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Ethik und Kompromiss nach dem Ende der

Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 145-148)

IV. Anpassungsnotwendigkeit für die Zuordnung zur Kirche

1. Ethik und Kompromiss nach dem Ende der

„großen Erzählungen“

„Ethik hat es mit Konsens zu tun. Ihr konkreter Stoff aber sind Konflikte.“1 So evident diese Formel Trutz Rendtorffs auf den ersten Blick zu sein scheint, so voraussetzungsreich ist sie doch zugleich. Sie markiert zunächst die Einsicht, dass die Frage nach der Ethik nicht als eine Frage der Theorie auftritt. Der Ruf nach Ethik hat vielmehr immer einen konkret angebbaren Ort. Es sind die mit be-stimmten Berufen und Handlungsfeldern gegebenen Auseinandersetzungen um das Richtige und das Gute, die den Ruf nach Ethik ertönen lassen. Dieser Ruf resultiert dabei in aller Regel aus einem verlorenen gegangenen Konsens, und von der Ethik wird erwartet, dass sie diesen verloren gegangenen Konsens wieder

* Vortrag auf dem 6. Kästorfer Managementsymposion „Diakonie im Ausverkauf? Der Dritte Weg auf dem Prüfstand“ am 30. September 2005. Die Vortragsform ist weitgehend beibehalten worden.

1Trutz Rendtorff: Vom Beruf der Ethik, in: Nachrichten der Ev.-luth. Kirche in Bayern 54 (1999), 161-167, 161.

zustellen vermag. Die Vorstellungen von diesem Konsens sind meist klar um-rissen: Ethik soll die eigene Position mit zusätzlicher Legitimität ausstatten – und wird darin leicht erneut zur Quelle von Konflikten. Denn obwohl dieses legitima-torische Interesse oft mit „Ethik“ verbunden wird, kann die Ethik unter den Bedingungen moderner, ausdifferenzierter Gesellschaften keineswegs per se be-reits Konsens garantieren. Ihr stehen nämlich keine allgemeinen Kriterien zur Verfügung, auf deren Grundlage sie zwischen widerstreitenden Auffassungen ent-scheiden könnte. Nach dem „Ende der großen Erzählungen“ (Jean Franois Lyotard) ist auch die Ethik geprägt von verschiedenen „Erzähltraditionen“, die sich teilweise überschneiden, teilweise aber auch inkompatibel zueinander verhal-ten. An die Stelle der großen, integrierenden Weltanschauungen ist in der Moder-ne die Pluralität verschiedeModer-ner, kleinräumiger Systeme getreten. Diese Pluralisie-rung folgt dem Erfolgsmodell der Moderne: Die Effizienz und Fortschrittsdyna-mik verdankt sich einer immer weiter reichenden funktionalen Differenzierung der Gesellschaft und ihrer einzelnen Substrukturen; in deren Folge bilden sich dann auch einzelne, unterschiedliche Milieus und Moralen aus – das Wachstum und damit in gewisser Weise auch der Erfolg der Diakonie mit ihren immer vielfältigeren Aktivitäten und Professionen bildet ein anschauliches Beispiel für diesen Differenzierungsprozess.

Die entsprechenden, unterschiedlichen Moralen treten zunächst einmal mit glei-chen Ansprüglei-chen nebeneinander auf – ohne hierarchische Ordnung. Zu Konflikten kommt es immer dann, wenn nun solche unterschiedlichen Moralen, Erzähltradi-tionen oder Deutekulturen miteinander in Widerstreit treten. Dabei ist, ich habe es schon angedeutet, der Rekurs auf die Ethik zunächst häufig Teil des Problems und nicht dessen Lösung. Der Königsweg der Modere besteht angesichts dieser Situation in einer möglichst konsequenten Verrechtlichung der Problemlagen, in der Suche also nach Regeln, die unabhängig von den verschiedenen Traditionen und Prägungen als verbindlich anerkannt werden oder aufgrund der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols verbindlich anerkannt werden müssen.

Auch mit dieser Verrechtlichung sind jedoch die Probleme nur selten gelöst. Viel-mehr kehren sie in aller Regel wieder, wenn verschiedene konkrete Problemlagen und Handlungsalternativen unter die notwendig abstrakten Regeln des Rechts subsumiert werden müssen und dabei unterschiedliche Güter, aber auch unter-schiedliche Interpretationen gegeneinander abgewogen werden sollen. Eine solche Abwägung verlangt nach Maßstäben, und wo diese nicht allein durch die Sache selbst gegeben sind – etwa im Falle von logischen Widersprüchen – müssen erneut einzelne „Erzählkulturen“ als Lieferanten für solche Maßstäbe fungieren.

Die jüngeren Urteile zur Abwägung etwa zwischen positiver und negativer Reli-gionsfreiheit legen dafür ein deutliches Zeugnis ab. Abgekürzt formuliert geht es dabei immer um eine adäquate Verhältnisbestimmung von Recht und Gerech-tigkeit, von Legalität und Legitimität. In diesen Bestimmungsprozessen kommt erneut die Ethik ins Spiel, aber nun in einer veränderten Rolle: In dieser,

gewis-sermaßen zweiten Phase ethischer Theoriebildung geht es nun darum, die einzelnen Beurteilungsmaßstäbe und die ihnen zu Grunde liegenden Erzählungen miteinan-der in Beziehung zu setzen und dabei zugleich Rechenschaft über die eigenen Leitmaßstäbe abzulegen.

Mit dieser Beschreibung lässt sich die Aufgabe der Ethik genauer bestimmen:

Ethik ist keine Disziplin, die reißbrettartig am Schreibtisch Entscheidungen dekre-tieren und entsprechende Normen auf dem Weg rationaler Argumentation her-stellen kann; sie ist vielmehr eine hermeneutische Wissenschaft, die auf das Verständnis von maßstabbildenden Erzählungen und ihren korrespondierenden Kulturen, auch den entsprechenden Unternehmenskulturen, ausgerichtet ist. Sie folgt damit zugleich einer bestimmten Sicht des Menschen, der im Wesentlichen ein

„Geschichten erzählendes Tier“ ist, wie der amerikanische Philosoph Alasdair MacIntyre die antike Formel vom zoon logon echon variiert.2 Der Mensch unterscheidet sich von allen anderen Lebewesen also nicht nur durch seine Ratio-nalität oder sein Selbstbewusstsein, sondern durch seine Fähigkeit zur Narration und damit zur Kulturbildung. Auf die Bedeutung dieser Narrationen für die Gestaltung von Kompromissen wird später, im dritten Teil, noch einmal zurück-zukommen sein.

So verstanden, ist die Ethik nun auch nicht mehr die Disziplin, mit der eigene Vorstellungen untermauert werden können. Vielmehr führt die ethische Reflexion zunächst zu einer Relativierung der eigenen Position, insofern sie auf die Ab-hängigkeit der individuellen Meinungsbildung von der jeweiligen Tradition hin-weist. Durch diese Relativierung kann sie eine Verflüssigung eingefahrener Beur-teilungsmuster bewirken und damit zugleich die Suche nach Verständigung moti-vieren. In dieser Perspektive kann jedoch eine intendierte Verständigung immer nur in Gestalt eines Kompromisses erreicht werden. Der Konsens also, der von der Ethik erwartet wird, kann, soll er einen Konflikt beenden, immer nur ein beschränkter Konsens, ein Konsens über Verfahrensfragen und über Grundlagen sein, der schließlich in einen Kompromiss im Blick auf die Bewertung einer konkreten Situation mündet.

Ein solcher Kompromiss ist dabei keineswegs eine Kapitulation vor dem ver-meintlich Unabänderlichen und darin ein höchstens hinzunehmendes, besser aber nicht aktiv anzustrebendes Handlungsziel. Es ist vielmehr diejenige Art der Kon-sensfindung, die der Komplexität ethischer Konfliktlagen angemessen ist. Für die Methodik der Ethik ist diese Kompromissfindung außerordentlich anspruchsvoll.

Sie verlangt nämlich nicht nur die Fähigkeit zu einer präzisen Beschreibung der ethischen Konflikte, und zwar sowohl ihrer Sachdimension wie auch ihrer Wert- und Normdimension, sondern auch die Fähigkeit, zu verstehen, aus welchen Tra-ditionen oder eben Erzählungszusammenhängen sich die jeweiligen miteinander in

2 Alasdair MacIntyre: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, Frankfurt /M.

1987, 288.

Widerspruch stehenden Urteile speisen. Beide Kompetenzen müssen in der ethi-schen Reflexion ihren Niederschlag finden. Ehe wir überhaupt in die im engeren Sinne ethische Beurteilung und in die Suche nach einem Kompromiss eintreten können, gilt es zuallererst, eine Situation adäquat zu verstehen: Es muss identifiziert werden, worin die Konflikte bestehen, ob und welche ethischen Normen und Werte hier überhaupt tangiert werden. Sodann ist danach zu fragen, welche Her-kunft solche unterschiedlichen Normen und Werte haben und worin möglicher-weise Überschneidungen vorliegen.

In dieser Kompromisssuche geht die Aufgabenbestimmung der Ethik jedoch nicht auf. Denn der Prozess des Verstehens und des Abwägens unterschiedlicher Traditionen geht immer auch einher mit der Fortschreibung von Geschichten und dann auch der Konstruktion von neuen Kulturen. So können bestimmte gelun-gene Formen der Konfliktlösung selbst eine neue Kultur begründen und darin für weitere Entscheidungen entlastend wirken. Wenn ich recht sehe, geht es in dem Streit um den Dritten Weg im kirchlichen Arbeitsrecht – und damit auch dem der Diakonie – letztlich auch um die Frage, wie denn die große Erzählung der Diako-nie als eine Form gelebten Christentums in Zukunft fortgeschrieben werden soll.

Dies möchte ich im Folgenden in dem eingangs bereits angekündigten zweiten Schritt zunächst verdeutlichen, ehe ich dann in einem dritten Schritt umreißen werde, welchen Beitrag theologische Reflexion in diesem Zusammenhang leisten kann; dabei soll also das noch einmal explizit thematisch werden, was in der bis-herigen Argumentation implizit bereits immer präsent gewesen ist.

Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 145-148)