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Diakonie und Arbeitsrecht – zwei Begriffe

Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 71-74)

1. Selbstverständnis der Diakonie

Zwei Grundfragen, auf die das Thema sich bezieht, bedürfen zunächst der Beant-wortung. Was ist Diakonie, und was hat man unter Arbeitsrecht zu verstehen?

Was sind die Verbände der Diakonie – nur Verbände der freien Wohlfahrtspflege, oder sind sie Wesens- und Lebensäußerung der evangelischen Kirche? Das für die Sozialarbeit maßgebliche Subsidiaritätsprinzip hat das Betätigungsfeld der Diako-nie erheblich ausgeweitet, zugleich aber ihre Abhängigkeit von der Zuwendung staatlicher Finanzmittel begründet. Sie hat damit einen Sitz im Sozialstaat erhalten, muss sich insoweit also aus der Sicht des Staates so behandeln lassen wie die ande-ren Verbände der freien Wohlfahrtspflege. Damit wird die Diakonie aber in ihrem Selbstverständnis gekränkt; denn nach ihrer Herkunft geht es ihr nicht um eine Sozialagentur im Dienst des Sozialstaats, sondern sie ist Wesens- und Lebens-äußerung der evangelischen Kirche.

* Vortrag auf der Mitgliederversammlung des Diakonischen Werks Hannover am 05.05.2004.

Die Theologie und die ihr entsprechende kirchenrechtliche Ordnung heben drei Grundfunktionen der Kirche hervor, welche die Mitte ihres Wirkungsverhältnisses bilden: die Verkündigung des Wortes Gottes, der Vollzug der Sakramente und der Dienst tätiger Nächstenliebe.

Gottesdienst braucht und fordert den Dienst für die Mitmenschen. Jeder Einzelne ist für die Erfüllung dieses Gebots in die Nachfolge Christi berufen. Diesen Auf-trag kann er bei seiner Mitarbeit in staatlichen Organisationen oder sonstigen Verbänden erfüllen. Der Sendungsauftrag zur Erfüllung der Nächstenliebe be-schränkt sich aber nicht auf die dienende Nachfolge des Einzelnen, sondern er-fordert, wie es in der richtigen Übersetzung des griechischen Textes in 2 Kor. 8,4 heißt, auch ein Zusammenstehen vieler in einer „Gemeinschaft des Dienstes“

(koinonia tes diakonias). Wer in zu diesem Zweck gebildeten Einrichtungen tätig wird, trägt dazu bei, dass die Einrichtung ihren Teil am Sendungsauftrag der Kirche erfüllen kann.

Diese Gemeinschaft des Dienstes ist nicht mit der Kirche als Gemeinschaft gleichzusetzen; sie ergibt sich aber aus dem Auftrag zur Verkündigung und zum Dienst am Mitmenschen durch ein Zusammenwirken in einer „Gemeinschaft des Dienstes“. Daraus folgt zweierlei: Die Dienstgemeinschaft ist kein Verband, der keinen Interessengegensatz der in ihr tätigen Mitarbeiter kennt, sondern sie ist das Leitprinzip zur Erfüllung des der Einrichtung gestellten Sendungsauftrags. Damit steht in untrennbarem Zusammenhang, dass jedenfalls für die Erfüllung der Nächstenliebe nicht nur evangelische, sondern auch andere Christen und Nicht-christen in den Dienst genommen werden können, wenn sie sich freiwillig dazu bereit erklären, zwar nicht im Verkündigungsdienst, aber bei der Wahrnehmung anderer Aufgaben einen Beitrag zur Erfüllung des Sendungsauftrags der Kirche zu leisten, wie für die katholische Kirche der Papst dies im Universitätsgesetz aus-drücklich anerkannt hat. Es geht insoweit um nichts anderes als um die Um-setzung der Schriftstelle, nach der Jesus auf die Feststellung seiner Jünger, draußen warteten seine Mutter und seine Brüder, erwiderte: „Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder?“ und die Antwort gab: „Denn wer den Willen meines himmlischen Vaters erfüllt, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter“

(Mt. 12, 46-50).

Damit steht fest, dass die Diakonie, wenn ihr die Freiheit im Sozialstaat gewähr-leistet bleiben soll, keine Sozialagentur im Dienst des Sozialstaats ist, sondern als Wesens- und Lebensäußerung der evangelischen Kirche ihrem eigenen Auftrag folgt, den die Verfassung als dem Sozialstaat vorgegeben achtet.

2. Weltliches und kirchliches Arbeitsrecht - eine Scheinalternative

Bei der Diakonie entfaltet die Kirche ihre Grundfunktion zur Nächstenliebe in den Formen des staatlichen Rechts. Ihre Einrichtungen werden in den Organisationsformen des Privatrechts geführt. Für die Begründung und

Gestal-tung der Beschäftigungsverhältnisse gilt die Vertragsfreiheit als Grundprinzip.

Von ihrem Grundansatz her ermöglicht sie, das religiös geprägte Selbstverständnis vom Wesen und Auftrag des kirchlichen Dienstes durchzusetzen; denn eine der Kirche zugeordnete Einrichtung ist nicht gezwungen, bei einem abweichenden Selbstverständnis ihres Kontrahenten ein Vertragsverhältnis mit ihm zu be-gründen. Da aber wegen der Besonderheit der abhängigen Arbeit die bloße Vertragsfreiheit nicht ausreicht, um einen sozialgerechten Interessenausgleich nach dem Prinzip der Vertragsgerechtigkeit zu gewährleisten, hat der Staat ihr durch Gesetz Grenzen gesetzt. Für die Diakonie folgt daraus, dass auf Begrün-dung und Gestaltung von Arbeitsverhältnissen das staatliche Arbeitsrecht Anwendung findet. Es ist, wie das Bundesverfassungsgericht es einmal formuliert hat, „die schlichte Folge einer Rechtswahl“1.

Die Feststellung der Anwendung staatlichen Arbeitsrechts bedeutet keineswegs, das es so anzuwenden ist wie in einer Fabrik bei der Herstellung von Autos oder in einem Kaufhaus beim Vertrieb von Waren. Die Säkularisierung der gesellschaftlichen Ordnung hat dazu geführt, dass die Besonderheit kirchlicher Ordnung nicht mehr wahrgenommen wird; es wird unterstellt, dass sie im Arbeitsrecht keinen Platz habe. Damit werden Chancen vergeben, die sich gerade aus der Geltung des sog. „weltlichen Arbeitsrechts“ ergeben, nämlich aus der in ihm begründeten Verfassungsgarantie für das Selbstbestimmungsrecht der Reli-gionsgesellschaft. Ein der Kirche zugeordneter Arbeitgeber, der einen Arbeits-vertrag abschließt, nimmt nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in An-spruch, sondern er hat mit ihr zugleich auch teil an dem der Kirche verfassungsrechtlich gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht. Mit deutlichen Worten hat das Bundesverfassungsrecht gesagt: „Die Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bleibt für die Gestaltung dieser Arbeitsverhältnisse wesentlich.“2

Der Gegensatz von weltlichem und kirchlichem Arbeitsrecht ist daher eine Scheinalternative; denn bei einer Zuordnung zur Kirche ergibt sich aus dem

„weltlichen Arbeitsrecht“, dass kirchliches Recht anzuwenden ist. Die Verfas-sungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts bedeutet keine Ausklammerung aus der staatlichen Rechtsordnung, sondern sie begründet im Gegenteil nicht als Pri-vilegierung, sondern als Ausprägung einer freiheitsrechtlichen Dimension eine Sonderstellung innerhalb der staatlichen Rechtsordnung. Diese Feststellung mag überraschen, ist aber vor allem zu beachten, wenn man glaubt, durch Aus-gründungen Finanzierungsprobleme zu lösen. Für das Arbeitsrecht bildet das Tarifrecht nur einen Ausschnitt und ist keineswegs sein Mittelpunkt. Doch bevor dies im Einzelnen behandelt wird, muss zunächst die juristische Grundlage der Beurteilung skizziert werden.

1 BVerfGE 70, 138 (165).

2 BVerfGE 70, 138 (165).

II. Staatskirchenrechtliche Grundlagen kirchlicher

Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 71-74)