechmethode (Stux, 2003). Dabei wird die Nadel in einer Richtung drehend bis zum fühlbaren Widerstand vorgeschoben.

Bei der Auswahl der Angst reduzierenden Akupunkturpunkte kombinierten wir die schon von Wang et al. (2001) verwendeten Punkte „Relaxation“, „Valium“ und

„Angst,Sorge“ auf der nicht-dominanten Seite. Im Unterschied zu den in der TCM zur Angstreduktion verwendeten Punkten (Niere, Shenmen und Herz), wirkte sich die in den Untersuchungen von Wang et al. (2001) eingesetzte Punktekombination deutlich effektiver auf die präoperative Angstsenkung aus. Beim Aufsuchen der Punkte orientierten wir uns an den anatomischen Strukturen des Ohres. „Relaxation“

liegt auf der oberen, lateralen Wand der Fossa triangularis. In einer Furche lateral des Tragus, knapp unterhalb des Tragusgipfels befindet sich der „Valium“- Punkt.

„Angst, Sorge“ ist an der Anwachsungsstelle des Lobulus an der Ohrvorderseite lokalisiert.

Abbildung 3-1

Lokalisation der anxiolytisch wirkenden Punkte

3.7 Placeboakupunktur

Die Placeboohrakupunktur wurde an dem der dominanten Körperseite gegenüberliegenden Ohr an den Punkten „Fingerglieder“ (kraniale Scapha, kaudal der Helixkrampe) und „Schulter“ (knapp medial der vegetativen Rinne) durchgeführt (Abb. 3-2).

Abbildung 3-2

Lokalisation der Placeboakupunkturpunkte

Verwendet wurden sterile Placebonadeln mit stumpfer und abgerundeter Spitze, die die körperliche Integrität nicht verletzten und trotzdem eine Empfindung in Form eines „dumpfen Gefühls“ auf der Haut erzeugten. Zur Stabilisation dieser Nadel und um das fehlende Eindringen in die Haut zu verbergen, wurde die Nadel durch ein steriles Schaumstoffkissen gestochen; dieses wurde mit Hilfe eines beidseits klebenden Ringes auf der Haut des Probanden direkt über dem Akupunkturpunkt befestigt, so dass durch die vom Klebering ausgesparte Mitte des Kissens die Nadel gestochen werden konnte (Abb.3-3). Somit war es für die Probanden optisch nicht möglich, zwischen den beiden Akupunkturbehandlungen zu unterscheiden. Die Nadeln verblieben ohne weitere Manipulation für 30 Minuten. In einer vorangegangenen Studie von Karst et al. (2000) konnte aufgezeigt werden, dass sich diese Akupunkturplacebomethode durch ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit auszeichnet.

Abbildung 3-3

Nadelstabilisation durch ein Schaumstoffkissen

3.8 Midazolamdosierung und Applikation

3.8.1 Dosierung

Die Wirkungsqualität von Midazolam, wie die aller anderen Benzodiazepine auch, ist abhängig von der jeweiligen Anzahl besetzter Benzodiazepinrezeptoren am GABABZD-Cl¯ -Kanal-Komplex im ZNS. Bei niedriger Dosierung steht eine Anxiolyse mit leichter Sedierung und eingeschränkter Aufmerksamkeit im Vordergrund, während bei hoher Dosierung eine Hypnose mit verbundener Amnesie dominiert. Da

die anxiolytische Wirkkomponente von Midazolam im Mittelpunkt dieser Studie steht, und hohe Dosierungen für die Durchführung einer Zahnextraktion sogar unerwünschte Wirkungen mit sich bringen, entschieden wir uns für eine möglichst niedrige Dosierung. Die in der einschlägigen Literatur beschriebenen Dosierungsempfehlungen für eine Prämedikation bei operativen Eingriffen und diagnostischen Untersuchungen (s. Kapitel 2.4.3 Applikationsarten, Darreichungen und Dosierungen) reichen von 0,05 mg/kg p.o. bis hin zu 0,3 mg/kg bei i.v.-Gabe.

Wir entschieden uns für eine pauschale Dosierung von 4 mg intranasal, die mittels eines Spray-Applikators verabreicht wurde. Diese Dosierung kann entsprechend den Untersuchungen von Hollenhorst et al. (2001) mit einem Gewicht zwischen 50 - 120 kg und einem Alter von 16 - 65 Jahren in Hinsicht auf Effektivität und unerwünschte Wirkungen als sicher bezeichnet werden.

3.8.2 Applikation

Wir entschieden uns für die intranasale Applikation mittels eines handelsüblichen Nasenspray-Applikators. Wir verabreichten das Spray alternierend in beide Nasenlöcher bis zum Erreichen der gewünschten Dosis. Dies waren bei jedem Patienten sechs Sprühstöße. Unserer Meinung nach überwiegen die Vorteile dieser Applikationsform bei weitem die Nachteile:

Tabelle 3-1

Vor- und Nachteile der nasalen Applikationsform

Vorteile Nachteile

- Günstiger Preis

- Nutzung einer großen Nasenschleimhautoberfläche - Für unsere Zwecke hinreichend großes Volumen ohne enterale Resorptionskomponente applizierbar - Hohe und stabile Bioverfügbarkeit von über 80%

- Patienten sind mit der Anwendung vertraut

- Unangenehmes Nasenbrennen - Dosierung nur in applikator- spezifischen Pumpschritten möglich

3.8.3 Dosiergenauigkeit

Wir verwendeten die an der MHH üblichen 10 ml Braunglasflaschen mit herkömmlichen Pumpsprühaufsätzen. Die Braunglasflaschen wurden mit einer Ampulle Dormicum® 15 mg/3 ml (Hoffmann-La Roche AG, Grenzach-Whylen) befüllt und mit dem Pumpsprühaufsatz versehen.

Es wurde darauf geachtet, dass das Ansaugrohr des Sprühaufsatzes vollständig in die Lösung eingetaucht war und sich mindestens 5 mm unter der Flüssigkeitsoberfläche befand, aber nicht am Flaschenboden abgeknickt war. Ein abgeknicktes Rohr befördert zwar auch noch Flüssigkeit heraus, aber nicht mehr als feinen Nebel, sondern als Fontäne. Da bei längerem Stehen (über mehrere Stunden) der Lösung in dem fertig zusammengesetzten Applikator das Sprühventil durch Auskristallisation verstopfen kann, wurde für jeden Patienten ein eigener Spray-Applikator befüllt und montiert.

Aus Voruntersuchungen von Hollenhorst et al. (2001) war bekannt, dass ein so erzeugter durchschnittlicher Sprühstoß eine mittlere Dosis von 0,675 mg erzeugt.

Dies bedeutet, dass zum Erreichen von 4 mg Midazolam etwa 6 Sprühstöße verabreicht werden müssen.

3.9 Statistische Auswertung

Um signifikante Unterschiede in den Mittelwerten zu erhalten, wurden bei einer Irrtumswahrscheinlichkeit von α = 0,05 und einer Power von 85 % in jeder Untersuchungsgruppe 19 Patienten eingeschlossen mit Ausnahme der Nichtinterventionsgruppe, die nur aus 10 Patienten bestand. Die Rechtfertigung einer Verteilung von 2:1 zwischen jeder einzelnen Intervention und Nichtintervention

besteht darin, dass die Nachteile aus einer Nichtbehandlung in der Nichtinterventionsgruppe gering gehalten werden sollten. Die Ausgangswerte

(MP 1 = Untersuchungsbeginn) wurden mittels der univariaten Varianzanalyse (Einweg ANOVA) analysiert. Zur Überprüfung der Veränderung des Angstniveaus während der verschiedenen Messzeitpunkte innerhalb der einzelnen Gruppen wurde entsprechend dem allgemeinen linearen Modell die Methode der Messzeitwiederholung verwendet. Zusätzlich wurden die mittleren Unterschiede zwischen MP 1 und MP 2 (kurz vor der Behandlung bzw. 30 min. nach Intervention) bzw. zwischen MP 1 und MP 3 (nach der Behandlung) berechnet und mit Hilfe der univariaten Varianzanalyse (ANOVA) nach Gruppenunterschieden gesucht, wobei die Nichtinterventionsgruppe als Kontrollgruppe diente. Um Unterschiede zwischen den Interventionsgruppen zu lokalisieren, berechneten wir die Mittelwerte zwischen MP 1 und MP 2 bzw. MP 3. Mit dem 2-seitigen post hoc Dunnett t-Test konnte der jeweilige Anteil der einzelnen Interventionsgruppen an einem signifikanten Ergebnis in der ANOVA berechnet werden. Differenzen mit P < 0,05 wurden als signifikant betrachtet. Die Ergebnisse wurden als Mittel ± Standartabweichungen dargestellt.

Die Daten wurden mit SPSS version 12.01 (SPSS Inc., Chicago, IL) analysiert und ermittelt.

3.10 Patientenüberwachung

Bei allen Patienten wurde zu Untersuchungsbeginn eine sorgfältige Anamnese erhoben, um auszuschließen, dass sie einem Ausschlusskriterium unterlagen. Für den Fall des Auftretens einer schwerwiegenden unerwünschten Arzneimittelwirkung (UAW) hielten wir zu jeder Zeit den speziellen Benzodiazepinantagonisten

Flumazenil (Anexate®, Hoffmann-La Roche, Grenzach-Whylen) in ausreichender Menge zur Verfügung.

3.11 Ethikantrag

Am 22.01.03 wurde der Ethik-Kommission der Medizinischen Hochschule Hannover unter Leitung des Vorsitzenden Prof. Dr. med. Tröger das Studienprotokoll zum Thema:

„Randomisierte, kontrollierte Studie zur Überprüfung der klinischen Wirksamkeit einer Ohrnadelakupunktur zur präoperativen Angstreduktion vor einer Zahnextraktion“

vorgelegt. Dieser Antrag wurde in der Sitzung vom 05.02.03 von der Kommission ohne weitere Bedenken gebilligt.

4 Ergebnisse

4.1 Geschlechts- und Altersverteilung

Die Auswertung der Geschlechts- und Altersverteilung der Gruppen

„Ohrakupunktur“, „Placeboakupunktur“, „Midazolam“ und „Nichtintervention“ ergab folgende in Tabelle 4-1, 4-2, 4-3 und 4-4 dargestellte Ergebnisse.

Gruppe A: „Ohrakupunkturgruppe”

Männer Frauen Gesamt

Alter der Kontrollgruppe; Angaben in Jahren als Mittelwert (MW) ± Standardabweichung (SD)

Gruppe B: „Placeboakupunkturgruppe“

Alter der Kontrollgruppe; Angaben in Jahren als Mittelwert (MW) ± Standardabweichung (SD)

Gruppe C: „Midazolamgruppe “

Alter der Kontrollgruppe; Angaben in Jahren als Mittelwert (MW) ± Standardabweichung (SD)

Gruppe D: „Nichtinterventionsgruppe “

Alter der Kontrollgruppe; Angaben in Jahren als Mittelwert (MW) ± Standardabweichung (SD)

4.2 Ergebnisse der Angsterfassung

Zu Untersuchungsbeginn (MP 1) unterschieden sich die Gruppen (Tabelle 4-5 und Tabelle 4-6) nicht signifikant voneinander. Erst kurz vor der Behandlung (MP 2) (STAI X1, VAS und Sedierungsgrad) bzw. nach der Behandlung (MP 3) (Sedierungsgrad) ergaben sich signifikante Gruppenunterschiede.

Ohrakupunktur Placebo-

Ergebnisse der Zustandsangst (STAI X2) und der Herzfrequenz (HF) zum MP1;

Angaben als Mittelwerte ± Standardabweichungen

Ergebnisse der subjektiven Angsterfassung zum MP 1, MP 2 und MP 3; Angaben als Mittelwerte ±

Ergebnisse der subjektiven Angsterfassung zum MP 1, MP 2 und MP 3; Angaben als Mittelwerte ±