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Teil I: Intersektionalität und Gouvernementalität

6.2 Ungleichheit, Herrschaft, Macht und Dominanz: Begriffliche

6.2.4 Intersektionalität als Machtkritik

Kerner (2009b, 11) macht mit ihrer Analyse von Rassismus und Sexismus „ex-plizit Machtverhältnisse zum Thema“ und nicht, wie etwa in der Intersektio-nalitätsforschung üblich, „Kategorien der Differenz beziehungsweise Un-gleichheit“. Obwohl sie sich nicht explizit um eine Abgrenzung zwischen Macht, Ungleichheit, Differenz oder Herrschaft bemüht, benennt sie mit ihrem an Foucault orientierten mehrdimensionalen Machtmodell konkret die Vielfäl-tigkeit und den Facettenreichtum des Machtbegriffs und reflektiert, dass sich Machttheorien oftmals nur terminologisch auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen (ebd., 20). Deshalb erkennt Kerner die Notwendigkeit der Aus-wahl einer spezifischen Machtkonzeption, um Rassismen und Sexismen als 164 Einschlägige Lexika der Disziplin enthalten zu Dominanz keine Einträge (vgl. Fuchs und Roller 2010; Schmidt 2010; Holtmann 2000; Nohlen, Schultze, und Schüttemeyer 1998; No-hlen 1995). Das von der Pädagogin und Geschlechterforscherin Birgit Rommelspacher ent-wickelte Konzept der Dominanzkultur, auf das Walgenbach sich jedoch nicht bezieht, wurde in der Politikwissenschaft kaum rezipiert. In der politikwissenschaftlichen Literatur wird mit Dominanz die Vorherrschaft (etwa die außenpolitische eines Staates, eines theoretischen Pa-radigmas, einer Institution etc.) bezeichnet. Dieser Gebrauch entspricht der englischen Be-deutung von dominance bzw. domination, was zumeist mit Herrschaft übersetzt wird. Inso-fern stellt sich Walgenbachs Abgrenzung zwischen Macht, Herrschaft und Dominanz erneut als terminologisch problematisch heraus.

„umfassende und komplexe Machtphänomene“ beschreiben zu können (ebd.).

Dabei kommt Kerner zufolge der Foucault’schen Machtanalytik gerade das zu Gute, was im Kern von Walgenbachs Kritik des Machtbegriffs stand: Foucault reduziere die Erscheinungsweisen von Macht weder auf Willensäußerungen, Handlungen, Repression oder Unterdrückung. Stattdessen konzipiere er ein umfassendes Verständnis von Macht, das sich nicht auf Gesetze, Befehle, Dro-hungen, Verbote oder Klassenverhältnisse beschränke, sondern Machtverhält-nisse insbesondere in Prozessen und Phänomenen auf der Mikroebene lokali-siere (Kerner 2009b, 20f.).

Im letzten Kapitel stand bereits das Verhältnis von Rassismus und Sexis-mus in seinen institutionellen, epistemischen und personalen Machtdimensio-nen im Mittelpunkt. Im Folgenden wird beleuchtet, wie Kerner mit Bezug auf die Foucault’sche Machtanalytik zu ihrer Konzeption von Macht gelangt. Hier-bei werden auch die Unterschiede zwischen Kerners und der hier gewählten Perspektive deutlich.

Die epistemische Ebene von Macht erschließt Kerner (2009b, 36) über die konstitutive Kopplung von Macht und Wissen. Dazu rekonstruiert sie zunächst Foucaults (1991) Auseinandersetzung mit der Ordnung des Diskurses. Bereits in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France 1970 habe Foucault die den Diskurs ordnenden Prozeduren als machtdurchzogen begriffen (vgl. Kerner 2009b, 21f.).

Macht wirke Kerner (2009b, 36) zufolge jedoch nicht lediglich diskursiv, sondern sei zugleich in institutionellen Praktiken verankert. Foucaults Überle-gungen in Überwachen und Strafen bilden für Kerner die Basis für diese insti-tutionelle Ebene von Macht. Kerner (2009b, 23f.) betont die Bedeutung des institutionellen Gefüges für die Wirkung der Disziplinarmacht. Erst die insti-tutionelle Architektur des Gefängnisses erlaube den invasiven Zugriff auf die Körper und stelle die Macht-Wissens-Techniken bereit. So basiere die Dis-ziplinierung der Gefangenen im Gefängnis maßgeblich auf der Architektur des Panoptikums, das die Beobachtung oder Nichtbeobachtung der Gefangenen ohne deren Wissen ermöglicht. Diese Situation führe bei den Gefangenen zu einer Verinnerlichung der Disziplin. Auf diese Weise produzieren die Diszip-linartechniken zugleich die Seele, die Foucault als Effekt einer Machtwirkung, als „‚Gefängnis des Körpers‘“, beschreibt (zitiert nach Kerner 2009b, 23f.).

Auf der personalen Ebene affiziere Macht die Subjekte,

„indem sie Körper Disziplinartechniken unterwirft, indem sie Menschen klassifiziert und dabei spezifische Seinsweisen normalisiert, und schließlich indem sie das Verhalten und Selbstverhältnis von Subjekten reguliert“ (Kerner 2009b, 36).

Der Frage nach der Normalisierung von Seinsweisen und der Selbstverhält-nisse habe sich Foucault u. a. in Sexualität und Wahrheit zugewandt. Bei der Analyse der Mechanismen der Machtausübung in Bezug auf Sexualität und Lust erweise sich das Modell der Disziplinarmacht als unzureichend. Foucault gehe nicht allein von repressiven Effekten von Macht auf die Lust aus, sondern

von Machtverhältnissen, die Sexualität und Lust produktiv machen und inten-sivieren (Kerner 2009b, 25). Diesbezüglich wurde im Kapitel 4 erläutert, dass das Sexualitätsdispositiv im Zuge der Herausbildung moderner Staatlichkeit und der „Entdeckung“ der Bevölkerung als ökonomisches und politisches Problem säkularisiert und aus einer klösterlich-pastoralen Tradition herausge-holt wurde. Auch Kerner (2009b, 26) verweist auf diese Zusammenhänge.

Im Gegensatz zur Disziplin, die die Seele als Effekt einer äußerlichen und disziplinierenden Macht formt, betont Kerner (2009b, 26) hinsichtlich des Se-xualitätsdispositivs, dass darin „der Diskurs zumindest partiell ‚direkt‘ auf das Selbstverhältnis einer Person wirkt – ein Selbstverhältnis, das körperliche und seelische Aspekte vereint“. Allerdings habe sich Foucault Kerner zufolge in Bezug auf die machtanalytischen Konsequenzen seiner Überlegungen zum Se-xualitätsdispositiv schwergetan. Dies würden seine allgemein gehaltenen Aus-führungen zu Macht in Der Wille zum Wissen belegen, die Macht als

„die Vielfältigkeit von Kraftverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren; das Spiel, das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kraftverhältnisse verwandelt, verstärkt, verkehrt; die Stützen, die diese Kraftverhältnisse aneinander finden, indem sie sich zu Systemen verketten – oder die Verschiebungen und Widersprüche, die sich gegeneinander isolieren; und schließlich die Strategien, in denen sie zur Wirkung gelangen und deren große Linien und institutionelle Kristallisierungen sich in den Staatsapparaten, in der Gesetzgebung und in den gesellschaftlichen Hegemonien verkörpern“ definieren (Foucault 1983b, 113f. zitiert nach: Kerner 2009b, 27).

Wie Kerner (2009b, 27) kritisiert, unterlasse es Foucault jedoch, die Wirkun-gen dieser Machtmechanismen auf die einzelnen Subjekte zu explizieren. In Der Wille zum Wissen nehme Foucault eher eine „sozialtheoretische Beschrei-bung der Dispositive“ vor, statt die subjekttheoretischen Konsequenzen dieser Machtkonzeption zu skizzieren (ebd.). Im Gegensatz zu Überwachen und Stra-fen, wo Foucault ausführlich beschreibe

„auf welche Weisen die Disziplinarmacht die Seele erreicht, sind Foucaults analytische An-strengungen im Willen zum Wissen eher auf das Dispositiv selbst, auf dessen Anatomie ge-richtet als auf die Modi seiner Wirkungen auf das Subjekt“ (ebd., 28).

Dementsprechend würde „[d]as Vermögen der Macht, auch ohne Techniken der Disziplinierung bis in die Verhaltensweisen vorzudringen und gar die Lust zu kontrollieren (…) eher postuliert als expliziert“ (ebd.). Die „Machtwirkun-gen auf das Subjekt jenseits der Disziplinierung“ präzisiere Foucault erst in seinem Aufsatz Subjekt und Macht, worin er die Frage nach der Subjektwer-dung (und nicht die Machtanalytik) zu seinem zentralen Forschungsgegen-stand erklärt (ebd.). In Subjekt und Macht beschreibe Foucault den Zusammen-hang zwischen epistemischen und institutionellen Machttechniken und einzel-nen Persoeinzel-nen als eieinzel-nen Subjektivierungsprozess, der zwar Unterjochungs- und Unterwerfungsmomente beinhalte, die diesen Prozess allerdings nicht

deter-minieren. Vielmehr basierten auch die Machtbeziehungen letztlich auf Frei-heit, und insofern veranschlage Foucault „die Partizipation des Subjektes an seiner eigenen Subjektivierung tatsächlich grundsätzlich“ (Kerner 2009b, 29f.).165 Foucaults Überlegungen zum Begriff des Regierens und zur Gouver-nementalität rezipiert Kerner allerdings nicht.

Hingegen wird in dieser Arbeit vorgeschlagen, die Regierungstechnolo-gien als spezifische MachttechnoloRegierungstechnolo-gien zu verstehen, die – vermittelt über die von ihnen gezeitigten individualisierenden und totalisierenden Effekte – auf verschiedene intersektionale Analyseebenen verweisen. Zwar geht auch Ker-ner von „Interdependenzen“ und „Ununterscheidbarkeitseffekten“ zwischen den Machtebenen aus. Ohne eine Rezeption von Foucaults gouvernementali-tätstheoretischen Überlegungen kann jedoch die Bedeutung der Regierungs-techniken als Scharnier zwischen gesellschaftlicher Strukturierung bzw. poli-tischen Institutionen und Subjektivierung nicht erfasst werden.

Auch die von Foucault unterschiedenen Logiken oder Funktionsweisen von Macht und ihr Zusammenwirken diskutiert Kerner nicht systematisch und nutzt dessen Machtanalytik in erster Linie zur Bestimmung eines Wirkungs-raumes von Macht als epistemisch, institutionell und personal. Zwar stellt auch sie Foucaults Konzeption der Bio-Macht als Politisierung des Zusammenhangs von Sexualität und staatlichem Rassismus in Abgrenzung zur Souveränitäts- und zur Disziplinarmacht vor, ohne dabei auf deren unterschiedliche Funkti-onslogiken systematisch genauer einzugehen (ebd., 31ff.). Kerner greift ledig-lich die Bio-Macht als Kopplung von Rassismus und Sexismus auf (Kerner 2009b, 164f.; 341ff.). Die im nächsten Unterkapitel ausführlich entwickelte Interpretation von Foucaults Machtanalytik zielt hingegen gerade auf die Frage, wie divergierende Logiken und Wirkungsweisen intersektionaler Machtverhältnisse unterschieden werden können – nicht zuletzt, um divergie-rende, intersektional Regierungsweisen von Prostitution identifizieren zu kön-nen. Dabei wird sich zeigen, dass sich die unterschiedlichen Funktionslogiken von Macht gerade nicht mit den von Kerner unterschiedenen Analyseebenen gleichsetzen lassen.

Die Analyse der unterschiedlichen Intersektionalitätsansätze bestätigt den Befund von Kley (2013, 200f.), dass das Verständnis von Macht und Herr-schaft entsprechend den „vielfältigen theoretischen Ansätzen, mit denen sozi-ale Ungleichheit und Differenz begriffen werden“, variiert. Die Folge ist, dass

165 Als Beleg führt Kerner Foucaults Arbeiten zu antiken Selbstverhältnissen und Praktiken der Selbstführung an (vgl. Foucault 1984d, 1986). Sie schlägt allerdings nicht den Bogen zu mo-dernen Formen des Regierens, die auf Freiheit und auf Selbsttechniken beruhen. Auch Balke (2008, 286f.) zufolge beschränken sich Foucaults Überlegungen zu den Selbsttechnologien des Subjekts nicht auf die Antike.

„[d]amit (…) oft undeutlich [bleibt, H.M.], wodurch sich ein herrschaftskritischer Zugang zum Komplex von Differenz und Ungleichheit auszeichnet bzw. was kritisiert wird, wenn Herrschaft kritisiert wird“ (ebd., 201).

Knapps Analysen rücken Ungleichheitsstrukturen und Herrschaftszusammen-hänge ins Zentrum. Zugleich geht sie von epistemischen Pfadabhängigkeiten aus, die dazu führen, dass bestehende Bezüge zwischen materialistischen und gouvernementalitätstheoretischen Zugängen in der Analyse verloren gehen.

Obwohl sie mitunter eine stärkere begriffliche Differenzierung von Herrschaft, Macht und Ungleichheit einfordert, bringt sie ihre eigenen Überlegungen zu einer feministischen Perspektive auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse nicht in die Intersektionalitätsdebatte ein und differenziert die von ihr genutzen Be-griffe kaum.

Walgenbach unterscheidet begrifflich zwischen Macht, Herrschaft und Ungleichheit. Sie selbst führt jedoch den Begriff der strukturellen Dominanz ein und will ihn anstelle von Macht und Herrschaft verwenden. Ich habe jedoch argumentiert, dass daraus keine Präzisierung der Machtanalytik resultiert und Walgenbach zugleich die für die Politikwissenschaft zentralen Begriffe Macht und Herrschaft durch einen Terminus substituiert, der keinen Beitrag zu grö-ßerer begrifflicher Klarheit leistet und ausschließlich negativ konnotiert ist.

Während Degele und Winker davon sprechen, dass die Ungleichheit ge-nerierenden Kategorien Geschlecht, Klasse, ‚Rasse‘ und Körper auf der Struk-turebene Herrschaftsverhältnisse begründen, versteht Kerner Rassismen und Sexismen als komplexe Machtverhältnisse. Degele und Winker reduzieren ihr Verständnis von Herrschaft jedoch weitestgehend auf Ungleichheit, die primär aus der Funktionsweise kapitalistischer Produktions- und Reproduktionsver-hältnisse resultiert. Kerner hingegen rekonstruiert die Foucault’sche Macht-analytik ohne dabei dessen Kritik des Regierens und seine gouvernementali-tätstheoretischen Überlegen aufzugreifen. Damit – dies wird im nächsten Ab-schnitt deutlich werden – können jedoch die unterschiedlichen Funktionslogi-ken von Macht nicht systematisch erfasst, sondern lediglich die Reichweite, bzw. die Verortung von Macht als epistemisch, personal oder institutionell be-stimmt werden. Es ist jedoch gerade die Unterscheidung spezifischer intersek-tionaler Funktionslogiken bzw. Regierungsweisen, die sich für die hier noch vorzunehmende Analyse der Problematisierung von Prostitution als zentral er-weisen wird. Zunächst wird dazu im nächsten Unterkapitel aufgezeigt, welche Funktionsweisen bzw. Modi der Ausübung von Macht Foucault unterscheidet und wie er zwischen Macht und Herrschaft differenziert.