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Leistungsbestimmung durch einen unabhängigen Dritten?

Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 84-88)

IV. Anpassungsnotwendigkeit für die Zuordnung zur Kirche

3. Leistungsbestimmung durch einen unabhängigen Dritten?

Die Rechtsqualität auf dem Dritten Weg zustande gekommener kirchlicher Arbeitsvertragsordnungen schwächt diese und macht sie gegen inhaltliche Billig-keitskontrollen durch die Arbeitsgerichte anfällig, stellt also das kirchliche Proprium, die Eigenart des kirchlichen Dienstes, entgegen den Absichten des Dritten Wegs in Wirklichkeit unter Kuratel des Staates. Das unterscheidet kirchliche Arbeitsvertragsordnungen grundlegend von Tarifverträgen.

3.1 Inhaltskontrolle statt Rechtskontrolle

Auf der Ebene des Einzelvertragsrechts gilt nicht, was das Bundesverfassungs-gericht für Tarifverträge konstatiert hat, 5 dass sie grundsätzlich geeignet und bestimmt sind, „die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Löhne und

3 Missverständlich ist insoweit Reinhard Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, 4. Aufl., 2003, S. 34 ff., der von einer arbeitsrechtlichen Regelungsautonomie der Kirchen für ihre Einrichtungen spricht.

4 Zu den – freilich nicht ganz unkomplizierten – Abgrenzungskriterien zwischen Kirchenautonomie und staatlicher Gesetzgebungskompetenz vgl. im einzelnen Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, 2002, S. 105 ff. (Drittes Kapitel: Die Kirchen und das staatliche Arbeitsrecht).

5 BVerfGE 84, 212, 229; E 92, 365, 395; sh. auch Kühling, Arbeitskampf in der Diakonie, online im Internet: http://72.14.203.104/search?q=cache:W4wetYfxn1sJ:www.diag-mav.org/rechtspr/kom-ment/streikrecht.htm+strukturelle+Unterlegenheit+der+einzelnen+Arbeitnehmer+beim+Abschlu

%C3%9F+von+Arbeitsvertr%C3%A4gen&hl=de&gl=de&ct=clnk&cd=1&lr=lang_de (27.1.2006).

gungen zu ermöglichen“; Tarifverträge unterliegen daher keiner Inhaltskontrolle am Kriterium der Billigkeit, sondern nur einer eingeschränkten Rechtskontrolle an höherrangigem Gesetzes- und Verfassungsrecht.6 Kirchliche Arbeitsvertragsord-nungen als Bestimmungen des Dritten Wegs bewertet das Bundesarbeitsgericht7 hingegen grundsätzlich als allgemeine Arbeitsvertragsbedingungen, die der kirchliche Arbeitgeber kraft seiner strukturellen Überlegenheit gegenüber dem einzelnen Arbeitnehmer einseitig durchsetzen kann. Weil aber „kein Gleichge-wicht der Vertragspartner einen angemessenen Vertragsinhalt gewährleistet, weil entweder die Vertragsparität gestört ist oder eine Vertragspartei aus anderen Gründen allein den Inhalt des Vertragsverhältnisses gestalten kann“,8 unterliegen Arbeitsverträge außerhalb des Geltungsbereichs von Tarifverträgen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich neben der Rechtskon-trolle auch der inhaltlichen BilligkeitskonRechtskon-trolle durch die Arbeitsgerichte. 9

3.2 Eingeschränkte Inhaltskontrolle der Beschlüsse Arbeitsrechtlicher Kommissionen

Freilich ist dabei zu berücksichtigen, dass kirchliche Arbeitsvertragsordnungen auf dem Dritten Weg durch Beschlüsse paritätisch mit Arbeitnehmer- und Arbeit-gebervertretern besetzter arbeitsrechtlicher Kommissionen zustande kommen, womit die strukturelle Unterlegenheit kirchlicher Beschäftigter beim Abschluss von Arbeitsverträgen wenigstens teilweise gemildert ist. Der Dritte Weg ist darauf angelegt, eine wesentliche Funktion der Tarifautonomie zu ersetzen: Die Herstel-lung einer VerhandHerstel-lungslage, in der sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber unabhän-gig und gleichgewichtig gegenüberstehen. Ob dieses Modell tatsächlich geeignet ist, die strukturelle Unterlegenheit des einzelnen Arbeitnehmers verfassungskon-form auszugleichen, erscheint hingegen fraglich; erfahrungsgemäß ist es am Verhandlungstisch leichter, den status quo zu verteidigen, als Veränderungen gegen die Interessen des Gegenspielers durchzusetzen.10 Es ist aber regelmäßig die Arbeitnehmerseite in kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen, die den status quo, z.B. durch Übernahme von Tarifergebnissen des öffentlichen Dienstes, verändern will. Hinzukommen grundsätzliche Einwände gegen die Un-abhängigkeit kirchli-cher Arbeitsrechtskommissionen.

6 Vgl. dazu im einzelnen ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn 87 ff.

7 Bundesarbeitsgericht (BAG) 14, 61, 63 = AP Nr. 77 zu Art. 3 GG.

8 BAG 23, 160, 163.

9 BAG 23, 160, 163 f. = AP Nr. 1 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle; AP Nr. 40 zu § 242 BGB Gleichbehandlung.

10 Vgl. Kühling, Arbeitskampf in der Diakonie (Anm. 5).

3.3 Einwände gegen die „Unabhängigkeit“ kirchlicher Arbeitsrechtskom-missionen

Die paritätische Besetzung kirchlicher Arbeitsrechtskommissionen mit Arbeit-nehmer- und Arbeitgebervertretern kann lediglich eine numerische, d.h. formelle Parität herstellen, während die materielle Parität Gleichgewichtigkeit im um-fassenden Sinne verlangt. Hierfür benötigen die Arbeitnehmervertreter in kirchli-chen Arbeitsrechtskommissionen mindestens die Gewährleistung sach- und fachkompetenter Unterstützung, die der auf Arbeitgeberseite gleichwertig sein muss.11 Eine solche Sach- und Fachkompetenz besitzen aber in der Regel nur Berufsverbände bzw. Gewerkschaften. Letztlich läuft das darauf hinaus, dass sich Arbeitnehmervertreter in kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen von Berufs-verbänden bzw. Gewerkschaften („Verbänden“) unterstützen lassen müssten,

„ohne dass [...] der kirchliche Gesetzgeber verpflichtet ist, ihnen [den Berufs-verbänden bzw. Gewerkschaften, d. Verf.] besondere Befugnisse zuzuweisen“. 12 Offen bleibt dabei, wie die Gewerkschaften die sach- und fachkompetente Unter-stützung der Arbeitnehmerseite in kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen ohne eigene Rechte durchsetzen und finanzieren sollen. Als sach- und fachkompetente Unterstützung der Arbeitnehmerseite wären sie in kirchlichen Arbeitsrechtskom-missionen, gleichsam auf jederzeitigen Widerruf, kirchenrechtlich nur geduldet.

Schon das wirkt paritätswidrig. Zu finanzieren wäre ihr Engagement darüber hinaus aus Mitgliedsbeiträgen. Dazu müssen sie aber auch in kirchlichen Einrich-tungen mit allen ihnen arbeitsrechtlich zu Gebote stehenden Mitteln Mitglieder werben können.13 Ein wesentliches Instrument der gewerkschaftlichen Mitglieder-werbung ist indessen ihre Fähigkeit zum Abschluss von Tarifverträgen. Ohne dieses Recht ist ihre sach- und fachkompetente Unterstützung der Arbeitnehmer-seite in kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen gegenüber kirchlichen Beschäf-tigten nicht werbewirksam darstellbar und daher von Grund auf gefährdet. Sie liefe Gefahr, auf Dauer für die Berufsverbände bzw. Gewerkschaften zum finan-ziellen Fiasko zu werden. Eine Lösung der materiellen Ungleichgewichtigkeit zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite in kirchlichen Arbeitsrechtskom-missionen ist das nicht.14

11 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche. Staatliches Arbeitsrecht und kirchliches Dienstrecht, 4. Aufl., 2003, S. 229 f.

12 Richardi, a. a. O.

13 Vgl. dazu BVerfGE 57, 220, wonach das Zutrittsrecht nicht betriebsangehöriger Gewerkschafts-vertreter zu kirchlichen Einrichtungen ausgeschlossen werden kann, weil das Betriebsverfassungs-gesetz, in dem dies gesetzlich geregelt ist, für die Kirchen und ihre Einrichtungen nach § 118 Abs. 2 BetrVG nicht gilt; vgl. dagegen allerdings die neuere Entscheidung BVerfG 93, 352, wonach das Zutrittsrecht generell in den Schutzbereich des gewerkschaftlichen Betätigungsrechts fällt und deshalb auch gegenüber kirchlichen Einrichtungen unbeschränkt gilt.

14 So bestimmt denn auch § 11 Abs. 8 Kirchengesetz der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen zur Regelung des Arbeitsrechts für Einrichtungen der Diakonie

(Arbeitsrechts-3.4 Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Gleichwohl hat das Bundesarbeitsgericht kirchliche Arbeitsrechtskommissionen vom einseitigen Arbeitgeberdiktat abgehoben. Nicht dass für die soziale Gleichgewichtigkeit der Sozialpartner eine numerisch paritätische Zusammen-setzung kirchlicher Arbeitsrechtskommissionen genügte.15 Die wenn auch in diesem Sinne nur formelle Parität kirchlicher Arbeitsrechtskommissionen bei der Beschlussfassung über kirchliche Arbeitsvertragsordnungen unterscheidet sich jedoch von der strukturellen Unterlegenheit bei der Aushandlung von Einzelar-beitsverträgen. Denn immerhin treten in kirchlichen Arbeitsrechtskommissionen nicht Arbeitnehmer einzeln einem Arbeitgeber gegenüber, sondern ein Arbeit-nehmerkollektiv einem Arbeitgeberkollektiv unter dem Vorsitz einer unabhängi-gen Verhandlungsleitung. Das muss nicht, kann aber einen Unterschied zur Verhandlungssituation bei Arbeitsverträgen ausmachen. 16 Ob dies eine Ausnahme kirchlicher Arbeitsvertragsordnungen von der Situation bei der Aushandlung von Einzelarbeitsvertragsordnungen rechtfertigt, soll hier dahingestellt bleiben.17 Fakt ist, dass das Bundesarbeitsgericht diese Ausnahme macht mit dem Ergebnis,18 dass an die Stelle der unbeschränkten Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeits-vertragsordnungen und damit der Beschlüsse kirchlicher Arbeitsrechtskommis-sionen am Kriterium der Billigkeit nach § 315 BGB eine beschränkte Inhalts-kontrolle auf „offenbare Unbilligkeit“ nach den §§ 317, 319 BGB tritt.

3.5 Bloße Rechtskontrolle bei Übernahme anderweitig ausgehandelter Tarifverträge

Noch weiter geht das Bundesarbeitsgericht, indem es die Inhaltskontrolle kirchli-cher Arbeitsvertragsordnungen vollständig suspendiert, zugunsten einer bloßen Rechtskontrolle, wenn durch sie ganz oder im wesentlichen anderweitig

regelungsgesetz Diakonie – ARRGD) v. 11. 10. 1997 relativ vage: „Zur Vorbereitung der Sitzungen der Arbeitsrechtlichen Kommission sind beide Seiten berechtigt, Besprechungen ihrer jeweiligen Seite durchzuführen... Beide Seiten können zu diesen Sitzungen Sachkundige hinzuziehen. Die Sachkundigen erhalten Reisekosten nach den in der Konföderation geltenden Bestimmungen. Über die Erstattung darüber hinaus entstehender Kosten entscheiden der oder die Vorsitzende oder der oder die stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsrechtlichen Kommission im Einvernehmen. Kann ein Einvernehmen nicht hergestellt werden, entscheidet der oder die Vorsitzende der Schlichtungskommission.“ Im Internet: http://www.diakonie-braunschweig.de/opencms/export/

sites/DiakonischesWerk/_system/Organisation/DW-Geschaeftsstelle/Dateien/arrg-d.pdf.

(28.05.2006)

15 So aber offenbar Hanau/Thüsing, Arbeitsrechtliche Konsequenzen beim Betriebsübergang kirch-licher Einrichtungen, KuR 2000, 165, S. 174 f.

16 Z.B. besteht nicht einmal formelle Parität, wenn ein Beschluss mit Mehrheit gefasst werden kann, auf Arbeitnehmerseite aber ein Personalchef oder Rentner mitwirken, wie das in der Praxis schon vorgekommen ist.

17 Dieterich – ErfK/Dieterich Art. 4 GG Rn 53 – würde es wohl verneinen, mindestens solange auf dem Dritten Weg kirchliche Arbeitsrechtskommissionen nicht abschließend entscheiden, weil sich Bischof oder Synode ein Letztentscheidungsrecht vorbehalten.

18 BAG AP Nr. 24 zu § 611 BGB Kirchendienst = BAG NZA 1997, S. 55, 56.

handelte Tarifverträge übernommen werden.19 Die der Rechtswirkung von Tarifverträgen hierdurch angenäherte Geltungskraft kirchlicher Arbeitsvertrags-ordnungen, soweit sie anderweitig ausgehandelte Tarifwerke im Wesentlichen übernehmen, besitzt zwar durchaus eine innere Logik. Wenn die Kirchen und ihre Einrichtungen durch Beschluss kirchlicher Arbeitsrechtskommissionen ander-weitig ausgehandelte Tarifverträge im wesentlichen übernehmen und lediglich mit Regelungen ihrer eigenen Angelegenheiten – Dienstgemeinschaft – ergänzen, handelt es sich zwar nicht formell, wohl aber inhaltlich immer noch um Tarifver-träge, die nun einmal keiner Inhaltskontrolle, sondern lediglich einer Rechtskon-trolle durch die staatlichen Arbeitsgerichte unterliegen. Dennoch stellt die der Rechtswirkung von Tarifverträgen angenäherte Geltungskraft kirchlicher Arbeits-vertragsordnungen einen tiefen Eingriff in die Koalitionsfreiheit namentlich der Gewerkschaften, aber auch (kirchlicher) Arbeitgebervereinigungen dar,20 die als Parteien möglicher kirchengemäßer Tarifverträge in Frage kommen. Vor allem die Gewerkschaften werden sozusagen ihres ureigenen Produkts, nämlich anderweitig, in der Regel für den öffentlichen Dienst ausgehandelter Tarifverträge, „enteignet“

und mit ihnen im Wege einzelarbeitsvertraglicher Gleichstellungsabreden in Arbeitsverträgen kirchlicher Beschäftigter zu dem wesentlichen Zweck konfron-tiert, aus Betrieben und Unternehmen – hier: kirchlichen Einrichtungen – heraus-gehalten zu werden.

Im Dokument Der Dritte Weg auf dem Prüfstand (Seite 84-88)