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1.3 Forschungsansatz

1.3.3 Methodische und theoretische Herangehensweise

Mit der vorliegenden Arbeit wird nicht allein eine empirische Lücke der lu-xemburgischen Geschichtsforschung geschlossen. Vielmehr ist es ein zentrales Anliegen dieses Forschungsvorhabens, eine eigenständige Methodik des theo-riegeleiteten Forschens zu entwerfen und einen Beitrag zu einer politischen Theorie der Geschlechterverhältnisse zu leisten, in dessen Zentrum eine Kritik des verkürzten Machtverständnisses von Intersektionalität steht, das mit Hilfe der Foucault’schen Machtanalyik behoben wird.

Zunächst komme ich auf die machtanalytische Leerstelle von Intersektio-nalität zu sprechen und erläutere sodann, wie diese mit Hilfe der Foucault’schen Machtanalytik geschlossen werden kann, um schließlich auf die Historizität meines Forschungsgegenstandes als theoretisch-methodische Herausforderung einzugehen.

Das ungeklärte Verhältnis von Intersektionalität und Macht

Seit den 1990er Jahren wird in der europäischen und speziell der deutschspra-chigen Geschlechterforschung unter dem aus dem US-amerikanischen Kontext entlehnten Begriff Intersektionalität diskutiert, wie der Mehrdimensionalität von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen theoretisch, forschungsprak-tisch, aber auch im konkreten feministisch-politischen Handeln Rechnung ge-tragen werden kann. Die Genderforscherin Kathy Davis (2008a, 68) umreißt den Kerngedanken von Intersektionalität folgendermaßen:

„‚Intersectionality‘ refers to the interaction between gender, race, and other categories of difference in individual lives, social practices, institutional arrangements, and cultural ideo-logies and the outcomes of these interactions in terms of power“.

Allerdings ist die von Davis hergestellte Verbindung zwischen Intersektiona-lität und Macht umstritten. Andere Autorinnen und Autoren sprechen an Stelle von Macht(-verhältnissen) in erster Linie von Ungleichheit oder von Diskrimi-nierung, wobei jedoch die unterschiedlichen und facettenreichen Bedeutungen dieser Begriffe oftmals nicht reflektiert werden. Dabei ist auf Grund der Viel-schichtigkeit der mit diesen Begriffen bezeichneten Phänomene zu vermuten, dass erstens das Verständnis der jeweiligen Begriffe, insbesondere dasjenige von Macht, nicht implizit vorausgesetzt werden kann. Zudem erscheint es zweitens geboten, zwischen den Bedeutungen der oft als Aufzählung verwen-deten Begriffe klarer zu differenzieren, um eine Gleichsetzung von Macht, Un-gleichheit, Herrschaft, Diskriminierung etc. zu verhindern. Nur dies ermög-licht es, das Verhältnis zu analysieren, das zwischen den mit diesen Begriffen bezeichneten Phänomenen besteht. Schließlich kommt drittens erschwerend hinzu, dass auch die Relevanz, die diesen Konzepten für Intersektionalität von verschiedenen Autorinnen und Autoren beigemessen wird, stark variiert. Bei

der Definition der Politologin Brigitte Kerchner (2011b, 3) fehlen etwa jegli-che Verbindungen zwisjegli-chen Intersektionalität und Macht, Ungleichheit oder Diskriminierung. Ihr zufolge

„wird mit dem internationalen Ansatz der Intersektionalität das Ziel formuliert, genauer zu erkunden, wie bei der Definition und Repräsentation von in sich heterogenen Gruppen ver-schiedene kulturelle, politische und gesellschaftliche Einflüsse und Faktoren zusammenwir-ken“ (ebd.).20

Hingegen formuliert Cornelia Klinger ihr Verständnis von Intersektionalität in einem Verhältnis zu Ungleichheit und nicht zu Macht. Klinger (2003) zufolge gilt Ungleichheit als das Strukturprinzip moderner Gesellschaften, wobei Un-gleichheit aus der Gleichzeitigkeit und den Verbindungen zwischen kapitalis-tischen, imperialistischen und patriarchalen Verhältnissen hervorgeht. Diese intersektionalen, gesellschaftsstrukturierenden Ungleichheitsverhältnisse ha-ben zugleich auf der Eha-bene der Subjekte Entsprechungen (ebd.). Hingegen spricht Davis in ihrer oben zitierten Definition nicht von Ungleichheit, sondern von den „outcomes of these [intersectional, H.M.] interactions in terms of power“ – doch auch sie konkretisiert ihr Verständnis von Macht nicht.

Solche Unterschiede zwischen den verschiedenen Intersektionalitätsansät-zen werde ich im Folgenden herausarbeiten – nicht zuletzt um Intersektionali-tät gegenüber anderen Konzepten wie etwa Diversity abzugrenzen. Zudem ist aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive das Verständnis des Begriffs Macht weder unmittelbar evident noch kann dieses stillschweigend vorausge-setzt werden. Um dies zu illustrieren genügt es, sich die vielfältigen und mithin widersprüchlichen Definitionen von Macht vor Augen zu halten, die in der Po-litischen Theorie diskutiert werden: So versteht Max Weber (2002, 28) in sei-ner berühmten Definition unter Macht „jede Chance, insei-nerhalb eisei-ner sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“. Indem er von der Durchsetzung des eigenen Willens und der potentiellen Gewalt spricht, auf der diese Chance zu seiner Durchsetzung beruht, rückt Weber Macht tendenziell in die Nähe von Herrschaft, die er als Befehls- und Gehorsamsbeziehung konzipiert. Im Ge-gensatz dazu versteht Hannah Arendt (1970, 45) Macht als „menschliche Fä-higkeit, nicht nur zu handeln oder etwas zu tun, sondern sich mit anderen zu-sammenzuschließen und im Einvernehmen mit ihnen zu handeln“. Während es bei Weber der eigene Wille ist, der mit Macht durchgesetzt werden soll, und offenbleibt, wie dieser innerhalb eines Kollektivs zu verhandeln wäre, kann bei Arendt über Macht überhaupt nur im Kollektiv verfügt werden. Gerade im 20 Auffallend ist zudem, dass Kerchner Intersektionalität vor allem als eine Kategorie zu

ver-stehen scheint, mittels derer das Verhältnis von Heterogenität und kollektiver Identität be-stimmt werden kann (kritisch hierzu Gutiérrez Rodríguez 2011), während Davis die Bedeu-tung von Intersektionalität für die Erforschung sozialer Praktiken, institutioneller Settings und kultureller Ideologien hervorhebt und damit ein deutlich breiteres Verständnis des Kon-zeptes vorschlägt.

Gegensatz zu Gewalt stellt Macht bei Arendt eine Kategorie dar, die in erster Linie auf Zustimmung beruht. Allein dieser oberflächliche Blick auf zwei grundlegende Machttheorien zeigt, dass es notwendig ist, dem Begriff und dem Verständnis von Macht bei der Formulierung einer intersektionalen Perspek-tive genauer nachzugehen.21

In der vorliegenden Arbeit schlage ich mit Hilfe von Foucaults Überlegun-gen eine Präzisierung des Verhältnisses zwischen Intersektionalität und Macht vor. Zunächst begründe ich, warum die Foucault’sche Analytik der Macht be-sonders anschlussfähig an die theoretischen Debatten und Kontroversen um das Konzept Intersektionalität sowie an den hier gewählten Untersuchungsge-genstand, die Problematisierung der Prostitution ist.

Wie wird Macht ausgeübt? Der forschungspraktische Nutzen der Foucault’schen Machtanalytik

Foucaults Überlegungen zur Gouvernementalität, zur Bio-Macht und zum Re-gieren sind in den letzten Jahren in den Sozial- und Politikwissenschaften sehr breit rezipiert worden (vgl. etwa Krasmann und Volkmer 2007; Lemke 2007;

Kerchner und Schneider 2006; Stingelin 2003; Pieper und Gutiérrez Rodríguez 2003; Bröckling, Krasmann, und Lemke 2000; Lemke 1997; aus der Perspek-tive der politikwissenschaftlichen Gender Forschung: Bargetz, Ludwig und Sauer 2015; Ludwig 2011; Kerchner und Schneider 2010; mit Gender-Fokus:

Soiland 2005; Engel 2003). Nach einer betont zögerlichen bisweilen gar feind-lichen (Wehler 1998) Aufnahme durch die historische Forschung in Deutsch-land liegen mittlerweile auch eine ganze Reihe geschichtswissenschaftlicher Aneignungen Foucaults vor (für eine theoretische Reflexion vgl. Maset 2002, 2000; Brieler 1998; für konkrete historisch Analysen vgl. die Beiträge in Mart-schukat 2002 sowie exemplarisch Bruns 2008). Foucault (1967) selbst betont, historische Quellen zu analysieren, um Erkenntnisse hinsichtlich einer „Ge-schichte der Gegenwart“ zu gewinnen.

Dabei stellen Foucaults gouvernementalitätstheoretische Überlegungen eine Erweiterung seiner Machtanalytik um eine gesellschaftstheoretische und subjektivierende Komponente dar, mit der er seine Einwände gegen eine Kon-zeption von Macht als repressiv und unterdrückend nachdrücklich verstärkt und zugleich verschiebt. Bis dahin hatte Foucault seine Kritik an einem repres-siven Machtverständnis mittels des Konzeptes der Mikrophysik der Macht am Beispiel der Disziplin und der Geburt des Gefängnisses (Foucault 1976) arti-kuliert. Macht wirke nicht lediglich eindimensional und werde nicht allein vom Souverän gegenüber den Untertanen (also primär repressiv) ausgeübt.

21 Für einen Überblick über die sozialwissenschaftliche Diskussion zu Macht und Herrschaft vgl. die Beiträge in Imbusch (2013), für die Politische Theorie bzw. Philosophie vgl. u. a. die Einführung von Anter (2012), sowie die Beiträge in Krause und Rölli (2008). Aus feministi-scher Perspektive vgl. Sauer (2013) sowie Knapp (2012a, 2012b).

Mit seinen Überlegungen zur Gouvernementalität untersucht Foucault ex-plizit solche nicht-repressiven, nicht mit Kontrolle operierenden Machttechni-ken, die sich auf Freiheit, Selbstführung und Sicherheitsmechanismen stützen.

Zugleich verweist er hinsichtlich der politischen Steuerung einer Gesellschaft auf die Bedeutung regulatorischer Techniken. Dabei erfahren Themenfelder wie Bevölkerungspolitik, Gesundheitsschutz, gesellschaftliche Hygiene und Sexualitätspolitiken eine erhöhte Aufmerksamheit. Auch die Problematisie-rung von Prostitution in Luxemburg wurde mit ähnlichen Fragen verknüpft, so dass sich Bezüge zu Foucaults Überlegungen ergeben.

Im Vergleich zu den bereits erwähnten Machtkonzeptionen von Weber und Arendt hat die Bezugnahme auf Foucault für das hier zu analysierende Themenfeld deshalb Vorzüge. So scheinen sich sowohl die Weber’sche als auch die Arendt‘sche Machtkonzeption nur unzureichend für eine intersektio-nale Analyse von Geschlechterverhältnissen im Allgemeinen und von Prosti-tutionsverhältnissen im Besonderen zu eignen. Selbst wenn man berücksich-tigt, dass während des hier gewählten Untersuchungszeitraums die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern in Luxemburg höchstens ansatzweise verwirklicht war, so scheint es dennoch nur schwer möglich, das Geschlech-terverhältnis allein auf eine „Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“ zu reduzieren. Die Existenz und die Wirkungsweise von gesellschaftlichen Geschlechternormen, die u. a. definieren, wie sich ‚moralisch integre‘ Frauen und Männer zu verhal-ten haben, was eine ‚sittlich wohlanständige‘ Frau von einer ‚Prostituierverhal-ten‘

unterscheidet, lassen sich nur schwer als „Durchsetzung eines Willens“ verste-hen, da sie möglicherweise stärker die ‚ideologische‘ Ausrichtung eines Wil-lens strukturieren als dessen Durchsetzung. Genauso stellt jedoch auch die Arendt’sche Machtkonzeption als gemeinsames Handeln eine Verkürzung dar, mit der gleichfalls unfassbar bleibt, auf welche Weise sich Geschlechternor-men einschränkend auf eine potentielle, durch gemeinsames Handeln zu ver-wirklichende Freiheit auswirken. So kann mit Arendt gerade nicht gut erfasst werden, dass Frauen – auf Grund ihres Ausschlusses aus der politischen Öf-fentlichkeit um 1900 – zum kollektiven öffentlichen Handeln innerhalb einer gegebenen institutionellen Struktur – kurzum zu politischer Macht – nur be-dingt Zugang hatten. Hingegen bietet sich die Foucault’sche Perspektive für die Analyse der Problematisierung von Prostitution an: Mit seiner Unterschei-dung von Souveränität, Disziplin und Gouvernementalität werden verschie-dene Wirkungsweisen von Macht identifizierbar. Damit werden juridische, re-pressive und disziplinarische Machtformen genauso erfassbar, wie diejenigen, die auf gesellschaftlichen Normierungen und Normalisierungen basieren, oder solche, die auf Regierungs- und Selbstführungstechniken beruhen und die mit-tels der Ausübung von Freiheit operieren. So kann empirisch herausgearbeitet werden, wie solche unterschiedlichen Logiken der Machtausübung bei der Problematisierung der Prostitution gemeinsam wirksam werden.

Allerdings blendet Foucault in seinen Überlegungen die Frage aus, welche Subjekte zum Gegenstand und Produkt der jeweils unterschiedlichen Macht-formen werden. Dies kann jedoch mit einer intersektionalen Perspektive be-antwortet werden, die jedoch bislang – so meine These – Foucaults Frage, auf welche Weisen Macht ausgeübt wird, unbeantwortet lässt.

Deshalb schlage ich vor, Intersektionalität mit Gouvernementalität zu ver-binden, um zu analysieren wie unterschiedliche Subjektgruppen zu Zielobjek-ten von differenZielobjek-ten Konstellationen der Machtlogiken Souveränität, Disziplin und Regierung werden. So kann nicht allein nach Hierarchien zwischen Be-völkerungsgruppen und verschiedenen Akteursgruppen (Polizei, Prostitutions-verdächtigte, Gastwirte, Justizapparat, Parlament und Zivilgesellschaft) ge-fragt werden, die durch das Zusammenspiel kategorialer Differenzierungen etwa bezüglich Geschlecht, Sexualität, Nationalität oder Gesundheit entstehen.

Vielmehr können die in der Problematisierung von Prostitution wirksamen Machtlogiken und ihre Funktionsweisen hinsichtlich der Verbindung von sou-veränen, disziplinarischen und gouvernementalen Techniken analysiert wer-den.

Historische Forschung als theoretisch-methodische Herausforderung für Intersektionalität

Schließlich sind die jüngsten Debatten der Geschlechterforschung um Inter-sektionalität von einem starken Gegenwartsbezug geprägt. Deshalb besteht für die Erforschung eines historischen Gegenstandes – wie der Analyse der Prob-lematisierung von Prostitution um 1900 – die Notwendigkeit Intersektionalität von diesem Gegenwartsbezug zu lösen. Allerdings hat die historische Ge-schlechterforschung bislang überwiegend auf die Rezeption des Konzepts In-tersektionalität verzichtet.22

Für eine Anwendung des Intersektionalitätskonzeptes auf den gesell-schaftlichen Kontext in Luxemburg um 1900 ist es jedoch wichtig zu beden-ken, dass die Dimensionen, die gegenwärtig für die Herstellung von intersek-tionalen Ungleichheits-, Macht- und Herrschaftsverhältnissen identifiziert werden – Geschlechter- und Klassenverhältnisse, Ethnisierungs- und Rassifi-zierungsprozesse –, nicht ohne weiteres auf die Vergangenheit übertragen wer-den können (Bischoff 2011, 33f.; vgl. hierzu auch Scott 1991, 796). Auch das gegenwärtige Verständnis von Prostitution darf nicht auf den historischen Un-tersuchungsgegenstand projiziert werden. Vielmehr gilt es, das, was um die Wende zum 20. Jahrhundert in Luxemburg genau als Prostitution problemati-siert wurde, anhand der Quellen und der Sekundärliteratur herauszuarbeiten.

22 Für eine erste Rezeption von Intersektionalität in der deutschsprachigen Geschichtswissen-schaft vgl. jedoch Koller (2011), Griesebner und Hehenberger (2013), Kallenberg (2012) und Tschurenev (2013).

Dabei wird sich auch die Historizität des Begriffs der Prostitution zeigen. Die-ser war damals erheblich weiter gefasst und auch die Übergänge zwischen prostitutiver und nicht-prostitutiver Sexualität wurden fließender aufgefasst, da bereits das nichteheliche Zusammenleben oder die Annahme einer finanzi-ellen Unterstützung durch einen ‚Liebhaber‘ mit Prostitution assoziiert werden konnte. Es muss also deutlich zwischen den heutigen Diskursen über Prostitu-tion und Sexarbeit sowie den damit verbundenen Grenzziehungen zwischen prostitutiver und nicht-prostitutiver Sexualität und der Problematisierung von Prostitution um 1900 unterschieden werden. Damit zusammenhängend muss geklärt werden, welche in der Intersektionalitätsdebatte diskutierten Methoden für die Analyse von historischen Quellenmaterialien und Untersuchungsge-genständen geeignet sind.

Aus diesen Gründen wurde eine forschungspraktische Vorgehensweise gewählt, die die theoriegeleitete Entwicklung der für die historische Untersu-chung genutzten Analysewerkzeuge und das Quellenstudium eng miteinander verwebt. Phasen der Theorieentwicklung und solche der Archivrecherche und der Quellenanalyse wechselten sich beständig ab und haben sich gegenseitig beeinflusst.