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3.1 Der Regionalverband Südniedersachsen e.V

3.1.2 Die Institutionalisierung des Regionalverbands:

schnell bemerkt, daß die Probleme kommunaler Zusammenarbeit über Landesgrenzen hinweg nicht mehr lösbar sein würden.

Als Antrieb und vordringliche Aufgabenstellung stand nun der ÖPNV im Zentrum der Diskussion. Dabei läßt sich in an dieser Stelle nicht entschei-den, ob die genannte Hinwendung zu konkreten gemeinsamen Aufgaben-stellungen typisch für die Entwicklung von Kooperationsprozessen ist, da der ÖPNV gegenwärtig im Rahmen der landesweiten Regionalisierung eine besondere Rolle spielt. Die Länder arbeiten mit den Kommunen an einer Dezentralisierung des ÖPNV, insbesondere des schienengebundenen Verkehrs. Zumindest auf die Landkreise kommen daher neue Aufgaben zu, die den Antrieb zur Zusammenarbeit vehement verstärken.

Theorieteils nach sollte die "organisationelle Verdichtung" einer Kooperation erst im Gefolge zunehmender Institutionalisierung und eines steigenden Relationierungsgrades zwischen Organisationen erfolgen. Hier allerdings greift die Gründung des Vereins der Institutionalisierung in den Interaktionssystemen eindeutig vor. Die von den Verantwortlichen genannten Gründe liegen in dem Bestreben, nach außen hin als Einheit aufzutreten, und ein bestimmtes Maß an Verbindlichkeit im regionalen Geschehen zu erzeugen. Auf diesen Punkt wird in der theoretischen Auswertung noch zurückzukommen sein.

Die Art der gewählten Organisation - hier die Rechtsform des e.V. - läßt Schlußfolgerungen auf die zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Erwar-tungsstrukturen zu (die dann eben den Anschluß für weitere Entscheidun-gen garantieren). Im GeEntscheidun-gensatz zu Zweckverbänden werden bei der Ver-einsform keine kommunalen Kompetenzen abgetreten, gleichwohl sind aber (zumindest theoretisch) Mehrheitsentscheidungen möglich, und damit denkbar.

Bei der kommunalen Arbeitsgemeinschaft als Alternative geringeren Or-ganisationsgrades gäbe es demgegenüber kaum gesetzliche Vorgaben hin-sichtlich Entscheidungsstrukturen und -verfahren. Konkret ausgedrückt, bedeutet die Wahl der Vereinsform, daß man sich zutraut, gemeinsame Entscheidungen im Rahmen der Regionalentwicklung zu treffen bzw.

Konflikte auszuhalten und auszutragen. Demgegenüber bestand zu diesem Zeitpunkt offenbar noch keine Bereitschaft, Aufgaben an neue Institutionen zu übertragen. Dies ist für die Beteiligten zwar theoretisch vorstellbar, kann jedoch erst im Zuge einer institutionellen Konsolidierung bewerkstelligt werden (was im Hinblick auf den ÖPNV auch geschehen ist, s.u.).

Vor diesem Hintergrund sind die Anstrengungen zu sehen, mit denen eine Einigung über Art und Besetzung der Gremien sowie über die erforderli-chen ablauforganisatoriserforderli-chen Regelungen herbeigeführt wurde. Im Zentrum der Diskussion stand dabei die Zusammensetzung der Organe

"Mitgliederversammlung" (Regionalkonferenz) und "Vorstand"

(Koordinierungsausschuß). Ursprünglich war die Besetzung analog zur niedersächsischen Kommunalverfassung vorgesehen, d.h., die Mitglieder-versammlung sollte mit Politikern, der Vorstand mit Hauptverwaltungsbeamten besetzt werden. Dadurch erregte man jedoch das Mißtrauen von Politikern der Kommunalparlamente. Von dieser Seite wurde befürchtet, die Verwaltungsangehörigen und Vorstandsmitglieder

wollten "ihr eigenes Geschäft betreiben". Zudem hegten CDU und Grüne den Verdacht, daß der Verband sich zu einer reinen "SPD-Veranstaltung"

entwickeln würde.1 Eine entgegengesetzte Befürchtung ging demgegenüber dahin, von der Verbandsarbeit ausgeschlossene Haupt-verwaltungsbeamte würden Beschlüsse des RV in der Umsetzungsphase boykottieren.

Selbst als Konsens über eine "gemischte" Besetzung der Gremien durch Politiker und Verwaltungsmitglieder hergestellt war, bestand Uneinigkeit über deren Größe. Insbesondere der Koordinierungsausschuß, dem die politische Weichenstellung innerhalb des Alltagsgeschäftes sowie die Koordinierung der Arbeitsausschüsse obliegen sollte, mußte seine Handlungsfähigkeit als Arbeitsgremium behalten. Somit stand man diesbezüglich vor dem Dilemma, einerseits alle relevanten Kräfte der Region beteiligen zu wollen, andererseits aber die Teilnehmerzahl in engen Grenzen halten zu müssen. Beriefe man alle Hauptverwaltungsbeamten in den Koordinierungsausschuß, so hätte dieser (bei 28 kreisangehörigen Migliedskommunen, Stand Herbst 1994) 33 Mitglieder. Die besondere Herausforderung bestand also darin, die Zahl der Verwaltungsangehörigen zu beschränken, Politiker in den Koordinierungsausschuß aufzunehmen, und schließlich auch die kleineren Fraktionen der Kommunalparlamente angemessen zu berücksichtigen.

Der gefundene Kompromiß reduziert die Mitgliederzahl erheblich. Das Gremium setzt sich nunmehr wie folgt zusammen:

• Leiter der Regionalkonferenz (im jährlichen Wechsel die Landräte der Landkreise Göttingen, Osterode, Northeim und Holzminden sowie der Oberbürgermeister von Göttingen),

• Hauptverwaltungsbeamte der genannten Gebietskörperschaften,

• je ein Mitglied der Kreistage oder des Rates der Stadt Göttingen auf Vorschlag der Parteien, die in mindestens drei der Beschlußgremien in Fraktionsstärke vertreten sind (die den Leiter "entsendende" Partei wird hierbei nicht berücksichtigt),

• je Landkreis ein Gemeindedirektor.

1 Die meisten der Hauptverwaltungsbeamten in der Region gehören der SPD an.

Um weiteren Verschiebungen der Interessengewichte innerhalb der Regionalkonferenz auch in Zukunft Rechnung zun tragen, regelt die Satzung, daß weitere Mitglieder des Koordinierungsausschusses bestellt werden können. Um eine größtmögliche Transparenz der Verbandsarbeit zu gewährleisten, finden die Sitzungen des zentralen Gremiums verbandsöffentlich statt (Regionalkonferenz und Arbeitsausschüsse tagen demgegenüber öffentlich). Falls Mitgliedern die direkte Teilnahme an den Sitzungen nicht möglich ist, werden die entsprechenden Protokolle zugänglich gemacht.

Der Prozeß der Institutionalisierung war mit der Gründung des RV im Jahr 1992 noch nicht endgültig abgeschlossen. Im Laufe desselben Jahres wurden noch Nachbesserungen im Hinblick auf die Kompetenzen der Mitgliederversammlung vorgenommen: Der Regionalkonferenz wurde das Recht eingeräumt, Arbeitsausschüsse einzusetzen. Die letzten Satzungsänderungen erfolgten erst auf der Tagung am 20.10.93.

Die Zusammensetzung der Mitgliederversammlung resultiert - wie dieje-nige des Koordinierungsausschusses - ebenfalls aus einer möglichst ausgewogenen und sachgerechten Beteiligung der verschiedenen Status-und Interessengruppen. Um gegenseitigen Vorbehalten von Politikern und Verwaltungsangehörigen zu begegnen, ist es den Organisationen freigestellt, von welcher Anzahl Personen sie sich im Plenum vertreten lassen. Die beteiligten Kommunen können somit neben dem jeweiligen Ratsvorsitzenden auch interessierte Politiker und Verwaltungsangehörige in unbeschränkter Zahl entsenden. Freilich hat jede Körperschaft dabei nur eine Stimme.

Da sich der Verband nicht als reine Arbeitsgemeinschaft der Gebietskör-perschaften versteht, wird eine feste Einbindung organisierter Interessen aus Wirtschaft und Gesellschaft als sinnvoll und notwendig angesehen.

Der Koordinierungsausschuß kann daher auf Antrag weitere Mitglieder in die Regionalkonferenz aufnehmen. Hier gibt es zum Teil rechtliche Probleme: So sind die lokalen Arbeitsämter keine Institutionen mit eigener Rechtspersönlichkeit, und können daher regionalen Zusammenschlüssen nicht beitreten. Dies ist allerdings kein Hindernis für eine aktive Mitarbeit.

Mitglieder im Sinne des Vereinsrechts sind bisher (neben den genannten Landkreisen, der Stadt Göttingen sowie 28 kreisangehörigen Kommunen) folgende Institutionen:

• der Arbeitgeberverband Mitte

• der Bezirk Südniedersachsen der DAG

• der DGB-Kreisverband Göttingen/Northeim

• die Kreishandwerkerschaft Göttingen

• Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft und Raumfahrt

• die Georg-August-Universität Göttingen

• der Verein zur Förderung der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis

Die Zusammensetzung des RV berücksichtigt auf der Mitgliedschaftsebene bereits in starkem Maße die für eine spätere Umsetzung von Beschlüssen maßgeblichen kreisangehörigen Kommunen. In der Mitgliederversammlung werden allerdings lediglich die Beschlüsse gefällt, die auf Ergebnissen der Arbeitsausschüsse und Beschlußvorlagen des Koordinierungsaussschusses beruhen. Die eigentliche Sachdiskussion findet dementsprechend in den gebildeteten Arbeitsausschüssen statt. Deren Besetzung ist in der Satzung nicht geregelt, und kann daher themenorientiert und flexibel erfolgen. So können auch Gruppen und Verbände, die eine feste Verbindung zum RV nicht eingehen wollen oder können, an den speziell für sie relevanten Problemen mitarbeiten (Dies gilt z.B. für Frauenbeauftragte aus der Re-gion.).

Die endgültige Konstituierung der bislang vorhandenen Arbeitsausschüsse (Abfall, ÖPNV, Wirtschaftsförderung, Regionalentwicklung) hat ebenfalls viel Zeit in Anspruch genommen, und wurde erst im Herbst 1993 abgeschlossen. Neben den genannten- waren zunächst weitere Ausschüsse vorgesehen (Fremdenverkehr, Kultur).

Inwischen hat sich, was den Bereich Kultur angeht, die Südniedersächsische Landschaft konstituiert. Im Hinblick auf den Frem-denverkehr ist man dagegen zur Überzeugung gekommen, daß regionsübergreifende Strategien zu dessen Entwicklung kaum praktikabel sind, weil die entsprechenden Gebiete sich jeweils als eigenständige Urlaubsregionen vermarkten müssen, und als solche auch von den Touristen wahrgenommen werden.

Zur Herstellung der vollen Arbeitsfähigkeit des RV gehört auch die im Sommer 1993 erfolgte Einrichtung des Regionalbüros. Bis dato oblag die

Geschäftsführung dem Leiter des Amtes für Stadtentwicklung und Wirt-schaftsförderung der Stadt Göttingen, was zu starker Arbeitsbelastung an dieser Stelle führte. Von größerer Bedeutung war aber die im Hinblick auf das eingangs geschilderte Spannungsfeld zwischen Kern- und Randgebiet

"falsche" Anbindung des RV an die Stadt Göttingen. Auch nach Wegfall dieser Regelung ist der RV von verschiedenen Seiten dem ungerechtfertigten, aber hartnäckigen Verdacht ausgesetzt, ein "Verein zur Förderung des Oberzentrums" zu sein.

Bei der Besetzung des Regionalbüros gab es unter den Verantwortlichen unterschiedliche Auffassungen im Hinblick auf dessen Aufgabe. Während die eine Seite in der Geschäftsführung ein Hilfsinstrument des Koordinie-rungsausschusses sah, plädierte die andere Seite (die sich durchsetzte) für die Etablierung einer eigenständigen Triebkraft im politisch-administrati-ven Management des Verbandes: Das Regionalbüro sollte einerseits die institutionelle Eigendynamik des RV nach innen stärken, und zum anderen die Aktivitäten der Region nach außen hin vertreten bzw.

Arbeitsvorhaben und Ergebnisse der Öffentlichkeit näherbringen. Dazu gehört auch, daß neue Themen angestoßen und "alte" mit neuen Impulsen versehen werden. Eine angemessene Außendarstellung des Verbands erfordert zudem eine ständige Präsenz der verhandelten Arbeitsinhalte in der regionalen Presse.

Daß der Geschäftsstelle des Verbands eine große Bedeutung zukommt, läßt sich an der Finanzierung des Verbandshaushaltes ablesen. Der Haushalt des RV (dessen größter Teil für das Regionalbüro zu veranschlagen ist) wird ohne Zuschüsse seitens des Landes durch eine Umlage der beteiligten Landkreise und der Stadt Göttingen bestritten. Da die Tätigkeit des RV auf Expansion ausgelegt ist, wird man früher oder später die Finanzierungsgrundlagen erweitern müssen. Hierzu sind von der Geschäftsführung bereits Vorschläge ausgearbeitet worden: Zunächst einmal ist daran gedacht, die Mitgliedsgemeinden in die Finanzierung einzubinden. Dies stößt bisher auf keine größeren Widerstände. Die Städte und Gemeinden rechnen sich stattdessen aus, daß ihre Stimme ein noch größeres Gewicht erhält, wenn sie sich an den gemeinsamen Kosten beteiligen.

Die Belastung der Mitglieder durch Umlagen soll dennoch in Grenzen ge-halten werden. Eine weitere Refinanzierungsmöglichkeit wird daher in der Gewinnung von Fördermitgliedern gesehen. Was z.B. die regionalen Banken betrifft, stehen hier die Aussichten nicht schlecht. Schließlich

wird überlegt, ob man für bestimmte Dienstleistungen des RV an einzelne Mitglieder Gebühren erhebt. Diesbezüglich herrscht allerdings noch große Skepsis: Einerseits ist fraglich, ob der Verband angesichts seiner gegenwärtigen personellen Kapazitäten (Geschäftsführer, Sekretariat) in der Lage sein wird, solche Aufgaben zu übernehmen. Auf der anderen Seite bleibt offen, ob ein freiwilliger Zusammenschluß, der im Grunde auf Initiativen und Leistungen seiner Mitglieder angewiesen ist, überhaupt als Dienstleister gegenüber diesen auftreten soll. Eine dadurch möglicherweise unterstützte "Konsumentenhaltung" der Gebietskör-perschaften gegenüber dem Verband hätte unter Umständen ein Zurückdrängen desjenigen Engagements zur Folge, von dem der Zusammenschluß seine Dynamik erhält.

Die bisherige Darstellung des RV mutet wie die Geschichte seiner Grün-dung an. In der Tat ist seit den ersten Zusammenkünften bis zur endgülti-gen Fassung der Satzung viel Zeit mit Fraendgülti-gen der Organisation und Verfahrensweise ins Land gegangen. Die Gründe hierfür wurden bereits angesprochen: Man muß eben lange überlegen, auf was man sich einläßt.

Positive Erwartungsstrukturen führten in der Folge zu praxistauglichen und konsensfähigen Kompromissen hinsichtlich Beteiligungsregeln und Organisationsstrukturen.

Die Ziele, die sich die regionalen Akteure für ihre Kooperation gesetzt ha-ben, waren allerdings nie umstritten. Die diesbezüglich in der Satzung festgelegten allgemeinen Weichenstellungen sind wie folgt formuliert:

"...durch Kooperation, Koordination und Kommunikation soll der Regionalverband die Position der Region und seiner Mitglieder im wiedervereinigten Deutschland und im künftigen gesamteuropäi-schen Wirtschaftsraum ausbauen und stärken...

...der Regionalverband soll durch offene und informative Arbeit zum Wohle der Menschen und ihrer Umwelt die künftige Entwicklung der Region mitgestalten..."

Daraus läßt sich ableiten, daß über einen steigenden Grad der innerregio-nalen Zusammenarbeit eine Stärkung der Region nach außen angestrebt ist, oder anders ausgedrückt, daß der Selbstfindungsprozeß innerhalb Südniedersachsens dabei helfen soll, interne Probleme zu lösen und die besondere Rolle zu bestimmen, die die Region künftig im interregionalen

Wettbewerb spielen kann. In dieser Wegweisung ist angelegt, daß eine wirksame Interessenvertretung der Region nach außen hin nur über einen internen Lern- und Konsensfindungsprozeß zu erzielen ist. Der RV ist daher nicht als "Anspruchskartell" (Fürst 1993: 23) gegenüber externen Geldgebern in Land, Bund und EU gedacht. Maßgebliche Verantwortliche bestätigen, daß eine solche regionale Formation an den wirklichen Problemen Südniedersachsens vorbeiginge (was nicht heißt, daß die Erschließung externer Finanzierungsquellen vom Arbeits-programm gestrichen wäre).

Die in der Satzung kodifizierte Zielsetzung bildet also eine Klammer zwi-schen den Auslöser-Informationen zur Herausbildung regionaler Kommu-nikation (Südniedersachsen im Spektrum des interregionalen Wettbewerbs) und einer pragmatischen Marschrichtung, die als Komplement zu den Kompetenzbereichen der vorhandenen Gebietskörperschaften formuliert ist. Mit dieser Zielsetzung (und der Gründung des Vereins) hat sich die interaktionelle Verdichtung der interorganisatorischen Bindungen erstmals konkret von den Sinn-horizonten allgemeiner regionalpolitischer Diskussion abgelöst, denn für die weitere Dynamik der Kooperation sind nunmehr Gebiete, Beteiligte und zu bearbeitende Inhalte festgelegt.

3.1.3 Pragmatismus und Konzeption: Erste Erfahrungen mit