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2 Theoretischer Hintergrund

2.4 Medienkompetenz

Medienkompetenz hat sich seit Anfang der 1990er Jahre zu einem Leitbegriff und einer Zielorientierung der Medienpädagogik in Theorie, Forschung und Praxis entwickelt.94 Der Begriff Medienkompetenz genießt dabei auch außerhalb der Medienpädagogik hohe Popularität, was teilweise zu einer beliebigen Auslegung des Begriffes geführt hat. Me-dienkompetenz wird hier oft als Floskel benutzt und gerade in ökonomischen oder bil-dungspolitischen Kontexten auf das rein funktionale Anwendungs- und Bedienungswis-sen in Bezug auf Technik reduziert. Der Aspekt Medien- und der Gesellschaftskritik fehlt hier.95 Im Folgenden soll jedoch nicht der Alltagsbegriff Medienkompetenz betrachtet werden, sondern das komplexe Konstrukt im Kontext der Medienpädagogik.

Der Begriff Medienkompetenz wurde maßgeblich von Baacke geprägt und in den medi-enpädagogischen Diskurs eingeführt. Häufig wird in diesem Zusammenhang seine Ha-bilitationsschrift „Kommunikation und Kompetenz“ aus dem Jahr 1973 zitiert, auch wenn das Wort Medienkompetenz hier noch nicht vorkommt. Baacke bezieht sich in seiner Arbeit auf das Konzept kommunikativer Kompetenz von Habermas, der sich wiederum auf die Sprachtheorie von Chomsky bezieht.96 Die kommunikative Kompetenz wird von Baacke als eine Fähigkeit angesehen, die der Mensch durch seine Sozialisation sowie im Umgang mit Medien und Menschen erwirbt, die aber gleichzeitig auch geübt werden muss.97 Die Medienkompetenz kann dabei als Sonderfall der kommunikativen Kompe-tenz betrachtet werden, die sich auf den Medienbereich bezieht.98 Medienkompetenz stellt für Baacke die Fähigkeit dar „in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzuset-zen.“99

Die in seiner Habilitationsschrift dargelegten Ideen, wurden erst später in den 1990er Jahren von Baacke selbst zu einem Medienkompetenzmodell entwickelt, das auf dem Konzept der Kommunikationskompetenz basiert.100 Seitdem ist die Förderung der Medi-enkompetenz als ein zentrales Aufgaben- und Handlungsfeld der Medienpädagogik

94 Vgl.Dieter Spanhel, „Medienkompetenz oder Medienbildung? Begriffliche Grundlagen für eine Theorie der Medienpädagogik.“ In Medienbildung und Medienkompetenz: Beiträge zu Schlüsselbegriffen der Medienpädagogik, hrsg. v. Heinz Moser, Petra Grell und Horst Niesyto (München: kopaed, 2011), 95.

95 Vgl. Ralf Biermann, „Medienkompetenz - Medienbildung - Medialer Habitus: Genese und Transformation des medialen Habitus vor dem Hintergrund von Medienkompetenz und Medienbildung.“ Medienimpulse 51, Nr. 4 (2013): 5.

96 Vgl. Dieter Baacke, Kommunikation und Kompetenz: Grundlegung einer Didaktik der Kommunikation und ihrer Medien (München: Juventa, 1973).

97 Vgl.Dieter Baacke, „Medienkompetenz: Begrifflichkeit und sozialer Wandel.“ In

Medienkompetenz als Schlüsselbegriff, hrsg. v. Antje von Rein, Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung (Bad Heilbrunn: Klinkhardt, 1996), 118–9.

98 Vgl. ebd.

99 Ebd., 119.

100 Vgl. Isabel Zorn, „Medienkompetenz und Medienbildung mit Fokus auf Digitale Medien.“ In Medienbildung und Medienkompetenz: Beiträge zu Schlüsselbegriffen der

Medienpädagogik, hrsg. v. Heinz Moser, Petra Grell und Horst Niesyto (München: kopaed, 2011), 184.

definiert.101 Baacke unterscheidet in seinem Medienkompetenzmodell die vier Dimensi-onen Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung, die er wiede-rum in neun weitere Unterdimensionen aufteilt. Diese Dimensionen umfassen einerseits ein medienkompetentes Handeln, und stellen dabei gleichzeitig pädagogische Aufga-benfelder dar.102 Die folgende Tabelle soll eine Übersicht über das Modell von Baacke ermöglichen.

Tabelle 1: Konzept der Medienkompetenz nach Baacke (1997), eigene Darstellung

Medienkompetenz

Medienkritik a) analytisch b) reflexiv c) ethisch

Mediennutzung

a) rezeptiv, anwendend b) interaktiv, anbietend

Medienkunde a) informativ

b) instrumentell, qualifikatorisch

Mediengestaltung a) innovativ b) kreativ

Dimension der Vermittlung Dimension der Zielorientierung

Die Dimension der Medienkritik umfasst die Fähigkeit eines Individuums Medienange-bote und gesellschaftliche Prozesse mit Medienbezug, analytisch zu erfassen und diese reflexiv auf die eigene Person und das eigene Handeln, auch unter ethischen Aspekten zu beziehen.103 Für medienkritisches Handeln benötigt ein Individuum aber auch Wissen über die aktuellen Medien und Mediensysteme sowie deren Funktionsweisen. Die Medi-enkunde umfasst neben dieser rein informativen Dimension auch die instrumentelle und qualifikatorische Dimension, welche die Fähigkeit umfasst, die Mediengeräte angemes-sen einsetzen und bedienen zu können.104 Die dritte Dimension stellt die Mediennutzung dar, die einerseits den Teilbereich der rezeptiven Kompetenz beinhaltet, aber auch die Fähigkeit Medien für die alltäglichen Bedürfnisse verwenden zu können.105 Die letzte Di-mension, welche Baacke nennt, ist die Mediengestaltung, diese wird als Fähigkeit

101 Vgl. ebd., 184-185.

102 Vgl. Friederike Siller, Angela Tillmann und Isabel Zorn, „Medienkompetenz und

medienpädagogische Kompetenz in der Sozialen Arbeit.“ In Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung, 321.

103 Vgl. Süss, Lampert und Trueltzsch-Wijnen, Medienpädagogik, 116.

104 Vgl. Ingrid Paus-Hasebrink, „Medienkompetenz: Herausforderungen im Umgang mit

konvergierenden Medienangeboten.“ In Handbuch Medienökonomie, hrsg. v. Jan Krone und Tassilo Pellegrini (Wiesbaden: Springer VS, 2020), 1225.

105 Vgl. ebd.

verstanden sich mithilfe der Medien aktiv und kreativ an gesellschaftlichen Prozessen zu beteiligen.106 Die Teildimensionen Medienkritik und Medienkunde ordnet Baacke der Dimension der Vermittlung zu, wohingegen die Mediennutzung und Mediengestaltung für ihn Teildimensionen der Zielorientierung darstellen.107

Mit diesem Modell, das auch als Bielefelder Medienkompetenzmodell bezeichnet wird, hat Baacke den Grundstein für ein handlungstheoretisches Medienkompetenzverständ-nis gelegt, das bis heute in vielen medienpädagogischen Entwürfen dominiert.108 Das Medienkompetenzmodell von Baacke ist immer wieder von verschiedenen Autor:innen präzisiert und überarbeitet worden, wovon zwei zentrale Ansätze im Weiteren exempla-risch vorgestellt werden sollen. Die Modelle unterscheiden sich dabei vor allem bei der Ausdifferenzierung der einzelnen Dimensionen der Medienkompetenz. Grundsätzlich ist Medienkompetenz jedoch als zentrale Zielorientierung der Medienpädagogik aner-kannt.109 Die meisten theoretischen Konzepte stimmen außerdem darin überein, dass sich Medienkompetenz hauptsächlich auf die Selbstorganisationsfähigkeiten des Men-schen bezieht. Der Mensch muss in einer zunehmend von Medialisierung geprägten Le-benswelt, fähig sein, die Medien in kreativer und reflektiver Weise zu nutzen und dies unter ständig veränderten Bedingungen.110

Die Differenzierung des Konzeptes der Medienkompetenz nach Schorb nimmt ebenfalls Bezug auf die Positionen Baackes. Für Schorb umfasst Medienkompetenz „keinen messbaren Katalog an Wissen und Verhalten“111, sondern stellt ein Konstrukt dar, wel-ches er analog zu zentralen pädagogischen Zielen in die drei Dimensionen Wissen, Be-werten und Handeln unterteilt.112 Medienkompetenz besteht für ihn zunächst aus den Aspekten Struktur- und Orientierungswissen, die es dem Menschen ermöglichen sollen, die Medien zu bedienen und sich gleichzeitig in der komplexen Medienwelt zu orientie-ren. Der zweite Aspekt umfasst das Bewerten sowie den Bereich der ethisch-kritischen Reflexion, die den Menschen befähigen soll, sich aus seiner „Konsum-Rolle“113 zu be-freien und selbst gestalterisch tätig zu werden. Die Handlungsdimension hebt Schorb in seinem Modell besonders hervor, da sich für ihn in dieser die beiden anderen

106 Vgl. Ingrid Paus-Hasebrink, „Medienkompetenz.“ In Handbuch Medienökonomie, 1225

107 Vgl. Baacke, Medienpädagogik, 99.

108 Vgl. Gerhard Tulodziecki, „Zur Entstehung und Entwicklug zentraler Begriffe bei der

pädagogischen Auseinandersetzung mit Medien.“ In Medienbildung und Medienkompetenz, 22.

109 Vgl. Kai-Uwe Hugger, „Medienkompetenz.“ In Handbuch Medienpädagogik, hrsg. v. Uwe Sander, Kai-Uwe Hugger und Friederike von Gross, 1. Aufl. (Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2008), 94.

110 Vgl. ebd., 95.

111 Bernd Schorb und Ulrike Wagner, „Medienkompetenz: Befähigung zur souveränen Lebensführung in einer mediatisierten Gesellschaft.“ In Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche: Eine Bestandsaufnahme, hrsg. v. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2013), 19.

112 Vgl. Bernd Schorb, „Medienkompetenz.“ In Grundbegriffe Medienpädagogik, hrsg. v. Jürgen Hüther und Bernd Schorb, 5. Aufl. (München: kopaed, 2005), 259.

113 Bernd Schorb und Ulrike Wagner, „Medienkompetenz.“ In Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche, 20.

Dimensionen des Handelns und des Bewertens realisieren. Hier soll die schöpferische Fähigkeit des Menschen zum Ausdruck kommen, indem er selbstbestimmt eigene Me-dieninhalte gestaltet und veröffentlicht.114 Neben der Betonung der Handlungsdimension weist Schorb auch daraufhin, dass bei der Förderung von Medienkompetenz stets das Alter und der jeweilige Entwicklungstand der Kinder und Jugendlichen zu berücksichti-gen sind und, dass der Erwerb der Fähigkeiten zum kompetenten Umgang mit Medien nicht nur in der Verantwortung jedes Einzelnen liegt, sondern es zusätzlich einer profes-sionellen pädagogischen Unterstützung bedarf.115

Auch der Erziehungswissenschaftler Stefan Aufenager betont in seinem Modell der Me-dienkompetenz, die Notwendigkeit einer altersspezifischen Ausdifferenzierung und das Einbeziehen von Erkenntnissen aus der Entwicklungspsychologie.116 Medienkompeten-tes Handeln sollte außerdem nicht ausschließlich auf die neuen Medien konzentriert sein, sondern auch die alten Medien miteinbeziehen, da auch heutzutage die Lese- und Schreibfähigkeiten essentiell für das Verständnis und die Gestaltung neuer Medien sind.

Er differenziert die Medienkompetenz in eine kognitive, moralische, soziale, affektive und ästhetische Dimension sowie eine Handlungsdimension. Während die ersten drei Di-mensionen eher eine kritische Betrachtung der Medien ermöglichen, soll die affektive Dimension kontrastierend dazu daran erinnern, dass Medien auch eine Genuss- und Unterhaltungsfunktion erfüllen. Die ästhetische Dimension sieht er als Ergänzung zu al-len anderen Dimensionen, die es erlaubt Medien als Möglichkeit zum Ausdruck und zur Gestaltung zu nutzen.117 Die Vermittlung der Dimensionen von Medienkompetenz darf sich laut Aufenager nicht nur auf den schulischen Bereich beschränken, auch öffentliche Bibliotheken leisten hier allein schon dadurch einen entscheidenden Beitrag, dass sie allen Bürger:innen uneingeschränkten Zugang zu einer Vielzahl an Medien bieten.118 Auch Süss et al. betonen, dass Bibliotheken mit ihrem Angebot dabei helfen, die sozialen Ungleichheiten, die einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Medienkom-petenz haben können, auszugleichen.119 Obwohl die Medienkompetenz als eines der bedeutendsten Konzepte der Medienpädagogik gilt, weist es eine Reihe von Schwächen auf. Es existieren beispielsweise nur wenige empirische Untersuchungen, die die Medi-enkompetenz systematisch erforschen.120 Dieser Mangel ist auch darauf zurückzufüh-ren, dass die Medienkompetenz eines Menschen nur durch die Medienperformanz, also bestimmte Medien-Handlungen, überhaupt sichtbar und beobachtbar wird und sich so-mit nur schwer operationalisieren oder messen lässt.121 Eine weiteres Defizit der

114 Vgl. Bernd Schorb und Ulrike Wagner, „Medienkompetenz.“ In Medienkompetenzförderung für Kinder und Jugendliche, 21.

115 Vgl. ebd., 22.

116 Vgl. Stefan Aufenager, „Medienpädagogik und Medienkompetenz: Eine Bestandsaufnahme.“

In Medienkompetenz im Informationszeitalter, hrsg. v. Deutscher Bundestag (1997), 16.

117 Vgl. ebd.

118 Vgl. ebd., 19.

119 Vgl. Süss, Lampert und Trueltzsch-Wijnen, Medienpädagogik, 109,127.

120 Vgl. ebd., 124.

121 Vgl. Kai-Uwe Hugger, „Medienkompetenz.“ In Handbuch Medienpädagogik, 95.

dargestellten Ansätze ist, dass aus ihnen nicht hervorgeht, wie die einzelnen Dimensio-nen der Medienkompetenz konkret zu fördern oder zu vermitteln sind. Bereits Neuß weist in einer Rückschau auf verschiedene Medienkompetenzmodelle daraufhin, dass der Be-griff hinsichtlich der Umsetzung in der Praxis weitestgehend „unkonkret und abstrakt“122 bleibt. Auch Baacke macht im Zuge seiner Ausdifferenzierung der Medienkompetenz auf die Problematik des Kompetenzbegriffes aufmerksam, da dieser innerhalb der Medien-pädagogik einerseits als anthropologische Bedingung gilt und gleichzeitig als Zielvorstel-lung in Form eines zu erreichenden Kompetenzniveaus formuliert wird.123 Außerdem zeichnet sich der Begriff durch seine mangelnde pädagogische Fundierung aus, da die-ser im Gegensatz zu Bezeichnungen wie Bildung oder Erziehung nicht aus der Tradition pädagogischer Diskurse erwachsen ist.124

Die genannten Schwächen des Konzepts führten dazu, dass neben der Medienkompe-tenz als eine weitere bedeutende Zielorientierung der Medienpädagogik das Konzept der Medienbildung in den medienpädagogischen Diskurs eingeführt wurde.