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7 Empirische Befunde zur Wirksamkeit staatlicher Institutionen im Rahmen der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität

7.2 Durchsetzungsdefizite staatlicher Institutionen als Ursache hoher Transaktionskosten

7.2.1 Durchsetzungsdefizite im staatlichen Ordnungsrahmen

Zur Bestimmung der grundsätzlichen Durchsetzungsdefizite im staatlichen Ordnungsrahmen wurden die Unternehmen (betroffene als auch nicht betroffene) hinsichtlich ihrer generellen Einschätzung bezüglich des staatlichen Engagements untersucht. Hier stand insbesondere die Strafverfolgung als repressive Komponente einer ganzheitlichen Bekämpfungsstrategie – bestehend aus Repression und Prävention - im Vordergrund. Abbildung 7-5 zeigt, dass die Unternehmen über eine differenzierte Wahrnehmung hinsichtlich der staatlichen Aufgabenerledigung in Bezug auf die Bekämpfung von Kriminalität verfügen.

Abbildung 7-5: Beurteilung des staatlichen Engagements in Bezug auf Wirtschaftskriminalität (links) und Kriminalität allgemein (rechts)

Die Abbildungen zeigen, dass 25 Prozent der Unternehmen das staatliche Engagement in Bezug auf Allgemeinkriminalität als „gut“ bis „sehr gut“ befinden, während in Bezug auf Wirtschaftskriminalität nur 12 Prozent dieses als „gut“ oder „sehr gut“ bewerten, erkennbar an der Rechtsschiefe des linken Balkendiagramms.

2% 10%

Die Einschätzung soll anhand einer geeigneten statistischen Kenngröße verglichen werden. Aufgrund des ordinalen Niveaus kommt hierfür der Median in Frage. Als Schwäche des Median ist anzuführen, dass bei diesem häufig aufgrund geringer Anzahl an Merkmalsausprägungen gleiche Werte auftreten, was die Unterscheidung verschiedener Stichproben erschwert. Um detailierte Aussagen über die zentrale Tendenz der Antworten zu gewinnen, wurde als zusätzliches Kriterium der Mittelwert 𝒙�

herangezogen.111 Dazu wurden die Bewertungen des staatlichen Engagements (1 = sehr gut bis 5 = sehr schlecht) als metrisch mit einem Wertebereich von 1 bis 5 aufgefasst.112

Phänomen n xmed 𝒙�

Allgemeinkriminalität 82 3 3,15

Wirtschaftskriminalität 84 3 3,54

Tabelle: 7-1: Bewertung von Wirtschaftskriminalität und Allgemeinkriminalität

Für Kriminalität allgemein ergibt sich ein Median von 3, für den Mittelwert ein Wert von 3,15. Bei Wirtschaftskriminalität ergibt sich ein Wert von 3,54 für den Mittelwert und ein Median von ebenfalls 3. Das Engagement für Wirtschaftskriminalität wird bei Betrachtung des Mittelwerts demnach als schlechter bewertet (für den Median ist kein Unterschied feststellbar). Aufgrund des Mittelwertvergleichs kann zunächst festgehalten werden, dass die befragten Unternehmen die staatliche Aufgabenwahrnehmung sehr differenziert sehen. Vorliegend wird das Engagement in Bezug auf Allgemeinkriminalität offensichtlich besser bewertet als in Bezug auf Wirtschaftskriminalität.

Ein Spearman-Korrelationstest (α = 0,05) für die Variablen „Allgemeinkriminalität“

und „Wirtschaftskriminalität“ verdeutlicht die unterschiedliche Bewertung der beiden Phänomene. Die H0-Hypothese lautet: Die Allgemeinkriminalität X und die Wirtschaftskriminalität Y sind unabhängig (ρs = 0). Die H1-Hypothese lautet: X und Y sind korreliert (ρs≠ 0).

111 Vgl. Hadler, M. (2005): S. 20 f.

112 Vgl. Bühner, M. (2006): S. 79 u. 83 ff.

Spearman n p-Value Zusammenhang

0,482 82 0,000 ja

Tabelle 7-2: Korrelation der Wirtschaftskriminalität und Allgemeinkriminalität

Liegt ein niedriger Wert (nahe Null) für ρs vor, bedeutet dies, die Einschätzung der Befragten bezüglich der staatlichen Aufgabenerfüllung hinsichtlich beider Phänomene ist gleichwertig. Liegt hingegen ein Wert nahe minus eins oder nahe eins für ρs vor, so spricht dies für eine unterschiedliche Bewertung der Phänomene. Der Wert in Tabelle 7-2 zeigt deutlich, dass die beiden Variablen miteinander korrespondieren, also abhängig von einander sind. Eine schlechtere Bewertung der Bekämpfung der Allgemeinkriminalität führt zu einer schlechteren Bewertung des Engagements hinsichtlich Wirtschaftskriminalität, jedoch mit unterschiedlichem Niveau, wie an den Mittelwerten abzulesen ist.

Als Folge dieser Erkenntnis stellt sich die Frage, welche Faktoren für die Bewertung des staatlichen Engagements bzw. des Ordnungsrahmens in Bezug auf Wirtschaftskriminalität verantwortlich zeichnen. Im Folgenden werden die Indikatoren

- Verfahrensdauer, - Verfahrensausgang, - fachliche Kompetenz,

- Personal- und Sachausstattung,

- Funktionalität der Straf- und Nebengesetze und - staatliche Präventionsangebote

herangezogen, um eine Bewertung des staatlichen Engagements zu ermöglichen. Die Befragten wurden zunächst grundsätzlich nach der Qualität der o.g. Faktoren befragt.

Als Bewertungskriterien werden wie zuvor der Median und der Mittelwert herangezogen. Da der Bewertung eine Likert-Skala mit Werten von 1 = „sehr gut“

bis 5 = „sehr schlecht“ zugrunde liegt, stellt der Mittelwert von 2,5 einen kritischen Schwellenwert da. Bewertungen mit einem Wert von über 2,5 werden daher als unterdurchschnittlich gewertet. Die Ergebnisse der Bewertung fasst nachfolgende Tabelle zusammen.

Indikatoren zur Messung des

staatlichen Engagements n xmed 𝒙�

Fachliche Kompetenz 84 3 3,02

Personalkapazität bei Polizei und

Staatsanwaltschaft 88 3 3,25

Funktionalität der staatlichen

Präventionsangebote 80 3 3,25

Wirksamkeit der Straf- und

Nebengesetze 77 3 3,38

Verfahrensausgang 80 4 3,56

Bearbeitungsdauer 85 4 3,79

Tabelle 7-3: Bewertung der Indikatoren des staatlichen Ordnungsrahmens

Die Tabelle verdeutlicht, dass alle Indikatoren einen Wert von größer als 2,5 ausweisen.

Insbesondere die Bearbeitungsdauer von Straftaten und der Ausgang dieser Verfahren, darunter ist neben der Einstellungs- auch die Sanktionierungspraxis zu subsumieren, werden von den Befragten als qualitativ schlecht eingeschätzt.

Die Gründe für die unterdurchschnittliche Bewertung der Verfahrensdauer und des Verfahrensausganges liegen in der hohen Regelungsdichte der Vorschriften. Empirische Befunde kommen im Zusammenhang mit Wirtschaftsstraftaten zu dem Ergebnis, dass die durchschnittliche Bearbeitungsdauer von Strafverfahren zwischen einem und dreieinhalb Jahren dauern.113 Gestützt wird dies durch eine von Aktenanalyse von 406 Verfahren.114 In dieser wird u.a. die hohe Verfahrenskomplexität, die große Anzahl an Ermittlungsverfahren, die Masse der zu verarbeitenden Daten und vor allem auf die Betroffenheit verschiedener Rechtsgebiete als Hauptursache für lange Verfahren und eine fehlgeleitete Einstellungspraxis angeführt.115 In diesem Zusammenhang ist insbesondere auf die Problematik der §§ 153, 153a StPO hinzuweisen.116 Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine aktuellere Studie der IHK Hamburg aus dem Jahr 2009. In dieser sehen sich die Unternehmen einer zunehmenden Bürokratisierung

113 Vgl. Berckhauer (1981): S. 250 f.; Wassermann (1984): S. 84; sowie Hauke (1992), S. 560;

aktuellere Zahlen sind nicht verfügbar.

114 Vgl. Meinberg (1985): S. 69.

115 Vgl. Meinberg (1985): S. 69 u. 243 ff.

116 Zur Vertiefung, siehe Heyer (2004): S. 89 ff.

gegenüberstehen.117 Die Folge sind immense Transaktionskosten sowie Verjährungs- und Bestrafungsprobleme, die in der Konsequenz Unzufriedenheit und Resignation nicht nur auf Seiten der ermittelnden Strafverfolgungsbehörden, sondern auch in der Öffentlichkeit und speziell bei den Betroffenen fördern.118

Weitere Gründe liegen in der mangelnden Qualität der gesetzlichen Institutionen So sieht das deutsche Strafrecht und insbesondere dessen Nebengesetze ein großes Spektrum an Strafen und Maßnahmen vor, die nicht zu Einträgen in polizeilichen oder anderen institutionellen Datenbanken führen und so im Falle einer Verurteilung ein Strafmaß unterhalb der „Stigmatisierungsgrenze“ ermöglicht. Dadurch verliest die Strafe jedoch ihre Abschreckungsfunktion. Als Beispiele können ihr der Ordnungswidrigkeitenkatalog aus HGB und AktG angeführt werden. Die geringe Personal- und Sachausstattung scheint ebenfalls eine lange Verfahrensdauer zu fördern.119 Am besten werden die fachliche Kompetenz der eingesetzten Sachbearbeiter und der Betreuung durch die Exekutivorgane bewertet, auch wenn diese Indikatoren ebenfalls als verbesserungswürdig erachtet werden.

Von welchen Indikatoren die Qualität der staatlichen Aufgabenerledigung besonders beeinflusst werden, wird mit Hilfe einer Korrelationsanalyse nach Spearman (α = 0,1) untersucht. Die ordinalen Variablen „staatliches Engagement“ (in Bezug auf die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität) und die o.g. Indikatoren wurden mit Hilfe einer Dummy-Kodierung transformiert, um eine genügend hohe Besetzungsdichte der Merkmalsausprägungen zu gewährleisten. Die H0-Hypothese lautet: das staatliche Engagement X und die Indikatoren Y sind unabhängig (ρs = 0). Die H1-Hypothese lautet:

X und Y sind positiv korreliert (ρs > 0). Eine hohe Gleichläufigkeit der Werter lässt auf einen großen Einfluss der Indikatoren auf die Qualität des staatlichen Ordnungsrahmens schließen.

117 Vgl. IHK Hamburg (2009): S. 12.

118 Vgl. Schuppich (1984): S. 73 f.; Egli (1985): S. 11.

119 Vgl. Heyer, Th. (2004): S. 150.

Indikator rs n p-Value Zusammenhang

Bearbeitungsdauer 0,515 82 ,072 Ja

Straf- und Nebengesetzt 0,481 77 ,000 Ja

Verfahrensausgang 0,477 80 ,000 Ja

fachliche Kompetenz 0,466 78 ,000 Ja

Personalkapazität 0,305 80 ,003 Ja

staatliche Prävention 0,072 78 ,265 Nein

Tabelle 7-4: Korrelation zw. den Indikatoren und staatlichem Engagement

Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die befragten Unternehmen die staatliche Aufgabenwahrnehmung in Bezug auf die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität als verbesserungswürdig betrachten. Tabelle 7-4 zeigt deutlich, dass bis auf die Variable

„staatliche Prävention“ die anderen Indikatoren mit der Qualität des staatlichen Engagements korrelieren, also abhängig von einander sind. Die Qualität der staatlichen Aufgabenwahrnehmung wird insbesondere durch die Bearbeitungsdauer, der Anwendung der Straf- und Nebengesetzte, die fachliche Kompetenz als auch vom Verfahrensausgang bestimmt. Für alle drei Variablen liegt der Korrelationskoeffizient nahe 0,5. Dies spricht für einen mittleren Zusammenhang. Einen nur schwachen Einfluss besteht für die Variable „Personalkapazität“.

Hervorzuheben ist an dieser Stelle, dass die Beobachtungen nicht wesentlich von den Ergebnissen der im Vorfeld geführten Interviews und der ausgewerteten Studien abweichen.120 Auch im Rahmen dieser wurde festgestellt, dass die überwiegende Mehrheit der befragten Experten die Durchsetzung des staatlichen Ordnungsrahmens für unzureichend halten, um die einzelnen Deliktgruppen der Wirtschaftskriminalität wirksam bekämpfen zu können. Somit bestätigen die geführten Interviews und einbezogenen Studien die gewonnenen Daten. Angesichts dieser Problematik muss insbesondere vor dem Hintergrund der aus den Defiziten resultierenden erheblichen Transaktionskosten die Frage nach Handlungsempfehlungen für die staatliche Strafverfolgungsorgane aufgeworfen werden. Mit dieser Thematik befasst sich ausführlich Kapitel 7.3.

120 Siehe hierzu Kapitel 6.2 sowie Anhang 2