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Leitung in der Kirche durch persönlich angeeignete Theologie – auch als diakonische Leitungskompetenz?

Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 31-35)

In den gegenwärtigen Umstellungskrisen wird das kirchliche Leitungshandeln schwieriger und anspruchsvoller, nicht nur auf der Ebene von Landeskirchen, sondern auch in Kirchenkreisen und Ortsgemeinden. Die Frage nach den Kom-petenzen, die für das Leiten in der Kirche erforderlich sind, wird daher immer stärker gestellt21 – als Frage nach (Management-) Fähigkeiten, aber auch als Frage nach den theoretisch-theologischen Inhalten, mit denen dieses Leitungshandeln reflektiert und verantwortet werden kann.

Durch welches Wissen diese Kompetenzen ausgebildet werden können, das ist besonders nachdrücklich von Friedrich Schleiermacher entfaltet worden, der bekanntlich die ganze Theologie als eine Theorie der kirchlichen Leitung verstanden hat. Sämtliche philosophischen, historischen und empirischen Kenntnisse, die die zukünftigen Geistlichen sich im Studium aneignen, dienen dem Ziel einer reflektierten, „zusammenstimmenden Leitung der christlichen Kirche“.22 Diese Leitung selbst zielt darauf, wie Schleiermacher formuliert, „die Idee des Christentums nach der eigentümlichen Auffassung der evangelischen Kirche [...] immer reiner zur Darstellung zu bringen und immer mehr Kräfte für sie zu gewinnen“.23 Die Kirche ist eine Institution zur öffentlichen Darstellung des

20 Eberhard Hauschildt, Kirchlichkeit als Markenzeichen im diakonischen Alltag, in: Institut für Diakoniewissenschaft (Hg.), Diakonie – quo vadis?, Bonn/Mülheim 1999, (44–67), 61, mit Verweis auf Hans-Ulrich Nübel, Die neue Diakonie: Teilhabe statt Preisgabe, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen zu Wort, Freiburg 1994. Hervorhebungen im Zitat JH.

21 Vgl. nur Hans-Jürgen Abromeit (Hg.), Spirituelles Gemeindemanagement, Göttingen 2002; Frie-derike/Peter Höher, Handbuch Führungspraxis Kirche. Entwickeln, Führen, Moderieren, Gütersloh 1999; Ulrich Müller-Weißner, Chef sein im Hause des Herrn. Führen und Leiten in der Kirche – eine Praxishilfe, Gütersloh 2003.

22 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Kurze Darstellung des theologischen Studiums zum Beruf einleitender Vorlesungen, 1. Aufl. 1811, 2. Aufl. 1830, 3. krit. Ausgabe hg. v. Heinrich Scholz, Leipzig 1910, hier § 5.

23 A.a.O., § 313.

christlichen Glaubens – das wird hier, unter den Bedingungen einer beginnenden Unterscheidung von Kirche, Staat und Gesellschaft bereits präzise zu Ausdruck gebracht, und mit einer neu geordneten wissenschaftlich-theologischen Ausbil-dung verbunden.

Dass die Kirche vor allem einer theologischen Reflexion ihrer Leitung bedarf, ist seither immer wieder betont worden. In der Gegenwart treten dabei besonders die folgenden Einsichten in den Vordergrund:

- Angesichts der immer komplexeren gesellschaftlichen, religiösen, kirchlichen und – nicht zuletzt – individuellen Lebensverhältnisse muss auch die theologische Ausbildung zur Kirchenleitung vielfältiger werden. Sie muss insbesondere Einsichten aus anderen wissenschaftlichen Disziplinen einbeziehen, von der historischen Philologie bis etwa zur Betriebswirtschaftslehre24 – und sie muss diese Einsichten zugleich in einen theologischen Theorierahmen stellen.

- Die klassische Abfolge der pastoralen Ausbildung – akademisches Studium, praktischer Vorbereitungsdienst und dann eigenverantwortliche Berufspraxis – erscheint unzureichend, weil das Verhältnis von theoretischer Einsicht und praktischer Erfahrung wechselseitig gedacht werden muss. Daher sind Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen, bis hin zu einem regelmäßigen „Kontaktstudium“ an der Universität, zu unverzichtbaren Elementen einer theologisch verantwortlichen Leitungspraxis geworden.

- Die Basis der theologischen Aus- und Fortbildung bleibt die Kenntnis der christlichen Überlieferung in Bibel und theologischer Lehrbildung. Zu diesen inhaltlichen, lehrhaften Einsichten kommt – seit den 1960er Jahren vermehrt wahrgenommen – die Fähigkeit ihrer kommunikativen Vermittlung. Seit den 1990er Jahren wird deutlicher gesehen, dass hier nicht nur soziologische und psychologische Einsichten bedeutsam sind, sondern auch ästhetische und kreative, ja inszenatorische Fähigkeiten: Theologie, oder jedenfalls Praktische Theologie kann nunmehr als Theorie der Darstellungskunst, als Wissenschaft von der öffentlichen Inszenierung des christlichen Glaubens verstanden werden.

- Deutlicher als noch vor zwanzig Jahren wird auch gesehen, dass die genannten Kenntnisse und Fähigkeiten persönlich angeeignet werden müssen, dass Aus- und Fortbildung also nicht zuletzt heißt, die theologische Einsicht und ihre Darstel-lung mit der je eigenen Lebensgeschichte und Lebensprägung zu vermitteln.

- Daher kann es in der theologischen Aus- und Fortbildung zur kirchlichen Leitung nicht um die Vermittlung bereits fertiger, immer schon feststehender Antworten gehen. Theologie erscheint vielmehr auch und wesentlich als die Fähigkeit, kritische Fragen an die Überlieferung wie an die gegenwärtige Situation zu stellen – und sich nicht zuletzt auch selbst befragen zu lassen. Damit wird im

24 Vgl. zuletzt Antje-Silja Tetzlaff, Führung und Erfolg in Kirche und Gemeinde. Eine empirische Analyse in evangelischen Gemeinden, Gütersloh 2005.

Übrigen auch den – geistlich wohl begründeten – Erwartungen an die kirchliche Institution entsprochen, wie sie institutionsnahe wie -ferne Menschen zum Ausdruck bringen.

- Schließlich gehört auch der (Wieder-)Aufstieg der Kybernetik, der praktisch-theologischen Kirchentheorie zu den Charakteristika einer praktisch-theologischen Aus- und Fortbildung, die die pastorale Leitungskompetenz verbessern soll. Denn zu dieser Kompetenz gehört eine vertiefte Kenntnis der Institution selbst, die geleitet werden soll – und zwar eine Kenntnis, die wiederum theologisch verantwortet werden kann.

Auch im Blick auf diejenigen Formen kirchlichen Lebens, die sich primär als

„Diakonie“ verstehen, kann und muss die Frage nach den spezifischen Leitungs-kompetenzen und nach ihrer angemessenen Aneignung gestellt werden. Dass zur Leitung diakonischer (Groß-) Institutionen juristische und ökonomische Kenntnisse unerlässlich sind, das erscheint inzwischen selbstverständlich.

Gleichwohl wäre zu prüfen, ob solche Institutionen, wenn sie sich denn mit guten Gründen als „Kirche“ verstehen, nicht ebenfalls wesentlich mittels theologischer Kompetenzen zu leiten sind.

Der im Sommersemester 2006 erstmals angelaufene Studiengang „Führungs-kompetenz in theologischer Sicht“ (MA) der Göttinger Theologischen Fakultät verfolgt dezidiert ein entsprechendes theologisches Weiterbildungsprogramm.

Dazu gehört die wissenschaftliche Kenntnisnahme der Ursprungstraditionen des christlichen Glaubens, dazu gehört die Wahrnehmung der sozialen und religiösen Kontexte gegenwärtigen kirchlich-diakonischen Handelns, und dazu gehört nicht zuletzt die theologische Reflexion der je eigenen diakonischen Institution selbst – mittels der Analyse konkreter ethischer wie konkreter kybernetischer Konflikte und Handlungsaufgaben. Dies alles zielt auf eine persönliche Aneignung, mittels derer die künftig Leitenden die Wahrheit des christlichen Glaubens auch im diakonischen Leitungsalltag überzeugend zur Darstellung bringen können.

Auf diese Weise – mittels einer profunden wissenschaftlich-theologischen Ausbildung – könnte deutlich werden, dass Diakonie auch in ihrer Leitungskultur von Einsichten und Überzeugungen lebt, die dem christlichen Glauben entstammen – und dass sie sich eben darum ganz zu Recht als integraler Teil von

„Kirche“ versteht.

Hans-Richard Reuter

Kirchenspezifische Anforderungen an die

privat-rechtliche berufliche Mitarbeit in der evangelischen

Kirche und ihrer Diakonie

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Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 31-35)