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II. Ausgangslage und Reformbedarf

1. Literaturüberblick

Der Umfang der theoretischen Literatur zur Wahl des Wechselkursregimes ist sehr groß. Das Problem wird unter verschiedenen Aspekten diskutiert, und mit der Fra-gestellung, welches Wechselkursregime für die Länder im Transformationsprozeß gewählt werden sollte, ist diese Literatur um eine weitere Facette bereichert wor-den. Allerdings ist festzustellen, daß relativ wenige Autoren mit konkreten formal-analytischen Modellansätzen arbeiten. Die Frage der Wahl des Wechselkurssys-tems im Transformationsprozeß wird zwar kontrovers diskutiert, und die Vor- und Nachteile werden abgewogen. Eine Argumentation innerhalb eines bestimmten Modells erfolgt jedoch nur selten. Die Literaturauswertung dieses Abschnitts kon-zentriert sich auf Modellformulierungen, die sich explizit mit der Wahl des Wech-selkurssystems im Transformationsprozeß auseinandersetzen. Da in der Literatur jedoch nur wenige Modelle verwendet wurden, werden auch einige neuere Arbei-ten in die Auswertung einbezogen, die sich generell mit der relativen Vorteilhaf-tigkeit eines festen oder flexiblen Wechselkurssystems befassen, sofern von den Autoren eine Übertragbarkeit ihrer Modellüberlegungen auf die Transformations-länder für möglich gehalten wird.

Ein Beispiel hierfür sind die Aufsätze von Tomell und Velasco (1998, 2000). Sie entwickeln allgemeine dynamische Gleichgewichtsmodelle, anhand derer unter-sucht wird, ob ein fester oder flexibler Wechselkurs einen stärkeren Anreiz bietet, im Rahmen der Stabilisierung fiskalpolitische Disziplin zu üben. Es handelt sich um dynamische Gleichgewichtsmodelle mit nutzenoptimierenden Wirtschaftssub-jekten, vollkommener Kapitalmobilität und Preisflexibilität, in denen die Fiskal-politik endogenisiert wird.1 Beide Arbeiten kommen zu dem Ergebnis, daß die Ausgaben und damit das staatliche Budgetdefizit bei geldmengenorientierter Sta-bilisierungspolitik und Wechselkursflexibilität niedriger ausfallen als bei einer Wechselkursstabilisierung, wenn die Regierung die Zukunft stärker diskontiert als die Allgemeinheit, z.B. aufgrund der Unsicherheit über die Chancen einer Wie-derwahl. Dies ergibt sich daraus, daß das fiskalische Fehlverhalten bei festen Wechselkursen erst später zu einer „Bestrafung" führt, wenn es über die Abnahme der Währungsreserven schließlich zum Zusammenbruch der Wechselkursfixierung kommt. Bei flexiblen Wechselkursen erfolgt die Bestrafung unverzüglich durch sofortige Wechselkursbewegungen. Während sich die Ausführungen nicht auf eine bestimmte Ländergruppe beziehen, werden in den empirischen Teilen der beiden Arbeiten von Tomell und Velasco Stabilisierungsprogramme in Südamerika unter-sucht bzw. die Erfahrungen der Länder südlich der Sahara in den frühen 1980er Jahren betrachtet. Neben Lateinamerika und Afrika nennen die Autoren aber auch Osteuropa als eine Region, für die ihre Argumente relevant sein könnten. 2

Grafe und Wyplosz (1998) gehören zu den wenigen Autoren, die explizit eine systemtransformierende Wirtschaft modellieren, um wechselkurspolitische Frage-stellungen zu untersuchen.3 Die Autoren entwickeln ein Drei-Sektoren-Modell, das den Zusammenhang zwischen Produktivität, Kapitalakkumulation, Reallöhnen und relativen Preisen unterstreicht, wenn der Staatssektor sukzessive durch expandie-rende private Sektoren verdrängt wird. Zielsetzung dieses Beitrags ist jedoch, ein Modell zu formulieren, das die reale Wechselkursentwicklung in der Transforma-tion abbildet. Es eignet sich daher nicht zur Betrachtung des Einflusses des Wech-selkurssystems auf den Erfolg einer Stabilisierungspolitik.4

Insbesondere in der frühen Literatur zur Wechselkurspolitik im Transformati-onsprozeß ist auf Modelle zurückgegriffen worden, die in anderen Zusammenhän-gen von Fischer (1986) und Cukierman (1988) entwickelt worden sind.5 Fischer

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TomellNelasco (1998), S. 1 ff., betrachten ein diskretes Modell, während die Analyse in TomellNelasco (2000), S. 406 ff., stetig ist.

Vgl. TomelINelasco (2000), S. 405.

Siehe Grafe/Wyplosz (1998), S. 4 ff.

Auf das Phänomen der realen Aufwertung im Transformationsprozeß wird im Unterabschnitt IV.2.1. genauer eingegangen.

Vgl. Schmieding (1992), S. 70 ff. Siehe aber auch Pieper (1995), S. 101 ff., und Toren (1999),

s.

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untersucht die Kosten einer Inflationsbekämpfung anhand eines Modells, in dem Lohnverträge für zwei Perioden im voraus festgelegt werden. 6 Dabei steht im Mittelpunkt der Betrachtung, ob die Kosten der Stabilisierung bei einem Geld-mengen- oder einem Wechselkursziel geringer ausfallen. Auch in Cukiermans Modell - zur Erklärung der Stabilisierungserfolge 1985 in Israel - bestehen Lohn-starrheiten aufgrund länger laufender Lohnkontrakte. Er untersucht eine Geldmen-genregel und eine direkte Preiskontrolle als Politikaltemativen.7 Anhand dieser Modelle sind zwar die Vor- und Nachteile einer Wechselkursfixierung zur Stabili-sierung des Preisniveaus analysiert worden, und die Modelle wurden dahingehend überprüft, inwieweit sie die Situation in den Transformationsländem angemessen abbilden. 8 Allerdings erfolgte keine Modifikation, um sie gegebenenfalls den Um-ständen des Reformprozesses anzupassen.

Eine weitere wichtige Gruppe von theoretischen Aufsätzen, die die Rolle der Wechselkurspolitik im Stabilisierungsprozeß untersucht, greift auf den von Barro und Gordon für geldpolitische Problemstellungen entwickelten spieltheoretischen Ansatz zurück.9 Dabei wird eine wirtschaftspolitische Zielfunktion modelliert, die die beiden Zielgrößen Preisstabilität und Beschäftigung bzw. Sozialprodukt bein-haltet. Anhand unterschiedlicher konkreter Modellausprägungen, deren zentraler Bestandteil jeweils eine solche Zielformulierung ist, wird untersucht, unter wel-chem Wechselkurssystem die Kosten der Stabilisierung geringer ausfallen.10 Al-lerdings gibt es kaum Arbeiten, die versuchen, diesen Ansatz auf die Entscheidung für ein Wechselkurssystem im Transformationsprozeß zu übertragen.11 Rodrik (1995) untersucht im Rahmen eines solchen Modells handelspolitische Fragestel-lungen und analysiert insbesondere den Konflikt zwischen einem flexiblen Wech-selkurs als Garanten für internationale Wettbewerbsfähigkeit und einem festen Wechselkurs als nominalen Anker für das Preisniveau. Die Untersuchung bezieht sich auf lateinamerikanische Länder, allerdings erwähnt Rodrik auch Polen als ein Beispiel, für das die Analyse zutreffend sein könnte.12 Agenor (1994) und

Siehe Cukierman (1988), S. 65 ff. Da in der Modellanalyse nur ein handelbares Gut unterstellt wird, ist die direkte Preiskontrolle mit einer Wechselkursfixierung identisch.

Siehe Pieper (1995), S. 102 und 104.

Vgl. Barro/Gordon (1983a), S. 589 ff., und Barro/Gordon (1983b), S. 101 ff.

10 Siehe z.B. Andersen/Risagen (1991), S. 85 ff., Edwards (1996b), S. 2 ff., und Hom/Perrson (1988), S. 1621 ff. Der Ansatz wird von Canzoneri et al. (1997), S. 46 ff., und Giavaz-zi/Pagano (1998), S. 1055 ff., zur Analyse der Glaubwürdigkeit einer Wechselkursbindung im Rahmen des Europäischen Währungssystems verwendet. Devarajan/Rodrik (1992), S. 70 ff., und Rodrik (1995), S. 302 ff., sind Arbeiten, die die Wechselkurspolitik in Entwicklungslän-dern analysieren.

11 Eine Ausnahme bildet Edwards (1993), S. l ff., der diesen Modellrahmen nicht nur für La-teinamerika verwendet, sondern auch auf Mittel- und Osteuropa überträgt und eine Schätzung für Jugoslawien durchführt. Siehe ebenda S. 2 und 16 f.

12 Siehe Rodrik (1995), S. 291.

wards ( 1998) gehen noch einen Schritt weiter und formulieren Zielfunktionen, in denen explizit ein Preisstabilitätsziel und ein reales Wechselkursziel berücksichtigt werden. 13 Die Autoren unterstellen eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf Ent-wicklungsländer. Auf diesen beiden Ansätzen baut das Modell auf, das im Ab-schnitt 3 vorgestellt wird und einigen Merkmalen der Transformationsländer Rechnung trägt.

Wie bereits erwähnt, ist das sogenannte Dependent-Economy-Modell ein Analyse-rahmen, der in der Literatur häufig für die Untersuchung der Wechselkurspolitik in den Transformationsländem herangezogen wird. Ursprünglich wurde dieses Mo-dell von Swan (1960, 1963) und Salter (1959) für die australische Wirtschaft ent-wickeit,14 diente dann aber zur Beantwortung verschiedener Fragestellungen. Das Modell wurde zum Beispiel verwendet für die Analyse der Wechselkurspolitik in Entwicklungsländem15 und fand insbesondere im deutschsprachigen Raum bei der Analyse der Wechselkurspolitik im Rahmen der Stabilisierungsbemühungen der Transformationsländer eine weite Verbreitung.16 Die Mehrheit der Autoren kommt im Rahmen dieses Modells zu dem Ergebnis, daß feste und flexible Wechselkurse die gleichen Anstrengungen erfordern und ein Stabilisierungsprogramm durch eine einseitige Wechselkursfixierung nicht glaubwürdiger wird.17 Aufgrund der großen Bedeutung dieses Modells in der theoretischen Literatur zur Wechselkurspolitik im Transformationsprozeß wird es auch in dieser Arbeit zunächst dargestellt, wobei sich die Ausführungen basierend auf den Ergebnissen aus dem zweiten Kapitel -auf die Bedeutung des Wechselkursregimes im Stabilisierungsprozeß konzentrie-ren.