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m. Littlölische«

Im Dokument Theologie Kirche, (Seite 108-154)

1. Ioh. Jos. I g « , von D ö l l i n g e r , „Kirche und Kirchen. Papstthum und Kirchenstaat", historisch - politische Betrachtungen. München, Cotta, 1861. X I . I I I , S . 684 in 8,

Anssezeigt uon Pros, A. V. Oettinzen (i» M«a„),

Dieses Werk des berühmten Münchener Dmupropstes, welches in der römisch-katholischen Welt so großes Aufsehen erregt hat, kann und darf auch von der protestantischen Theologie nicht iguorirt werden. Es trägt ganz den Charakter der historisch-politischen Blätter an sich und hat eine unverkcnn-bar« Verwandtschaft mit dem bekannten, vor einigen Jahren erschienenen Iörgschen Werke d, h. es ist reich, fast überreich an zeitgeschichtlichem M a -terial und «ersteht es, ohne in die Tiefe, auf deu Gnmd^ zu gehen, überall die nach außen hervortretenden Schwächen des Protestantismus ausfindig

zu machen, sie nackt und rücksichtslos in pikanter, scharfer Sprache und ,^

mit einer auf den ersten Blick imponirenden Sachkenntniß darzulegen, die ' ^ Schäden aber und die Hohlheit des kirchlichen Gesammtlebens auf römisch- ^ katholischem Gebiet fein säuberlich zu verdecken und mit der imposanten

„Kirchen-Einheit" sich zu brüsten. Allerdings wird mit Nachdruck gleich

in der Vorrede ( S . X V I I ) von dem Verfasser „Wahrheit und Offenheit" >

verlangt, wenn „Heilung erwartet werden soll." Er gesteht sogar zu, „die Heilung der großen kirchlichen Krankheit des sechszehnten Jahrhunderts, die wahre innere Reforniation 'der Kirche sei erst dann möglich geworden, als man aufhörte, die Uebel zu beschönigen oder abzuläugnen, zu vertuschen oder schweigend darüber wegzugehen; erst als eine so starke nnd übermächtige öffentliche Meinung in der Kirche sich gebildet hatte, daß man sich eben dem überwältigenden.Einflüsse ^«selben nicht entziehen konnte." — „Auch heute ist" — fährt er dann trefflich fort — „das, was uns Noth thut,

vor Allem W a h r h e i t , die ganze W a h r h e i t . " Allem, diese erstrebte ^ Wahrheit scheint dem Protestantismus gegenüber für den- römische» Eiferer

entweder unmöglich z°u sein, weil er den Protestantisums nicht verstehen ka nn, oder aber es schleicht sich eine i'WLrvntio insntaii» unwillkürlich hinein mit jesuitischen Zweckheiligkeitstheorieen in Betreff der Zustände -auf dem Gebiete der „Ketzerei." — W i r werden in dem Folgenden zu erkenne»

D ö l l i n g e r i Kirche und Kirchen, ,c.

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Gelegenheit haben, in wie weit sich die gute Absicht im Laufe der Darle-gung, wir möchten sagen im Eifer des Gefechts, von selbst verliert. J a , die Ungerechtigkeit in der Darstellung protestantischer Zustände ist oft him>

, »lelschrcicnd und die UnWahrhaftigkeit mitunter handgreiflich. Selbst Widersprüche finden sich, die colossal sind, — Cs stimmt uns aber zur Milde, ja — ich möchte sagen — zum M i t l e i d der gänzliche Mangel an tiefere»« oder auch nur annähernd richtigem Verständniß für den moto»

tischen Nerv des Protestantismus, für den artiou1u8 »tantis et oaäouti«

LcdWiao.

W i r Protestanten werden Manches aus dem Buche lernen, weil viele unserer w i r k l i c h e n Sunden schonungslos aufgedeckt werden. Das thut bitter weh, ist aber heilsam, unsäglich heilsamer, als wenn der Wurm am Herzen nagt, und der Krebs innerlich fortfrißt, ohne erkannt zu werden.

Denn die wahre Selbstkritik, das geistlich - aufrichtige Selbstgericht wird Nie verzagt machen, sondern giebt h e i l i g e n Muth, der aus der Buße geboren ist. Wo aber in falschem Selbstruhm vcrmeinllichcr Größe der Abgrund des inneren Verderbens zugedeckt wird, da mag wohl trotziger M u t h vorhanden sein, aber keine heilige Demuth, die stark macht zum Streit mit dem Goliath dieser Welt,

Die Veranlassung des genannten, sehr umfangreichen Werkes,ist aus der Zcitiingslitcratur bekannt. D ö l l i n g c r ' s Aeußerung bei der Bersamm-lung der „katholischen Vereine" in München gab den Anstoß. Er wollte beileibe nicht, daß man ihn — wie das in Folge seiner beiden, im April dieses Jahres in München gehaltenen Vorlesungen geschehen war — für ewcn prineipiellen Gegner des mit d.em Papstthum verbundenen weltlichen Besitzes hielte. Und so suchte er denn in diesem Buche nachzuweisen, einer-scits wie das Papstthum für die Bewahrung der Katholicität der christ-lichen Kirche nothwendig, sei, andererseits wie ein Kirchenstaat für den dauernden und gedeihlichen Bestand der päpstlichen Macht und Freiheit

«ouäitio »in« yun. n o n sei. — Es zerfällt daher das ganze Wert in zwei Haupttheile, in deren erstem (dem Titel entsprechend) die „Kirche Und die Kirchen" i n s Auge gefaßt werden, oder „der römische Stuhl und die Kirche imter ihm" im Gegensatz zu den getrennten Kirchen ( S , 1). ^Dieser Theil ist selbstverständlich der polemische, während der zweite ( S . 493 bis 684),- welcher vom „Kirchenstaat" und der Geschichte des Papstthums bis auf die Gegenwart handelt, mehr apologetischen Charakter trägt. — Auf

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N, v. O e t t i n g e n ,

elfteren Theil werden wir, da in demselben überall der Seitenblick ans protestantische Zustände vorwaltet, unsere hauptsächliche Aufmerksamkeit zu richten «und die Widersprüche nachzuweisen haben. Es sind drei Gesichts-punkte, die sich als Gegenstand' näherer Erwägung bei diesem Buche uns entgegenstellen. Es handelt sich erstens: um Döllinger's p r i n c i p i e l l e Veihältnißbestimmung zwischen Katholicismus und Protestantismus, zwi-sehen „Kirche" und „Kirchen." Sodann aber will in's Auge gefaßt sein, wie er die concretcn Zustände der protestantischen Kirchen als F o l i e für die Herrlichkeit der katholischen Kircheneinheit sich ausmalt. Und d r i t -tens wird die Frage berechtigt sein, wie denn bei seiner Darstellung auf dieser günstigen Folie die concreten Zustände, das B i l d des katho-lisch-kirchlichen Lebens i m A l l g e m e i n e n und beim Kirchenstaat i m Besonderen sich ausnimmt.

Wenn sich's bei einem römischen Theologen um die p r i n c i p i e l l e Verhältnißbestimmuna. zwischen Katholicismus und Protestantismus hau-delt, so ist selbstverständlich der alte und ewige Refrain: dort wirkliche, alle Völker der Menschheit umspannende Katholicität und Einheit, hier unum-gängliche, nach Völker- und Landgcbieten sich groppirende Zerklüftung! Dort ein sichtbarer, in dem römischen Bischöfe und dem Stuhle Petri auch ficht-bar eulminirender O r g a n i s m u s , hier eine widerspruchsvolle Phrase von unsichtbarer Kirche, deren eigentliches Princip und deren normaler Znstand T r e n n u n g und I s o l i r u n g ist ( S . 30), '

An sich ist dies ein so alter und so abgenutzter Gedanke, der ja leider zum Theil seine Wahrheit hat, daß wir hier auf denselben kaum näher einzugehen uns würden gemüßigt sehen. Aber die Einseitigkeit und Oberflächlichkeit desselben tritt bei D ö l l i n g c r ' s Darstellung mehr als sonst hervor. Und doch ist die Einheit im römischen Katholicismus weder eine vollkommen universelle, noch ist sie innerhalb der wirklich vom Papstthum umschlossenen Volksgebiete eine innerlich wahre, lebendige und tiefgreifende. — Und andererseits: die Zerklüftung und Spaltung im Protestantismus ist keine so absolute, daß nicht trotz der landeskirchlich gesonderten Gebiete eine wirklich vorhandene Lehr- und Geistesgemeinschaft sich nachweisen ließe, noch auch fehlt dem Protestantismus das wahre Princip christlicher Katho-licität, nämlich reines Wort Gottes und unverfälschtes Sacrament. Nach beiden Seiten hin ist aber D ö l l i n g e r ungerecht, verdeckt dort die Schäden und verkennt hier die

Lebenskraft-D ö l l i n g e r - Kirche und Kirchen «,

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I m Gegensatz zu dem jüdischen national - religiösen Particularismxs sagt D u l l i n g c r mit Recht „erklärte das Christenthum, eine Weltreligwn zu sein, die keine»! Volke besonders angehöre, die vielmehr'den Beruf und die Fähigkeit in sich trage, sich über den Erdkreis zu verbreiten, Völker der mannigfaltigsten Art, der verschiedensten Bildungsstufen in ihren Schooß'auf-zunehme», ihre wahren religiösen Bedürfnisse zu befriedigen und, ohne na»

tionale oder geographische Gränzen, ein großes Reich Gottes auf Erden, eine Kirche der M e n s c h h e i t aufzubauen" < S , 1), — Verbürgt erscheint mm dem Verfasser der welthistorische, die ganze Menschheit umfasscndc Cha-raller der christlichen Religion nur in dem Institut des Papstthums. Und als hätte die Kirche nie ohne Papstthum eristirt, und als hätte das Papst»

thum auch je uur a l l e christliche!! Völker als sein geistliches Herrschafts-gebiet umschlossen, wagt D ö l l i u g c r zu behaupte!!, daß von Anfang an dir christliche Nölkerfamilie uuter dem kirchlichen Supremat des päpstlichen .Stuhles ein Europäisches Gemeinwesen gebildet habe, „Eine Menge von Völkern durch die Gemeinschaft Eines Glaubens und Eines Gottesdienstes und durch die Bande einer Alle umfassenden kirchlichen Organisation" er-scheint in Rom, dem Stuhle Petri, „zu einem großen einheitlich geleiteten Ganzen verknüpft < S . 4 ) " . — W i r verkennen nicht die providentlelle, na-mentlich iu der mittelalterlichen Kircheugcsänchtc sich kundgebende nnivcr-seile Aufgabe des Papstlhums, Es ist gewiß wahr, daß in jener Zeit, wie D ö l l i n g e r sagt ( S - 3 4 ) : „die ganze abendländische Christenheit in gc-wissrm Sinne Ein Reich bildete, an dessen Spitze Papst und Kaiser stehen, jener 'jedoch mit steigendem, überwiegendem Ansehen". Aber daraus — wie D ö l l i n g c r will — zu schließen, daß der Begriff der Katholicität des»

Christenthums mit dem Papstthum stehe und falle, ist nicht bloß an sich unwahr, sondern schlägt auch der Geschichte ins Gesicht. Denn wir haben Zeiten der Katholicität des Christenthums gehabt und es waren die leben-digstcn, reichsten, ja protutypischcn Zeiten für alle späteren Geschlechter, namentUch in der apostolischen und nachapostalischen Entwickelung bis zum 4, Jahrhundert, da noch kein Papstthum eristirte. Und wir haben Zeiten des Papstthums, gehabt und sehen sie gegenwärtig,-vor Augen, da nichts weniger als wahrhaft öcumenischc Katholicität dem Kirchenjkürpcr eignete, der in dem Papste den Stellvertreter Christi verehrte. Wie darf denn D ö l l i n g c r sich erkühncil zu sagen, ohnc auch uur im Mindesten den Bc-weis geschichtlich oder biblisch zu liefern, daß die Anerkennung des Papstes,

1!)8 A, v. Oett.ingen,

des Stuhles Petri als der Spitze der Kirche Bedingung der Katholicität sei,

„Wer erklärt", sagt er ( S . 2 5 ) , — „ich erkenne den Papst nicht an, der erklärt eben damit: ich sage mich los von der allgemeinen Kirche, ich will kein Glied mehr an diesem Leibe sein". — „Oder wenn theologisch behauptet wird:- es soll und darf überhaupt keinen Primat in der Kirche geben, das Papstthum ist ein dem Willen Christi widersprechendes Institut, ist Usurpation-, so heißt das nur mit andern Worten: die Eine, allgemeine, die Vielheit der Nationen umfassende Kirche soll nicht existiren, soll viel-mehr anseinandcrfallen; der normale Zustand ist, daß es so diele uerschie-dene Kirchen gebe, als es,Nationen oder Staaten giebt". —, S o blind ist der Verfasser, daß er wirklich n u r das Papstthum oder die Continuität der 8uooL88io WostoUo«, als Kennzeichen und Kriterium der Katholicität zu erkennen vermag')! Wo war denn die katholische Kirche, als Paulus seinen Brief an die Christengemeinde in Rom schrieb ohne einen Stuhl Petri zu kennen und zu erwähnen? Wann ist die katholische Kirche entstan-dm? I s t die Anerkennung päpstlicher Autorität der Anfang der wahren Katholicität des Christenthums? Ja, selbst wenn Petrus später in Rom ge-wesen ist, wenn auch zugestanden wird, daß schon frühe, schon vom dritten Jahrhundert ab der römische Bischof — wegen der bedeutsamen Stellung der Weltstadt — einen präponderirenden Einfluß auf die kirchlichen Angc-legenheitcn zu üben beginnt und vom 4. und 5, Jahrhundert ab im Abend-lande mehr und mehr als Organ für dik allgemeine Verbreitung und ein-heitliche Gestaltung der christlichen Kirche erscheint, — wo ist heut zu Tage die mit dem Papstthum gesetzte christliche Völkercinhcit zu finden? Sind es nicht fast bloß die romanischen Völker, die demselben nach anhangen, und wie anhangen?. So, daß sie als die bittersten und gehaßten Feinde ihm

gegen-1) Es ist und bleibt eben eine nackte Unwahrheit, wen» D ö N i n g e r auch in den beiden Vorträgen (vgl, S ' S 6 7 u. 681) mit naiver Zuversichtlichkeit behauptet, cs seien „die römischen Bischöfe v o n jeher und nothwendig Oberhirien der Kirche gewe-sen," — Und) „das Papstthum ist der Schlußstein, der da« ganze Gebäude der Kirche zusammenhält, der die Kirche zu dem macht, w a s sie ist u n d sei» s o l l : zur Welttirche, zu der einzige» Genoffenschaft, welche jemals mit der Erfüllung der ihr von Gott gegebenen Bestimmung, die ganze Menschheit zu umfassen und fi'ir jedes Volk Raum zu haben, Ernst gemacht hat. Wurde dieser Alles haltende und trayeude Schluß stein hinweggenommen, dann winde sofort auch Alles auseinanderfalten." — Also — wozu Christus? Der kann die Kirche nicht halten. Wir haben eine» c»»der», besseren Eckstein!?

-D ö l l i ü g e r : Kirche und Kirchen,c.

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" ^ überstehen, unter ihnen seine, eigenen bisherigen Unterthanen, gegen welche der Papst von französischen Waffen geschützt werden mnß! S o , daß sie das P pstthum an seiner Achillesferse zu verwunden streben! S o , daß sie es einengen bis' zur äußersten Noth und Verzweiflung und es noch dazu drangen werden, auf germanischem Boden eine Zufluchtsstätte zu suchen!

Dem Papstthum eignet weder Ursprüuglichkeit, noch auch Allgemeinheit und doch soll sein. Begriff sich decken mit dem der Katholicität? Und welche

^ " ^'.'rflächlichkeii gehört dazu, welch' seichte Anschauung vom Wesen der Kirche, wenn wirklich in einem so voluminösen Buch über die Kirche, und d>e Kirchen kein Wort verlautet über die w a h r e n Bedingungen der Katho-licitat: reines Wort »nd Sacrament, reines schriftgemäße« Bekenntniß und treue Verwallung der Hcilsgüter. D a mag denn der Herr Domprobst , m'!nerhm mit mitleidigem Lächeln herabblicken auf die armen Protestanten,

die „an dem Artikel des Glaubensbekenntnisses'von der Einen allgemeinen

^ Kirche verzweifelnd", mit „ wohlklingenden Phrasen von- einer „ „ heiligen, un-sichtbaren Gemeinschaft"" den Abgrund der Kirchenlosigkeit zu verdecken su>

chcn"; — wir wissen doch, welchen Schaß wir bewahrt haben, den Eini»

! gen, wahren, lebendigen Christum, dm die Römer mit ihrem Marien-Kul»

O» t»s und ihrer iiuiuaouilltli, oonoeptia vcrläugmt haben; wir wissen doch, daß das oreäu u i i a m sanotain, apostolioaiu, C3,t,ko1ioain s«o1ssii>,lli, das auch wir alle Festtage bekennen, nur Wahrheit hat, wenn die Kirche nicht in der A r t ficht- »nd greifbar ist, als der „Staat von Venedig"; wir wissen doch, daß der Eine Hirte die Seinen kennt, und Eine Heerde auch sichtbarlich werden wird, aber nicht im verweltlichten und verwahrlo-ften Rom, nicht iu dem Papstthum, das so wenig katholisch ist, daß viel-mehr der Verwesungsproceß desselben unter Begleitung des Gekrächzes fran-zösischer oder anderer Adler, die sich »ins Aas sammeln, — die nothwen-dige Bedingung sein wird für den Anbruch des Tages, da die Morgen-rö, c wahrer Katholicität über der ^ armen Christenheit purpurn aufgehen . w'ird, — Ja, es w i r d Ein Hirt und Eine Heerde sein, aber wir werden

sie nicht machen, geschweige denn in Rom finden. Der Herr selbst hat sich Zeit und Stunde vorbehalten. Sie wird geschehn „ ohn' Menschenhand ".

Für uns aber gilt es, das Wort seiner Geduld zu bewahren; zu halten, wli! wir haben, daß Niemand unsre Krone raube; unser wahrhaft latholi-schcs, weil schriftgemäßes Bekenntniß lebendig bezeugen und des reinen Sa-cramentes uns freuen, in welchen Gnadenmitteln der lebendige Christus uns

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A. u, O e t t i n g e n ,

wahrhaft, ja gegenwärtig ist, das einige Haupt der katholischen Kirche. — Freilich kann damit der Dumprobst nicht einverstanden sei». Läßt er sich doch zur fast blasphemischen Behauptung fortreißen ( S . 30): „Sagt eine Genossenschaft: Nur C h r i s t u s ist uns das Haupt der Kirche, so heißt das mit andern Worten: die Trennung und Isolirung der Kirche ist Princip, ist der normale Znstand." — Aber zu solchen Behauptungen muß sich die oberflächliche Äußerlichkeit versteigen, die in blindem Parteicifcr geistliche Dinge nicht geistlich zu richten versteht.

Freilich, wenn's wahr wäre, was D ö l l i n g c r vom Princip und von der Erscheinung der nicht dem römischen Papste anhängenden Kirchen sagt, so erhielte seine Behauptung einige» Schein der Wahrheit, ja man müßte aus der Hülle des zerrisseneu und zerklüftete», des getncch-teten und knechtenden, des intoleranten und servile», des rationalistische»

nnd ulWschichtlichen, des umuoralischen und selbstsüchligcu Protestantismus sich herausschnen in das Eldorado römischer Katholicitüt, Denn alle diese Gebrechen schiebt er dem Protestantismus in die Schuhe, ja findet sie in seinem Princip enthalte». — Gehen wir auf seine Argnuientation näher ein.

Zunächst muß es auffallen, daß dem verhaßten Protestantismus, an welchem zulcht kein gutes Haar bleibt, zuerst einiger Weihrauch gestreut, d. h. feine relative Berechtigung nnd sei» anregender Einfluß gegenüber dem damaligen „Katholicismus" zugestanden wird imd mit scheinheiliger Bußfertigkeit unionsfrcundlichc Stoßseufzer zu Tage gefördert werde» „ W i r haben anzuerkennen", heißt es S , X X I X f., „daß auch hier Gott aus den Ver-inungen der Menschen, aus den Kämpfen und Leidenschaften des 16. Jahr-Hunderts neben viel Schlimme!» viel Gutes hat hervorgehen lassen; daß dzr Drang der deutschen Nation, die unerträglich gewordenen Mißbrauche und Aergernisse in der Kirche abgestellt zu sehe», ein au sich wohlberechtigtcr nnd den besseren Eigenschaften unseres Volkes, seinem ethischen Unwillen über Verunstaltung und Entweihung des Heiligen durch Herabziehen der religiösen Dinge zu habgierigen und heuchlerischen Zwecken, entstammt war.

W i r weigern uns nicht zu gestehen, daß die große Trennung und die da-mit verknüpften Stürme und,Wehen ein ernstes, über die katholische Chri-stenheit verhängtes, nur allzu sehr von Klerus und Laien verdientes Straf-gericht waren, ein Gericht, welches läuternd »nd heilend gewirkt hat. Der große Geisterkanlpf hat die europäische Luft gereinigt, hat den menschlichen

D ö l l i n g e t - Kirche und Kirchen, «.

I N

s° Geist auf neue B a h n e n getrieben, hat ein reiches wissenschaftliches u n d geistiges

^ Leben erzeugt. D i e protestantische Theologie m i t ihrem rastlosen Forschungs-geij<e ist der katholischen weckend u n d anregend, mahnend u n d belebend zur Seite gegangen; und jeder unter den hervorragenden deutschen katholischen Theo-logen w i r d es gerne bekennen, daß er den Schriften protestantischer Gelehrten vieles verdanke." — Auch das wird von D ö l l i n g e r zugestanden, daß, „weil sich in der Kirche der Rost der Mißbrauche, des abergläubischen Mechanismus

^ ' in, ,ier wieder anseht," — der reformatorische Geist in der Kirche nie ent-schwinden darf, sondern vielmehr periodisch mit neu vergüngender Kraft wieder hervorbrechen muß. — J a die Scheidung sei ein Mahnruf zur Buße, d. h. zur sorgfältigen Prüfung unseres (des katholischen) kirchlichen Lebens und Pastoralen Verhaltens und zur Verbesserung des schadhaft Be-fx'^enen." — „Die Wiedervereinigung aber der kathol. und Protest. Eon-fessionen würde, wenn sie zu Stande käme (was D ö l l i n g e r mit Recht aus vielen Gründen für unwahrscheinlich erklärt) in religiöser, politischer und socialer Beziehung das heilbringendste Ereigniß für Deutschland, für Europa sein." ( S . X X I . ) — „Bis jener Tag uns Deutschen aufgeht, ist es Aufgabe für uns Katholische, die Glaubens-Spaltung nach dein

Ans-» druck des Cardinals Diepenbrock „„im Geiste der Buße für gemeinsames Verschulde» zu ertragen."" — Das klingt allerdings schön und ist ein Be-kenntniß, eines Diepcnbrock wahrhaft würdig. Aber bei D ö l l i n g e r ist's unmöglich, zu der Aufrichtigkeit dieses bußfertigen Gefühls volles Ber-trauen zu fassen. Sonst winde er nicht mit splitterrichtender Kritik nur Schäden und faule Flecke des Protestantismus aufdecken, mit Schadenfreude, ja — ich möchte sagen — mit einer w o l l ü s t i g e n Kälte alle schwer-zendcn Wunden unseres Kirchenleibcs nicht zum Zweck der Heilung, sondern zum Zweck interessanter Beobachtung schön präparirt bloßlegen. Sonst würde- er nicht gänzlich blind sein gegen den Balken im eigenen Auge, ge-geii den tiefen fressenden Grundschaden, gegen die verdeckte Eiterbeule im römischen Katholicismus, nämlich gegen die pharisäische Acußerlichkeit und gegen die gottlos schriftwidrige Dogmeugießerei.

I m Grunde besteht nach D ö l l i n g e r das Princip des Protestantis-ums negativ im Bruch m i t der T r a d i t i o n , mit der „katholischen"

Kiihe und Wahrheit, positiv in dem Satz, daß der Christ in Sachen des Glaubens „bloß dein eigenen G u t d ü n k e n zu f o l g e n habe" ( S . 52).

Der letztere Satz, als Bezeichnung des von Luther selbst dargelegten

refor-112 A, v. O e t t i n g e » ,

matoiischen Principes, steht wirklich wörtlich also in D ü l l i n g c r ' s Buch, Und es erscheint ihm nur wie ein Widerspruch, daß mcm zugleich „der Obrigkeit die Gewalt über die Religion des Landes übertrug." — Uns erscheint es vielmehr als ein großer Widerspruch, daß D ö l l i n g e r einer-feits in Art der gassenläufigen Beurtheilung des reformatorischen Princips von Seiten des modernen Liberalismus dasselbe als pure Willkürhenschaft 'des Subjects hinstellt, andrerseits aber zu sagen sich erkühnt ( S . 75): „das Princip des Religionszwanges saft den Bckennern der neuen Lehre im Blute." — Freilich wenn diese „neue Lehre" wirklich nichts anderes war, als wofür D ö l l i n g e r sie hält, so ist unbegreiflich, wie sie überhaupt so viel und zwar nach D ö l l i n g e r ' s eigenem Geständniß doch so diel

matoiischen Principes, steht wirklich wörtlich also in D ü l l i n g c r ' s Buch, Und es erscheint ihm nur wie ein Widerspruch, daß mcm zugleich „der Obrigkeit die Gewalt über die Religion des Landes übertrug." — Uns erscheint es vielmehr als ein großer Widerspruch, daß D ö l l i n g e r einer-feits in Art der gassenläufigen Beurtheilung des reformatorischen Princips von Seiten des modernen Liberalismus dasselbe als pure Willkürhenschaft 'des Subjects hinstellt, andrerseits aber zu sagen sich erkühnt ( S . 75): „das Princip des Religionszwanges saft den Bckennern der neuen Lehre im Blute." — Freilich wenn diese „neue Lehre" wirklich nichts anderes war, als wofür D ö l l i n g e r sie hält, so ist unbegreiflich, wie sie überhaupt so viel und zwar nach D ö l l i n g e r ' s eigenem Geständniß doch so diel

Im Dokument Theologie Kirche, (Seite 108-154)