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2   Literaturübersicht

2.3   Medikamente

2.3.3   Lokalanästhetika

2.3.3.2   Lidocain

Bei Lidocain handelt es sich um ein Lokalanästhetikum vom Amid-Typ, welches als erstes dieser Art entwickelt wurde und im Vergleich zu Procain einen schnelleren Wirkungseintritt, eine längere Wirkungsdauer und eine höhere Potenz aufweist (DAY u. SKARDA 1991). Systemisch wurde es hauptsächlich in der Humanmedizin als Antiarrhythmikum bei ventrikulären Extrasystolen eingesetzt (HITCHCOCK u.

KEOWN 1959; WEISS 1960). Ursprünglich wurde beschrieben, dass Lokalanästhetika nur Natriumkanäle blockieren, mittlerweile wird aber von einem Einfluss auf weitere Kanäle, Rezeptoren und nozizeptive Vorgänge im zentralen Nervensystem ausgegangen (DOHERTY u. SEDDIGHI 2010). Nach intravenöser Applikation wird von einer ungefähren Halbwertszeit von 79 ± 41 Minuten beim wachen und 54 ± 14 Minuten beim anästhesierten Pferd berichtet (FEARY et al.

2005).

In den letzten Jahren hat neben der lokalen Anwendung auch der systemische Einsatz von Lidocain in der Pferdepraxis zugenommen. Gründe sind neben dem Einsatz als Antiarrhythmikum zum einen die MAK-sparenden Effekte und die Annahme einer antinozizeptiven Wirkung, zum anderen auch Therapieerfolge für den paralytischen Ileus beim Pferd (DOHERTY u. SEDDIGHI 2010). Die systemische Applikation von Lidocain bei wachen Pferden sollte nach DOHERTY und SEDDIGHI (2010) nur unter besonderer Vorsicht erfolgen. Er empfiehlt einen Bolus von 1,3–1,5 mg/kg über einen Zeitraum von einigen Minuten, gefolgt von einer konstanten Infusionsrate von 0,05 mg/kg/min. Diese Dosierungen gelten als sicher und können über mehrere Stunden und ohne unerwünschte Nebenwirkungen verabreicht werden.

Die antiinflammatorische Wirkung von Lokalanästhetika spielt eine entscheidende Rolle im antinozizeptiven Prozess, auch wenn die genauen Vorgänge für die antiinflammatorischen Fähigkeiten von Lidocain noch wenig beschrieben sind (DOHERTY u. SEDDIGHI 2010).

Die Verabreichung einer niedrig dosierten Lidocaininfusion führte beim Menschen zu einer deutlichen Linderung postoperativer Schmerzen (CASSUTO et al. 1985), wohingegen eine weitere Studie keine antinozizeptiven Effekte von Lidocain in der

postoperativen Phase beim Menschen nachweisen konnte (BIRCH et al. 1987). Auch die Gabe von Lidcoain zu einer Morphinapplikation konnte beim Menschen keinen zusätzlichen analgetischen Effekt aufzeigen (CEPEDA et al. 1996).

In einem Modell für neuropathischen Schmerz bei der Ratte beugten Lidocaininfusionen der Entstehung thermischer Hyperalgesie vor (SMITH et al.

2002). Ebenfalls führten geringe Dosen von systemisch appliziertem Lidocain beim Menschen zu einer reduzierten Entstehung von Hyperalgesie (KOPPERT et al.

1998). Die Studie von KOPPERT et al. (2000), in der die analgetische Wirkung von Lidocain mittels systemischer und lokaler Applikation gegenübergestellt wurde, lässt auf eine zentral vermittelte Wirkung von niedrig dosiertem Lidocain schließen, da der positive Einfluss auf die Entstehung einer Hyperalgesie nur nach systemischer Applikation zu beobachten war.

An Ponies, die mit Halothan in Allgemeinanästhesie verbracht wurden, konnte mit einem Lidocainbolus gefolgt von einer Lidocaininfusion, ein dosisabhängiger anästhesiesparender Effekt demonstriert werden. Der MAK-sparende Effekt stieg linear mit Lidocainserumkonzentrationen von 2 μg/ml bis 7 μg/ml um bis zu 70%

(DOHERTY u. FRAZIER 1998). In einer weiteren Studie, in der Pferde mit Isofluran anästhesiert wurden, zeigte sich ein MAK-sparender Effekt von 25 % bei Lidocainserumkonzentrationen zwischen 2,14 bis 4,23 μg/ml (DZIKITI et al. 2003).

In einer weiteren Studie wurden Veränderungen des EEG während Kastrationen von Ponies untersucht. Ponies, die während der Kastration eine kontinuierliche Lidocaininfusion von 0,1 mg/kg/min erhielten, zeigten verminderte EEG-Veränderungen im Vergleich zu einer Vorgängerstudie, in der die Tiere kein Lidocain erhielten, was auf einen antinozizeptiven Effekt von perioperativ appliziertem Lidocain schließen lässt (MURRELL et al. 2005).

Bei Lidocain handelt es sich um ein weitverbreitetes Arzneimittel für die Verwendung zur epiduralen Anästhesie. Neben Vorteilen des raschen Wirkungseintritts und einer umfassenden Analgesie, führen Nachteile wie der Verlust der Motorfunktion und Schwäche der Hinterhand zu einem limitierten Einsatz im perioperativen Schmerzmanagement beim Pferd (OLBRICH u. MOSING 2003; DEROSSI et al.

2012). Der Verlust der Motorfunktion wird neben einer Blockade der für Schmerzen

zuständigen Nervenfasern durch eine zusätzliche Blockade spezifischer Fasern hervorgerufen, die für Propriozeption und Motoraktivität verantwortlich sind (DAY u.

SKARDA 1991). Lidocain hat prokinetische Wirkungen und beeinflusst so die Motilität des Gastrointestinaltraktes. Der postoperative Ileus stellt nach Dünndarmoperationen eine häufige Problematik beim Pferd dar und beschreibt eine häufige Todesursache (BRIANCEAU et al. 2002; MALONE et al. 2006). Pferde, die an einem postoperativen Ileus beziehungsweise einer proximalen Duodeno-Jejunitis erkrankt waren und Reflux aufwiesen, zeigten einen signifikant verbesserten Krankheitsverlauf unter Lidocaintherapie als Pferde, welche ein Plazebo erhielten. Die Applikation eines Bolus von 1,3 mg/kg Lidocain, gefolgt von einer konstanten Infusionsrate von 0,05 mg/kg/min stellt eine sichere Dosisempfehlung dar und sollte für die Behandlung eines Ileus beim Pferd in Betracht gezogen werden (MALONE et al. 2006). In einer Untersuchung mit der genannten Dosis Lidocain konnte gezeigt werden, dass die Lidocainkonzentrationen in der Jejunumwand den mittleren Plasmakonzentrationen entsprachen. Eine Wirkstoffsättigung wurde in der Jejunumwand nicht beobachtet, so dass diskutiert wird, ob eine weitere Akkumulation möglich ist und prokinetische Konzentrationen in der Darmwand erreicht werden (TEEPE 2012).

Bei Überprüfung der analgetischen Wirkung von systemisch verabreichtem Lidocain mittels Thermostimulation konnte ein somatisch antinozizeptiver Effekt demonstriert werden. Pferde die 2%iges Lidocainhydrochlorid als Bolus in einer Dosierung von 2 mg/kg gefolgt von einer konstanten Infusionsrate von 0,05 mg/kg pro Minute über zwei Stunden erhielten, zeigten einen signifikanten Anstieg des thermischen Schwellenwertes gegenüber Pferden einer Kontrollgruppe (ROBERTSON et al.

2005).

2.3.3.3 Unerwünschte Nebenwirkungen

Lokalanästhetika sind ZNS- und kardio-toxisch, wobei neurologische Ausfälle meist nur nach unbeabsichtigten hohen Dosen auftreten (DAY u. SKARDA 1991;

DOHERTY u. SEDDIGHI 2010). Beim Menschen äußert sich die ZNS-Toxizität in Schwindel, Muskelzuckungen, Krämpfen und Koma (SCOTT 1986), wohingegen beim Pferd Ataxie, Augenzwinkern, Muskelzuckungen und eine veränderte Sehfunktion beschrieben sind (MEYER et al. 2001). In einer Studie von MEYER et al.

(2001) wurden Serumkonzentrationen untersucht, bei denen es zu toxischen Erscheinungen in Form von Muskelfaszikulationen kam. Die Konzentrationen lagen zwischen 1,85 – 4,53 μg/ml und betrugen das zwei- bis dreifache der klinisch gebräuchlichen Serumspiegel einer Ileustherapie beim Pferd. Effekte auf das Herzkreislaufsystem konnten nicht beobachtet werden. Die toxischen Konzentrationen liegen unterhalb von denen, die bei Hunden und oberhalb derer, die beim Menschen toxische Erscheinungen verursachen. Dies verdeutlicht die signifikanten Unterschiede zwischen Spezies in Hinblick auf toxische Lidocainkonzentrationen (MEYER et al. 2001).

Bedingt durch die antiinflammatorischen und phagozytotischen Effekte von Lidocain besteht die Sorge, dass diese Eigenschaften das Vorkommen von bakteriellen Infektionen begünstigen können (DOHERTY u. SEDDIGHI 2010).

In azidotischem Gewebe können Lokalanästhetika die Zellmembran schlechter durchdringen, so dass in entzündlich veränderten Wundbereichen eine eingeschränkte Wirkung besteht (DAY u. SKARDA 1991). Entzündetes Gewebe zeichnet sich durch ein saures Milieu aus, welches dazu führt, dass Lokalanästhetika eher in wasserlöslicher Form vorliegen und die Nerven nur in lipidlöslicher Form penetriert werden können (BECKER u. REED 2006).

Lidocain hat eine relativ kurze Halbwertszeit (FEARY et al. 2005; BECKER u. REED 2006), was dazu führt, dass eventuelle toxische Erscheinungen nach Abbruch einer Infusion rasch abklingen (MALONE u. GRAHAM 2002). Zu beachten sei jedoch, dass eine Infusion über mehrere Tage, wie sie zur Ileustherapie beim Pferd genutzt wird, zu einer von der Infusionsdauer abhängigen Kumulation von Lidocain und seinen Metaboliten Monoethylglycinexylidid und Glycinexylidid führen kann (DE SOLIS u.

MCKENZIE 2007).

2.3.3.4 Dosierung und Applikation

Lidocain ist in der Formulierung als 2%iges Lidocainhydrochlorid zur intramuskulären, subkutanen und perineuralen Applikation für das Pferd zugelassen.

Als Anwendungsgebiete gelten laut Beipackzettel (Lidocainhydrochlorid 2%ig, 20,0 mg/ml, Bela-Pharm GmbH & Co. KG, D-49377 Vechta) Infiltrations- und Leitungsanästhesien bei chirurgischen Eingriffen und die Oberflächenanästhesie der Schleimhäute in einer Dosierung von 2 - 4 mg Lidocain pro Kilogramm Körpergewicht. Neben der epiduralen Verabreichung von Lidocain (GRUBB et al.

1992; OLBRICH u. MOSING 2003; DEROSSI et al. 2012) stellt die intraartikuläre Applikation einen Anwendungsbereich dar (PIAT et al. 2012). Die intravenöse Verabreichung von Lidocain findet beim Pferd immer mehr Anwendung, sei es zur Ileustherapie (BRIANCEAU et al. 2002; MALONE et al. 2006) oder als zusätzliches Arzneimittel während der Allgemeinanästhesie (DOHERTY u. FRAZIER 1998;

DZIKITI et al. 2003; MURRELL et al. 2005). Weiter wird die intravenöse Verabreichung von Lidocain in der Schmerztherapie beim Pferd immer häufiger genutzt (ROBERTSON et al. 2005). Zu beachten sei, dass Lidocain für die systemische Anwendung zur Analgesie beim Pferd keine Zulassung besitzt, eine Umwidmung gemäß § 52a (2) AMG im Therapienotstand jedoch durchgeführt werden kann.