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Methodologische Umorientierung

Im Dokument Zur Soziologie des Konstruierens (Seite 35-54)

Die Alternative zum teleologischen Handlungsmodell, wie sie u.a. von Joas vorge­

schlagen wurde, ist, Handeln nicht von den Zielen, sondern von Handlungsfähigkeiten und -fertigkeiten her zu konzipieren. Zielsetzung ist nicht länger als rein kognitives Phä­

nomen aufzufassen, sondern bewußte Zwecksetzung gründet in der praktischen Ver- mitteltheit des Menschen und einer Situation. ’’Wahrnehmung und Erkenntnis (ist) nicht der Handlung vorzuordnen, sondern als Phase des Handelns aufzufassen, durch welche das Handeln in seinen situativen Kontext geleitet und umgeleitet wird.” (ebd., S.232).

Zwecksetzung geschieht in dieser Sicht nicht vor der eigentlichen Handlung, ’’sondern ist das Resultat einer Reflexion auf die in unserem Handeln immer schon wirksamen, vor­

reflexiven Strebungen und Gerichtetheiten.” (ebd.) Erst in der Reflexion werden Stre­

bungen thematisiert, die ansonst unbewußt zu Werke sind.

Woher kommen aber diese 'Strebungen'? ’’Ihr Ort ist unser Körper: seine Fertigkeiten, Gewohnheiten und Weisen des Bezugs auf die Umwelt stellen den Hintergrund aller bewußten Zwecksetzungen, unserer Intentionalität dar. Die Intentionalität selbst besteht dann in einer selbstreflexiven Steuerung unseres laufenden Verhaltens.” (ebd.). Damit ist ein nicht-teleologisches, selbstreflektives Verständnis von Intentionalität eingeführt, und es verändert sich auch die Auffassung von anderen handlungsbezogenen Phänomenen wie Wahrnehmung, Zielbildung, Handlungsregulation und -planen. Im Gegensatz zur Annahme von Handlungsplänen, die Handlungen bis ins Detail steuern, wird davon aus­

gegangen, daß es der körperlich-praktische Bezug zur Welt den Handelnden erlaubt, von eher unbestimmten Erwartungen aus zu handeln als von definierten Plänen.

Handlungsfähigkeiten und -erfahrungen strukturieren die Wahrnehmung, und der Umgang mit der Wirklichkeit besteht in einer flexiblen Wechselwirkung zwischen eher globalen Erwartungen und globalen Wahrnehmungen. Erst wenn Handlungsprobleme auftauchen, kommt es partiell zu einer Präzisierung der Erwartungen und Wahrneh­

mungen. Darin besteht nach Dreyfus (1972) die Überlegenheit menschlicher Wahrneh­

mung gegenüber Simulationen.

5 .1 . D a s K o n ze p t d e r S itu ation

Im kognitiven Modell erscheinen Situationen bestimmt durch eine Reihe von Merkmalen (Ziele, Mittel, Bedingungen) und bloß als ein Austragungsort für vorgefaßte, diese Bedingungen verrechnet habende - Handlungspläne. ’’Was dabei fehlt, und was bei einem Bruch mit der teleologischen Denkweise sofort deutlich wird, ist der konstitutive und nicht nur kontingente Situationsbezug des menschlichen Handelns.” (Joas, 1992, S.235).

Situationen bestehen nicht bloß aus einer Reihe isolierter Merkmale, die in einem Plan verrechnet werden, sondern Situationen werden von Handelnden als charakteristische, typische Situationen erfahren, werden gestalthaft wahrgenommen. Die Erfahrung einer Situation als eine typische bestimmt die Merkmale, die die Situation kennzeichnen. Der Handelnde trifft ein Urteil über die Situation, indem sie als eine Art von Situationen gesehen wird, in der bestimmte Handlungen angebracht sind. ’’Jede Handlungsgewohn­

heit und jede Handlungsregel enthält Annahmen über den Typus von Situationen, in denen es angemessen ist, nach dieser Gewohnheit oder Regel zu verfahren. Unsere Wahrnehmung von Situationen beinhaltet im Regelfall bereits ein Urteil über die Ange­

messenheit bestimmter Handlungsweisen. . .

So verstanden, ist der Begriff der 'Situation' geeignet, an die Stelle des Zweck/Mittel- Schemas als erste Grundkategorie einer Handlungstheorie zu treten. (m.H.)” (ebd).

Das Konzept der Situation und der lokalen Situiertheit von Handeln hat sich in jüngster Zeit in mikrosoziologischer Forschung bewährt. Gegenüber der Annahme, daß ”...

soziale Situationen weder eigene Eigenschaften noch eine eigene Struktur haben, sondern nur den geometrischen Schnittpunkt von Akteuren darstellen, die sprechen und bestimmte soziale Attribute tragen” (Goffman, The Neglected Situation, zit.n. Knorr, 1984, S.83) insistiert Goffman darauf, Situationen eine Realität sui generis zuzu­

schreiben.

Situation meint “ein Verhältnis von Menschen untereinander und zu Sachen oder von einem Menschen zu Sachen, das der jeweils erörterten Handlung schon vorausgeht und daher von den betroffenen bzw. dem betroffenen Menschen als Herausforderung, etwas zu tun oder aber nicht zu tun, je schon verstanden ist.” (Böhler, 1985, zit. n. Joas, 1992, S.235 f ). Böhler nennt dieses (nichtteleologische) Verständnis des Verhältnisses von Handlung und Situation 'quasi-dialogisch'. Ein quasi-dialogisches Verhältnis zu einer Situation kann nun zur Konzipierung von Konstruktionshandeln als interaktives Handeln herangezogen werden. Diese Auffassung findet sich auch bei Schön (1983), der von einer 'conversation with the materials of a situation' spricht, wie im hermeneutischen Ansatz von Coyne und Snodgrass: ’’Designing can be described in terms of a dialoge with a design situation.” (1991, S.125). Situationen sind nicht 'stumm', sondern hand­

lungskonstitutiv - ’’the situation talks” (Schön, ebd.), was aber nicht im Sinne eines Behaviorismus als bloße 'Handlungsauslöser' mißverstanden werden darf.

’’Situationsbezug und Zielbezug sind von vornherein miteinander verschränkt. Denn ohne, sei es auch vage Zieldispositionen, die in der Gestalt von Bedürfnissen, Interessen und Normen ante actu gegeben sind, kann uns kein Ereignis als unsere Situation wider­

fahren, sondern bliebe für uns bedeutungslos und stumm.” (Böhler, S. 272; zit. n. Joas, S.

236).

Der grundsätzlich situative Bezug von Handeln ist in der Ethnomethodologie der Aus­

gangspunkt der Forschungsfragen. Jegliches Handeln ist immer 'lexikalisch' auf die konkreten Umstände einer Situation bezogen. ”... all activity, even the most analytic, is fundamentally concrete and embodied.” (Suchman, 1987, S.vii). Suchman führt den- bereits von C.W. Mills (1940) benutzen - Begriff ’’situated action” ein. ”By situated actions I mean simply actions taken in the context of particular, concrete circumstances, (ebd.) ... the view that every course of action depends in essential ways upon its material and social circumstances.” (ebd., S.50). Die Aufgabe soziologischer Forschung ist dann nicht der Versuch, von den konkreten Umständen zu abstrahieren und Handeln in ratio­

nalen Plänen zu repräsentieren, sondern zu untersuchen, wie Handelnde die Umstände einer Situation im Handeln aufgreifen, um mehr oder weniger ungenaue Ziele zu errei­

chen. Ziele und Pläne sind nicht vollständige Repräsentationen der Handlungen vor den Handlungen, sondern eine der Ressourcen, die beim Handeln in einer Situation herange­

zogen werden.

Ziele, Pläne und Handlungen

Geht die teleologische Konzeption davon aus, daß Intentionen die Ursachen bzw. Gründe für Handlungen sind und Pläne vorgefaßte Ablaufschemata, die das Handeln ständig

steuern (siehe Miller et.al., 1960), so stellt sich bei Abkehr von diesen Annahmen das Verhältnis von Plänen, Zielen, Werten, Motiven usw. zu Handlungen anders dar. Hand­

lungen in einer Situation und ihre Repräsentation in Form projektiver Pläne wie auch retrospektiven Erklärungen stehen nicht in einer eins-zu-eins Korrespondenz zueinander, wie die Beobachtungen von Davies und Castell (s. oben) bestätigen. Wenn Handeln in vorreflexiven Situationsbezügen gedacht wird, dann setzen Handlungen nicht notwendig Planungen voraus; und selbst wenn Pläne vorliegen, determinieren sie nicht vollständig den konkreten Handlungsverlauf; dieser wird erst in der Situation erzeugt und bleibt für Revisionen offen. ’’Pläne stellen uns zwar in Situationen hinein, enthalten aber noch keine erschöpfende Antwort auf die Herausforderungen dieser Situationen.” (Joas, 1992, S. 237). Auch wenn Pläne gefaßt wurden, verlieren vorreflektive, praktische Bezüge zu Handlungssituationen nicht an Wirksamkeit. Pläne bleiben mehr oder weniger vage und sind nie das einzige Orientierungsmittel des Handelns. ”... plans are resources for situa­

ted action, but do not in any strong sense determine its course.” (Suchman, 1987, S.52).

Die Offenheit und unpräzise Formulierung der Pläne wird - im Gegensatz zum kognitiven Ansatz - nicht als eine Unzulänglichkeit angesehen, die es mit Hilfe von Wissenschaft zu beseitigen gälte, sondern im Gegenteil, die Vagheit der Pläne und damit die Undeterminiertheit von Handlungen sind bestens geeignet, die Ziele und Pläne an die konkreten Umstände der Situation anzupassen, (vgl. für das Handeln in Organisationen, Crozier und Friedberg, 1979).

Mit den oben angeführten empirischen Befunden läßt sich der situative Ansatz bestä­

tigen. Die Untersuchungen kommen einhellig zu dem Ergebnis, daß beobachtbare Vor­

gehensweisen von Konstrukteuren v.a. von deren 'Erfahrung' abhängt, die zumeist bloß in Jahren einschlägiger Praxis gemessen wird. Es scheint jedoch angebracht, unter Erfah­

rung jene Fertigkeiten, Gewohnheiten etc. zu verstehen, die Joas vorreflexive Strebungen nennt und die durch Enkulturation (Vincenti, 1990) bzw. (sekundäre) Sozialisation erworben werden. Sie werden in Kontexten erworben und bleiben auf diese bezogen bzw. stellen diese bei der Ausübung her. Während im kognitiven Modell Erfahrung als eine Variable konzipiert wird, die den Konstruktionsprozeß beeinflußt, geht die nicht­

teleologische Handlungsdeutung davon aus, daß eine Vorgehens- bzw. Handlungsweise in einer Situation von Fertigkeiten, Gewohnheiten etc. ihren Ausgang nimmt. Sie evozie­

ren eine Vorgehens weise und sind nicht bloß eine Variable, die deren Verlauf beein­

flussen! Vorgehenspläne und Methoden setzen, wie Methodiker betonen (z.B. Österle, 1981; siehe oben), Erfahrung des Konstrukteurs voraus. Konstrukteure gehen ein Pro­

blem nicht nach einem abstrakten Plan an, sondern mit konkreten Vorstellungen ihrer Erfahrung (Rutz, 1985).

Erfahrung enthält jene Deutungsmuster, die es erlauben, eine Situation als typische bzw.

ähnliche zu sehen, - ohne zumeist angeben zu können, ähnlich in bezug worauf - und zu verstehen (vgl. das Beispiel von Capron, oben) wie auch das Wesentliche eines Problems (Dreyfus, 1972) zu erkennen. Eine Situation wird aus Erfahrung strukturiert, d.h. aus den potentiell unendlich vielen Einzelheiten werden Elemente als gestalthaft zusammen­

gehörend gesehen. Eine Situation als eine bestimmte zu sehen, beschreibt viel von dem, was Kreativität genannt wird (Schön, 1983, S. 182ff.). Im Gegensatz zu einer Anordnung der Einzelheiten in einem Plan, bei dem die Einzelheiten unabhängig vom Plan bestimm­

bar sind, werden Einzelheiten einer Situation gar nicht als solche, sondern in ihrer Bedeutung, d.h. als ein Muster wahrgenommen (Polanyi, 1985).

Erfahrene und v.a. mit einem Problemtyp vertraute Designer zeigen daher eine Vor­

gehensweise bzw. 'course of action', in der Planung wenig erkennbar ist. Ein erfahrener Designer “...seems somehow to have encapsulated his analytic knowledge into the structuring of the problem. He intuitively knows that his interpretation of the problem and solution ... is the correct one.” (Llody and Scott, 1994, S.138).

Fertigkeiten, Können, Gewohnheiten etc. können zwar einst bewußt gelernt worden sein, sie schwinden aber durch Einübung aus dem Bewußtsein - und werden oft dadurch erst effizient, sodaß sie ausgeübt werden können, aber nicht mehr gesagt werden kann, wie (vgl. das Expertenmodell von Dreyfus und Dreyfus, 1987). Es ist dann zu erwarten, daß erfahrene Konstrukteure Schwierigkeiten haben werden, darüber zu sprechen und genau das wird in den angeführten Untersuchungen bestätigt.

Eine der wenigen Studien, die die Vorgehens weise von Designern - in diesem Fall, Soft- Ware-Designem - in der Praxis teilnehmend beobachtete, wird von Visser berichtet. Pro­

grammierer wurden auf gefordert, während der Arbeit 'laut zu denken', wobei sich zeigt:

” ... the programmer verbalized rather little while writing the program.” (Visser, 1987, S.222). Wiederholtes Insistieren erbrachte dann lediglich die Nennung von Elementen, z.B. der Variablen, mit denen er gerade arbeitete. Verbalisierungen versiegen beim Aus­

üben routinierter Handlungen, wie auch die oben erwähnten Untersuchungen ergaben.

Visser kommt zu der These ”... that many of the programmer's actions during program construction are automized (as a consequence of his experience in the field) and that a verbalization other than stating the variables would require a 'decompilation' of these automized procedures. Encouraging the programmer to verbalize more might lead him to make the knowledge sources underlying these procedures explicit, but such verbalization would not express the real activity the programmer performs in writing his program.”

(ebd.). Das macht auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Es ist etwas anderes zu Ent­

werfen, oder Entwerfen zu beschreiben. Ein Konstrukteur, der konstruiert, richtet seine Aufmerksamkeit auf das Produkt, nicht darauf, wie er konstruiert; und wenn er darauf achtet, wie er konstruiert, konstruiert er nicht, wie z.B. schon Winkler (1923) bemerkte.

Dies läßt die Vorteile einer Beobachterposition deutlich werden.

Auch Davies und Castell (1995) beobachteten eine Differenz zwischen den Äußerungen von Designern und ihrem tatsächlichen Handeln, v.a. bei 'opportunistischen' Handlungen.

Davies und Castell führen solche Handlungen auf 'lower level psychological mechanism' zurück, die nicht verbalisierbar sind. Durch die Aufforderung zu verbalen Äußerungen neigen die Konstrukteure dazu, eine - in ihrer Kultur - sinnvolle Erklärung ihres Verhal­

tens zu geben. ”It is only when we are pressed to account for the rationality of our actions, given the biases of European culture, that we invoke the guidance of a plan.

(S.ix) ...The fact that we can always perform a post hoc analysis of situated action that will make it appear to have followed a rational plan says more about the nature of our analysis than it does about our situated actions.” (Suchman, 1987, 52 f.). Die Methode des 'lauten Denkens' birgt also die Schwierigkeit, nicht den Handlungsverlauf 'unmittel­

bar' wiederzugeben, sondern eine Erklärung oder Rechtfertigung.

Ein weiterer empirischer Befund aus der Entwurfsforschung wird aus der Sicht einer nicht-teleologischen Handlungstheorie verständlich und empfiehlt daher, Konstruktions­

handeln mit diesem Ansatz zu beschreiben. Kennzeichnend für erfahrene Designer ist routiniertes Vorgehen.

Im situativen Ansatz gilt bewußte Zwecksetzung nicht als Voraussetzung für Handeln, sondern als Reflexionsprodukt in einer Situation, v.a. dann, wenn sich der Handelnde an

der einfachen Fortsetzung vorreflexiver, wie z.B. routinierter, Handlungsweisen gehin­

dert sieht. Bewußte Zielbestimmungen sind zu erwarten, wenn sich vorreflexive Hand­

lungsweisen als unzureichend erweisen. Mit Vissers Beobachtungen läßt sich diese Auf­

fassung recht schön stützen. ”In general, he (the programmer) only verbalized his thoughts when he was faced with a problem, when he was not sure what to do, or when he had noticed an error or an omission.” (Visser, 1987, S.222). So wissen erfahrene Technikgestalter: ’’Ein Großteil unseres Tuns ist Routine ... Der größte Anteil der Tätig­

keit läuft entsprechend (dem) Bild (eines 'Eisbergs') ohne bewußte Steuerung im 'Normalbetrieb des Denkens' ab. (Erst) wenn Probleme so nicht mehr bewältigt werden können, müssen sie bewußt im 'Rationalbetrieb' des Gehirns nach einer Methode ange­

gangen werden.” (Ehrlenspiel und Günther, 1995, S.65f.). Wenn Zielbestimmungen dann zu erwarten sind, wenn vorreflexives Vorgehen auf Schwierigkeiten stößt, dann wird auch verständlich, daß Ziele während des ganzen Konstruktionsprozesses geäußert werden, wie auch, daß die Anzahl der Zielformulierungen von der Erfahrung abhängt.

Auer und von der Weth (1994) stellen einen kuppelförmigen Zusammenhang zwischen Erfahrung und Anzahl der geäußerten Ziele fest. Ausgebildete, aber unerfahrene Kon­

strukteure produzieren die umfangreichste Zielanalyse; aufgrund ihrer mangelnden Erfahrung stoßen sie wohl oft auf Probleme, während erfahrene Konstrukteure nur wenige Ziele formulieren.

Die vorgetragenen Argumente legen nahe, die methodologische Umorientierung für eine Theorie des Konstruktionshandelns mitzuvollziehen und Technikgestaltungs- bzw. Kon­

struktionsprozesse mit einem situativen Ansatz zu untersuchen. M.E. kommt der Prag­

matismus des situativen Ansatzes den Vorgehensweisen von Ingenieuren näher als die an informationsverarbeitenden Algorithmen ausgerichteteten kognitiv zweck-rationalen Handlungsmodelle. Es wird damit der Auffassung entgegengetreten, die Konstruktions­

arbeit des Ingenieurs ausschließlich als instrumentelles Handeln zu begreifen, das von vorgegebenen Zielen gesteuert wird. Der situative Ansatz ermöglicht auch, die Beschrän­

kung von Konstruktionshandeln auf individuelles Denken aufzuheben und von vorn­

herein in sozialen Kontexten zu konzipieren. Mit der methodologischen Umorientierung ändert sich die Fragestellung (das Paradigma) der Forschung. Nicht von handlungs- steuemden Zielen und Plänen wird ausgegangen, sondern - und dies legen die referierten Untersuchungsergebnisse nahe - von vorreflexiven Fertigkeiten, Routinen, Gewohn­

heiten.

Konstruktionsziele können nicht als 'Ursachen' genommen werden, die den Konstruk­

tionsprozeß erklären, sondern sind Ressourcen im, bzw. Produkte des Handlungs­

prozesses. Konstruktionsziele sind zwangsläufig vage (siehe unten), sie stellen die am Gestaltungsprozeß Beteiligten in eine Situation, steuern aber nicht ihre Handlungen.

Eine Handlungsweise nimmt ihren Ausgang von einer je schon als typisch erfahrenen Situation, in die sich die Designer 'gestellt' sehen und mit der Handlungsweise auch ver­

suchen, diese Situation herzustellen. Die Situation wird aufgrund der Gewohnheiten, Fertigkeiten, Routinen - kurz der Erfahrung, die Technikgestalter als Mitglieder einer (Sub)Kultur erworben haben, typisiert, und ein 'course of action' aufgerufen. Hand­

lungsziele werden erst auf dem Hintergrund der jeweils als typisch erfahrenen Situation bestimmbar, setzen diesen also bereits voraus, liegen gleichsam auf einer anderen Ebene.

Der Begriff der 'vorreflexiven Strebungen', v.a. in Form von Fertigkeiten und Gewohn­

heiten sowie die Verbindung mit dem Situationskonzept, kann jetzt weiter verfolgt wer­

den.

Erfahrung und Intuition - Fertigkeiten, Gewohnheiten, Routinen als vorreflexive Strebungen

Anschauliche Beispiele für Fertigkeiten, die sozusagen in den Körper übergehen, findet man im Umgang mit Werkzeugen, Maschinen, Instrumenten etc. Solche Fertigkeiten werden gelernt, geübt und praktiziert, wobei anfängliches Üben die volle Aufmerksam­

keit des Übenden beanspruchen kann, mit zunehmendem Training bedarf es dann weni­

ger bewußter Zuwendung bis dahin, daß die Fertigkeit völlig 'automatisch' ausgeübt wer­

den kann - gleichsam in den Körper übergeht, oder, wie Polanyi sagt, zu einem 'proxi­

malen Term' wird. ’’Von geplanten und bewußten Handlungen werden sie zu Gewohn­

heiten, und die Gewohnheiten werden immer unbewußter und immer mehr der willkür­

lichen Kontrolle entzogen.” (Bateson, 1985, S.333).

Die Aufmerksamkeit, die in der Übungsphase von den Fährnissen des Umgangs okku­

piert war, wird nun wieder 'frei' und kann sich anderem zuwenden. Beim Spielen eines Musikinstruments wird das deutlich. Solange man damit beschäftigt ist, die grundsätz­

lichen Fertigkeiten zu erwerben, um dem Instrument Töne zu entlocken, wird nicht davon gesprochen, daß man musiziert, sondern man macht 'Fingerübungen' - die meist 'nicht anzuhören' sind. Erst wenn diese Fertigkeiten erlernt wurden und keiner bewußten Zuwendung mehr bedürfen, kann sich die Aufmerksamkeit der Musik zuwenden. Solche Fertigkeiten werden in den Körper 'interiorisiert', schwinden aus dem Bereich der Auf­

merksamkeit bzw. aus dem Bewußtsein, werden zunehmend zur Routine und sind in die­

ser Form die Voraussetzung der Ausübung. Man kann die Dinge tun, kann aber nicht mehr sagen, wie man sie tut.

Und es ist etwas anderes, eine Tätigkeit zu üben oder sie auszuüben - es findet ein Per­

spektivenwechsel statt: ein Pianist, der übt, konzentriert sich auf die Bewegung seiner Finger und verliert leicht die Musik aus der Aufmerksamkeit.

Allgemein gehören Fertigkeiten zu den Voraussetzungen für Sichtweisen und Erfahrun­

gen. Wenn man eine Fertigkeit ausübt, wie z.B. musizieren, konstruieren etc., geht man von Fertigkeiten aus, um seine Aufmerksamkeit auf etwas Anderes, die Musik, das zu konstruierende Produkt, etc. zu richten.

Fertigkeiten, Routinen u.ä. sind für Alltagshandeln ebenso konstitutiv wie für das Han­

deln in Spezialbereichen, etwa den verschiedenen Berufen. Experten zeichnen sich durch ein auf spezifischen Fertigkeiten beruhendes Spezialwissen aus, die wohl sehr spezifisch, jedoch strukturgleich mit Fertigkeiten überhaupt sind. Berufliche Praxis von Experten läßt sich u.a. dadurch charakterisieren, daß sie immer wieder mit bestimmten Typen von Situationen konfrontiert werden ’’...which make up a practice, and they denote types of family-resembling examples.... As a practitioner experiences many variations of a small number of types of cases, he is able to 'practice' his practice. He develops a repertoire of expectations, images, and techniques. He learns what to look for and how to respond to what he finds.

As long as his practice is stable, in the sense that it brings him the same types of cases, he becomes less and less subject to surprise. His knowing-in-practice tends to become in­

creasingly tacit, spontaneous, and automatic, thereby conferring him and his clients the benefits of specialization.” (Schön, 1983, S.60).

Fertigkeiten, Gewohnheiten, Routinen als Grundelemente des Wissensvorrates Schütz unterscheidet den Wissensvorrat zwischen Grundelementen und spezifischen Teilelementen. Während die spezifischen Teilinhalte ins Bewußtsein geholt und thema­

tisiert werden, sind Grundelemente (wie z.B. 'die Transzendenz der Weltzeit') nicht als konkrete Erfahrungen einfach 'latente' Teilinhalte des Wissensvorrats, sondern sind in jeder Situation und jeder Erfahrung mitgegeben. Man kann sie nur in der theoretischen Einstellung in das Bewußtsein bringen. ”In der natürlichen Einstellung sind sie ein not­

wendiger Bestandteil eines jeden Erfahrungshorizonts, ohne selber Erfahrungskem zu werden.” (Schütz, 1979, S.135). Schütz betont, daß der ”... Körper und sein gewohn­

heitsmäßiges Funktionieren ein Grundelement einer jeglichen Situation (ist)” (ebd., S.136).

Grundelemente des Wissensvorrats

Grundelemente des Wissensvorrats

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