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9.2.1.2 „Parasitäre Vokalharmonie“ und Delinking

10 Metaphonieanalyse III: Phonologie, Morphologie und Lexikon .1 Allgemein

10.2 Ansätze bezüglich der Morphologisierung der Metaphonie

10.2.1 Metaphonie als Ergebnis der Interaktion von Phonetik und Mor- Mor-phologie

Ein Meilenstein in der Erforschung der Metaphonie stellt die Untersuchung in Maiden (1991) dar. Diese Arbeit besticht durch eine detaillierte Analyse diachroner und synchroner Bedin-gungen ebenso wie aufgrund ihrer Vielfalt bezüglich der verwendeten Daten und des diatopi-schen Spektrums, das hierdurch abgedeckt wird.

Maiden (1991) interpretiert das ursprüngliche Zustandekommen der Metaphonie als natürli-chen phonetisnatürli-chen Prozess der Assimilation. Dieser Prozess wurde durch nachtoniges [i] und [u] zunächst in Bezug auf die hohen mittleren Vokale ausgelöst. Die sich hieraus ergebenden paradigmatischen Kontraste wurden vom Sprecher als morphologisch reinterpretiert.

“[…] the operation and resolution of incipient phonetic processes is actually fa-ciliated by characteristic aspects of the structure of morphological paradigms.”

(Maiden 1991: 6)2

Das Interesse von Maiden (1991) gilt dabei der Frage nach der Interaktion von (ursprünglich) phonetischem Prozess und morphologischem System, in dem phonetische Segmente die Rea-lisierung morphologischer Exponenz sind. Maiden (1991) bezeichnet diesen Zusammenhang zwischen phonetischer Substanz und morphologischer Exponenz als morphophonologisch, weil sich hieraus phonologische Oppositionen im morphologischen System ergeben (Maiden

1 Bei der Darstellung der Daten wähle ich wie in Kapitel 9 immer denjenigen Kontext, bei dem die Endvokale und damit der potentiell auslösende phonologische Kontext der Metaphonie voll realisiert werden (7.3).

2 „[…] das Operieren und die Auflösung ursprünglich phonetischer Prozesse wird durch charakteristische Aspek-te der Struktur morphologischer Paradigmen vereinfacht.“

1991: 6). Die Metaphonie stellt dabei den „locus classicus“ (Maiden 1991: 7) der Erforschung dieser Beziehung dar. Die von Maiden (1991) angenommene diachrone Dynamik des phone-tischen Prozesses habe ich in Kapitel 2 erörtert. An dieser Stelle widme ich mich der Frage, wie Maiden (1991: 218) die Morphologisierung des ursprünglich phonetischen Prozesses in-terpretiert.3 Maiden (1991) führt hierfür die folgenden Argumente an:

a) Analogische Generierung der Genusalternation bei Derivationssuffixen vom Typ -one, -ore, -ine: In einigen Dialekten (siehe hierzu insbesondere Tuttle 1985) werden feminine Formen in Bezug auf das jeweilige Derivationssuffix mit [ç] in betonter Silbe gebildet, obwohl etymologisch [o] zu erwarten ist (z.B. [pas»tç˘ra] vs. [pas»to˘re]) (siehe Maiden 1991: 208, 218). Dies kann nur als Morphologisierung der ursprünglich phonetischen Al-ternation interpretiert werden, die sich dem metaphonischen System anpasst.4

b) Neutrumsflexion: Im Dialekt von Servigliano wird die metaphonische Alternation bei-behalten, obwohl sich das Metaphonie bedingende Flexionssuffix -u zum Neutrumssuffix -o entwickelt hat (nera (F.SG) vs. niru (M.SG) vs. niro (NEUTR.)) und lautlich nicht als Auslöser dient (siehe Maiden 1991: 218ff).

c) Feminina der a-e-Deklination im Neapolitanischen: In einigen Varietäten des Nea-politanischen ist in femininen Pluralformen besagter Deklinationsklasse eine aus phono-logischer bzw. phonetischer Sicht nicht vorhersagbare metaphonische Alternation vom Typ koda (F.SG) vs. kude (F.PL) anzutreffen. Die Alternation beruht auf der ursprünglich phonetischen Assimilation an einen hohen Kontextvokal, also an das Flexionssuffix -i, das sporadisch auch bei Feminina verwendet wurde. Durch die Realisierung von späterem -e für die Formen des femininen Plurals wurde die ursprünglich phonetische Variation morphologisiert (siehe Maiden 1991: 220).

d) Gemischte Konfigurationen (Dialekte mit I- und U-Metaphonie) bezüglich der Bedin-gungen für das Auftreten der Metaphonie: In verschiedenen Dialekten ist die Metaphonie der hohen mittleren Vokale weiterhin vor auslautendem /i/ anzutreffen, obwohl das Fle-xionssuffix -u (M.SG) zu /o/ abgesenkt worden ist. Gleichzeitig ist zu erkennen, dass die

3 Laut Maiden (1991: 218) ist die einst rein phonetische Metaphonie in unterschiedliche morphologische Regeln zerfallen. Seine Argumentation stützt sich unter anderem auf Daten aus dem romagnolischen Dialekt von Cesena (Maiden 1991: 194f).

4 In Abschnitt 10.4.3 komme ich auf diese Genusalternation zurück, da sie auch für Piedimonte Matese eine entscheidende Rolle spielt.

Metaphonie der niedrigen mittleren Vokale sich hier erst später etabliert haben muss (z.B.

sulo (M.SG) und suli (M.PL) gegenüber bçno (M.SG) vs. bwoni (M.PL)), da sie bei den mittleren Vokalen nur vor /i/ vorkommt.5 Die Metaphonie ist somit nicht mehr aufgrund ihres ursprünglichen Kontextes definierbar und muss folglich für die unteren mittleren Vokale morphologisiert worden sein, während sie für die oberen Vokale phonetisch kon-ditioniert ist (Maiden 1991: 221).

Die angeführten Argumente weisen nach Maidens (1991: 219f) Auffassung aber nicht zwangsläufig darauf hin, dass phonetische und morphologische Bedingungen interagieren, sondern zeigen lediglich, dass die ursprünglich phonetischen Bedingungen und ihre Morpho-logisierung auf synchroner Ebene koexistieren können. Gleichzeitig kann die phonetische Konditionierung zugunsten der Morphologie aber auch verloren gegangen sein.

“The data I have investigated hitherto show merely that morphologization and the primitive conditioning environment for metaphony can coexist synchronically. Still the phonetic process might conceivably have ceased to operate, despite preservation of the environment of the onset of morphologization.” (Maiden 1991: 219f)6

Ein Beispiel für eine echte Interaktion des phonetischen Prozesses der Assimilation und mor-phologischer Bedingungen sieht Maiden (1991) hingegen in der Hypermetaphonie, die ich in Kapitel 9 angesprochen habe. Die Hypermetaphonie ist auf Verben beschränkt (9.3.3). Dabei kommt es in bestimmten Zellen des Paradigmas zur vollständigen phonetischen Assimilation des betonten Vokals an den Kontext. Dass es sich hierbei ebenso um einen metaphonischen Prozess handelt, begründet Maiden (1991) a) mit dem Vorkommen der Hypermetaphonie ausschließlich in metaphonischen Systemen, b) mit der vollständigen und somit optimalen Assimilation an den Kontext, die durch die Metaphonie der unteren mittleren Vokale nicht geleistet wird, c) mit der teilweise beobachtbaren Sensitivität des Prozesses gegenüber dem Silbengewicht und d) mit einer implikativen Hierarchie, die auch bei der „einfachen“

5 Laut Maiden (1991: 126) geht die Metaphonie der hohen mittleren Vokale der Metaphonie der niedrigen mitt-leren Vokale chronologisch voraus (siehe auch Cole 1998, die auf diese Weise die Vokalverschiebung begrün-det; Kapitel 9).

6 „Die Daten, die ich bis hierhin untersucht habe, zeigen lediglich, dass die Morphologisierung und der ur-sprüngliche Kontext für die Metaphonie synchron koexistieren können. Dennoch kann der phonetische Prozess trotz der Beibehaltung des Kontextes zu Beginn der Morphologisierung zu operieren aufgehört haben.“

phonie zu beobachten ist (Maiden 1991: 223).7 Würde es sich bei der Hypermetaphonie um Analogie handeln, so müsste man erwarten, dass sie unabhängig von der zugrunde liegenden Qualität des betonten Vokals erfolgt (Maiden 1991: 223). Ebenso ist aufgrund ihrer Sensitivi-tät gegenüber dem Silbengewicht nicht anzunehmen, dass es sich um eine Analogie handelt, da Analogien unabhängig vom Silbengewicht sind. Hingegen ist beispielsweise im Dialekt von Agnone die Hypermetaphonie auf offene, also leichte Silben beschränkt. Nach Maiden (1991: 226) handelt es sich somit um eine echte Interaktion von phonetischen und morpholo-gischen Bedingungen.

“Hypermetaphony is truly morphophonological in that it attests to a combination of phonetic and morphological conditioning having characteristics not uniquely attribut-able to either. It also supports a conception of morphonology as the paradigmatic resolution of natural phonetic processes.” (Maiden 1991: 226f)8

Dass der ursprünglich phonetische Prozess morphologisiert worden ist, stellt Maiden (1991) eindrücklich dar und dies ist meiner Meinung nach auch unumstritten (siehe Kapitel 5). Ich nehme jedoch die Phonologisierung als Zwischenschritt an und spreche nicht von einer syn-chronen Interaktion zwischen Morphologie und Phonetik bei der Metaphonie. Die Metapho-nie ist zum Teil phonologisiert worden. Das heißt, dass die ursprünglich allophonischen Vari-anten eines Phonems zu verschiedenen Phonemen geführt haben können. Deutlich wird dies bei meiner Beweisführung auf der Grundlage der Derivationsmorphologie (10.3.2). Wenn es sich also um eine Interaktion der Morphologie mit einem anderen Subsystem der Grammatik handelt, dann mit der Phonologie und nicht mit der Phonetik. Dies gilt aus meiner Sicht eben-so für die Hypermetaphonie. Das Phänomen ist nur in einigen wenigen Fällen zu beobachten, in Piedimonte Matese ist sie gar nicht vorhanden. In denjenigen Dialekten, die sie aufweisen, manifestiert sie sich nur in bestimmten Zellen des Paradigmas (siehe Maiden 1991: 179-187).

Es ist also davon auszugehen, dass es sich um einen metaphonischen Stamm handelt, der die vokalische Alternation bereits phonemisch repräsentiert hat. Ich würde mich in diesem

7 Implikative Hierarchie bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Metaphonie der niedrigen mittleren Vokale die Metaphonie der hohen mittleren Vokale impliziert. Den Begriff „einfache“ Metaphonie verwende ich in Abgrenzung zur Hypermetaphonie.

8 „(Die) Hypermetaphonie ist rein morphophonologisch, insofern sie eine Kombination von phonetischer und morphologischer Bedingung bekundet, indem sie Charakteristika aufweist, die keinem [Modul] einzig und allein zugeordnet werden können. Auch stützt sie eine Konzeption der Morphophonologie als Auflösung natürlicher phonetischer Prozesse.“

sammenhang deshalb für eine Morphologisierung aussprechen, die auf die Phonologisierung folgt und nicht mit ihr interagiert.

Die diachrone Entwicklung eines phonetischen Prozesses zu einem phonologischen Prozess und seine anschließende Morphologisierung ist übrigens eine Entwicklung, die sich üblicher-weise manifestiert, wenn eine phonetische Alternation durch die Sprecher mit morphologi-schen Kategorien in Verbindung gebracht wird (siehe u. a. Kenstowicz & Kisseberth 1977;

Klausenburger 1979; Roberge 1980). Dies ist beispielsweise beim Umlaut im Deutschen der Fall gewesen (siehe u. a. Hyman 1975: 175f; Klausenburger 1979: 1f): Die Anhebung in Gäs-te geht auf einen phonetischen Prozess zurück, der ähnlich wie die Metaphonie durch auslau-tendes -i bedingt wurde. Dieser Prozess wird heute nur noch mit der grammatischen Informa-tion <PL> in Verbindung gebracht, da der Auslautvokal zu Schwa neutralisiert worden ist (Beispiel in (1) aus Hyman 1975: 175).9

(1) Diachrone Entwicklung des Umlauts im Deutschen gast-i > gEst-e > gEst-´

Ich komme nun auf das Verhältnis von lexikalischer Repräsentation und Outputform bzw. zur Ableitbarkeit der Metaphonie zu sprechen. Maiden (1991: 196-210) lehnt die Ableitung me-taphonischer Outputformen von einer einzigen lexikalischen Repräsentation ab. Seine Argu-mentation stützt sich auf Daten, die eine Generalisierung der Metaphonie unabhängig vom bedingenden Kontext belegen. Als einen solchen Fall nennt Maiden (1991: 198) unter ande-rem die Metaphonie im Dialekt von Rimini, in dem die Metaphonie sich vom maskulinen Plural auf den Singular, jeweils [pid] (‘Fuß/Füße’), ausgebreitet hat. Während die Metaphonie für die Form desmaskulinen Pluralszu erwarten ist, gilt dies nicht für die Singularform. Zu-dem verfügen einige Dialekte innerhalb der Romagna über die Ausbreitung der Metaphonie auf die 1. Pers. Sg. beim Verb (Lugo) und andere wiederum über ihre Eliminierung (siehe Maiden 1991: 199).

Für Maiden (1991: 200) ist diese Form des „bidirektionalen Stammausgleichs” (bidirec-tional levelling) sowie die Generalisierung der Metaphonie innerhalb nicht vorgesehener Kon-texte ein Beleg für die Notwendigkeit der Speicherung einer Repräsentation mit bzw. ohne Metaphonie im mentalen Lexikon. Diese Notwendigkeit kann für den Dialekt von Piedimonte Matese bei Nomina und Adjektiven zum Teil bestätigt werden, was ich im Zusammenhang mit der Derivation als Verfahren der Wortbildung erläutern werde (10.3.2).

9 Es handelt sich also auch hier um innere Flexion (siehe Kapitel 5).

Die Ableitung des metaphonischen Outputs von einer einzigen lexikalischen Repräsentati-on schließt Maiden (1991: 196) generell aus. Der Sprecher besitzt ein paradigmatisches Wis-sen über die jeweilige Oberflächenform. Die Notwendigkeit der Speicherung beider Stämme besteht in der korrekten Abbildung der Oberflächenrepräsentation auf die geforderte morpho-syntaktische Kategorie (Maiden 1991: 196). In der vorliegenden Arbeit postuliere ich, dass bei allen Verben und bei einigen Nomina bzw. Adjektiven der metaphonische Stamm jeweils von einer einzigen zugrunde liegenden Repräsentation abgeleitet werden kann, während bei bestimmten Nomina und Adjektiven auch Stammselektion angenommen werden muss. In diesen Fällen sind beide Stämme, nämlich einer mit und einer ohne Metaphonie im Lexikon vorhanden (10.3.2). Dies widerspricht zunächst der Auffassung Maidens (1991), auch bei regelbasierter Metaphonie die Outputform zu speichern. In meinem Modell besteht dazu nur dann die Notwendigkeit, wenn die Metaphonie auf Stammselektion beruht (Maiden 1991).

Aus kognitiver Sicht schließe ich aber nicht aus, dass der Sprecher auch bei morphologisch bedingten phonologischen Regeln die Oberflächenrepräsentation speichert. Bei der Anwen-dung von FUL (3.3) besteht hierfür jedoch keine Notwendigkeit. Das Lexikon besitzt eine minimale Ausprägung, was als ökonomisches Prinzip verstanden werden kann. Es wird also soviel wie möglich abgeleitet, um den Speicheraufwand, zum Beispiel von Wortlisten, zu verringern. Es muss nur das gespeichert werden, was idiosynkratisch ist und keine Regularitä-ten bzw. SubregularitäRegularitä-ten aufweist (siehe Scharinger 2007). In der vorliegenden Untersu-chung nehme ich eine Mittelstellung zwischen Maiden (1991) und jenen Ansätzen ein, die ausschließlich generativ ausgerichtet sind. Ich sehe die Notwendigkeit der Speicherung auch bei regelmäßigen Formen, solange es linguistische Evidenz dafür gibt (10.3.2). Ich diskutiere dies in Abschnitt 10.5.1.

10.2.2 Metaphonie als Ergebnis der Interaktion von Phonologie und