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Das Kosten-Nutzen-Kalkül einer unerlaubten Handlung aus Sicht des „homo oeconomicus“

2 Modelltheoretische Grundannahmen über menschliches Verhalten innerhalb eines liberal geprägten Wirtschaftssystems

2.1 Verhaltenstheoretische Annahmen über menschliches Verhalten aus Sicht der ökonomischen Theorie

2.1.4 Das Kosten-Nutzen-Kalkül einer unerlaubten Handlung aus Sicht des „homo oeconomicus“

Generell wird in den Wirtschaftswissenschaften unter dem Nutzen das Befriedigungsniveau verstanden, welches eine Person aus dem Konsum eines Gutes oder aus einer Aktivität ableitet.108 Dabei spielt Nutzen eine wichtige psychologische Rolle, „da Wirtschaftssubjekte einen Nutzen erfahren, wenn sie Dinge erhalten, die ihnen angenehm sind oder Dinge vermeiden können, die ihnen Schmerzen bereiten“ 109. Ein wesentliches Problem bei der Definition des Begriffes „Nutzen“ ist allerdings, dass dieser nicht immer im gleichen Sinne Anwendung findet. Dies liegt in der Tatsache begründet, dass sich teilweise verschiedene Auffassungen des Begriffes bei ein und demselben Autor finden. Eine häufige Interpretation des Nutzenbegriffes, die in der Literatur vorkommt, ist der Netto-Nutzen, welcher sich ex ante unter Berücksichtigung der Kosten aus einer Handlungsalternative ergibt. Es handelt sich um demnach um eine saldierende Nutzenvariante. Zum zweiten wird der Brutto-Nutzen verwendet, der die Kosten einer Handlung von vorne herein nicht mitberücksichtigt. Diese ist die in der Literatur am häufigsten verwendete und lässt sich auch auf das Nutzenkalkül einer unerlaubten Handlung übertragen. Wenn also nachfolgend die Rede von Nutzen ist, wird darunter der reine Ertrag einer Handlungsalternative ohne Kosten verstanden.

106 Zu den Kosten und Nutzen einer unerlaubten Handlung, siehe hierzu Kapitel 2.1.4.

107 Zu den Kernelementen eines liberal geprägten Wirtschaftssystems, siehe hierzu Kapitel 2.4.

108 Vgl. Pindyck, R.; Rubenfeld, D. (1998): S. 106.

109 Pindyck, R.; Rubenfeld, D. (1998): S. 106.

Die Frage, die sich primär bezüglich einer unerlaubten Handlung stellt, ist die nach der Kosten- und Ertragsstruktur einer solchen Handlung. Als Ertrag kann grundsätzlich der zu erwartende ökonomische bzw. monetäre Vorteil angesehen werden. Bei den Kosten gestaltet sich die Definition wesentlich schwieriger. Als Kosten kommen bei einer unerlaubten Handlung zunächst grundsätzlich die Kosten der Handlungsdurchführung sowie die Kosten der Sanktion in Betracht. Zu den erstgenannten zählt insbesondere der Arbeits- und Sachaufwand, der unmittelbar für die Tat erforderlich ist. Dazu gehören die Kosten einer Vorbereitungshandlung.110 Kosten entstehen zudem, wenn etwa juristische Studien zur Aufdeckung von Gesetzesunklarheiten bzw. Gesetzeslücken von Nöten sind. Dies sind Kosten der Informationsbeschaffung. Zu den Durchführungskosten sind auch die Kosten der Tatnachbereitung zu zählen, die nötig werden können, um die Tat zu verbergen. Dazu gehören Verdunkelungshandlungen, z.B. das Beseitigen der Tatwerkzeuge oder die Vernichtung von Geschäftsunterlagen.

Folgt man dem „Formal-Concept-Ansatz“111, so müssen auch die Kosten der Überwindung eines Normverstoßes – unabhängig davon, ob es sich dabei um eine private oder eine öffentliche Norm handelt – berücksichtigt werden.112 Smettan113 hat in diesem Zusammenhang den Einfluss äußerer Bedingungen auf die Entscheidung, kriminell zu werden, untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Täter und Nichttäter bei Straftaten sich v.a. in ihren „moralischen Kosten“, also in ihrer Bindung an öffentliche Normen und ihrer Gesetzesloyalität unterscheiden,114 die Einstufung von Gewinnen bzw. Erträgen, Risiken und Kosten aber absolut gleich eingestuft werden.

Unterschiedlich ist nur die Gewichtung bzw. Bewertung der einzelnen Faktoren.115 Diese Kosten sind also abhängig vom Grad der Internalisierung der jeweiligen Norm.

Des Weiteren werden in diesem Modell die Opportunitätskosten zu den Handlungskosten gerechnet. Dies sind die Kosten, die mit den versäumten Möglichkeiten entstehen, wenn die vorhandenen Ressourcen nicht der Handlung

110 Um ein konkretes Beispiel aus dem klassischen Deliktsspektrum zu nennen: Zur Durchführung eines Einbruchs würde als Vorbereitungshandlung beispielsweise die Beschaffung oder der Kauf einer Brechstange sowie der Zeitaufwand, um ein potentielles Einbruchsobjekt auszuspähen, gehören.

Im Rahmen von wirtschaftskriminellen Handlungen wäre dies allerdings eine Fehlinvestition, da sich Wirtschaftskriminalität i.d.R. ohne körperliche Gewalt abspielt.

111 Im Formal-Concept-Ansatz wird der Versuch unternommen, psychologische und kriminologische Theorien zu integrieren; vgl. hierzu ausführlich Smettan, J. R. (1992).

112 Vgl. McKenzie, R.; Tullock, G. (1984): S. 180.

113 Smettan, J. R. (1992).

114 Vgl. Smettan, J. R. (1992): S. 222.

115 Für Wirtschaftsstraftäter haben die Kosten einer Strafe geringere Bedeutung als für Nichttäter. Dies hat größte Bedeutung für die Entwicklung von Präventionsstrategien. Präventionsaufgabe ist es, die Internalisierung von öffentlichen Normen zu stärken.

zugeführt werden, die die höchsten Werte generieren.116 Um es alternativ zu formulieren, die Opportunitätskosten können auch als entgangener Ertrag einer anderen Handlungsalternative definiert werden.

Weiterhin müssen die Kosten einer Sanktion beachtet werden. Da allerdings nicht bei jedem Normverstoß mit einer Sanktion gerechnet werden muss, ist dieser Kostenanteil ein Erwartungswert. Dieser setzt sich aus drei Komponenten zusammen:

- der Wahrscheinlichkeit, dass die Tat entdeckt wird,117 - der Wahrscheinlichkeit, das die Tat aufgedeckt wird118 und - den zu erwartenden Sanktionierungskosten.119

Die Sanktionierungskosten sind bei 100%iger Ausschöpfung des Strafmaßes den Gesetzen und den Gerichtsentscheidungen zu entnehmen. Hier liefert die Praxis repräsentatives Zahlenmaterial, welche Art von Sanktion bei ähnlich gelagerten Fällen in welcher Höhe zu erwarten ist. Dem Formal-Concept-Ansatz folgend, gehören auch alle Formen der Missbilligung eines Verhaltens durch andere zu den übrigen Sanktionskosten, beginnend bei spöttischen Bemerkungen über Zurechtweisungen bis hin zum Kommunikationsabbruch des sozialen Umfeldes. Dazu zählen auch soziale Folgekosten einer gesetzlich geregelten Sanktion, wie beispielsweise Status- und Achtungsverlust.120

Bei den Sanktionierungskosten ist besonders zwischen den gesetzlich geregelten Sanktionskosten und allen Folgekosten einer Sanktion zu unterscheiden, wie z.B. der Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung.

Der Erwartungswert der Sanktionierungskosten ist also aufgrund der vorangegangenen Überlegungen das Produkt aus der Wahrscheinlichkeit, dass die Tat entdeckt und aufgedeckt wird inklusive der Sanktionskosten. Das Faktum der schlechten Information

116 Vgl. Pindyck, R.; Rubenfeld, D. (1998): S. 246.

117 Diese gibt an, wie hoch der Einzelne die Chance individuell einschätzt, dass die Handlung an sich entdeckt wird, ohne dass dabei sofort auf den Täter geschlossen werden kann.

118 Unter der Aufdeckungswahrscheinlichkeit wird die Wahrscheinlichkeit verstanden, mit der der Einzelne das Risiko individuell einschätzt, als Täter identifiziert und auch sanktioniert zu werden. Im Zusammen hang mit der Aufdeckungswahrscheinlichkeit kann bei einem möglichen Bekanntwerden der Handlung die Aufklärungsquote aus den amtlichen Statistiken herangezogen werden.

119 Eine Unterscheidung nach Tatentdeckung und Tataufdeckung wird vorgenommen, da der Täter sein Ziel erreichen kann selbst bei Bekanntwerden der Tat.

120 Vgl. McKenzie, R.; Tullock, G. (1984): S. 180.

des Einzelnen ist also teilweise in das vereinfachte Modell integriert. Mathematisch lässt sich die Kosten-Nutzen-gleichung vereinfacht wie folgt darstellen:121

EUj = pj Uj (Yj – fj) + (1-pj) Uj (Yj), mit

Yj = das monetäre und psychische Einkommen aus der Straftat, Uj = die Nutzenfunktion,

pj = die Wahrscheinlichkeit der Verurteilung der begangenen Tat und

fj = das monetäre Äquivalent der Strafe.

Anzumerken bleibt, dass es durchaus möglich ist, dass die Beschaffung von Informationen mehr Kosten als Ertrag stiftet. Daher sind Entscheidungen auf Grundlage unzureichender Informationen nicht zwangsläufig irrational.122 Weiterhin ist es auch möglich, dass es zu einem Gesetzesverstoß kommt, obwohl jede Tat aufgeklärt wurde und dies dem Täter bekannt ist. Dies ist dann der Fall, wenn der Täter davon ausgeht, nicht betroffen zu sein.

Auch wenn die Formel nur die Bildung von monetär bewertbaren Größen zulässt und daher unpräzise erscheinen mag, gibt dieser Ansatz zumindest einen modellhaften Einblick in die Kosten-Nutzen-Überlegung, Dieses Vorgehen wird auch von Becker verfolgt.123

Den Nutzen oder die allgemeingültige Nutzenfunktion kann es daher nicht geben. Der Begriff Nutzen ist in diesem Sinne amorph. Eine andere Möglichkeit besteht darin, neben rein monetäre Größen auch affektuelle Motive zu berücksichtigen. Ein affektuell Handelnder zieht Nutzen z.B. aus der Freude durch den „warm glow of giving“, die er anderen bereiten kann. Große Schwierigkeiten bereitet auch die Integration wertrationaler Motive. Ein wertrational Handelnder sieht von den Folgen seines Handelns ganz ab. Er begeht die Handlung aus der Überzeugung vom Eigenwert der Handlung. Dies kann auch als Nutzen definiert werden.

Das Generalisierungsverbot gilt natürlich auch für den Ertrags- und Kostenbegriff. So wiegen beispielsweise gesetzlich geregelte Sanktionierungskosten nicht für jeden gleich. Der eine mag durch einen Gefängnisaufenthalt für sein restliches Leben geprägt

121 Siehe hierzu Kapitel 4.1.1.

122 Vgl. Becker G. S. (1968): S. 6; sowie McKenzie, R.; Tullock, G. (1984), S. 175.

123 Siehe hierzu Kapitel 4.1.1.

sein, während ein anderer diesen sehr gut verkraftet. Wenn die Beurteilung der Kosten eines Gefängnisaufenthaltes stark unterschiedlich sind, so werden oft auch die Grenzkosten einer Verlängerung des Aufenthaltes stark differieren.124 Selbst formal gleiche Strafen können also für jeden unterschiedlich wiegen.125

Ergänzend sei angeführt, dass dem Sanktionierenden ebenfalls Kosten entstehen. Im präventiven Bereich handelt es sich um Kosten z.B. für Öffentlichkeitsarbeit. Im Rahmen der Repression sind dies vor allem Kosten der Tataufklärung sowie Gerichtskosten, um die Sanktionierung festzulegen und zu vollziehen. Da es hier aber vor allem um die Erklärung des Täterhandelns geht, sind diese Kosten zunächst von untergeordneter Bedeutung.126

Zwei Besonderheiten seien an dieser Stelle bezüglich des Kosten-Nutzen-Kalküls nachgereicht, die bislang außer Acht gelassen wurden:

1. Ein zeitlich nahe liegender Vorteil überwiegt einen langfristig zu erwartenden Nachteil127 und

2. „Wir wissen, dass Personen bestimmte … Nachrichten .... die ihnen unangenehm sind, nicht zur Kenntnis nehmen.“128

Durch diese Nebenbedingungen ergeben sich zusätzliche Einschränkungen des Kosten-Nutzen-Kalküls. Unter Berücksichtigung all dieser Einschränkungen stellt sich die Frage, ob der Versuch menschliche Kosten-Nutzen-Überlegungen zu erklären nicht zu sehr reduziert wird. Nach Auffassung von Etziono129 ist daher eine Erweiterung des Kosten-Nutzen-Kalküls nicht sinnvoll, da sonst eine leere Denkschablone übrig bleiben würde.130 Becker betrachtet dieses Vorgehen als einen durchaus nützlichen Rahmen für das Verständnis jeglichen menschlichen Verhaltens,131 auch wenn die Möglichkeiten schnell erschöpft sind und höchstens eine Annäherungen an individuelle Kalküle möglich ist. Diese Vorgehensweise darf daher nur als einer von vielen Versuchen verstanden werden, menschliches Verhalten zu erklären.

124 Vgl. Burchhardt, M. (1986): S. 150.

125 Vgl. Bentham, J. (1933): S. 60f.

126 Siehe hierzu Kapitel 5.2.

127 Vgl. Schweitzer, H. (1994): S. 14; sowie Bentham, J. (1993): S. 60.

128 Opp, K.-D. (1975): S. 181.

129 Etziono, A. (1988).

130 Vgl. Etziono, A. (1998): S. 29 ff.

131 Vgl. Becker, G. S. (1982): S. 15.

2.1.5 Individuelle Handlungsfreiheit als systemtragendes Prinzip für