• Keine Ergebnisse gefunden

Die MAPS-H und die Weltanschauungen

7. Diskussion

7.2 Die MAPS-H und die Weltanschauungen

96

die Sinnkrise als zweite Sinnerfahrungs-Subskala. Gleichzeitig werden empirisch bestätigte Sinnquellen, die sogenannten Purpose-Dimensionen erhoben, womit die Sinnerfüllungs-Werte einer differenzierteren Betrachtung unterzogen werden können.

97

die Ansicht vertreten, dass das ganze Konzept des „sinnvollen Lebens“ in vielen Hinsichten im Hintergrund aus religiösen, spirituellen oder transzendenten Annahmen und Inhalten besteht (Seachris, 2011). Ähnlich argumentiert Crane (2017) als er bei religiösen Menschen von unsichtbaren Strukturen und einer unsichtbaren Ordnung spricht, welche von einem transzendenten Wesen stammen und dem religiösen Individuum Sinn geben. Er betont, dass das Leben nur Sinn hat, wenn es einen Gott gibt, aber er ist trotzdem Atheist und glaubt nicht an Gott. Wichtig zu verdeutlichen, dass Crane (2017) hier über die Beziehung zwischen Sinn des Lebens und der Religion spricht und nicht über Sinn im Leben. Trotzdem kann es vermutet werden, dass religiöse Menschen, die davon ausgehen, dass das Leben einen Sinn hat und somit über Sinn des Lebens sprechen, auch bezüglich Sinn im Leben eher positive Antworten geben.

Tatsächlich stärkt ein solcher Glaube an einen ultimativen oder globalen Sinn gemäß Wong (2014) das Gefühl von Hoffnung und Sinnhaftigkeit im eigenen Leben. Diese Annahmen werden anhand aktueller Forschungsbefunde von Princing und Kolleg:innen (2021) unterstützt.

In einer Langzeituntersuchung wurde die Funktion der sozialen und der kosmischen Bedeutsamkeit (cosmic mattering) hinsichtlich der Religiosität und des Lebenssinns erhoben.

Die kosmische Bedeutsamkeit spielte mehr Rolle in der Beziehung zwischen Religiosität und Lebenssinn als die soziale Bedeutsamkeit, da die Menschen dadurch das Gefühl haben, dass sie selbst ein Teil im großen Plan des Universums sind (Princing, 2021). Gleichzeitig kann ein solcher ultimative Glaube in traumatischen Situationen auch tief erschüttert werden und eine massive Sinnkrise auslösen (Wong, 2014).

Bei der Sinnkrise-Skala konnte ein signifikanter Unterschied zwischen den nichtreligiösen und religiösen Weltanschauungs-Gruppen gefunden werden: Nichtreligiöse Teilnehmenden hatten höhere Sinnkrise-Werte. Bezüglich spiritueller Personen wurde somit auch in dieser Hinsicht kein signifikanter Unterschied im Vergleich zu den religiösen und nichtreligiösen Teilnehmer:innen gemessen. Obwohl Spiritualität in einer Studie die spätere Zunahme depressiver Symptome voraussagte (Vittengl, 2018) und spirituelle Menschen im Vergleich zu nichtreligiösen und religiösen Menschen auch verstärkte Stressreaktionen zeigten (Schnell et al., 2020), konnten die Ergebnisse dieser ungarischen Stichprobe die seelische Instabilität der spirituellen Menschen anhand der Sinnkrise-Skala nicht bestätigen. Hinsichtlich religiöser und nichtreligiöser Teilnehmer:innen konnten die Befunde von Schnell und Keenan (2011) nur teilweise belegt werden, da Nichtreligiöse auch in dieser ungarischen Stichprobe weniger Sinnerfüllung erlebten als Religiöse, aber es auch einen signifikanten Unterschied bei den Sinnkrise-Werten zwischen Christ:innen und Nichtreligiösen gab, der in der deutschen

98

Studie nicht vorlag. Demzufolge hatten nichtreligiöse Menschen in dieser Stichprobe niedrigere Sinnerfüllung und mehr Sinnkrisen als religiöse Menschen.

Zusammenfassend kann bezüglich der Sinnerfahrungen der weltanschaulichen Gruppen festgestellt werden, dass anhand dieser Mittelwerte sowohl die religiösen und spirituellen Gruppen als auch die nichtreligiöse Gruppe noch zum Sinnerfüllung-Sinntypus gehören, da die Sinnerfüllungs-Mittelwerte sich über 3 und die Sinnkrise-Mittelwerte unter 3 befinden (Schnell, 2020, S. 133). Somit finden sich die resümierenden Worte von Farias und Coleman (2020) und die empirischen Ergebnisse von Heintzelman und King (2014a) auch in dieser Stichprobe wieder: Unabhängig von der Weltanschauung ist Lebenssinn eine gemeinsame Erfahrung des menschlichen Lebens.

Häufigere religiöse Handlungen und Aktivitäten, wie Kirchenbesuch und alleiniges Beten, gingen in der Stichprobe mit mehr Sinnerfüllung und weniger Sinnkrise einher. Die partiellen Korrelationen zwischen Sinnerfüllung und Empfänglichkeit für transzendente und spirituelle Erfahrungen zeigten nur einen geringen Einfluss durch die zwei Variablen der religiösen Handlungen auf den Zusammenhang. Kirchenbesuch und alleiniges Beten hingen in der Stichprobe stark zusammen. Laut Steger und Frazier (2005) erleben aktive Kirchenbesucher:innen mehr Sinnerfüllung, als die weniger aktiven religiösen Menschen, wie zum Beispiel die sogenannten „Weihnachtschristen“ (Pickel, 2017): Diese suchen die Kirche vorrangig aus kulturellen Gründen anlässlich größerer christlicher Festen wie Weihnachten und Ostern auf, leben Religiosität im Alltag aber nicht und erziehen ihre Kinder auch nicht dementsprechend. Diese Annahmen konnten in dieser Arbeit statistisch untermauert werden.

Da die Glaube-Dimension direkt im Zusammenhang mit der weltanschaulichen Position der Teilnehmer:innen steht, war zu erwarten, dass nichtreligiöse Personen niedrige Werte auf dieser Skala erreichen. Tatsächlich unterschieden sich nichtreligiöse Personen in ihren Glaube-Werten signifikant von jenen der spirituellen und religiösen Personen. Eher überraschend war, dass sich die spirituellen Personen in ihren Glaube-Werten nicht nur von den nichtreligiösen Teilnehmer:innen, sondern auch von den religiösen Proband:innen signifikant unterschieden.

Aufgrund der Itemformulierungen der Glaube-Dimension (siehe unter Punkt 5) sollte eine Differenzierung der Religiosität und Spiritualität vermieden werden, aber laut den Ergebnissen zeigten spirituelle Personen trotzdem signifikant niedrigere Glaube-Werte als religiöse Personen. Die o.g. Gruppenunterschiede wurden mit einem sehr starken Effekt bestätigt. Diese Divergenz der religiösen und spirituellen Teilnehmer:innen kann vielleicht damit erklärt werden, dass Spiritualität gegebenenfalls doch nicht so sehr das alltägliche Leben und Handeln beeinflusst, wie die religiösen Systeme das Leben der religiösen Personen. Da Spiritualität ein

99

sehr breites und heterogenes Konzept ist (Schnell, 2012), das nicht nur transzendente, sondern auch viele immanente Themen beinhaltet, können die o.g. Unterschiede zwischen religiösen und spirituellen Menschen wahrscheinlich mit dieser Heterogenität der Spiritualität erklärt werden. In den folgenden Items der Glaube-Dimension sind globale Einflüsse der Weltanschauung auf das Leben abgebildet, die wahrscheinlich besser zu den religiösen Vorstellungen passen: „Ich fühle mich gestärkt durch den Glauben an Gott/eine höhere Macht“;

„Mein alltägliches Handeln wird durch den Glauben an Gott/eine höhere Macht bestimmt“.

Obwohl höhere Nachhaltigkeits-Werte bei spirituellen und religiösen Teilnehmer:innen erwartet wurden, konnte in dieser Hinsicht in dieser Stichprobe kein signifikanter Unterschied zwischen den weltanschaulichen Gruppen festgestellt werden. Eine mögliche Erklärung wäre, dass die Forschungsergebnisse, die diese Hypothese untermauerten, schon zehn Jahre alt sind (Schnell & Keenan, 2011; Schnell, 2012). Umweltschutz und Umweltbewusstsein sind inzwischen bei allen Bevölkerungsgruppen, aber besonders in den jüngeren Generationen, ein wichtiges Thema geworden (Spezial-Eurobarometer 517, 2021). Die Sensitivität gegenüber gesellschaftlichen Änderungen war ein Merkmal dieser Dimension. Priester, Theologen und Geistliche betonen in den letzten Jahren oft, dass jegliche Religion klimaschutzfreundlich ist.

Umweltschutz wurde als „religiöse Pflicht“ auf der Weltkonferenz der multireligiösen Organisation „Religions for Peace“ mit Vertreter:innen aus unterschiedlichen religiösen Richtungen aus 125 Ländern genannt (Steinert, 2019). Interessante Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Umwelt und Religion in anderen Hinsichten auch zusammenhängen:

Die Götter sind in einer harten und unsicheren Umwelt mit Ressourcenknappheit und extremen Klimabedingungen sehr oft strenger und stark moralisierend, wie eine Untersuchung in 583 Religionsgemeinschaften aus der ganzen Welt zeigt (Botero et al., 2014). Gleichzeitig werden Umwelt und Religion auch in anderer Art und Weise verbunden: Es gibt Stimmen, welche die Umweltschutzbewegung und ihre Ideologie mit einer Religion vergleichen. Der Schriftsteller Chrichton (2003) hält die Umweltschutzbewegung für die Religion der Atheisten und zieht Parallelen zwischen der Umweltschutzbewegung und den christlichen Dogmen z.B. in Themen und Mythen über das Paradies oder die Ursprungssünde. In dieser „Umweltschutz-Religion“

oder Ideologie können sich aber laut den Ergebnissen dieser Untersuchung nicht nur nichtreligiöse, sondern auch religiöse und spirituelle Menschen wiederfinden.

Kein signifikanter Unterschied konnte zwischen den weltanschaulichen Gruppen hinsichtlich der Sinndimension Persönliches Wachstum in der ungarischen Stichprobe festgestellt werden. Hiermit wurden sowohl die ursprüngliche Hypothese als auch die empirischen Ergebnisse von Ivtzan und Kolleg:innen (2013) widerlegt, da die Autor:innen

100

hohes persönliches Wachstum nur bei Personen verorteten die hochreligiös und auch hochspirituell waren. Sinnhaftigkeit (meaning) steht laut den empirischen Ergebnissen von Huta (2016) allgemein im engen Zusammenhang mit Exzellenz (excellence) und Wachstum (growth). In ihrem Eudamonia-Konzept bedeutet meaning die Suche nach dem Wertvollen, das Streben nach Verständnis und den Wunsch zum Beitragen zum Ganzen (Huta, 2016, S.

217). Die Exzellenz-Orientierung drückt in ihrer Skala Streben nach hoher Leistung und Qualität aus, die Wachstum-Orientierung deutet auf die Entfaltung des eigenen Potenzials durch Erlangen von Wissen und Fähigkeiten hin. Dementsprechend hing Persönliches Wachstum in dieser Stichprobe statistisch signifikant mit starkem Effekt mit Sinnerfüllung zusammen. Da hinsichtlich des Persönliches Wachstums keine Unterschiede zwischen den weltanschaulichen Gruppen gefunden wurden, kann es angenommen werden, dass die anhand der Dimension Persönliches Wachstum gemessene Einstellungen unabhängig von der Weltanschauung zum menschlichen Leben gehören.

Anhand der Sicherheits-Dimension der MAPS konnten die empirischen Ergebnisse bezüglich Binding Moral Foundations von Ståhl (2021) bestätigt werden: Religiöse Personen erzielen in dieser Hinsicht signifikant höhere Werte als nichtreligiöse Menschen. Eher unerwartet waren in dieser Dimension keine signifikanten Unterschiede zwischen den spirituellen Teilnehmer:innen im Vergleich zu den religiösen und nichtreligiösen Gruppen zu verzeichnen. Hinsichtlich der Big 5 zeigt sich, dass religiöser Fundamentalismus negativ mit dem Offenheit-Faktor korreliert, während Spiritualität mehrere Berührungspunkte mit diesem Faktor aufweist und somit mit neuen Erfahrungen, Kreativität und intellektueller Autonomie in Verbindung steht (Schnell, 2012). Auch in der Validierung des ungarischen BMMR-Fragebogens fiel auf, dass die Skalen und somit die religiösen Verhaltensweisen und Merkmale nicht mit dem Offenheit-Faktor korrelierten und auch in negativer Korrelation mit der Neugierverhalten-Skala des Temperament- und Charakter-Inventar (TCI) standen (Farkas et al., 2014). Deswegen schien die ursprüngliche Annahme valid, dass religiöse Personen eher an geteilten Normen und an einem sicheren Leben (wird von der Sicherheits-Dimension erfasst) interessiert sind als spirituelle Personen, die eher offen, neugierig und autonom ihr Leben gestalten. In dieser Stichprobe unterschieden sich aber die spirituellen Personen nicht von den religiösen in Bezug auf die Sicherheits-Dimension. Zudem ist hinsichtlich der Religiosität interessant, dass diese eher mit politischem Konservativismus einhergeht, der wiederum in starker Beziehung zu der bindenden Moralität steht (Graham et al., 2009). Bindende Moralität korrelierte laut unseren Ergebnissen stark mit der Sicherheits-Dimension der MAPS. Außerdem ging Religiosität in unserer Studie mit einer eher konservativen politischen Einstellung einher,

101

aber diese politische Einstellung zeigte interessanterweise trotzdem keine signifikante Korrelation mit der Sicherheits-Skala der MAPS.

Bezüglich der Gemeinschaftssinn-Dimension unterschieden sich die religiösen und nichtreligiösen Teilnehmer:innen der Stichprobe signifikant, während spirituelle Personen diesbezüglich in keinem Kontrast zu den anderen beiden Gruppen standen. Diese Ergebnisse entsprechen nicht den früheren Erkenntnissen, wonach sich nichtreligiöse Personen in der Ausprägung des Gemeinschaftssinn-Gefühls eher wenig von religiösen Menschen unterscheiden (Ståhl 2021). Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass Gemeinschaftssinn einer der wichtigsten Sinnstifter ist. Im Rahmen der Studie von Lambert und Kolleg:innen (2010) gaben 82% der Befragten persönliche Beziehungen als erste und somit wichtigste Sinnquelle an. In einer späteren Erhebung (PEW, 2018b) bezeichneten 88% der Befragten Familie und Freund:innen als sinnstiftend. Gleichzeitig führt soziale Ausgrenzung zu Verlusten in der Sinnerfüllung (Stillman et al., 2009). Eine mögliche Erklärung für die vorliegenden Ergebnisse wäre, dass religiöse Ansichten gemeinschaftsstiftend funktionieren (Pickel, 2017), während atheistische Versuche, Gemeinschaften ohne Glaubensinhalte zusammenzuhalten, bisher eher mäßig erfolgreich sind. Die sogenannten Sunday Assemblys wurden 2013 mit dem Ziel ins Leben gerufen, das Leben in säkularen Gemeinden feiern zu können (Bullock, 2017).

Abgesehen vom ausgeklammerten Glauben an Gott ähneln diese Sonntagsversammlungen den Gottesdiensten: Gemeinsames Singen, eine Predigt und Kaffee sollen das Gemeinschaftsgefühl kreieren und stärken. Diese Gemeinden, die teilweise atheistische Kirchen genannt werden, erlebten schon vor der Corona-Krise seit der Gründung im Jahr 2013 einen erheblichen Rückgang: Die Gesamtteilnehmerzahl ging von 5.000 monatlichen Teilnehmern im Jahr 2016 auf etwa 3.500 im Jahr 2018 zurück und auch die Zahl der Gemeinden halbierte sich fast in diesem Zeitraum (Hill, 2019). Die Corona-Pandemie erschwerte die Lage für jede Gemeinschaftsform und verursachte weitere Probleme und Schließungen in diesen nichtreligiösen Gemeinden (Smietana, 2021). Zusammenhänge betreffend Gemeinschaftssinn und Sinnerfüllung sind daher so wichtig, da Forschungsergebnisse darauf hindeuten, dass die subjektiven Sinnerfüllungs-Werte vorhersagen können, inwieweit sich die Individuen 10 Jahre später mit ihrer Gemeinschaft, ihrer Familie, ihren Freunden und ihrem Ehepartner/Partner verbunden fühlten (Stavrova & Luhman, 2016). Hier muss aber angemerkt werden, dass schon bei den psychometrischen Eigenschaften der Skalen Annahmen über mögliche Wirkungen der Corona-Pandemie auf die Gemeinschaftssinn-Skala geäußert wurden. In dem weltanschaulichen Zusammenhang muss erneut erwähnt werden, dass die pandemiebedingten Einschränkungen eventuell anders auf religiöse und nichtreligiöse Gemeinschaften und

102

Familien wirkten und sich dieser Einfluss eventuell in den Ergebnissen der Stichprobe widerspiegelt.