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2 EINFÜHRUNG UND LITERATURÜBERSICHT

2.1 Angst

2.1.1 Definition

Der Begriff Angst leitet sich aus den lateinischen Worten angor (Beklemmung) und angustus (eng, knapp, schmal) ab. Folglich lässt sich die etymologische Bedeutung des Wortes Angst interpretieren: Durch die Angst werden die Denkmechanismen auf die Angstbewältigung reduziert und eingeengt.

Sie bezeichnet einen reaktiven, beunruhigenden, quälenden und bedrückenden Gefühlszustand, der durch die Wahrnehmung z.B. eines gefährlichen Gegenstandes oder einer bedrohlichen Situation ausgelöst wird.

Synonym werden Furcht, Grauen, Schrecken, Panik oder Entsetzen verwendet.

Angst ist nicht per se als Zeichen einer Erkrankung anzusehen. Normale und angemessene Angst als integrativer Bestandteil allen bewussten und vorbewussten Lebens ist tief im Biologischen verankert. Angst hat dabei die Funktion eines Warnsignals und dient der Bereitstellung von Aufmerksamkeits- und Handlungspotentialen zur Reaktion auf (mögliche) individuelle oder kollektive Gefährdungen. Sie spielt in der Entwicklung eines jeden Menschen eine große Rolle, wie auch der damit zusammenhängende Erwerb der Fähigkeit, mit Angst umzugehen und sie bewältigen zu können (Beck & Emery, 1985).

Eine Reihe angeborener Angstreaktionen auf entsprechende auslösende Schlüsselreize, die im Tierreich gut untersucht sind (Eibl-Eibesfeld, 1972), kann man rudimentär auch noch beim Menschen nachweisen, z.B. als Abwehr- oder Fluchtreflexe. Erworbene Ängste, wie z.B. Angst vor Tod, Krankheit und bestimmten Untersuchungen, vor Prüfungen, vor Versagen und vor sozialem Abstieg sind lerntheoretisch und tiefenpsychologisch aus der individuellen Lebensgeschichte des

Einzelnen ableitbar und umfangreich untersucht (Bandura, 1976; Beck & Emery, 1985; Ermann, 1984; Lewins & Rosenblum, 1974).

Angst wird krankhaft (pathologische Angst), wenn sie die körperlichen und geistigen Funktionen lähmt bzw. behindert. Sie tritt dabei häufig unbegründet oder mit unange-messener Heftigkeit auf. Aus der Diskrepanz zwischen Intensität und Dauer auf der einen Seite und tatsächlicher Bedrohung oder Gefährdung auf der anderen Seite kann sie zur unvernünftigen, irrationalen und schädlichen Emotion werden, zur Angsterkrankung (Strian, 1983).

2.1.2 Klassifikation

Angsterkrankungen werden nach zwei verschiedenen international anerkannten Klassifikationen eingeteilt: nach dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 3rd Version (DSM III-R) der Assoziation amerikanischer Psychiater und der International Classification of Diseases 10th Version (ICD-10) der WHO.

Tabelle 2-1

Klassifikation von Angst- und Panikstörungen im Vergleich ICD-10 und DSM-III

2.1.3 Körperliche Reaktionen bei Angst

Angst geht meist mit bestimmten Vorstellungen und körperlichen Begleit-erscheinungen, je nach Intensität von feuchten Händen bis zu heftigsten Schweißausbrüchen und anderen Reaktionen des vegetativen Nervensystems einher (Birbaumer, 1977). Dabei kann ein aversiver Stimulus, der die Angst auslöst, sowohl exterozeptiver Art (z.B. eine Gefahrensituation) als auch interozeptiver Art ICD-10 DSM-III-R

Spezifische (isolierte) Phobie (F40.2) Einfache Phobie (300.29)

Generalisierte Angststörung (F41.1) Generalisierte Angststörung (300.02)

Angst und depressive Störung,

gemischt (F41.2) Andere gemischte

Angststörungen (F41.3)

(z.B. körperliches Unwohlsein) sein. Angst stellt also nicht nur ein psychisches Phänomen dar, sondern ist eng mit körperlichen Reaktionen gekoppelt und kann dabei auch das Verhalten beeinflussen, beispielsweise eine Fluchtreaktion auslösen (Schandry, 1983).

Die körperlichen Symptome, die bei Angst auftreten, sind sympathikoton und gleichen denen unter hohem Stress. Dazu zählen Schweißausbrüche, Schwächegefühle, Herzklopfen, Dys- und Tachypnoe, Zittern, Mydriasis, Schwindel und Erstickungsgefühl. Die Intensität dieser psychophysischen Reaktionen wird dabei durch die Stärke und Dauer der Belastung und durch die individualspezifischen Bewältigungsmuster beeinflusst, wobei die psychische Verarbeitung eine wichtige modulierende Komponente darstellt (Birbaumer, 1977).

2.1.4 Epidemiologie

Unbegründete oder mit unangemessener Heftigkeit auftretende Angst kann bei körperlichen und geistig-seelischen Erkrankungen auftreten und ist nicht selten. Die Prävalenz für nichtpsychotische Ängste soll 2-5%, mit zusätzlicher Behinderung des Betroffenen 0,2-3% betragen. Erstmanifestationen gibt es häufiger in der ersten Lebenshälfte. Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Leichte phobische Angstzustände sollen bei 7-10%, schwere bei bis zu 0,2% der Bevölkerung vorhanden sein (Marks, 1986).

2.2 Angst im Zusammenhang mit ärztlichen Maßnahmen

2.2.1 Zahnbehandlungsangst/Zahnbehandlungsphobie

Trotz der in der Zahnmedizin fortgeschrittenen schmerzfreien oder zumindest schmerzarmen Behandlungsmöglichkeiten unter Lokalanästhesie stellt die Zahnbehandlung für viele Patienten eine unangenehme und bedrohliche Situation dar. 60 – 80% der Allgemeinbevölkerung geben ein Angstgefühl vor dem Zahnarztbesuch an, 20 % gelten dabei als hoch ängstlich und 5 % leiden unter einer Zahnbehandlungsphobie und meiden jeglichen Zahnarztbesuch. Diese leiden nach der ICD-10 unter einer Angsterkrankung, die Zahnbehandlungsphobie (F40.2).

Davon abzugrenzen ist die Zahnbehandlungsangst als Sammelbegriff für alle psychologischen und physiologischen Ausprägungen eines mehr oder weniger starken, aber nicht krankhaften Gefühls, das bei vermeintlicher oder tatsächlicher Bedrohung im Zusammenhang mit einer Zahnbehandlung oder damit einhergehender Stimuli auftritt. Die krankhafte Zahnbehandlungsphobie dagegen zählt als spezifische Phobie zu der Gruppe der einfachen Phobien (Jöhren, 1999) und geht mit einem so hohen Angstausmaß einher, dass regelmäßige Zahnarztbesuche vermieden werden. Als Angst auslösende Stimuli können alle Objekte oder Situationen dienen, die mit der Zahnbehandlung assoziiert sind. Wie bei der Entstehung aller anderen Angststörungen kann auch bei der spezifischen Phobie der Übergang von der normalen zur pathologischen Angst fließend sein.

Zahnbehandlungsangst entsteht meistens durch das Zusammenwirken mehrerer Faktoren:

Die häufigste Ursache für die Entwicklung der Zahnbehandlungsangst, -phobie stellen traumatische Erlebnisse während der Zahnbehandlung dar (Lindsay &

Jackson, 1993).

Die Unsicherheit, ob während der Behandlung Schmerzen auftreten werden, kann zu einer Erwartungsangst unterschiedlicher Ausprägung führen. Viele Patienten erwarten in irgendeiner Form Schmerzen während der zahnärztlichen Therapie, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Schmerzen auftreten werden, sehr gering ist (Wardle, 1982). Auch neutrale Reize, die in raum-zeitlicher Nähe zu einem schmerzauslösenden Reiz auftreten (z.B eine Injektion), können über klassische Konditionierung selbst als konditionaler Stimulus angstauslösend werden (Jöhren &

Margraf-Striksrud, 2002).

Nicht allein die Zahnbehandlung sondern auch Erzählungen aus dem sozialen Umfeld können zu unterschiedlich stark ausgeprägter Zahnbehandlungsangst führen. Vor allem die Familie ist entscheidend bei der Entwicklung der Angst vor zahnärztlicher Behandlung beteiligt (Kleinknecht, 1973). Der drohende Verlust der Selbstkontrolle und das damit verbundene Gefühl ausgeliefert zu sein, unbekannte und unvorhersehbare Abläufe bei der Zahnbehandlung als auch die biologische Disposition der betroffenen Personen, mit Angst zu reagieren, sind weitere wichtige Bedingungen für die Entstehung von Zahnbehandlungsangst (Jöhren, 1999). Auch Eigenschaften und Verhaltensweisen des Zahnarztes und des gesamten zahnärztlichen Kontextes sind bei Überlegungen zur Entstehung und Vermeidung von Angstgefühlen nicht zu vernachlässigen (Jöhren & Margraf-Striksrud, 2002).