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Design als Interaktion

Im Dokument Zur Soziologie des Konstruierens (Seite 82-89)

8. (Konstruktions-) Handeln und Bedeutung

9. Design als Interaktion

Die Überlegungen zu den Konstruktionszielen stützen die Auffassung, den Designprozeß als interpretativen Prozeß zu konzipieren und legen nahe, auch die Arbeit des Konstruk­

teurs am Zeichenbrett, die oft als das Konstruieren angesehen wird, so zu beschreiben.

Die Tätigkeit des Konstrukteurs ist Teil des Gestaltungsprozesses. Konstruktionszeich­

nungen sind zumeist nicht das Design, sondern Beiträge, die in den Prozeß eingehen und weiter diskutiert und interpretiert werden; oft werden Teile angefertigt, in Versuchen getestet usw. Wie Problem- und Zielbeschreibungen, Spezifikationslisten, Pflichtenhefte etc. sind sie Teil der Transformationskette. “...(D)rawings, detailed list of performance specifications, lists of materials, subcontractor orders ... are artifacts of the process, formal productions of participants, parts and pieces of the design, but they ought not to be construed as the design. They serve as a datum, as touchstones to grab hold of as the need arises... In process, they are plastic, here-today-gone-tomorrow.” (Bucciarelli,

1988, S.161).

Diese Sicht, die individuelle Arbeit der Konstrukteure - die Erstellung der Zeichnung eines Dinges - als Teil der Interpretations- und Interaktionsprozesse zu beschreiben, zielt auf einen „... interaktionistischen Arbeitsbegriff..., mit dem Arbeit als ein besonderer Fall von sozialer Interaktion verstanden werden kann.“ (Rammert, 1993, S.138). Dies wurde bereits vorbereitet, indem (Konstruktions)Handeln als quasi-dialogische (siehe Böhler, oben) Interaktion mit den Materialien und Gegebenheiten einer Situation aufge­

faßt wurde. Schön spricht von ”a reflective conversation with a ...situation” (Schön, 1983, S.130) bzw. speziell für die Entwurfsarbeit in der Architektur, ”... architectural design is a dialogue with the phenomena of a particular site.” (Schön, 1988, S.182).

Die Grundlage, den Umgang mit physischen Dingen interaktionstheoretisch zu beschrei­

ben, findet man bei Mead. Die Konstitution physischer Dinge hat soziale Interaktion zur Voraussetzung. Objekte bzw. deren Bedeutung werden in Handlungszusammenhängen bzw. sozialer Interaktion erst geschaffen, etwa so wie etwas erst zu einem Nahrungsmit­

tel wird, wenn es gegessen und verdaut werden kann. ’’Objekte werden ... innerhalb des gesellschaftlichen Erfahrungsprozesses geschaffen, durch Kommunikation und gegen­

seitige Anpassung des Verhaltens einzelner Organismen, die in diesen Prozeß einge­

schaltet sind und ihn ablaufen lassen.” (Mead, 1980, S.118).

Mead tritt - wie übrigens auch Schütz: ’’Arbeit ist nicht nur einfaches Wirken, Kommu­

nikation ist nicht nur Geschwätz” (Schütz, 1984, Bd.2, S.25f.) - einer abstrakten Tren­

nung des Verhaltens gegenüber sozialen oder gegenständlichen Objekten, also von kom­

munikativem und instrumentalem Handeln, ebenso entgegen wie einer Reduzierung der einen Form auf die andere. “Mead zielt dagegen auf die Verknüpfung der beiden zu tren­

nenden Entwicklungslinien von kommunikativem und instrumentalem Handeln: er besteht auf der Entstehung der Selbstreflexivität aus sozialen Situationen, betont aber auch diese Selbstreflexivität als Vorbedingung für die Konstitution der Dinge im instrumentalen Handeln.” (Joas, 1989, S. 106).

Soziale Interaktion ist nicht nur Voraussetzung, sondern die Form sozialer Interaktion wird nach Mead auf den Umgang mit physischen Objekten übertragen. Die Haltung des Einzelnen gegenüber physischen Dingen ist zunächst die gleiche wie gegenüber anderen Objekten, nämlich eine gesellschaftliche, d.h. sie werden als soziale Objekte gesehen.

Daß die ursprüngliche Haltung auch gegenüber physischen Gegenständen eine soziale ist, wird z.B. bei Kindern und in der Magie deutlich. ’’Die frühesten Objekte sind soziale Objekte, und alle Objekte sind anfangs soziale Objekte.” (Mead, 1987, Bd.2, S.164). Die uns selbstverständliche Unterscheidung sozialer und natürlicher Objekte, bzw. die Unterscheidung sozialer und natürlicher Rahmen (Goffman, 1977, S.31) ist eine spätere Ausdifferenzierung in unserer Kultur, in der die unbelebten Dinge 'desozialisiert' werden, und denen man anders gegenübertritt als sozialen Wesen. “Die spätere Erfahrung diffe­

renziert zwischen den sozialen und den physischen Objekten, aber der Mechanismus der Erfahrung mit Dingen gegenüber einer Ich-Identität als Objekt ist der soziale Mechanis­

mus.” (Mead, ebd.). ’’Das leblose Objekt ist eine Abstraktion, die wir aus der gesell­

schaftlichen Reaktion auf die Natur ableiten.” (Mead, 1980, S.227).

In der Kontakterfahrung des Handelnden mit einem physischen Ding wird der Wider­

stand des Objekts mit der eigenen Anstrengung des Organismus identifiziert. ’’Der Widerstand ist ebensosehr in dem Ding wie die Anstrengung im Organismus ist.” (Mead, 1987, Bd.2, S.229). Im unmittelbar-praktischen Umgang wird den Objekten vom Handelnden ein 'Inneres', d.h. ein von ihm unabhängiger Widerstand unterstellt. ’’Das physische Objekt hat in demselben Sinn ein Inneres, in dem auch das soziale Objekt oder der andere ein Inneres hat. Es kommt zustande durch den Organismus, der dazu neigt, sich selbst gegenüber so zu handeln, wie das physische oder soziale Objekt auf den Organismus einwirkt.” (ebd., S.166).

Die soziale Beziehung zu den Dingen zeigt sich sowohl darin, daß den Dingen ein 'Inne­

res' (ein 'Charakter') zugeschrieben wird, wie auch darin, daß der Handelnde bei der Vor­

bereitung seines Verhaltens gegenüber dem Ding, die Haltung des Widerstandes des Dings einnimmt. Dies wird z.B. deutlich wenn man ein Ding aufhebt; sollte sich das Ding beispielsweise als schwerer oder leichter erweisen, wird bewußt, daß eine Haltung gegenüber dem Ding antizipierend eingenommen wurde. In gewohnheitsmäßigen Ver­

haltensabläufen stecken Antizipationen, die gewußt, aber nicht bewußt werden; so etwa wenn man durch eine Tür eines Hauses tritt und (implizit) 'erwartet', wie die Dinge reagieren, nämlich ein tragender Boden vorhanden ist; dies aber nicht, wenn man sich in (im Kontext) einer Ruine oder in einem in Bau befindlichen Haus bewegt.

Der durch die Fertigkeiten im Umgang erfahrene Widerstand des Dings ruft bei Gewahrwerden des Dings im Körper die Reaktion gegen den erwarteten Widerstand auf und der Handelnde nimmt gegenüber dem Ding eine Haltung ein. Mead's Auffassung von der Einnahme einer Haltung als körperliche Reaktion scheint mit Polanyi's

’’somatischen Wurzeln unseres Denkens” (Polanyi, 1985, S.23) übereinzustimmen. Die­

ses Wissen ist in den Körper übergegangen und ist nicht vor der Handlung, sondern in der Handlung - Schön spricht von “knowing-in-action” (1983, S.50). Die, eine Haltung ausdrückenden Gesten gegenüber dem Ding ist die frühe Phase eines Verhaltensablaufes im Umgang mit dem Ding (wie z.B. das Ding verwendet wird), ruft diesen auf und bedeutet dieses Muster bzw. diesen Kontext. Wie in der sozialen Interaktion wird die Haltung eines Gegenübers übernommen und ein Muster antizipiert, wobei die Haltungen zumeist nicht bewußt werden, weil sie, wie die Beispiele zeigen (siehe auch oben), im glatten Handlungsverlauf untergehen.

Gesten, die ‘automatisch’ eingenommene Haltungen anzeigen, beginnende Muster bedeuten bzw. einen Kontext bezeichnen, können empirisch beobachtet werden, sind in der Konstruktionsforschung aber bisher kaum beachtet worden.

Bedeutung ist in den Dingen nicht präexistent, die abbildend beschrieben werden kön­

nen, sondern entsteht erst, wenn mit ihnen umgegangen, in bezug auf sie gehandelt wird;

insofern sind wir für die Bedeutung der Dinge 'verantwortlich'. Auch die Beschreibung der Dinge durch Messungen beruht auf Handlungsweisen. ’’Die grundlegende Eigen­

schaft der Messung ist die Wiederholung einer Handlung ...” (Mead, Bd.2, 1987, S.179).

Die Handlungs- oder Reaktionsweise konstituiert die (Bedeutungen der) Objekte, auf die sich der Handelnde einstellt. Bedeutung existiert in habitualisierten Verhaltensweisen, läßt sie aber nicht ins Bewußtsein treten. Bedeutung entsteht vor dem Bewußtsein dieser Bedeutung in der Struktur des aktiven Verhältnisses des Organismus zu den Dingen.

Bedeutung bedarf nicht des Bewußtseins der Bedeutung. ’’Gerade dort, wo Bedeutung existiert... bringt aber nichts ein Bewußtsein dieser Bedeutung hervor.” (Joas, 1989, S.103).

Bewußt werden können die in den Verhaltensweisen 'steckenden' Bedeutungen u.a. dann, wenn der Ablauf der Reaktionsfolge unterbrochen oder gehemmt wird. Dies ist z.B. beim Gewahrwerden entfernter Dinge der Fall. Auf entfernte Dinge werden die Kontakterfah­

rungen übertragen, dh. sie rufen bei Gewahrwerden im Organismus die Reaktionen die zu den Fertigkeiten der Handhabung gehören auf. Die durch die aufgerufene Kontaktreak­

tion beginnende Verhaltensabfolge wird durch die Distanz zum Objekt gehemmt. Mead formuliert die These, ’’daß die in der Distanzerfahrung steckenden gehemmten Kontakt­

reaktionen die Bedeutung des Widerstandes des gegenständlichen Objekts konstituieren.”

(Mead, ebd., S.233).

Reaktionshemmung tritt weiters dadurch ein, daß verschiedene Reaktionen, die unter­

schiedlichen Verwendungsweisen von Objekten entsprechen, bei Gewahrwerden des Dings in Konkurrenz geraten. Durch die Selektion eines Reaktionstyps bzw. einer Ver­

wendungsweise werden die anderen Reaktionen gehemmt. Das heißt aber nicht, daß diese dann nicht existieren, sondern sie schaffen die Bedingungen für die Ausführung der selektierten Reaktion, d.h. sie bestimmen die Form, die die Reaktion annimmt. ’’Was nicht getan wird, definiert das Objekt in der Form, in der wir auf es reagieren. ... (D)ie Verwendungsweisen, die man ihm ... auferlegen könnte, machen gemeinsam dieses Objekt aus und sind die Eigenschaften des Objekts...” (Mead, ebd., S.232). Der Hand­

lungsentwurf ist Ergebnis der 'Konversation' von Haltungen.

Beim Konstruieren wird, wie bereits gezeigt, eine spezifische Distanz durch Transforma­

tion (v.a. Skizzen und Konstruktionszeichnungen) hergestellt.

Die reflektierende Unterbrechung von Handlungsverläufen, das Bewußtmachen von Bedeutungen und damit zuvor implizit verfolgter Ziele, wurde in unterschiedlich ange­

legten Untersuchung als ein wichtiges Charakteristikum der Vorgehensweise ('guter') Konstrukteure erkannt. Geht Konstruktionshandeln von selbstverständlich aufgerufenen, vorreflexiven Fertigkeiten etc. aus, so tendiert es zu starren Interpretationen von Situa­

tionen, die erst durch reflexive Brechung zugänglich werden können. ’’Das Nachdenken über das eigene Vorgehen ist so etwas wie der Münchhausen'sehe Zopf, an dem man sich selbst aus dem 'Sumpf der Routine ziehen kann.” (Dörner und Tisdale, 1993, S.233).

Schön (1983) hat in seinen Untersuchungen von Designern den Ausdruck ’’reflection-in­

action” geprägt, mit dem er versucht, die grundlegende Struktur von Designprozessen zu beschreiben.

Nicht anders als in der sozialen Interaktion nehmen Handelnde beim Handlungsentwurf in bezug auf physische Dinge die Haltung der leblosen Objekte ein - Mead spricht vom

’’physischen 'me'” (Mead, 1980, S.326), von der ’’Rollenübemahme beim Auftreten des physischen Objekts” (Mead, Bd.2, 1987, S.162), von den Gebärden des Objekts und- wie Polanyi, in Anlehnung an Lipps - von der 'Einfühlung' ins Ding. Wie im sozialen Umgang ist man auch beim Umgang mit Dingen auf eine antizipatorische Rollenüber- nahme angewiesen. ’’Die notwendige Bedingung dafür, daß dieser gegenständliche, aber kooperationsfähige 'Andere' in die Erfahrung eintritt, so daß das Innere eines Dings, seine Wirkung ... zu einem tatsächlichen Teil der Welt wird, besteht darin, daß das Individuum vorwegnehmend eine Handlungseinstellung einnimmt, die dem entspricht, wie das gegenständliche Ding handeln wird ...” (Mead, zit.n. Joas, 1989, S.153). Jeglicher Handlungsentwurf setzt eine Rollenübemahme des Objekts der Handlung voraus, wobei das Objekt der Handlung keineswegs lediglich ein Interaktionspartner zu sein braucht. In der Rollenübemahme stellt sich der Handelnde auf das zu erwartende Verhalten seines Gegenübers ein, um in angemessener Weise zu handeln. Das Objekt drückt sich im Organismus aus, indem es in antizipatorischer Weise Reaktionen wachmft, die später ausgeführt werden. 'Drückt sich aus' meint, daß die durch Handlungsgewohnheiten und Fertigkeiten hergestellten Relationen zwischen Objekten und Handelnden im Körper wirksam sind.

Man kann nun sagen, der Konstrukteur übernimmt im Prozeß des Konstruierens und 'Gestalt'ens die Rolle der Anderen (Auftraggeber, Hersteller etc. und der 'generalisierten Anderen') wie auch des Dings in den verschiedenen Kontexten der Anwendung, Herstel­

lung etc. Er übernimmt, indem er sich einer problematischen Situation stellt, die Haltung anderer und reagiert aufgrund seiner Fähigkeiten, Fertigkeiten und Routinen als ein 'Ich', d.h. er produziert eine Idee. ’’Wir haben nur insofern Ideen, als wir die Haltung der Gemeinschaft einnehmen und dann darauf reagieren können.” (Mead, 1980, S.223).

Die These, daß in Situationen Haltungen eingenommen werden, empfiehlt, in die Beob­

achtung von Konstmktionsprozessen auch körperliches Ausdrucksverhalten miteinzu­

beziehen. Körperliche Gesten und Gebärden - Flusser (1995) nennt sie ’’Gestimmtheit” - zeigen eine Haltung - Flusser spricht von ’’Stimmungen”- an, die durch die Interpretation der Gesten erschlossen werden. Gesten unterscheiden sich von 'mechanischen' Reaktio­

nen dadurch, daß sie nicht als kausale Wirkungen von Ursachen aufgefaßt werden kön­

nen, sondern einen Zusammenhang (symbolisch) darstellen bzw. bedeuten. Gesten haben - im Unterschied zu ‘mechanischen’, d.h. mechanisch verursachten Reaktionen- Bedeutung: ’’die Gestimmtheit 'vergeistigt' die Stimmungen.” (ebd., S.15). Der ausdruck­

hafte Charakter von Gesten verweist auf die Künstlichkeit von Stimmungen die dem (Er)Leben Sinn und Bedeutung verleihen. ’’Gestimmtheit ist artifizielle Stimmung...”

(ebd., S.14). Gesten gilt es daher zu verstehen um ihre Bedeutung lesen zu können.

Obwohl ”... wir über keine Theorie der Interpretation von Gesten verfügen...” (ebd. S.9) können und werden Gesten im Alltag interpretiert und dies kann man auch zur Rekon­

struktion von Konstruktionsprozessen nutzbar machen.

Konstruktionsziele sind die (antizipierten) Bedeutungen, die das zu konstruierende Arte­

fakt in verschiedenen Kontexten - v.a. Anwendungs- und Herstellungskontext haben wird oder haben soll. Die Bedeutung eines Gegenstandes entsteht aus seiner Verwendung, d.h.

in den Handlungszusammenhängen der Verwendungskontexte bzw. Rahmen. Bedeu­

tungen - Konstruktionsziele - werden, im Handlungs- bzw. Konstruktionprozeß vor dem Hintergrund selbstverständlichen Wissens unterstellt und erst dann thematisiert, wenn die Unterstellungen problematisch werden. Ziele sind Produkte im Handlungsprozeß dann, wenn der Handlungsverlauf reflexiv unterbrochen wird und die Bedeutungen bewußt werden. ’’Entscheidend wird ... die Unterscheidung bedeutungsvoller Handlungen und des Bewußtmachens dieser Bedeutung.” (Joas, 1989, S. 103).

Die eigenen (Konstruktions)Handlungen werden in den in der Rollenübemahme antizi­

pierten Kontexten interpretiert und beurteilt. Der Prozeß der Auslegung wird in der Abfolge der Konstruktionshandlungsschritte sichtbar, die der Konstrukteur in Interaktion mit anderen oder mit sich selbst deutet; dies kann auch als Denken bezeichnet werden.

Denken ist die in das Individuum genommene Konversation. ”...(I)nsoweit wir denken, nehmen wir gegenüber der uns umgebenden Welt eine gesellschaftliche Haltung ein....

(S.229). Beim Denken nimmt der Einzelne die Haltung eines Anderen gegenüber sich selbst ein....” (Mead, 1980, S.198). ’’Unser Denken ist ein Selbstgespräch, in welchem wir uns selbst gegenüber die Rollen ganz bestimmter Personen einnehmen, die wir kennen. Gewöhnlich sprechen wir mit dem ... 'generalisierten Anderen' und gelangen so auf die Ebene abstrakten Denkens und zu jener Unpersönlichkeit, die wir als sog.

Objektivität besonders schätzen.” (Mead, 1987, Bd.l, S.323). Unbelebte Gegenstände sind, genauso wie andere Menschen, Teile des generalisierten Anderen. ’’Jeder Gegen­

stand - jedes Objekt - ... menschlich, tierisch oder einfach physisch -, im Hinblick auf den der Mensch handelt..., ist für ihn eine Element des verallgemeinerten Anderen.”

(Mead, 1980, S.196, Fn.7).

Der Konstruktionsprozeß wird weniger als (individueller) Denk- als ein Interaktionspro­

zeß konzipiert, in dem der Designer mit mehreren Gegenüber - Menschen wie Dingen - in Konversation tritt. ’’Der Techniker, der eine Brücke konstruiert, spricht mit der Natur genauso wie wir mit dem Techniker sprechen. Es gibt dabei Elemente, die er einkalkulie­

ren muß, und dann kommt die Natur mit anderen Reaktionen, die wiederum anders unter Kontrolle gebracht werden müssen. In seinem Denken nimmt er die Haltung physischer Objekte ein. Er spricht mit der Natur, die Natur antwortet ihm.” (Mead, 1980, S.229) Der Prozeß der Bedeutungsauslegung wird am Zeichentisch als (z.T. innere) Konversa­

tion fortgesetzt. Mit den Konstruktionsschritten wird das Konstruktionsziel, das zu kon­

struierende Artefakt, im Prozeß der Rollenübemahme in seiner Bedeutung in antizipier­

ten Kontexten erschlossen. Konstruieren kann als eine Form von Interaktion - ein kultu­

reller Rahmen - oder Konversation aufgefaßt werden, der spezifische Ressourcen bereit stellt, um offene Bedeutungen handhabbar zu machen.

Mit der Rahmung der Situation und der Problemstellung wird eine Handlungsrichtung oder ein Handlungsmuster aufgerufen - die Handlungen aber nicht im Detail determi­

niert - und intuitiv ein 'Lösungsansatz', ein Lösungstyp verfolgt. Der Konstrukteur ver­

sucht das Ergebnis des Konstruktionsprozesses zu 'erraten' und seine Handlungen auf diesen für ihn noch offenen Ausgang abzustimmen und mit den Handlungen zu erzeugen.

Die vom Konstrukteur in diese Richtung bzw. nach diesem Lösungs- und-Handlungsmu- ster vollzogenen Handlungen verändern die Situation, und die so veränderte Situation wird in verschiedenen Kontexten interpretiert und beurteilt. Der Prozeß ist tentativ und für Revisionen offen. Treten im Interaktionsprozeß, d.h. bei der Veränderung der Situa­

tion Reaktionen auf, die nicht in die unterstellten Kontexte passen und auch nicht igno­

rierbar sind, kommt es zu einer Rekontextualisierung - die Situation wird aus anderer

Perspektive gesehen, die Bedeutung der Dinge ändert sich und andere Lösungsansätze werden versucht. Wenn jemand, um ein alltägliches Designbeispiel aufzugreifen, eine Wohnung neu bezieht, so können in seine (kulturell vorgezeichneten, mehr oder weniger vagen) Vorstellungen künftiger Nutzung der Wohnung (der Handlungszusammenhang im Verwendungskontext) Umbauarbeiten notwendig werden lassen. Sollte sich dabei (im Herstellungskontext) heraussteilen, daß z.B. eine Mauer, die für die gewünschte Raumaufteilung entfernt werden sollte, nicht entfernt werden darf, so muß eine Neukon­

zeption für die Wohnung entworfen werden. In der Neu'gestalt'ung kann die Mauer, wie wahrscheinlich auch die anderen Räume, in einen anderen Zusammenhang gebracht und andere Bedeutung in den verschiedenen Kontexten erhalten.

Die Bedeutungen liegen nicht 'objektiv' vor, sondern sind erst in der Situation, nach Bedarf, auszulegen bzw. werden durch Kontextualisierung z.T. erst (neu) geschaffen.

Handlungsschritte können nicht, wie im kybernetischen Modell, an eindeutig vorliegen­

den Kriterien getestet werden, sondern werden nach Erfahrung - auf z.T. implizitem Wissen um Zusammenhänge - beurteilt und in ihrer Bedeutung interpretiert. Schön beschreibt die Abfolge von Konstruktionshandlungen so: “The process spirals through stages of appreciation, action, and reappreciation. The ... situation comes to be under­

stood through the attempt to change it, and changed through the attempt to understand it.” (Schön, 1983, S.132). Später charakterisiert er die Abfolge als “seeing-moving- seeing.” (Schön und Wiggins, 1992, S.137). Der Unterschied zum äußerlich ähnlichen test-operate-test Schema besteht darin, daß 'seeing' nicht einfach mit 'test' (einem Soll- Istwert-Vergleich) gleichgesetzt werden kann. 'Seeing' meint einerseits wörtlich etwas sehen - in der Zeichnung oben etwa eine Führungssäule, eine Wand, Gleitstück, optisches Gerät usw. - “...'see' in its second sense, conveys a judgement about the pattern 'seen' in the first sense. The two senses are merged ... designing depends on ... (the designer's) ability to make such normative judgements of quality, to see what's bad and needs fixing, or what's good and needs to be preserved or developed. In the absence of such qualitative judgements, ... designing can have no thrust or direction.” (ebd.). Die Interpretation (qualitative judgements) ist auf implizites Hintergrundwissen angewiesen. Schön verwendet dafür den von G. Vickers eingeführten Term 'appreciative systems' - Normen, Werte, Glauben usw., die Designer mitbringen und mit einer Gruppe oder einer Kultur teilen (System der Rahmen). “Appreciations are expressed in acts of judgement that we are able to make, tacitly, without necessarily being able to state the criteria on the basis of which we make them.” (ebd., S.138). ”In his (the designer's) day-to-day practice he makes innumerable judgements of quality for which he cannot state adequate criteria, and he displays skills for which he cannot state the rules and procedures.” (Schön, 1983, S.49L).

Die Interpretationen beinhalten gleichzeitig Urteile und Werte und, soweit die Interpre­

tationen auf selbstverständlich Gewußtem beruhen, gehen an diesen Stellen Werthaltun­

gen in die konstruierte Technik ein, die v.a. routiniert vorgehenden Konstrukteuren ent­

gehen. ’’Jeder Strich, den der Konstrukteur aufs Reißbrett zeichnet, könnte auch anders aussehen; die eine besondere Weise, in der er ihn anordnet, markiert ... bereits eine Ent­

scheidung, die sich auf mehr oder minder bewußte Bewertungen stützt.” (Ropohl, 1990, S. 147). Ropohl meint, daß beim intuitiven Entwerfen die Alternativen nicht ausdrücklich erwähnt würden und dadurch übrigens der Eindruck entstehe, die gewählte Lösung sei Resultat technikimmanenter Entwicklungslogik. Intuitives Vorgehen erfahrener Kon­

strukteure bringe intuitive Bewertungen und Vorentscheidungen mit sich, die erst durch

”reflection-in-action” (Schön, 1983) sichtbar werden.

Mead sieht in der Tätigkeit des Designers, die zu einer gelungenen Konstruktion führt, eine nahezu ideale Form der Rollenübemahme, in der das 'Ich' des Designers mit den 'me' der Haltungen seiner Gegenüber zur Deckung kommen. ’’Der Techniker hat die Haltun­

gen aller anderen Mitglieder der Gruppe in sich und kann eben deshalb lenkend eingrei- fen. Wenn der Techniker das Konstruktionsbüro mit dem Plan verläßt, existiert die Maschine noch nicht. Er muß aber wissen, was die einzelnen Menschen zu tun haben....

Diese Übernahme der Haltungen aller anderen - so vollkommen und genau wie möglich - , diese Analyse der eigenen Handlung vom Standpunkt dieser kompletten Übernahme der Rolle der anderen aus können wir vielleicht als die 'Haltung des Technikers' bezeichnen.

Diese Übernahme der Haltungen aller anderen - so vollkommen und genau wie möglich - , diese Analyse der eigenen Handlung vom Standpunkt dieser kompletten Übernahme der Rolle der anderen aus können wir vielleicht als die 'Haltung des Technikers' bezeichnen.

Im Dokument Zur Soziologie des Konstruierens (Seite 82-89)