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Teil I: Intersektionalität und Gouvernementalität

2.5 Intersektionalität in disziplinüberschreitenden Räumen

Das Anliegen, eine eigenständige, machtanalytisch geschärfte intersektionale Perspektive zu entwickeln, muss einen Umgang mit heterogenen Terminolo-gien, theoretischen Hintergründen und disziplinären Kontexten finden, die die gegenwärtigen Debatten um Intersektionalität prägen.52 Dafür sind Überset-zungen notwendig, die nicht allein auf die „transatlantische Reise“ (Knapp 2009) von Intersektionalität reduzierbar sind, sondern die vielmehr auf diszi-plinüberschreitende Wanderungsbewegungen von Intersektionalität und den damit zusammenhängenden Verschiebungen und Perspektivierungen verwei-sen.53 Obwohl sich die Geschlechterforschung auch als eigene, traditionelle Fachgrenzen überschreitende Querschnittsdisziplin versteht, kann angesichts des heterogenen Forschungsfeldes, das sich auf Intersektionalität bezieht, das Vorhandensein einer gemeinsamen wissenschaftlichen Sprache nicht einfach unterstellt werden.54 Dies trifft selbst dann zu, wenn man lediglich sozialwis-senschaftliche Beiträge aus politikwissozialwis-senschaftlicher, soziologischer, rechts-wissenschaftlicher oder ethnologischer Perspektive berücksichtigt. So verwun-dert es nicht, dass der Status von Intersektionalität als Theorie, Methodologie, Heuristik, Paradigma oder als politisches Projekt (Davis 2008b, 28f.) umstrit-ten ist.55

52 Davis (2008a, 68) benennt sozial-, wirtschafts- und geisteswissenschaftliche Disziplinen, die das Intersektionalitätskonzept u. a. mittels phänomenologischer, strukturalistischer, psycho-analytischer und dekonstruktivistischer Zugänge nutzen und die u. a. feministische, antiras-sistische, multikulturelle, queere oder disability Perspektiven vertreten.

53 Zum Konzept des Reisens von Theorien im Hinblick auf Intersektionalität vgl. auch Knapp (2005b) sowie kritisch Chebout (2011), beide mit einem Bezug auf Said (1997).

54 Vgl. zum Verhältnis von Geschlechterforschung und Inter-/Disziplinarität die Beiträge in Kahlert, Thiessen und Weller (2005), sowie Hark (2005a, 335ff.).

55 Knapp (2008a, 44) bezweifelt die Theoriefähigkeit von Intersektionalität und plädiert dafür, Intersektionalität als heuristisches Instrument zu betrachten (Knapp 2013b, 345 mit Bezug auf Anthias und Yuval-Davis). Während Walgenbach (2007) Intersektionalität zunächst als heuristisches Instrument und theoretisches Modell begreift, argumentiert sie inzwischen für Intersektionalität als neues Paradigma der Geschlechterforschung (Walgenbach 2012b). Um-gekehrt beschreibt Weinbach (2008) Intersektionalität zunächst als ein – wenngleich für die Analyse sozialer Ungleichheitsverhältnisse nicht besonders nützliches – Paradigma, um es

Es ist erstaunlich, dass sich die Intersektionalitätsforschung bislang kaum mit Interdisziplinarität auseinandergesetzt hat, sondern sich vor allem mit den Folgen des räumlich-kulturellen Wissenstransfers von Intersektionalität aus dem anglo-amerikanischen in den europäischen Kontext beschäftigt hat (Davis 2008b; Knapp 2009, 2005b; Chebout 2011). Lediglich ansatzweise wird dabei über die Transformationsprozesse reflektiert, die mit der ‚Reise‘ eines Begriffs der Critical Race Studies in andere Disziplinen einhergehen.

Kerner führt die weitgehende Auslassung von Klassenverhältnissen in Crenshaws Überlegungen auf deren Verankerung in rechtswissenschaftlichen Diskursen zurück, da die Existenz sozialer Ungleichheit dem Selbstverständnis liberaldemokratischer Gesellschaften teilweise entspreche (Kerner 2011, 187f.).56 Lutz, Vivar und Supik (2010b, 15f.) thematisieren die ungleichzeitige Aufnahme von Intersektionalität durch die europäischen Rechts- und Sozial-wissenschaften und fragen nach Übersetzungsschwierigkeiten im Zwischen-raum dieser beiden Disziplinen und benennen die unterschiedlichen transatlan-tischen Traditionen als Ursache: In den U.S.A. seien Frauenrechte mit dem Bürgerrechtsdiskurs, in Deutschland hingegen mit der Arbeiterbewegung ver-knüpft. Zugleich bestehe eine Diskrepanz zwischen einem am Einzelfall ori-entierten Antidiskriminierungsrechtsdiskurs und einer Soziologie der sozialen Ungleichheit, welche Strukturkategorien zu erfassen suche. Chebout (2011, 2012) kritisiert eine solche Gegenüberstellung der am Antidiskriminierungs-recht orientierten Critical Race Theory mit einer gesellschaftstheoretisch und -politisch fundierten Sozialwissenschaft als verkürzt und plädiert für eine ge-sellschaftskritische Re-Lektüre und Interpretation des amerikanischen Inter-sectionality-Verständnisses. Hingegen betont Tove Soiland (2008) die grund-sätzliche Inkompatibilität zwischen einem in der Antidiskriminierungspolitik fundiertem Konzept der Intersektionalität mit einer soziologisch fundierten Gesellschaftstheorie.57 Dabei bleibt jedoch sowohl bei Chebout als auch bei Soiland unklar, welche Konsequenzen diese – konträren – Positionen für eine (inter-)disziplinäre Intersektionalitätsforschung haben, die rechtswissenschaft-liche und soziologische Positionen integriert. Demgegenüber betont Yuval-Davis (2010, 187f.), dass einige der Streitpunkte der Intersektionalitätsdebatte aus den heterogenen Erkenntnisinteressen und Forschungszwecken sowie aus differenten disziplinären Traditionen resultieren. Diese Einschätzung teilen auch Degele und Winker (2009, 18), die hinsichtlich der Frage, auf welcher

später als „Beobachtungsschema“ zu bezeichnen, dessen Zielsetzung mit dem Standpunkt des Beobachters variiere (Weinbach 2013). Ablehnend bezüglich des Status als Paradigma positioniert sich Bührmann (2009). Für Intersektionalität als Gesellschaftstheorie plädieren u. a. Knapp (2008c) und Klinger (2008); vgl. zur Methodologie McCall (2005) sowie Davis (2008a).

56 Vgl. zum Verhältnis von ‚Klasse‘ und Antidiskriminierungsrecht auch Vinz (2011), Verloo (2006), Lombardo und Verloo (2009) sowie Sauer (2012).

57 Vgl. hierzu kritisch Knapp (2008b), Pühl (2008), Vinz (2008).

theoretischen Ebene Intersektionalitätsforschung betrieben werden solle, „dis-ziplinäre Gebundenheiten und entsprechende methodische Kompetenzen“ als ausschlaggebend erachten (ebd., 23). Ihre eigene Verortung innerhalb der So-ziologie reflektieren die beiden Autorinnen jedoch nur marginal.

Klinger, Knapp und Sauer (2007b, 9ff.) sprechen bezüglich ihres Konzep-tes der „Achsen der Ungleichheit“, mit denen sie das Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität beleuchten, von der disziplinären Heterogenität als

„Herausforderung“ sowie als „Chance“, um „Wissenschaftsgebiete und Theo-rietraditionen, die gemeinhin wenig miteinander im Gespräch sind“ zu einem Austausch und zu einer Erweiterung ihrer Perspektiven zu bewegen.58 Eine auf diese Aussagen Bezug nehmende, systematische Reflexion über das Verhältnis von Interdisziplinarität und Intersektionalität hat bislang allerdings nicht statt-gefunden. Dies mag umso mehr verwundern, da Knapp (2008c, 146) selbst hervorhebt, dass eine intersektionale Programmatik eine zugleich transdiszip-linäre wie theorien- und paradigmenübergreifende Orientierung verlange.

Nachdrücklich weist sie auf den „Unterschied ums Ganze“ hin, der zwischen

„raceclassgender“ als einem „schnell reisenden ‚Mantra‘“ und „kontextsensib-len Übersetzungen“ bestehe (Knapp 2009, 229f.).

Möglicherweise wird die Notwendigkeit einer verstärkten Auseinander-setzung mit Interdisziplinarität jedoch deshalb nicht gesehen, weil viele deutschsprachige Schlüsseltexte zu Intersektionalität soziologisch geprägt sind und sich deshalb die Erklärung von sozialen – und nicht etwa politischen – Ungleichheitsverhältnissen scheinbar aufdrängt.59 Publikationstitel wie Inter-sektionaliät. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten (Degele und Winker 2009) oder Intersektionalität: Zum Wechselverhältnis von Geschlecht und sozialer Ungleichheit (Lenz 2010) illustrieren diesen Umstand ebenso, wie die Rede von den Achsen der Ungleichheit (Klinger, Knapp und Sauer 2007a), mit deren Hilfe das Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität bestimmt werden soll und die auf kritische Gesellschaftstheorie und soziologische Ungleich-heitsforschung Bezug nehmen.60 Das Vorherrschen einer soziologischen Per-spektive in der Intersektionalitätsdebatte konstatiert auch die Politikwissen-schaftlerin Marion Löffler (2013, 420). Sie kritisiert die damit verbundene be-grenzende Gleichsetzung von Intersektionalität mit Ungleichheitsforschung als „innersoziologischen Ausgleich zwischen Systemtheorie und Kapitalis-muskritik“ und plädiert für eine „Begriffsdiskussion, die die wiederkehrende Aufzählung ‚Macht, Herrschaft, Ungleichheit‘ (…) und die damit suggerierte 58 Ähnlich argumentieren auch Smyikalla und Vinz (2011a, 13f.) in ihrer Einleitung zu

Inter-sektionalität zwischen Gender und Diversity.

59 Auch die erziehungswissenschaftliche Forschung, die ebenfalls in der Intersektionalitätsfor-schung stark vertreten ist, fokussiert auf die Auswirkungen sozialer Ungleichheit, vornehm-lich im Bildungsbereich (vgl. exemplarisch Emmerich und Hormel 2013).

60 Diese Liste ließe sich fortsetzen, vgl. etwa die Beiträge von Aulenbacher und Riegraf (2012), Weinbach (2008), Burzan (2013) und Weiss (2013).

Gleichartigkeit der Begriffe unmöglich machen würde“ (Löffler 2013, 420).61 An eine solche Kritik knüpft auch das vorliegende Forschungsprojekt an, des-sen Fokus gerade nicht auf der Analyser sozialer Ungleichheitslagen, sondern auf der Frage liegt, wie durch die Problematisierung der Prostitution politische Macht- und Herrschaftsverhältnisse hergestellt werden und wie Macht inter-sektional ausgeübt wird. Um dieser Frage nach dem Zusammenspiel und den Funktionslogiken intersektionaler Machtverhältnisse nachzugehen, wird Löff-lers Kritik bei der Klärung des Verhältnisses zwischen Intersektionalität und Macht wieder aufgegriffen. Zwar verweist auch die Analyse politischer Macht- und Herrschaftsverhältnisse auf Ungleichheit. Es ist jedoch gerade das Ver-hältnis bzw. die Übersetzung von sozialer und politischer (Un-)Gleichheit, das hierbei analysiert werden soll.

Im nächsten Kapitel werden geteilte Grundannahmen und Gemeinsamkei-ten verschiedener Ansätze von Intersektionalität herausgearbeitet.

61 Löfflers (2013, 420) Kritik richtet sich auch gegen die „faktische Dominanz der Soziologie“

bei der Besetzung von Professuren, die dem disziplinübergreifenden Verständnis der Gender Studien widerspreche.

3 Geteilte Grundannahmen in der Intersektionalitätsdebatte

Folgt man Nira Yuval-Davis (2010, 188), ist intuitiv verständlich, was Inter-sektionalität bedeutet und es ist naheliegend, zunächst nicht nach den Kontro-versen und Debatten, sondern nach den gemeinsamen Bezugspunkten einer in-tersektionalen Perspektive zu fragen. Im Folgenden zeige ich auf, dass sich dies jedoch als schwierig erweist, da sich bei der Suche nach geteilten Grund-annahmen zügig Hinweise auf Kontroversen und Debatten ergeben.