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Die Linken und die Klimakrise: Eine Frage der Gerechtigkeit

Im Dokument Die Linken und die Krisen (Seite 86-90)

Der Schlüssel zum Verständnis der Krisen in denen wir uns im Moment befinden und in denen es gilt, für die Linke wieder hand-lungsfähig zu werden, ist der altbekannte Begriff der Gerechtigkeit. Die Erkenntnis, der wir uns dabei nicht länger verschlie-ßen können ist, dass es sinnvolle Antwor-ten auf diese Krisen, wirtschaftliche, ge-sellschaftliche und ökologische, ohne die Forderung nach Klimagerechtigkeit, und das heißt auch: ohne eine Abkehr vom Wachstumsfetisch der Moderne in den In-dustrie- und Schwellenländern nicht geben kann.

Klimagerechtigkeit ist ein im deutschspra-chigen Raum bisher nur von Umwelt- und Entwicklungsorganisationen benutzter Be-griff, der aus Nordamerika übernommen wurde, wo der Ruf nach „climate justi-ce“ schon seit einigen Jahren Bestandteil von Kämpfen vor allem der Schwarzen-und Latinobewegungen ist. Klimagerech-tigkeit wird aber auch gefordert von sozia-len Bewegungen im globasozia-len Süden, vor allem in Ländern, wo jetzt schon die ka-tastrophalen Folgen des Klimawandels spürbar werden, hauptsächlich für die Ar-men, und dort wiederum vor allem für Frauen und Kinder, die am härtesten von Überschwemmungen, Dürren und durch den Boom der so genannten „biofuels“, nachwachsender Rohstoffe, die zur Treib-stoffproduktion dienen, und der daraus re-sultierenden Landvertreibungen, leiden.

Ein Herzstück der Diskurse um Gerechtig-keit ist die bereits von der Frauenbewe-gung stark gemachte ÜberleFrauenbewe-gung, dass Gerechtigkeit sowohl Umverteilung als auch Anerkennung von anderen Arten zu denken, zu wirtschaften und zu handeln einfordert, Anerkennung von Formen von Arbeit jenseits der Lohnarbeit und der Sorge um sich und um die Welt und die Menschen um uns herum („caring“). An dieser Überlegung orientieren sich im Kampf um Klimagerechtigkeit besonders

die Indigenenbewegungen mit ihren For-derungen nach sorgsamem Umgang mit dem Ökosystem und den zur Verfügung stehenden endlichen Ressourcen. Beim diesjährigen Weltsozialforum in der Ama-zonasstadt Belém, bezeichnete die Welt-versammlung der Indigenen die momen-tanen Krisen als Folge einer seit 500 Jah-ren andauernde Zivilisationskrise. Sie stel-len also die Systemfrage auf eine ganz ei-gene Weise: Um Generationengerechtig-keit und globale GerechtigGenerationengerechtig-keit zu erlangen, so ihre Argumentation, müsse die tödliche Logik der kapitalistischen Moderne über-wunden werden, in der es seit 500 Jahren um Ausbeutung durch Eroberung immer neuer Räume geht: Ausbeutung von Res-sourcen, von Menschen und von Natur-räumen. Im Moment sehen sie mit der Ag-rarindustrie, die sich gerade auf die Er-schließung neuer Flächen für nachwach-sende Rohstoffe konzentriert, eine weitere Welle neoliberaler Kolonialisierung auf sich zurollen. Nicht von ungefähr, denn die gesteigerte Nachfrage nach „biofuels“, o-der akkurater Agrotreibstoffen, ist zu 70 Prozent für den Anstieg der Lebensmittel-preise in den letzten Jahren zuständig, und damit auch Hauptauslöser für die in-folge dessen ausbrechenden Hungerkri-sen.

Anerkennende, transformative Gerechtig-keit erfordert die Anerkennung des/der

„anderen“, auch dies eine Überlegung, die auf feministischem Boden gewachsen ist.

Im Rahmen des Klimaregimes, das durch die UN-Klimaverhandlungen vorangetrie-ben wird, ist diese Form von Gerechtigkeit aber nicht zu erreichen. Denn beim im De-zember anstehenden Nachfolgeabkom-men des Kyoto-Protokolls wird hauptsäch-lich auf „marktbasierte“ Lösungsansätze gesetzt, weil nur sie dem „common sense“ der nach wie vor neoliberal gepräg-ten Marktlogik folgen. Das Primat der Öko-nomie steht, trotz aller anders lautenden

Beteuerungen, jederzeit über der Dring-lichkeit der ökologischen Krise. Mit dem so genannten Clean Development Mecha-nism, durch den Industriestaaten sich durch die Unterstützung von CO2 -redu-zierenden Projekten im globalen Süden von ihren eigenen unter dem Kiotoproto-koll vorgeschriebenen (und sowieso lä-cherlich zu kurz greifenden) Reduktions-zielen freikaufen können, werden räume von Menschen und deren Lebens-grundlagen neoliberal kolonisiert. Produk-tives Vermögen und Ressourcen der an-deren werden kostenlos oder kostengüns-tig angeeignet und ihre Fähigkeiten ent-wertet. Anerkennung des anderen ist in diesem Kontext nicht möglich. Transfor-mative Gerechtigkeit sähe anders aus: sie müsste zum Beispiel beinhalten, dass die-jenigen über Land und Wald verfügen können, die ihn als Lebensgrundlage und für ihren Lebensunterhalt brauchen und nachhaltig nutzen.

Wie stehen aber nun die Krisen mit der Forderung nach Klimagerechtigkeit in Ver-bindung? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir einen Blick zurück auf den Aufstieg der euro-atlantischen Industrie-kultur werfen. Denn dieser verdankt sich weitgehend dem Zugriff auf fossile und biotische Rohstoffe aus den (Ex-)kolonien.

Dies gilt auch im 20./21. Jahrhundert noch:

Europa nutzte 2002 Land in Größe eines Fünftels seiner Binnenagrarfläche außer-halb seiner Grenzen, vor allem in Südlän-dern und diese Tendenz nimmt zu. Der Weg der ständigen Kolonisierung von Land, von Ressourcen und auch von Kör-pern ist aber ein nicht wiederholbarer Sonderweg, wie sich z. B. in Indien und Brasilien zeigt, wo Teile des eigenen Lan-des die Funktion von Kolonien überneh-men. Die Imagination aufsteigender Natio-nen ist vom euro-atlantischen Zivilisati-onsbild geprägt, aber die Mittel zur Reali-sierung des Aufstiegs stehen nicht mehr zur Verfügung. Vor allem sind diese Mittel aber außerordentlich ungerecht verteilt.

Das lässt sich daran anschaulich machen, dass der „ökologischen Fußabdruck“, be-rechnet in globalen Hektar pro Person, zwischen 1975 und 2003 in den Industrie-ländern um 23,4 Prozent zunahm, in den Schwellenländern, die gerade in dieser

Zeit rasant „nachholende Entwicklung“ be-trieben, um 39,6 Prozent zulegte, in den armen Ländern aber um 0,75 Prozent ab-nahm. Die Faktoren, die dabei besonders zur Vergrößerung des ökologischen Fuß-abdrucks beigetragen haben, waren das Anwachsen des Fleischverbrauchs, der Besitz von Elektrogeräten und die Zahl der Autos.

Wir stehen weltweit vor einem massiven Dilemma: Der erfolgreiche Ausstieg aus Unterentwicklung und Unterordnung führt beim herrschenden Entwicklungsmodell zur ökologischen Raubökonomie. Die Nut-zung von Wald und Wasser, Acker- und Weideland ist aber unverzichtbare Grund-lager menschlicher Existenz, ebenso wie eine gewisse Nutzung von Kohle, Öl und Gas zur Grundausstattung jeder Volks-wirtschaft gehört. Sonst sind weder Trans-port noch Maschinen, Bewässerungssys-teme oder Umwandlungstechnologien für erneuerbare Energieträger zu haben. Weil Land und Energie unerlässlich zur Ernäh-rung und Güterherstellung sind, läuft bei einem begrenzten Umweltraum die unglei-che Aneignung der Naturressourcen auf einen Entzug von Überlebensmitteln für arme Länder hinaus. Ressourcenübernut-zung der einen vertieft die Unterentwick-lung der anderen. Die Armen werden ihrer Ressourcen beraubt, damit die Reichen über ihre Verhältnisse leben können.

Ohne einen Rückbau der Ressourcenan-sprüche bei den Reichen kann es niemals ein ausgeglichenes globales Zusammen-leben geben. Für globale Gerechtigkeit eintreten heißt demnach, das Wohlstands-modell der Moderne abzuschaffen und durch ein neues zu ersetzen, denn ökolo-gisch-soziale Gerechtigkeit bzw. Klimage-rechtigkeit sind auf dem Verbrauchsniveau der Industrieländer nicht zu erreichen. Nur wenige sind bisher bereit, sich den Kon-sequenzen, die sich daraus auch für die Linke und ihre Vorstellungen von Auswe-gen aus der Krise ergeben, zu stellen.

Ein Hauptgrund, warum die Linke in Deutschland nach dem G8-Gipfel in Heili-gendamm ohne wirkliche Antworten da-standen, war, dass sie die Klima- und Bio-krise in ihrer Brisanz und Zentralität schlicht verschlafen hatten: Die

Bundesre-gierung konnte sich über das Klimathema auf dem Gipfel Legitimität verschaffen, und nur die Umweltorganisationen hatten dazu etwas zu sagen, zu größeren Teilen handelte es sich dabei aber eben nicht um grundlegend linke Kritik an einer Klimapoli-tik die sich wenig später als reine PR-Masche herausstellen sollte. Es ging dabei um Appelle und Verbesserungsvorschläge in der irrigen Hoffnung, Deutschland wer-de die klimapolitische Vorreiterrolle inner-halb der EU einnehmen, und die EU wie-derum bei den UN-Klimaverhandlungen.

Inzwischen haben auch viele NGOs ein-gesehen, dass dies ein Trugschluss war.

Die Linke jedoch hat bisher nur sehr ver-einzelt Stellung bezogen.

Immerhin, langsam macht sich auch in der Linken die Vorstellung breit, dass die Kri-sen, bei aller berechtigten Angst, die sich breit macht, auch eine Chance bieten: die Chance, einen ökologisch- sozialen Um-bau hin zu einer solidarischen Welt anzu-stoßen. Die große Herausforderung be-steht nun darin, das heiße Eisen anzufas-sen, an das sich die Regierung wohlweis-lich nicht herantraut: Wie soll uns, gerade in diesem Land, das wohl wie kein ande-res am Tropf der Autoindustrie und des Warenexportes hängt, ein sozial-öko-logischer Umbau gelingen, der den Rück-bau der Industrieproduktion und eine Um-kehr des ökonomischen Wachstums, eine Schrumpfungsökonomie also, voraus-setzt? Wie soll die Linke dies den Be-schäftigten von Opel und anderen Auto-herstellern nahe bringen, wie mit den Ge-werkschaften verhandeln, deren Interes-sen sich am Erhalt von Arbeitsplätzen ori-entieren? Was Not täte, wäre z. B. eine sozial-ökologische Konversion der Auto-produktion, also der Bau von Fahrzeugen für den öffentlichen Verkehr, statt für den Privatverkehr. Gleichzeitig ginge aber an radikaler Arbeitszeitverkürzung kein Weg vorbei und die ist wiederum nicht machbar ohne bedingungsloses Grundeinkommen.

Wir bräuchten neue Konzepte von Mobili-tät, die allen gleichermaßen zur Verfügung stehen müsste, undenkbar ohne kostenlo-sen öffentlichen Nahverkehr. Dieses eine Beispiel zeigt schon, dass der sozial-ökologische Umbau unserer Gesellschaft nur gelingen kann, wenn tatsächlich das

gesamte kapitalistische System in Frage gestellt wird.

Es gibt, vor allem in Großbritannien, be-reits Bemühungen von Gewerkschafts-und KlimaaktivistInnenseite mit Ansätzen wie „Green Unionism“ und dem Ruf nach

„Just Transition“ (für die beteiligten Lohn-arbeiterinnen gerechter Konversion von z.

B. Autoproduktion zu umweltfreundlicher Produktion) der Schwere des Klima- und Umweltproblems gerecht zu werden. Eine Verbindung zwischen diesen Polen ist in Deutschland jedoch bisher noch Zu-kunftsmusik.

Wir müssen als Linke aber auch den an-geblichen Verheißungen des „Green New Deal“ die Stirn bieten, der im Moment zwar in Deutschland fast nur von den Grünen propagiert wird, aber in den vor allem in den USA unter Obama und in Großbritan-nien große Hoffnungen zur Rettung des Kapitalismus vor sich selbst und seinen Folgen gesetzt werden. Der Grüne Kapita-lismus greift mitnichten die Macht derjeni-gen an, die den größten Teil der Treib-hausgase produzieren: die großen Ener-gie- und Autokonzerne, die Fluglinien und die industrielle Landwirtschaft, sondern läutet eine neue, wohlmöglich deutlich au-toritärere und „staatskapitalistische-re“ Phase des Kapitalismus ein, in der mithilfe z. B. des Handels mit CO2 -Zer-tifikaten ein Goldregen sondergleichen über die Energiekonzerne niedergeht, während gleichzeitig der Raubbau an der Natur und die Ausbeutung der Armen weltweit fortgesetzt wird.

Wenn dort die Auswege aus der Krise also nicht zu finden sind, wo werden sie dann herkommen? Es gibt sowohl im globalen Norden, als auch im Süden Bewegungen, die sich „Décroissance“ (Schrumpfungs-ökonomie), Ernährungssouveränität, Zer-schlagung der großen Energiekonzerne und die Verhinderung der „false solutions“, die im UN-Klimaprozess propagiert wer-den, auf die Fahnen geschrieben haben.

Im globalen Süden sind da vor allem die weltweite Kleinbauernbewegung „La Via Campesina“ mit ihrer Forderung nach Er-nährungssouveränität zu nennen, und die Indigenenbewegungen, die sich ihre Art zu wirtschaften, zu arbeiten und zu leben

nicht nehmen lassen wollen. Ausgehend von den Klimacamps in Großbritannien, formiert sich in Europa, Australien, Neu-seeland und Nordamerika eine neue Kli-mabewegung, die gleichzeitig gegen die Hauptverursacher des Klimawandels aktiv wird, indem sie z. B. Kohlekraftwerke oder Flughäfen blockiert, und in den Klima-camps an Utopien und alternativen disku-tiert und experimendisku-tiert. Eine wirkliche Kraft, um neue Diskussions- und Kampf-räume für klimagerechte Visionen und U-topien zu entwickeln, wird diese Bewe-gung aber nur entfalten, wenn die Elemen-te im globalen Norden und Süden zu einer gemeinsamen Stimme finden, wie es nach Seattle die Antiglobalisierungsbewegung tat.

Die Chance hierfür liegt in Kopenhagen, wo seit September letzten Jahres ein in-ternationales Protestbündnis über Aktio-nen, Alternativkongresse und radikale Pro-teste zur 15. UN-Klimakonferenz im De-zember 2009 streitet, bastelt und diskutiert.

Offene Fragen, über die auch erbittert

ge-stritten wird, gibt es viele: Soll die Klima-konferenz delegitimiert werden oder müs-sen wir den NGOs und Regierungsdelega-tionen, die das Richtige fordern, den Rü-cken stärken? Sollen die Aktionen eher die Zäune um das Konferenzzentrum nieder-reißen oder zeigen, dass wirkliche Lösun-gen anderswo zu finden sind als bei der UN? Werden genug Leute kommen, um wirklich etwas zu bewirken? Wird der Pro-test so massiv sein, dass ihn sich die GegnerInnen eines Klimaabkommens zu-nutze machen, um weiter ihren neolibera-len Kurs fahren zu können? Das eigentlich Wichtige sind nicht die Antworten auf die-se Fragen, über die noch lange gestritten werden kann und wird. Das Wichtigste ist, dass ein Prozess in Gang kommt, der die-se und andere Fragen zu zentralen Audie-sei- Ausei-nandersetzungsfeldern für neue soziale Bewegungen macht. Denn nur aus diesen heraus werden die Kräfte entstehen, die den Umbau zu einer ökologisch- sozialen Welt möglich machen können.

Im Dokument Die Linken und die Krisen (Seite 86-90)