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Begründung der Priorität der Geldwertstabilität

II. Ausgangslage und Reformbedarf

2. Ungleichgewichte im monetären Bereich

2.1. Begründung der Priorität der Geldwertstabilität

Ein funktionierendes Geldwesen hat für die Transformation eine herausragende Bedeutung, weil der Übergang von einer sozialistischen Planwirtschaft zu einer marktwirtschaftlichen Organisation der Wirtschaftsabläufe mit einer grundlegen-den Änderung der Funktion von Preisen und Geld verbungrundlegen-den ist. Prinzipiell erfüllt Geld sowohl in Plan- als auch in Marktwirtschaften die Funktionen eines Tausch-mittels, einer Recheneinheit und eines W ertau.fbewahrungsmittels. 54 In einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung werden Preise jedoch durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Da der Preis den Knappheitsgrad eines Gutes widerspie-gelt, erfüllt er eine wichtige Signal- und Steuerungsfunktion. Diese ermöglicht eine effiziente Allokation der Ressourcen sowie eine den Bedürfnissen der Wirtschafts-subjekte entsprechende Bereitstellung von Gütern. Ein solches Lenkungssystem der Preise existiert in Planwirtschaften nicht.55 Mengen und Preise werden von einer zentralen Instanz festgelegt, und die Allokation von Gütern erfolgt durch den Vollzug von Plänen. Dem Geld kommt in dieser Hinsicht nur eine passive Rolle zu. Es dient lediglich als Verrechnungseinheit. Beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft haben Preise aber die zentrale Aufgabe der Steuerung der Res-54 Vgl. zu den Funktionen des Geldes ausführlicher Jarchow (1998a), S. 1 ff.

55 Daß die Preise keine allokative Rolle spielten, gilt in stärkerem Maße für Bulgarien, Rumä-nien und die Tschechoslowakei als für Polen und Ungarn. In den beiden zuletzt genannten Ländern war ein wesentlicher Teil der Preise bereits vor Transformationsbeginn nicht mehr staatlich festgelegt. Vgl. Calvo/Kumar (1993), S. 4.

sourcenreallokation, wobei der Wettbewerb seine allokationsverbessernden Wir-kungen nur entfalten kann, wenn die Preise längerfristig die tatsächlichen Knapp-heitsverhältnisse widerspiegeln.

Da Inflation mit volkswirtschaftlichen Kosten verbunden ist, wird Preisstabilität im allgemeinen als ein wichtiges wirtschaftspolitisches Ziel angesehen. 56 Selbst wenn die Wirtschaftssubjekte die Inflation korrekt vorhersehen, müssen sie zu-sätzliche Transaktionskosten in Kaufnehmen, um sich gegen die negativen Folgen der Inflation zu schützen. Diese Kosten können in Form zusätzlichen Zeitaufwands oder durch den Einsatz realer Ressourcen zur Absicherung gegen die Inflation ent-stehen, die damit einer anderen volkswirtschaftlichen Verwendung nicht mehr zur Verfügung stehen. Inflation verändert die Zahlungsgewohnheiten und führt zu ei-ner Ökonomisierung der Kassenhaltung, weil die Alternativkosten des Haltens von Geld ansteigen. Bei starker Inflation verliert das Geld seine effizienzfördernden Funktionen ganz. Ein oft beobachtetes Phänomen in Ländern mit hohen Inflations-raten ist, daß die Wirtschaftssubjekte statt der heimischen Währung Devisen als Tauschmittel nutzen oder im Extremfall sogar auf den Naturaltausch zurückgrei-fen. Des weiteren sind in einer stark inflationären Wirtschaft Redistributionsef-fekte zu erwarten, die sich insbesondere bei nicht antizipierter Inflation einstellen und unter sozialen Gesichtspunkten unerwünscht sind. Werden zum Beispiel die Einkommen von Rentnern und abhängig Beschäftigten nicht in sehr kurzen zeitli-chen Abständen dem steigenden Preisniveau angepaßt, ergeben sich für diese Per-sonen reale Einkommensverluste und eine Einkommensumverteilung zu Lasten dieser Bevölkerungsgruppe, weil sich andere gesellschaftliche Gruppen besser vor den Folgen der Inflation schützen können. Zwei weitere Probleme, die mit fehlen-der Geldwertstabilität verbunden sind, wirken sich zwar ebenfalls in allen Volks-wirtschaften negativ aus, sind jedoch besonders nachteilig für die Reformländer, weil sie die Systemtransformation behindern. Dies sind einerseits die mit der In-flation einhergehenden Veränderungen der relativen Preise und andererseits die Tatsache, daß hohe Inflation zu einer höheren Variabilität der Inflationsraten und damit zu einer steigenden Unsicherheit führt.57

Bei hohen Inflationsraten ändert sich ständig das System der relativen Preise und ist dadurch nicht transparent. Die Veränderungen der relativen Preise resultieren daraus, daß sich nicht alle Preise gleich entwickeln und deshalb nicht nur die In-flationsrate insgesamt stärker schwankt, sondern auch die Variabilität der relativen Preise ansteigt. Dies hängt insbesondere damit zusammen, daß aufgrund von An-passungskosten (sog. menu costs) Preisänderungen nicht stetig, sondern in diskre-56 Zu den Nachteilen von Inflation siehe u.a. Jarchow (1998a), S. 311 ff., Burdekin et al. (1995),

S. 13 ff., und Europäische Zentralbank (1999), S. 44.

57 Zum Zusammenhang zwischen Höhe und Variabilität von Inflationsraten siehe Issing (1989),

s. 358.

ten Zeitabständen erfolgen. Des weiteren wird es für die Wirtschaftssubjekte in einem inflationären Umfeld schwieriger, zwischen Änderungen der relativen Prei-se und des allgemeinen Preisniveaus zu unterscheiden. Die Signal- und Lenkungs-funktion des Preismechanismus wird beeinträchtigt. Dies führt zu Verzerrungen und behindert die optimale Allokation der Ressourcen. Da die Herausbildung eines neuen relativen Preissystems und die Ressourcenreallokation Bedingungen für einen erfolgreichen Transformationsprozeß sind, wirken sich hohe Inflationsraten besonders nachteilig auf die Systemtransformation aus; gerade im Transformati-onsprozeß spielt die „Interdependenz von Wettbewerbsordnung und Währungspo-litik"58 eine herausragende Rolle. Die systemtransformierenden Länder wollen ein marktwirtschaftliches System implementieren. Damit der Wettbewerb funktionie-ren kann, ist aber aufgrund der geschilderten Probleme ein Mindestmaß an Preis-stabilität erforderlich. Eucken formuliert dies wie folgt: ,,Alle Bemühungen, eine Wettbewerbsordnung zu verwirklichen, sind umsonst, solange eine gewisse Stabi-lität des Geldwertes nicht gesichert ist. Die Währungspolitik besitzt daher für die Wettbewerbsordnung ein Primat. "59

Auch die aus hoher Inflation resultierende Unsicherheit stellt ein besonderes Problem im Rahmen der Transformation dar. Hohe, schwankende Inflationsraten führen zu höheren Risikoprämien auf die Zinssätze, denn bei gegebenem Nominal-zinssatz steigt bei entsprechend stark schwankenden Inflationsraten ceteris paribus die Ungewißheit über den für die Investitionsentscheidung relevanten Realzins. Da sich dieses Problem mit zunehmenden Laufzeiten von Verträgen verschärft, ergibt sich eine Tendenz zu kurzfristigen Anlageperioden. Die Verkürzung des Pla-nungshorizonts und höhere Zinssätze führen jedoch zur Einschränkung der Inves-titionstätigkeit. Obwohl dieses Argument in allen Wirtschaften Gültigkeit hat, stellt es wiederum für die Transformationsökonomien ein besonderes Problem dar, weil das Tempo und der Erfolg des Transformationsprozesses entscheidend davon abhängt, ob die wirtschaftliche Restrukturierung zügig vorangeht. Diese erfordert -wie im Unterabschnitt 1.2. dieses Kapitels ausführlich dargestellt - neben dem Schrumpfen bestimmter Wirtschaftszweige, zum Beispiel des sekundären Sektors wegen der Überindustrialisierung in vielen ehemaligen Zentralverwaltungswirt-schaften, Investitionen in neue private Aktivitäten, zum Beispiel für den Aufbau eines in den Planwirtschaften völlig unterentwickelten Dienstleistungssektors. Ne-ben den bereits dargestellten Problemen dieses Prozesses beeinträchtigt also eine hohe Inflation die wirtschaftliche Restrukturierung zusätzlich.

Ein Argument aus der Debatte um die angemessene Höhe der Inflationsrate lautet, daß die „optimale" Inflationsrate - hier verstanden als Inflation, die sich nicht ne-58 Issing (1989), S. 354. Zur Interdependenz von Wirtschaftsordnungen siehe Eucken (1952), S.

304 ff.

59 Eucken (1952), S. 256.

gativ auf das Wirtschaftswachstwn auswirkt - in sich entwickelnden Volkswirt-schaften höher ist als in Industrieländern. 60 Dies wird damit begründet, daß der Nutzungsgrad des Preissystems und der Finanzmärkte in der zuletzt genannten Ländergruppe höher ist und sich dadurch die Inflation dort schädlicher auswirkt als in Ländern, die durch relativ unterentwickelte Märkte gekennzeichnet sind.61 Dar-aus ergibt sich eine wichtige Implikation für die Transformationsländer. Da ein konstitutives Merkmal dieser Länder darin besteht, daß sie ihre Wirtschaftssysteme auf Marktmechanismen umstellen, steigen die Kosten hoher Inflationsraten im Zeitablauf und erschweren den Übergang zu effizienten Märkten. Auch aus dieser Überlegung folgt, daß der Preisstabilisierung im Reformprozeß von Beginn an eine große Aufmerksamkeit geschenkt werden muß.

Die mit hoher Inflation verbundenen Probleme erfordern grundsätzlich in allen Ländern, daß der Preisstabilität seitens der wirtschaftspolitischen Instanzen eine hohe Priorität beigemessen wird. Dies hat zum Beispiel seinen Niederschlag in Art. 3a (2) des EG-Vertrags gefunden, der festlegt, daß in den EU-Mitgliedstaaten sowohl die Geld- als auch die Wechselkurspolitik „vorrangig das Ziel der Preissta-bilität verfolgen". Da fehlende GeldwertstaPreissta-bilität in den Reformländern elementare Anpassungsprozesse der Transformation behindert, muß Preisstabilität auch in der speziellen Situation des Übergangs von der Plan- zur Marktwirtschaft von Anfang an zentrale wirtschaftspolitische Zielsetzung sein. Es besteht daher in der Literatur weitgehend Konsens, daß eine zügige monetäre Stabilisierung ein zentraler Poli-tikbestandteil im Frühstadium der Transformation sein muß und die Implementie-rung eines Antiinflationsprogramms vielen anderen Politikmaßnahmen vorausge-hen sollte.62

Zwei Ausgangsprobleme der Transformationsländer standen im Konflikt mit dem Ziel der Preisstabilität, weil sie große Inflationspotentiale bargen. Zum einen waren alle Länder - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - mit dem Problem des Geldüberhangs konfrontiert. Eine Definition des Begriffs und eine Erläuterung der grundsätzlichen Möglichkeiten des Abbaus erfolgt im nächsten Unterabschnitt.

Zum anderen hatten die Länder ein völlig verzerrtes Preissystem aus der Zeit der Planwirtschaft geerbt. Dies steht in engem Zusammenhang mit dem Geldüberhang 60 Es ist in der Literatur umstritten, wie stark die Inflation zurückgeführt werden muß, um

un-schädlich zu sein. Bruno/Easterly (1998), S. 5 f., ermitteln einen Schwellenwert von 40 v.H.

p.a., während Burton/ Fischer (1998), S. 24, davon ausgehen, daß bereits niedrige zweistellige Inflationsraten die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigen.

61 Vgl. zu dieser Argumentation und den beiden folgenden Sätzen Burdekin et al. (1995), S. 29.

62 Siehe Edwards (1996a), S. 134, und Hartwig (1995), S. 11. Auf die Frage der optimalen Ab-folge wirtschaftspolitischer Maßnahmen, dem sogenannten Sequencing, wird im Ab-folgenden nicht näher eingegangen. Im Rahmen dieser Arbeit wird die Position vertreten, daß eine frühe umfassende Reformpolitik erforderlich ist.

und ließ sich nur durch eine umfassende Liberalisierung korrigieren. Die damit verbundenen Probleme werden im Unterabschnitt 2.3. diskutiert.