• Keine Ergebnisse gefunden

Teil I: Intersektionalität und Gouvernementalität

6.1 Intersektionalität – erfolgreiche oder vermeintliche Kritik der

6.1.2 Macht-, Ungleichheits- und Herrschaftssensibilität als

Intersektionalität wird aus verschiedenen theoretischen Perspektiven kritisiert.

Trotz ihrer Heterogenität, sind Intersektionalitätsansätze ihrem Selbstverständ-nis nach besonders sensibel für Macht-, Ungleichheits- oder Herrschaftsver-hältnisse. Besonders deutlich wird dies bei der Abgrenzung von Intersektiona-lität und anderen Zugängen wie Diversität oder Heterogenität.

154 Lorey (2011a, 2011b) veranschaulicht dies anhand von Judith Butlers Kritik an der Konsti-tution der politischen Kategorie Frau. So müssten „normative theoretische Grundlegungen stets durch Ausschließung abgegrenzt und abgesichert werden“ (Lorey 2011b, 104), die je-doch permanent zu scheitern drohe. Der Versuch der Konstitution eines kollektiven Subjek-tes der ‚Frauen‘ stelle eine Immunisierungsstrategie dar, dessen Anrufung genau die Zersplit-terung hervorrufe, die ursprünglich überwunden werden sollte.

155 Zudem ist die hier vorgestellte Kritik an Intersektionalität teilweise pauschalisierend formu-liert, ohne dass zwischen verschiedenen Ansätzen differenziert wird. So sprechen Gutiérrez Rodríguez und auch Erel u. a. zumeist von der deutschen, etablierten Intersektionalitätsfor-schung, während Lorey alle Ansätze negativ beurteilt, die von Kategorisierungen ausgehen, also auch etwa Walgenbachs Überlegungen zu Interdependenzen oder die Critical Whitness Studies.

So hält etwa Walgenbach (2014a, 65) fest, dass sich intersektionale Ana-lysen in Abgrenzung zu Konzepten wie Diversity und Heterogenität „aus-schließlich auf soziale Ungleichheiten bzw. Macht- und Herrschaftsverhält-nisse“ konzentrieren. Begriffe wie Heterogenität oder Diversity seien deu-tungsoffener angelegt, so dass Differenzen auch als positive Ressource er-scheinen (Walgenbach 2010, 246). Intersektionalität hingegen analysiert „his-torisch gewordene Macht- und Herrschaftsverhältnisse, Subjektivierungspro-zesse sowie soziale Ungleichheiten wie Geschlecht, Sexualität/Heteronorma-tivität, Race/Ethnizität/Nation, Behinderung oder soziales Milieu“ in ihrer Gleichzeitigkeit und ihrem Zusammenwirken (Walgenbach 2014a, 54f.). Die

„Wechselbeziehungen von Macht-, Herrschafts- und Normierungsverhält-nisse“ seien das Forschungsfeld von Intersektionalität (ebd., 60). Zugleich be-zeichnet sie den Fokus auf Macht- und Herrschaftsverhältnisse sogar als „Min-deststandard“ für intersektionale Theoriebildung, indem „Differenzen bzw. so-ziale Ungleichheiten stets als Resultat von Macht- und Verteilungskämpfen sowie als Legitimationsdiskurse für Ausbeutung, Marginalisierung und Be-nachteiligung gesehen werden“ (Walgenbach 2014a, 65f. unter Bezugnahme auf Leiprecht und Lutz). Ihr zufolge unterscheidet sich Intersektionalität durch ein „normatives commitment“ von Heterogenität und Diversity (Walgenbach 2010, 245f.).

Auch Knapp (2013b, 343f.) geht von einer gewissen Spannung zwischen Diversity und Intersektionalität aus, obwohl beide Felder auf Praxen der Gleichstellung und Probleme von Diskriminierung verweisen und sich die An-tidiskriminierungspolitik als gemeinsamen Gegenstand teilen. Dennoch unter-stellt Knapp dem Diversity-Konzept einen leichteren Anschluss an Diskurse, die Vielfalt eher in ökonomischen Begriffen als leistungssteigernd oder kultu-ralistisch als bereichernd empfinden, als dass es sich wie Intersektionalität „mit der Frage nach Machtverhältnissen und Ungleichheit in einem gesellschafts-strukturellen oder dekonstruktiven Verständnis“ verknüpfen lasse (Knapp 2013b, 344).156 Knapp stellt also Intersektionalität zumindest im Vergleich mit Diversity als machtsensibler und – entgegen der Kritik von Soiland –, als durchweg gesellschaftstheoretisch anschlussfähig dar. Ebenso heißt es bei Sauer und Wöhl (2008, 265ff.), dass Diversitätspolitiken mit einer multiplen Individualisierung einhergingen und diese entsolidarisierende und entpolitisie-rende Effekte zeitigten. Zugleich machen die Autorinnen Diversitätspolitiken für die Entkoppelung von Diversifizierung und Strukturen sozialer Ungleich-heit verantwortlich, da diese die soziale Frage und Klassenverhältnisse

ver-156 Zugleich warnt sie vor einer pauschalisierenden Kritik und einer Reduktion von Diversity auf Management-Konzepte (Knapp 2013b, 344; vgl. ähnlich auch Dietze u. a. 2007, 8).

leugneten. Um ihre Position zu begründen, entwickeln die Autorinnen ein Ver-ständnis von Intersektionalität, das staats- und hegemonietheoretisch eingebet-tet ist (ebd., 259ff.).157

Den hier skizzierten Positionen zufolge zeichnet sich Intersektionalität also gerade im Gegensatz zu Konzepten wie Diversität oder Vielfalt durch eine Perspektive aus, die Macht-, Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse kri-tisch analysieren will.158 Zugleich ergeben sich mit diesem Anspruch Prob-leme, die mit den im letzten Abschnitt skizzierten Kritiken noch gar nicht in den Blick geraten sind. Dies betrifft vor allem den Gebrauch von Begriffen: In der vorliegenden Arbeit vertrete ich die These, dass in der Intersektionalitäts-debatte nicht ausreichend zwischen Macht, Ungleichheit, Diskriminierung und Herrschaft unterschieden wird und dass diese suggerierte Gleichartigkeit der Begriffe problematisch ist. Die bislang angeführten Zitate illustrieren bereits, dass ganz unterschiedliche Termini – und dies zum Teil sogar in einem Atem-zug und ohne Erläuterung der jeweils konkret Atem-zugewiesenen Bedeutung – wie Macht, Machtverhältnissen, Ungleichheit, Dominanzverhältnissen und Herr-schaftsverhältnissen – genutzt werden. So fordert auch Löffler (2013, 420) eine „Begriffsdiskussion, die die wiederkehrende Aufzählung ‚Macht, Herr-schaft, Ungleichheit‘ (…) und die damit suggerierte Gleichartigkeit der Be-griffe unmöglich machen würde“.159

Einleitend wurde bereits anhand der Gegenüberstellung der Machtbegriffe von Arendt und Weber unterstrichen, dass es nicht allein um eine Abgrenzung und eine Bestimmung des Verhältnisses der jeweiligen Begriffe zueinander gehen kann. Denn bereits der Machtbegriff selbst ist so facettenreich, dass es zu Ungenauigkeiten führt, wenn seine Bedeutung lediglich implizit vorausge-setzt wird. Diesbezüglich kritisiert auch Kley (2013, 200) die „theoretischen Bezugnahmen auf Macht und Herrschaft in der Intersektionalitätsforschung“

als „implizit und zuweilen inkohärent“. Obwohl „die Notwendigkeit einer macht- und herrschaftskritischen Perspektive häufig betont wird“, werde in der Debatte „das, was unter Macht und Herrschaft jeweils verstanden wird, (…) nicht hinreichend expliziert“ (ebd.). Deshalb wird nun der Umgang der bereits bekannten Intersektionalitätsansätze mit den Begrifflichkeiten wie Macht, Herrschaft oder Ungleichheit genauer analysiert.

157 Zur staatstheoretischen Einbettung von Intersektionalität vgl. ausführlich Sauer (2012) sowie für eine staatstheoretische Kritik an Diversity vgl. Sauer (2007). Ähnlich spricht sich Corne-lia Möser (2013, 53) dagegen aus, Intersektionalität im Französischen als mixité zu überset-zen. Sie begründet dies mit der engen Verbindung zwischen mixité und Diversity, durch die die „Kritik an gesellschaftlichen Ungleichheits- und Machtverhältnissen“ verloren gehe.

158 Ähnlich gehen auch andere Autorinnen vor, vgl. Rommelspacher (2009) und Riegraf (2010).

159 Löffler (2013, 420) geht davon aus, dass sich bei nicht-gesellschaftstheoretisch orientierten Konzepten von Intersektionalität die „begriffliche Unbestimmtheit“ von Herrschaft negativ auswirke: „Denn ohne gesellschaftliche Strukturen ist Herrschaft nicht denkbar, sondern löst sich in Macht(spiele) auf“ (ebd.).