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Teil I: Intersektionalität und Gouvernementalität

6.2 Ungleichheit, Herrschaft, Macht und Dominanz: Begriffliche

6.2.3 Dominanzkritik

Walgenbach hingegen bemüht sich um eine Unterscheidung zwischen sozialer Ungleichheit auf der einen und Macht- und Herrschaftsverhältnissen auf der anderen Seite. Soziale Ungleichheit definiert sie nach Kreckel als eine dauer-haft ungleich verteilte Einschränkung des Zugangs zu erstrebenswerten sozia-len Gütern sowie zu soziasozia-len Positionen, die mit ungleichen Macht- und Inter-aktionsmöglichkeiten ausgestattet sind. Daraus resultiere eine Begünstigung bzw. eine Benachteiligung bestimmter Individuen, Gruppen oder Gesellschaf-ten hinsichtlich ihrer Lebenschancen (Walgenbach 2014a, 66 mit Bezug auf Kreckel). Ähnlich wie Degele und Winker betont Walgenbach also die Funk-tion sozialer Ungleichheiten als gesellschaftlicher Platzanweiser für Indivi-duen, die den Zugang zu bezahlter Erwerbsarbeit regulieren und die Möglich-keiten beruflichen Erfolgs oder des Zugangs zu höherer Bildung strukturieren (ebd.). Hingegen wiesen Macht- und Herrschaftsverhältnisse über die Fragen von Lebenschancen, Bildung, Qualifikation und Erwerbsarbeit hinaus.

„Machtverhältnisse wie Sexismus/Patriarchat/Geschlechterverhältnisse, Hete-ronormativität, Rassismus oder Klassenverhältnisse/Klassenherrschaft/Klas-sismus“, schreibt Walgenbach (2014a, 66), seien „strukturell in der Gesell-schaft verankert“ und operierten dementsprechend auf allen gesellGesell-schaftlichen 162 Vgl. zu Knapps geschlechtertheoretischen Differenzierungen zu Macht und Herrschaft in

Be-zug auf Intersektionalität auch ausführlich Kley (2013, 202ff.).

Ebenen (soziale Strukturen, Institutionen, symbolische Ordnungssysteme, so-ziale Praktiken, Subjektformationen). So bestimmten „Macht- und Herr-schaftsverhältnisse“ ob Subjekte „in gesellschaftlichen Repräsentationsregi-men“ integriert sind; zugleich äußerten sie sich „in körperlicher und symboli-sche[r] Gewalt“ sowie „in einem bestimmten Habitus“ (ebd., 66f.).

Walgenbach selbst bevorzugt den Begriff der „strukturellen Dominanz“

gegenüber anderen Terminologien, da er „spezifischer als der Begriff ‚Macht‘

und umfassender als der Terminus ‚Herrschaft‘ angelegt“ sei (Walgenbach 2007, 56, Hervorhebung H.M.). Dabei kritisiert Walgenbach den Facetten-reichtum des Machtbegriffs, der diverse Verhältnisse beschreibe, die auf Struk-turen und Institutionen aber auch auf individuelles Vermögen oder auf Wil-lenskraft zurückzuführen seien. Der Begriff der Herrschaft, den Walgenbach in einem Weber’schen Sinne versteht, sei zu stark auf Befehls- und Legitima-tionsstrukturen fokussiert, so dass er „weniger hegemoniale oder nicht-staatli-che Dimensionen von Macht“ nicht mehr erfassen könne (ebd.). Deshalb schlägt Walgenbach den Begriff der Dominanz vor, um die strukturellen Ei-genschaften von Macht erfassen zu können. Dominanz bezeichne „ein relativ stabiles, hierarchisch strukturiertes Machtgefüge, das mehr als das Machtver-hältnis zwischen zwei Individuen“ umfasse (ebd.). Zugleich lasse sich der Be-griff eben nicht auf eine „Befehl- und Gehorsamstruktur“ reduzieren, so dass

„auch die hegemoniale Vorherrschaft eines Kollektivs“ problematisiert wer-den könne (ebd.). Dominanzverhältnisse seien nicht nur kulturell hergestellt, sondern auch in materiellen Strukturen und Ausbeutungsbeziehungen mani-fest, die wiederum als historisch und sozial kontextualisiert und umkämpft be-griffen werden müssten (ebd.).

Ihren Begriff der strukturellen Dominanzverhältnisse entwickelt Walgen-bach zunächst anhand der Kritik anderer theoretischer Modelle (u. a. den Ach-sen der Ungleichheit und doing difference).163 Walgenbach (2007, 49ff.) führt aus, dass der Ansatz des doing difference soziale Ungleichheit auf die Herstel-lung von Differenzen wie race, class oder gender in sozialen Interaktionspro-zessen reduziere, so dass soziale Strukturen wie etwa Sklaverei oder rassisti-sche Segregation nicht adäquat zu erfassen seien. Klingers Gesellschaftstheo-rie, die Klasse, ‚Rasse‘ und Geschlecht auf Grund ihrer Bezogenheit auf Arbeit und Fremdheit als Grundmuster bzw. Achsen gesellschaftlicher Ungleichheit in der Moderne identifiziert, kritisiert Walgenbach (2007, 52ff.) ebenfalls in mehrfacher Hinsicht als verkürzt. Einerseits sei der alleinige Fokus auf Arbeit und Fremdheit im Zusammenhang mit der Konstruktion von Gesellschaftsach-sen zu eng, weshalb Walgenbach den Einbezug von Religion und Alter fordert.

Zugleich lehnt Walgenbach die von Klinger in Anlehnung an Haraway ge-troffene Gegenüberstellung zwischen ‚spielerischen Differenzen‘ und den 163 Außerdem diskutiert Walgenbach (2007, 48f.) Crenshaws Konzept von Intersektionalität, das sie jedoch nicht auf Grund des Machtverständnisses, sondern bezüglich der Kategorien- und Metaphernkonzeption kritisiert.

Achsen der Ungleichheit als Teil welthistorischer Herrschaftssysteme als zu pauschalisierend ab und fordert dazu auf, den Blick auch auf Zwischenstufen zu richten. Hingegen ermögliche der Begriff der strukturellen Dominanz Wal-genbach zufolge ein weites Verständnis der Grundmuster gesellschaftlicher Ungleichheit (ebd., 56).

Walgenbach verbindet den Begriff der strukturellen Dominanz mit ihrer Konzeption interdependenter sozialer Kategorien. In diesem Zusammenhang bedeute strukturelle Dominanz, dass „ein interdependentes Dominanzverhält-nis bzw. eine interdependente Kategorie“ simultan auf mehreren gesellschaft-lichen Ebenen und gesellschaftgesellschaft-lichen Feldern (re-)produziert wird (ebd., 56).

Strukturelle Dominanz sei historisch, sozial, politisch und kulturell tradiert und durchdringe mehrere gesellschaftliche Bereiche und präge „Lebensverhält-nisse auf fundamentale Weise“, wobei diese Prägung relational und als Produkt sozialer Kämpfe zu verstehen sei (Walgenbach 2007, 56).

Auch die Bedeutung der einzelnen Ebenen und Felder müsse hinsichtlich der (Re-) Produktion von Dominanzverhältnissen als kontextabhängig und va-riabel begriffen werden. Es ist für Walgenbach (2007, 58) jedoch erst das Zu-sammenspiel der Ebenen und Felder, durch die soziale Kategorien zu struktu-rellen Dominanzverhältnissen werden: „Beide Dimensionen [Ebenen und Fel-der, H.M.] spannen quasi eine multidimensionale Machtmatrix auf, innerhalb derer sich strukturelle Dominanz reproduziert“ (ebd.).

Allerdings – so die hier vertretene These – gewinnt Walgenbachs Begriff der strukturellen Dominanz eher über die Betonung des Strukturellen als über den Dominanzbegriff Kontur. Dass Dominanz im Gegensatz zu Macht weniger Rekurs auf individuelles Vermögen oder Willenskraft nimmt, impliziert Wal-genbach nämlich lediglich. Aus der Wortbedeutung von Dominanz lässt sich dies jedenfalls nicht ableiten. So definiert der Duden „Dominanz“ einerseits biologisch im Sinne von „dominanten Genen“, anderseits auch als „Vorherr-schaft“ oder „das Dominieren“ (Duden online 2011). Dies lässt jedoch reich-lich Spielraum dafür, dominieren gerade nicht strukturell, sondern persönreich-lich oder interaktionistisch zu verstehen, so dass offenbleibt, ob strukturelle Domi-nanz tatsächlich etwas Anderes bezeichnet als strukturelle Macht oder Herr-schaft. Aus einer politikwissenschaftlichen Perspektive kommt hinzu, dass Walgenbach mit ihrem Plädoyer für den Begriff der strukturellen Dominanz zwei zentrale Begriffe der politikwissenschaftlichen Theoriebildung – Macht und Herrschaft – verwirft, ohne dass damit ein erkennbarer Mehrwert verbun-den ist. So heißt es etwa in einer klassischen Definition bei Max Weber (1971, 506f.), dass mit dem Politischen immer „Machtverteilungs-, Machterhaltungs- oder Machtverschiebungsinteressen“ verbunden sind: „Wer Politik treibt, er-strebt Macht“. Entsprechend definiert er den für die Politikwissenschaft zent-ralen Gegenstand als (legitimes) „Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“. Auch wenn die Bedeutung des Begriffs des Politischen in der

Po-litikwissenschaft ebenso umstritten ist wie diejenigen von Macht und Herr-schaft, so muss doch festgehalten werden, dass der Dominanzbegriff in der deutschsprachigen Politikwissenschaft nicht gebräuchlich ist.164 Dies hat – so meine These – auch einen guten Grund: Mit Dominanz kann – im Gegensatz zu Begriffen wie Macht und Herrschaft – gerade nicht zwischen ihrer legitimen und illegitimen Ausübung unterschieden werden. Politische Herrschaft kann jedoch, wie Weber unterstreicht, auf ganz unterschiedliche Weise als legitim begründet werden. Zugleich zeigt die politische Theorie von Arendt, dass po-litischer Macht auch ein ermöglichendes Element zukommt. Sie beschreibt Macht als das kollektive Vermögen, ein politisches Gemeinwesen zu gestalten und über die Regeln, die das gesellschaftliche Zusammenleben bestimmen sol-len, demokratisch zu entscheiden. Auch Foucault spricht von der „Produktivi-tät von Machtverhältnissen“ und warnt davor, diese ausschließlich repressiv zu begreifen. Hingegen erscheint Walgenbachs Begriff von Dominanz aus-schließlich negativ konnotiert. Damit beraubt sie sich jedoch der Möglichkeit einer politischen Theorie, die über die in demokratischen Gesellschaften be-stehenden Macht- und Herrschaftsverhältnisse anhand von normativen Krite-rien urteilt. Walgenbach kann nicht mehr danach fragen, unter welchen Vo-raussetzungen die Form der Ausübung von Macht und Herrschaft politisch als legitim zu betrachten ist.