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Möglichkeiten und Grenzen: Die Entwicklung von Kooperation im südniedersächsischen Raum

3.1 Der Regionalverband Südniedersachsen e.V

3.1.1 Möglichkeiten und Grenzen: Die Entwicklung von Kooperation im südniedersächsischen Raum

Ein erster Blick läßt vermuten, daß es sich beim Einzugsgebiet des Regio-nalverbands Südniedersachsen (RV) um eine nach Lage und Einbettung günstige Kooperationsregion handelt, denn sie wird von Westen, Süden und Osten von der niedersächsischen Landesgrenze umschlossen. Der Raum Südniedersachsen - gebildet aus den Landkreisen Holzminden, Northeim, Osterode und Göttingen (einschließlich der Stadt Göttingen, die nach der niedersächsischen Gemeindeordnung einen Sonderstatus genießt, und durch diesen den kreisfreien Städten in Aufgaben und Funktion gleichgestellt ist) - grenzt in der Reihenfolge von Westen nach Osten an die Länder Nordrhein-Westfalen, Hessen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Nur nach Norden und Nordosten hin besteht über die Räume Hannover/Hildesheim und Braunschweig Zugang zu den anderen niedersächsischen Landesteilen.

Eine solche Halbinsellage sollte aus oberflächllicher Sicht heraus dazu führen, daß die Verantwortlichen stärker als anderswo zu einer Selbstbesinnung auf gemeinsame Interessen und Ziele angeregt werden.

Auf der anderen Seite sind aber Verwaltungsgrenzen keine Küstenlinien, da sie das Hinterland nur im Hinblick auf gewisse staatliche Funktionen abtrennen. Die räumlichen Konsequenzen gesellschaftlicher Entwicklung halten sich nur in den seltensten Fällen an diese willkürlichen Linien. Das Ergebnis ist eine räumliche Verflechtung der Gebiete unmittelbar beiderseits der Grenzen, die eine alleinige Orientierung auf die

"Binnenperspektive" erschwert.

So werden Ziele und Handlungsorientierungen in Südniedersachsen glei-chermaßen von zentripetalen und zentrifugalen Kräften bestimmt. Zwar ist der größte Teil der entstandenen Kooperationsregion auf das

Oberzentrum Göttingen ausgerichtet, zum "Rand" hin gibt es jedoch wachsende Verbindungen zu den benachbarten Bundesländern. Dies gilt in zunehmendem Maße auch für das Gebiet längsseits der ehemaligen DDR-Grenze (s.u.).

Der Anschluß der neuen Bundesländer an die Bundesrepublik Deutsch-land hat der Region neue Perspektiven, aber auch neue Probleme beschert: Durch die nunmehr zentrale Lage im vereinigten Deutschland lassen sich zwar neue Entwicklungsmöglichkeiten als "Drehscheibe zwischen Ost und West" ausmachen. Ganz im Gegensatz zu anderen Räumen, wie etwa Bremen oder Hannover, die die

"Drehscheibenfunktion" ebenfalls für sich reklamieren, fehlt hier allerdings die dafür erforderliche Verkehrsinfrastruktur fast vollständig.

Während die Region sowohl im Hinblick auf Schiene und Straße in nord-südlicher Richtung über eine gute Anbindung verfügt, sind gut aus-gebaute Ost-West-Verbindungen des Fernverkehrs nicht vorhanden. Ein weiteres Manko der Grenzöffnung ist der Wegfall der ehemals günstigen Refinanzierungsbedingungen der ehemaligen Zonenrandförderung. Die Fördermöglichkeiten im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Regionale Wirtschaftsstruktur haben in der Vergangenheit in entscheidendem Maße dazu beigetragen, die wirtschaftliche Lage der Region zu stabilisieren.

Insgesamt gesehen ist die Wirtschaftsstruktur stark vom verarbeitenden Gewerbe geprägt. Insbesondere Elektrotechnik, Feinmechanik/Optik, aber auch Holz-, Papier-, Leder- und Textilindustrie sowie andere Bereiche des produzierenden Gewerbes sind in der Region vertreten. Blickt man auf die innerregionale Verteilung der wirtschaftlichen Aktivitäten, so ergibt sich allerdings eine recht heterogene Struktur der Teilräume. Industrie und Gewerbe sind vorwiegend auf das Leinetal sowie das nördliche Harzvorland konzentriert, wobei besonders im Göttinger Raum der öffentliche Dienstleistungsbereich (u.a. Universität) einen zusätzlichen Faktor darstellt. Ansätze industriell-gewerblicher Wirtschaft (mit zum Teil langer Tradition) gibt es in minderem Ausmaß auch in anderen Teilen der Region. Hier eröffnen sich jedoch (Weserbergland, Solling, Harz, Eichsfeld) weitere Entwicklungsperspektiven im Fremdenverkehr.

Der große Bestand an naturnahen Flächen läßt Südniedersachsen zweifel-los an Attraktiviät gewinnen, stellt aber gerade die betreffenden Gebiete vor große Schwierigkeiten: Der Fremdenverkehr sichert zwar ein gewisses "Standbein" bei der Versorgung der Bevölkerung mit Arbeitsplätzen, reicht aber für die Sicherung von Beschäftigung und

Einkommen bei weitem nicht aus. So leiden die entsprechend gelegenen Städte und Gemeinden unter Abwanderungstendenzen der Jüngeren und in der Folge unter einer Überalterung der Bevölkerung. Die Verantwortlichen müssen also eigenständige Strategien zur Gewerbeentwicklung verfolgen, ferner können sie darauf hoffen, daß eine wirtschaftliche Stärkung des Umlandes von Göttingen mit einer Zunahme von Beschäftigung auch ihren Einwohnern zugute kommt.

Aber auch in der Nähe des Zentrums ist die Arbeitslosigkeit hoch (u.a.

wegen des Akademikerüberschusses im Gefolge der Universität), und sogar Wirtschaftszweige, die sich in der Vergangenheit als weniger konjunkturanfällig gezeigt haben, wie etwa die optische Industrie, haben mit ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu kämpfen. Das jüngste Beispiel dafür sind die Rationalisierungsbestrebungen bei Carl Zeiss, die u.U. auch die in Göttingen angesiedelte Mikroskopie betreffen.

Dennoch verbleiben günstigere Aussichten - nicht zuletzt wegen der - zu-mindest in Nord-Süd-Richtung guten Verkehrsanbindung über Schiene und Straße - für einen Ausbau von Industrie und Gewerbe in den zentral gelegenen Gebieten, womit allen Verantwortlichen der Region klar ist, daß eine Stärkung des "Kernlandes" positive Aspekte für die ganze Region nach sich ziehen dürfte. Aus dieser Sachlage ergibt sich jedoch auch eine innere Zerreißprobe für Politik und Verwaltung an den Rändern des Kooperationsraumes, weil einerseits die Stärkung des Oberzentrums mitgetragen werden muß, andererseits aber die Entwicklung des eigenen Standortes und unmittelbare Belange der Einwohner nicht aus dem Auge zu verlieren sind. Im Ergebnis steht neben der Bereitschaft, innerhalb der Region "an einem Strang zu ziehen" auch die Befürchtung, Göttingen und sein Umland wollten die gesamte wirtschaftliche Entwicklung der Region auf sich konzentrieren.

Aus dem geschilderten Sachverhalt ergibt sich das zentrale Spannungs-feld, innerhalb dessen sich regionale Kooperation herausgebildet hat. Die

"Metafunktion" der Zusammenarbeit besteht in einem ständigen Auspen-deln der zentripetalen- und zentrifugalen Kräfte. Diese "Metafunktion", deshalb auch der Terminus, kann freilich nicht als Aufgabe angesehen werden, an der sich regionale Zusammenarbeit entzündet. Das angespro-chene Spannungsfeld verweist jedoch die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung auf bestimmte notwendige Aufgabenfelder, anläßlich derer Austausch und Kontaktpflege intensiviert werden können, ohne daß es zu Beginn des regionalen Selbstfindungsprozesses bereits zu zentralen

Kon-flikten kommt. Eines dieser Aufgabenfelder, das auch für andere Regionen einen zunehmenden Stellenwert gewinnt, ist die Integration des regionalen ÖPNV.

Angesichts der oben genannten Probleme (insbesondere die Verteilung von Arbeitsplätzen im Raum) wird die Entwicklung des ÖPNV von allen beteiligten Gebietskörperschaften und Institutionen als dringlich eingestuft. Unstrittig ist dabei, daß Linienführungen und Haltepunkte den Tatbeständen innerregionaler Verflechtung folgen müssen, wobei Verteilungsgesichtspunkte z.B. im Hinblick auf weitere Industrie- und Gewerbeansiedlung daraus nicht unmittelbar ableitbar sind. Der regionale Nahverkehr stellt sich daher als Aufgabe dar, die zumindest nicht von vornherein zentrale Konflikte auslöst.

Während der Anlaß für die Intensivierung regionaler Zusammenarbeit in Südniedersachsen damit bestimmt ist, bleibt noch die Frage des Anknüp-fungspunktes: Die Kooperation von Gebietskörperschaften unterschiedli-cher Ebenen (Kreise und Gemeinden) unter Einschluß von Kammern, Verbänden und Institutionen in einem dergestalt heterogenen Raum entstand nicht im lufleeren Raum, sondern beruht auf bereits vorhandenen Aktivitäten, aus denen heraus die Synergieeffekte einer intensiveren Kommunikation den Verantwortlichen deutlicher vor Augen treten.

Die "Idee" der Regionalisierung, wie man sie heute von seiten der Landesregierungen und Regionen propagiert, entwickelte sich in Ansätzen bereits 1988. In diesem Jahr, und auch zwei Jahre später fanden unter Federführung des damaligen niedersächsischen Wirtschaftsministers Regionalkonferenzen statt, die sich allerdings nicht nur auf Südniedersachsen beschränkten, sondern gemeinsam mit Teilnehmern aus Nordhessen abgehalten wurden. Auch die Gewerkschaften entwickelten sehr früh Vorschläge zu einer die Landesgrenzen überschreitenden Kooperation. Diese Frühphase erbrachte zwar keine verwertbaren Ergebnisse, legte aber den ideellen Grundstein für die Aufweichung standortbezogener Denk- und Planungsstrategien. Große Aufmerksamkeit erzeugte ferner ein Zusammenschluß von Vertreterinnen und Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung ("Wir-Südniedersachsen"), der den Gedanken regionaler Zusammenarbeit fortentwickelte, und dem es unter der Leitung einer Unternehmenschefin gelang, einen Fachhochschulzweig (Physik, Feinmeßtechnik) in Göttingen zu etablieren.

Dieser Erfolg demonstrierte den Sinn und die Notwendigkeit einer regionalen Interessenvertretung gegenüber Land und Bund. "Vorarbeiten"

für einen regionalen Zusammenschluß leisteten ferner die Verwaltungen der beteiligten Landkreise und der Stadt Göttingen: In Südniedersachsen gab es fast "traditionell" zu nennende Arbeitsgemeinschaften der Regionalplaner und Wirtschaftsförderer.

Gegen Ende Juni 1990 wurde eine erste "Schnupperkonferenz" abgehal-ten, auf der die Idee regionaler Zusammenarbeit konkretisiert wurde. Ein Jahr später fand dann eine Vorbereitungskonferenz statt, nachdem der Leiter des Göttinger Amtes für Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung anläßlich eines Seminars des Deutschen Instituts für Urbanistik detaillierte Vorschläge für die Verfassung eines Regionalverbands vorgelegt hatte. An dieser Zusammenkunft war im übrigen auch das Wirtschaftsministerium beteiligt, ohne daß diesem eine Initiativfunktion zukam. Die Landesregierung befürwortete das Vorhaben, weil es ihren Regionalisierungsbestrebungen entsprach.

Die Initiative zur Gründung des Regionalverbands Südniedersachsen e.V.

(RV) ging im wesentlichen von den Verwaltungsspitzen der Landkreise und der Stadt Göttingen aus. Die Landkreise sahen sich dabei als Vertreter ihrer kreisangehörigen Städte und Gemeinden an, was nicht ohne Konflikte blieb: Die Städte und Gemeinden befürchteten, von wichtigen Entscheidungsprozessen abgekoppelt zu werden, und forderten eine stärkere Einbindung in formaler und organisatorischer Hinsicht.

Nachdem man sich darauf geeinigt hatte, allen kooperationswilligen Kommunen die Mitgliedschaft zu eröffnen, waren die entscheidenden Weichenstellungen zur Gründung des RV bis Anfang 1992 vollzogen.

Am 23.3.1992 wurde der RV offiziell gegründet, und im April 1992 in das Vereinsregister eingetragen.

An dieser Stelle läßt sich bereits erkennen, daß regionale Kooperation durch eine mehrjährige Phase regionalpolitischer Interaktionsprozesse vorbereitet wurde. Während dieser Zeit verschob sich der Anlaß für die Zusammenarbeit von einer Reaktion auf allgemeine Entwicklungen im räumlichen Gefüge (Stichwort "Weltweiter Wettbewerb der Regionen") hin zu regionalspezifischen Erfordernissen, wie etwa dem Ausbau der Verkehrsinfrastrktur in Ost-West-Richtung oder einem funktionalen Ersatz für die ehemalige Zonenrandförderung. Parallel zu dieser

"Motivverschiebung" bei den Initiatoren fand eine räumliche Konzentration der Diskussion auf Südniedersachsen statt. Man hatte

schnell bemerkt, daß die Probleme kommunaler Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg nicht mehr lösbar sein würden.

Als Antrieb und vordringliche Aufgabenstellung stand nun der ÖPNV im Zentrum der Diskussion. Dabei läßt sich in an dieser Stelle nicht entschei-den, ob die genannte Hinwendung zu konkreten gemeinsamen Aufgaben-stellungen typisch für die Entwicklung von Kooperationsprozessen ist, da der ÖPNV gegenwärtig im Rahmen der landesweiten Regionalisierung eine besondere Rolle spielt. Die Länder arbeiten mit den Kommunen an einer Dezentralisierung des ÖPNV, insbesondere des schienengebundenen Verkehrs. Zumindest auf die Landkreise kommen daher neue Aufgaben zu, die den Antrieb zur Zusammenarbeit vehement verstärken.