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9.2.1.2 „Parasitäre Vokalharmonie“ und Delinking

9.3 Analyse der phonologischen Komponente

9.3.2 Metaphonie in FUL

Wie in Abschnitt 3.3 ausführlich dargestellt basiert das FUL-Modell (Lahiri & Reetz 2002, 2007) auf privativen Merkmalen, die unterspezifiziert sein können. Dies entspricht dem in Dyck (1995) präsentierten Modell zur Analyse der Metaphonie (siehe ebenso Frigeni 2002).

Des Weiteren bleiben koronale Segmente im Lexikon unterspezifiziert. Die Labiale /ç, o, u/

sind für [dorsal] unterspezifiziert (siehe Tab. 4-5).

Die nachtonigen Metaphonieauslöser /i/ und /u/ sind jeweils für [high] spezifiziert, was sich aus der Notwendigkeit der Auslöser und der phonologischen Prozesse der Metaphonie, wie der Variation vortoniger Vokale ergibt.

Die Spezifikation von /E, a, ç/ für [low] ist in Sluyters (1988), Kaze (1991) und Dyck (1995) für die Dialekte von Servigliano und Francavilla Fontana zu finden, die jeweils Metaphonie aufweisen. Calabrese (1998: 37) kritisiert diese Spezifikation, da die drei Segmente sich nicht gleichartig verhalten. Die gleichzeitige Spezifikation von /E, a, ç/ für [low] würde die a-Metaphonie voraussagen, die in diesen Dialekten aber nicht anzutreffen ist. Dies ist ein kor-rekter und gleichzeitig wichtiger Einwand (siehe auch Zetterstrand 1998: 357). Im Gegensatz zu Sluyters (1988), Kaze (1989) und Dyck (1995) vertrete ich die Auffassung, dass /a/ für [low] unterspezifiziert ist. Dies bedeutet, dass /a/ das Merkmal [low] erst per Default-Regel und zwar nach der Anwendung der Metaphonieregel erhält. Hingegen sind /E/ und /ç/ bereits

im Lexikon für [low] spezifiziert. Somit wird /a/ im Gegensatz zu /E/ und /ç/ nicht von Meta-phonie erfasst.

Der Begriff „unterspezifiziert“ ist nicht mit „nicht spezifiziert“ gleichzusetzen (Lahiri &

Reetz 2002, 2007). Die hohen mittleren Vokale /e/ und /o/ sind für Höhe nicht spezifiziert (vgl. Dyck 1995), da kein Merkmal für sie vorgesehen ist. Sie beziehen auch per Default-Regel kein Merkmal. Hingegen verlieren die mittleren Vokale /E/ und /ç/ durch Anhebung zu [e] und [o] ihre Spezifikation für [low] durch die Abkopplung dieses Merkmals (Delinking, siehe oben).

Diesen Prozess veranschauliche ich anhand vorläufiger Regeln für die Metaphonie im Dia-lekt von Piedimonte Matese (20). Das Beispiel (20a) gibt die Metaphonie der niedrigen mitt-leren Vokale /E/ bzw. /ç/ durch [high] wieder. Wie erwähnt sind /E/ und /ç/ für [low] spezifi-ziert. Durch das Merkmal [high] in wortfinaler Position (#) kommt es zu Delinking des Merkmals [low] für /E/ und /ç/ in betonter Position. Das Resultat ist die Anhebung zu [e] bzw.

[o]. Zwischen Auslöser und Input kann sowohl konsonantisches (C0) als auch vokalisches Material (V0) stehen.

In (20b) werden /e/ und /o/ zu [i] und [u] angehoben. Dies kommt durch Spreading des Merkmals [high] vom Endvokal (/i/ oder /u/) an den betonten Vokal zustande. Für Höhe nicht spezifiziertes /e/ bzw. /o/ erhält die Spezifikation [high], wodurch es zur Anhebung kommt (vgl. Gaglia 2007: 77).27 Die Darstellung von Spreading und Delinking ist angelehnt an Cle-ments & Hume (1995: 282).

(20) a. /»lEndu/ → [»lendu] b. /»mesi/ → [»mi˘si]

x x

V (…C0...V0...) V # V (…C0...V0...) V #

=

[low] [high] nicht spez. [high]

für TH.

Das Segment /a/ wird nicht erfasst, da /a/ für [low] unterspezifiziert ist und von der Regel in (20a) nicht als Input erkannt wird. Die Spezifikation für Höhe erhält /a/ erst durch eine De-fault-Regel (21b), die nach der Metaphonie angewendet wird, da /a/ sonst als [low] erkannt werden würde und durch (21a) angehoben werden müsste.

27 Die suprasegmentale Ebene ist in den folgenden Beispielen mit Ausnahme des Wortakzents ausgespart (siehe hierzu Abschnitt 9.3.1).

(21) a. Metaphonie (20a)

b. Default-Regel für /a/: [ ] → [low]

Ein berechtigter Einwand gegen die Regeln in (20) wäre, dass aufgrund der Unterspezifikati-on vUnterspezifikati-on /a/ für [low] die Regel in (20b) das Segment als Input erfasst sowie es ebenso /e/ und /o/ als Input erkennt, die für Höhe unspezifiziert sind. In Abschnitt 4.4 habe ich bereits darauf hingewiesen. Dieses Problem lässt sich durch die Unterscheidung von Nichtspezifikation und Unterspezifikation abschwächen. Während für Höhe nicht spezifizierte Segmente keine Spe-zifikation per Default-Regel erhalten, wird /a/ nachträglich für [low] spezifiziert. Die Regel in (20b) muss über diese Information verfügen, damit sie nicht auf /a/ angewendet wird. Ich in-terpretiere dieses Vorgehen als Vorteil gegenüber der Spezifikation von /a/ für [low] (siehe Sluyters 1988; Dyck 1995; bzw. [+low] in Kaze 1989, 1991), welche die Vokale /E, a, ç/

gleichartig behandelt.

Bei der Spezifikation von /a/ in meinem Ansatz handelt es sich übrigens nicht um einen Trick, den ich anwende, damit die vorgeschlagene Metaphonieregel greift. Im Gegenteil: Die Unterspezifikation von /a/ und die Zuweisung des Merkmals [low] durch eine nachträgliche Default-Regel basiert ausschließlich auf empirischen Gesichtspunkten. Denn nur so wird aus phonologischer Sicht verständlich, wie sich Dialekte ohne Metaphonie von Dialekten mit a-Metaphonie unterscheiden. Bei der a-a-Metaphonie ist /a/ in den jeweiligen Dialekten nicht un-terspezifiziert, sondern verfügt bereits im Lexion über das Merkmal [low]. Die Unterspezifi-kation von /a/ beantwortet auch Dycks (1995: 16) Frage, weshalb die a-Metaphonie markier-ter ist als die Metaphonie der mittleren Vokale und somit seltener vorkommt. Aus meiner Sicht lässt sich dies gerade mit der Unterspezifikation von /a/ in jenen phonologischen Syste-men, die keine a-Metaphonie vorsehen, empirisch begründen.

Bleibt noch die Frage, weshalb ich im Gegensatz zu Dyck (1995) zwei Metaphonieregeln (20a, b) annehme. Bei Dyck (1995) kommt es nur durch Spreading von [high] zur Metapho-nie. Das Merkmal [low] wird in Bezug auf die unteren Vokale als Reparatur abgekoppelt (vgl.

Calabrese 1998). Ich vertrete hingegen die Meinung, dass die Regel in (20a) für die Metapho-nie von /E/ und /ç/ prinzipiell ausreicht. Wie im Zusammenhang mit Cole (1998) erwähnt handelt es sich bei der Metaphonie der niedrigen mittleren Vokale nicht um eine vollständige Assimilation an den hohen Kontext. Dennoch löst [high] im Kontext die Abkopplung von [low] aus, weshalb ich hierfür eine eigene Regel annehme gegenüber der Anhebung der hohen mittleren Vokale. Ich postuliere für die Metaphonie also nicht aus Gründen der Reparatur zwei Regeln. Eine weitere Motivation, zwei Regeln anzunehmen, hat mit der Vermeidung

einer Anhebung zu tun, die mit der Hypermetaphonie vergleichbar wäre, was ich in Bezug auf Dyck (1995) in Abschnitt 9.3.3 erläutere.

Der generelle Vorteil des auf FUL beruhenden und an Dyck (1995) angelehnten Ansatzes ist, dass eine Übergenerierung durch die Anhebung von /E/ und /ç/, die nachträglich aufgelöst werden muss (vgl. Calabrese 1985, 1988, 1998; Kaze 1989; Myers 1991), vermieden wird.

Die phonologische Regel macht somit korrekte Vorhersagen, bei denen die Merkmale auf-grund ihrer Privativität und Un- bzw. Unterspezifikation nicht miteinander konfligieren.

Außerdem muss im Unterschied zu Kaze (1989) nicht angenommen werden, dass es sich bei der Metaphonie um eine parasitäre Assimilation handelt, nur um die Anhebung von /a/ zu blockieren.

Gegenüber Nibert (1998) und Sluyters (1992) besteht der Vorteil hingegen in der Annahme eines einzigen Merkmals, das die Anhebung auslöst. Dies ist zwar bei Nibert (1998) auf den ersten Blick auch der Fall, da die Anhebung durch das Merkmal [open] begründet wird. Je-doch kommt es für /E/ und /ç/ zur Anhebung durch [−open3], während es sich bei der Meta-phonie von /e/ und /o/ um die Anhebung durch [−open2] handelt. Gegenüber Sluyters (1992) besteht der Vorteil ebenso im Spreading eines einzigen Merkmals. Sluyters (1992) erklärt die Metaphonie hingegen als Spreading des gesamten Knotens APERTURE.