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Die Linken und die Krise im Spiegel der Diskussionen im Netzwerk transform!

Im Dokument Die Linken und die Krisen (Seite 83-86)

Vorbemerkung

Die durch die HerausgeberInnen aufge-worfene Fragestellung mit Bezug auf eine europäische Linke unterstellt, dass es ei-nen solchen Akteur gäbe. Es ist sicher richtig, dass es eine Europäische Links-partei gibt und das viele soziale Bewegun-gen im Sozialforumsprozess oder NGO’s dort und auf anderen Feldern gemeinsam aktiv sind. Eine linke europäische Bewe-gung ist aber, so denke ich, nicht auszu-machen, auch nicht unter den Bedingun-gen der Krise. Jedenfalls ist sie bisher nicht in Erscheinung getreten. Das ist auch verständlich, wenn man sich vor Au-gen hält, dass der Ausbruch der Krise die linken Bewegungen in einer Situation traf, in der eine Neuorientierung und Konsoli-dierung notwendig geworden war. Dies betrifft den Sozialforumsprozess, dies be-trifft die Europäische Linkspartei wie auch die linken Bewegungen und Parteien in den einzelnen Ländern.

Dabei sind die linken Bewegungen und Parteien mit einem grundlegenden Prob-lem konfrontiert – es passiert, das, was sie schon immer gesagt haben, und die Vor-schläge zur Lösung der Krise können sich dem Wesen der Sache nur in begrenztem Maße von den Forderungen, die sie an-sonsten aufstellen, unterscheiden. Es ist richtig, derartige Forderungen zu stellen, weil sie z. T. wenigstens wirklich krisen-adäquat sind. Die Aktionen der Oligar-chien erscheinen demgegenüber als inno-vativ und entschlossen: Verstaatlichung ist plötzlich kein Tabu mehr, Konjunkturpro-gramme sind möglich, das Haushaltsdefi-zit ist kein Problem, die Investmentbanker, Helden des Neoliberalismus, scheinen bestenfalls noch als Sündenböcke geeig-net.

Vor diesem Hintergrund ist die Krise auch eine Krise der Linken. Eine Krise ist nicht in erster Linie Ausdruck von gerade

ent-standenen Widersprüchen im kapitalisti-schen Reproduktionsprozess, sondern macht ja vor allem über längere Zeit ange-staute Widersprüche sichtbar. Sie macht auch die Widersprüche und Probleme in-nerhalb der linken Bewegungen sichtbar.

Dies betrifft Momente, wie etwa die Orga-nisationsfähigkeit, die Sichtbarkeit der Fä-higkeit, etwas verändern zu können, Wi-dersprüche in den theoretischen und ge-sellschaftskonzeptionellen Aussagen. Sie zeugt auch davon, inwieweit Bewegungen in der Lage sind, eine eigene Kultur des Widerstandes zu entwickeln und soziale Lernprozesse zu initiieren. Bisher erwach-sen die Veränderungen wenn überhaupt aus Bewegungen an der Basis. Die Pro-teste in Betrieben in Frankreich sind ein solches Beispiel, das bisher in vielen an-deren Ländern keine Entsprechung findet.

Der Neoliberalismus hat von Handlungs-fähigkeit enteignet - wie also, so die über-greifende Frage in den Diskussionen des transform!-Netzwerks kann man diese Handlungsfähigkeit zurückerlangen?

Krisendiskussion in transform!

Das Problem besteht nun darin, wie man die richtigen „alten“ Forderungen mit Dis-kussionen und Projekten verbindet, die als Reaktionen auf eine außerordentliche Si-tuation erkannt werden und tatsächlich an die aktuellen Nöte und Ängste der Men-schen ansetzen. Im Netzwerk transform!, in dem sich linke think tanks aus 16 Län-dern zusammengeschlossen haben, wird derzeit in diesem Sinne ein intensiver Dis-kussionsprozess zur Frage von Alternati-ven zur Krise geführt. Ich möchte daher hier die linken Diskussionen zur Krise an Hand der in transform! geführten Debatten reflektieren. Wichtiger Bezugspunkt ist da-bei generell die Frage, wie die linken Be-wegungen in Krisendeutung und Krisen-bekämpfung die Hegemonie des Neolibe-ralismus brechen können. Das ist nicht nur

eine Herausforderung bezüglich der Theo-rie- und Konzeptentwicklung, sondern auch der Umsetzung dieser in Bildungs-konzepte und –praxis. In diesen Diskussi-onen werden einige Schwerpunkte von Al-ternativen schon sichtbar, es zeigen sich aber mindestens genauso viele offene Fragen.

Zu einem ersten Schwerpunkt. In der Dis-kussion um die Krise wird oft die Frage gestellt, in welchem Maße die Krise und ihre Tiefe Risiken und Chancen in sich birgt. Auch wenn man erst nach einer Kri-se weiß, wie tief sie wirklich geweKri-sen ist, lassen sich aus dem Verlauf und dem Handeln der verschiedenen Akteure doch immer Schlussfolgerungen in dieser Hin-sicht ableiten. Dies ist auch dringend nötig, da ja das Handeln der Akteure immer wie-der die Bedingungen für das eigene Han-deln verändern. Derzeit betrifft dies vor al-lem die Frage nach dem Charakter der Krise und damit eng im Zusammenhang die nach der Intensität der Verflechtungen von Finanz- und Wirtschaftskrise und die-ser mit Klima-, Hunger- und anderen Kri-senprozessen. Weitgehende Einigkeit be-steht darin, dass wir es mit einer Krise zu tun haben, die auf der ökonomischen E-bene die Akkumulationsweise und auf der politischen Ebene die Herrschaftsweise grundlegend verändern wird. Ob sie das Ende des Neoliberalismus oder eine Neu-konstituierung, Modifikation neoliberaler Strategien bringen wird ist offen bzw. strit-tig.

Dies ist trotz der gegebenen Unschärfe keine bloße akademische Diskussion. Hin-ter den Debatten stehen verschiedene weitergehende Fragen, die z.B. die Bewer-tung der inneren Potenziale zur Lösung der in der Krise manifesten Widersprüche betreffen. Dahinter steht weiter, wie die Eingriffsmöglichkeiten linker Bewegungen überhaupt eingeschätzt werden können.

Die Diskussion nach Tiefe und Wirkungs-richtungen der Krise bedeutet praktisch gleichzeitig eine Analyse und Einschät-zung der linken Politik der letzten Jahr-zehnte, also der Zeit, in der die Bedingun-gen für die geBedingun-genwärtige Weltwirtschafts-krise sich entwickelt haben. Wenn die Kri-se so tief ist, wie vermutet, heißt das aber auch, wie sich die linken Bewegungen

selbst verändern müssen, wenn sie erfolg-reich emanzipatorische Ansätze verwirkli-chen wollen.

Ein zweiter Schwerpunkt stellt darauf ab, dass gerade in Krisenzeiten durch die Verunsicherung viele Menschen Probleme haben, sich in der Gesellschaft zu orientie-ren, passiver werden und so zu Opfern der Krise werden. Was ist also zu tun, damit Menschen sich eben nicht mit einer Opfer-rolle zufrieden geben, sondern aktiv in das politische Geschehen trotz der Gefahren der Krise einzugreifen? Die linken Bewe-gungen sollen sich nicht einfach als An-walt, als Vertreter der Krisenopfer verste-hen. Dies stellt nicht zuletzt auch Anforde-rungen an die Veränderung der Kultur in den linken Bewegungen. Die Einheit von Wirtschaftlichem, Sozialem und Kulturel-lem muss nicht nur in den Vorschlägen zur Überwindung der Krise sichtbar sein, son-dern auch in der Organisationswirklichkeit der Bewegungen selber. Dies schließt die Frage nach Formen der Solidarität, auch im globalen Rahmen unbedingt mit ein.

Unmittelbar naheliegend ist dabei die Fra-ge, wie in den ost- und mitteleuropäischen Beitrittsländern tatsächlich den Konzepten

„von oben“ eigene Politikansätze von links entgegengesetzt werden können.

In einem dritten Schwerpunkt will sich das Netzwerk mit der Frage nach der Verteidi-gung und dem Ausbau der Demokratie als Form der Überwindung der Krise von links und als Schaffung von Bedingungen für einen sozialökologischen Umbau befassen.

Egal wie, aber der Staat und die von Staa-ten geschaffenen internationalen Organi-sationen werden die entscheidenden Fak-toren der Überwindung der Krise sein. Die Aktivitäten der Staaten und der internatio-nalen Organisationen erfordern neue Ü-berlegungen, wie deren Potenziale und auch die von ihnen ausgehenden Proble-me zu bewerten sind. Die Rolle dieser Ak-teure ist widersprüchlich. Im Moment wir-ken viele staatliche Maßnahmen eher kri-senverlängernd. Dies gilt z.B. für das ge-samte Feld der Haushaltspolitik. Ein ande-res Beispiel ist das Scheitern des Versu-ches, die Verbriefungsregeln zu verschär-fen. Es gilt zu erfassen, was in den Staa-ten und den StaatsapparaStaa-ten in den ver-gangenen Jahren passiert ist und

inwie-weit der Neoliberalismus tatsächlich den Staat verändert hat. Die ohnehin beste-hende Tendenz der Unterordnung der Par-lamente unter die Exekutive wird so noch verstärkt. Nirgendwo unterliegt die Ver-wendung der Mittel aus den Konjunkturpa-keten einer tatsächlich wirksamen demo-kratischen Kontrolle – und schon gar nicht auf internationaler Ebene. Spezifik des Handelns ist dabei bisher, dass sehr in-tensiv versucht wird, soziale Verwerfungen zu vermeiden. Gleichzeitig bleiben in der EU alle Dogmen der Lissabon-Strategie in Kraft, was die Spielräume für eine wir-kungsvolle Überwindung der Krise ver-mindert. Diese Auseinandersetzung mit der Staatsfrage ist auch deshalb wichtig, weil immer wieder die Staatsintervention mit der Betonung eines schnellen Rück-zugs des Staates „nach“ der Krise verbun-den wird. Verstaatlichung und Deprivati-sierung gerinnen so zu einer gigantischen Umverteilung – welche Strategien sind hier nötig? Mit der Verstaatlichung von Banken und vielleicht auch bald weiteren Unternehmen kommt es zudem zu einer intensiveren Verschmelzung von Staat und Unternehmertum. Es wird vermutet, dass sich vor diesem Hintergrund wach-sende Repression und das Anheizen der Konkurrenz unter den Lohnabhängigen als Krisenbewältigungsstrategien Gewicht ge-winnen könnten.

Unmittelbar damit verbunden ist ein vierter Schwerpunkt. Die Frage, das und wie in der Krise Beschäftigung gesichert wird, entwickelt sich zu einer zentralen Macht-frage. Bisher ist die Befriedung möglicher Konfliktpotenziale in den einzelnen Län-dern wie auch auf der Ebene der EU eine zentrale Angelegenheit. Dies vor allem deshalb, um das Monopol bei der Bestim-mung der Krisenlösungsrichtungen behal-ten zu können. Es soll vor allem gesichert werden, dass bei Abmilderung der

Rezes-sion der schnelle Rückzug des Staates und damit die Privatisierung der in die Stützung von Unternehmen geflossenen Mittel möglichst ohne Widerstand vonstat-ten gehen können. Die große Herausfor-derung besteht für die linken Bewegungen darin, dass vor diesem Hintergrund die Si-cherung von Arbeitsplätzen mit der Schaf-fung von Bedingungen für ein Umsteuern des Wirtschaftens auch unter ökosozialen Gesichtspunkten zu schaffen. Mit den Konzepten eines Green New Deal (die bundesdeutschen Grünen bieten mit ihren Vorstellungen nur eine Variante) sind Vor-stellungen gesetzt, die in erster Linie auf eine Rekonstruktion kapitalistischer Macht- und Marktverhältnisse orientiert sind. Dem müssen Konzepte entgegenge-stellt werden, die die Durchsetzung von Formen solidarischen Wirtschaftens, die gleichzeitig die Sicherung von Beschäfti-gung, den Umbau der Wirtschaftsstruktu-ren und den Zugang zu eines ökologi-schen und sozialen Umbaus zum Inhalt haben. Aktuell ist dabei auch zu diskutie-ren, was ein vergesellschafteter Finanz-sektor sein kann. Die damit verbundene Frage der demokratischen Beherrschung von Abbau- und Investitionsprozessen ist angesichts der offensichtlichen Überak-kumulation in solchen zentralen Bereichen wie der Autoindustrie, Chemie und offen-sichtlich auch Stahl keine einfache Frage.

In der hier gebotenen Kürze konnten nicht alle Facetten der Diskussion, wie sie der-zeit in den Ländern, in denen transform!

präsent ist, eingefangen werden. Einen breiteren Überblick gibt die aktuelle Aus-gabe 04/2009 der Zeitschrift „transform!

European Journal for Alternative Thinking and Political Dialog“. Die nächste Ausgabe, die im Herbst 2009 erscheinen wird, wird sich mit den sozialen und politischen Kon-sequenzen der Krise befassen.

Im Dokument Die Linken und die Krisen (Seite 83-86)