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5 Die Wirksamkeit staatlicher Institutionen zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität unter ökonomischen Gesichtspunkten

5.2 Die Aussagekraft der amtlichen Kriminalstatistiken

5.2.6 Die Abbildung der Kriminalitätsrealität in der PKS

5.2.6.5 Die Dunkelfeldproblematik

Wie bereits angemerkt, erfasst die PKS nur eine kleine Teilmenge der Wirtschaftskriminalität, sodass hier von einem großen Dunkelfeld auszugehen ist. Dies verdeutlicht nachfolgende Abbildung besonders deutlich und zeigt, dass in der PKS nur das offizielle Hellfeld erfasst wird. Dabei stellt der PKS-Bereich ohne die Schnittmenge mit dem relativen Dunkelfeld den Anteil an Kriminalität dar, welcher ausschließlich durch die PKS erfasst wird. Der Schnittmengenbereich hingegen umfasst Kriminalität die sowohl von der PKS als auch von anderen Erhebungen erfasst wird.

Abbildung 5-3: Hell- und Dunkelfeld in den Kriminalitätsstatistiken464

Wie Abbildung 5-3 zeigt, lässt sich bezüglich des Dunkelfeldes ein absolutes und relatives Dunkelfeld unterscheiden. Ersteres stellt die Fläche außerhalb der Kreise („offizielles Hellfeld" und „relatives Dunkelfeld“) dar und kann weder durch die PKS oder weitere Statistiken noch durch andere Maßnahmen der Dunkelfeldforschung aufgehellt werden. Das relative Dunkelfeld hingegen umfasst registrierte Kriminalität, welche durch zusätzliche Statistiken – wie die amtlichen Nebenstatistiken und die der PKS in der Ebenenfolge nachgeordneten Statistiken – erfasst werden kann. Würde man beispielsweise die Staatsanwaltschaftsstatistik in dieser Abbildung berücksichtigen, so würde sie nur eine Teilmenge des PKS-Bereiches darstellen. Da aber die Staatsanwaltschaftsstatistik auch Kriminalität – wie z.B. Steuerdelikte – erfasst, die

464 Vgl. Bundeskriminalamt (2008): S. 8.

teilweise auch außerhalb des PKS-Bereiches liegt, würde diese zusätzlich einen Teilbereich des relativen Dunkelfeldes abdecken. Somit ist die Hinzuziehung weiterer offizieller Statistiken zur PKS bereits Dunkelfeldforschung im Sinne dieser Darstellung.

Zu nennen sind hier auch Studien der großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Unternehmensberatungen (WPBU), die sich in den letzten Jahren vermehrt mit Wirtschaftskriminalität auseinandersetzen.465 Zu den Maßnahmen der Dunkelfeldforschung zählen neben der Hinzuziehung zusätzlicher Statistiken auch Opfer- und Täterbefragungen.466

5.3 Zwischenergebnis

Ziel der Ausführungen war es, geeignete Kosten- und Nutzenindikatoren zu identifizieren, die es im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Relation erlauben, Aussagen über die Wirksamkeit staatlicher Institute zu treffen. Gelang dies auf der Kostenseite, zeigen jedoch die Ausführungen zu den Nutzenindikatoren, dass diese aufgrund der geringen Aussagekraft der Kriminalstatistiken und Fehleranfälligkeit der PKS nur eingeschränkt zur Verfügung stehen.

Wie die Ausführungen in Kapitel 5.2 erkennen lassen, können die staatlichen Kriminalitätsstatistiken nicht ohne weiteres verglichen werden, da sie Kriminalität zu unterschiedlichen Zeitpunkten erfassen und somit verschiedene zeitpunktbezogene Realitäten der Kriminalität abbilden. Abbildung 5-4 veranschaulicht die Problematik der verschiedenen Erfassungszeitpunkte der einzelnen Kriminalstatistiken nochmals deutlicher.

465 Hier sind insbesondere die Studien von Ernst&Young, KPMG Germany und PriceWaterhousCoopers zu nennen; siehe hierzu Kapitel 5.4; eine Auflistung der Studien findet sich in Anhang 1.

466 Siehe hierzu Kapitel 6.1.1.

Abbildung 5-4: Erfassungszeitpunkt der amtlichen Kriminalstatistiken

Die Ursache hierfür liegt in der Geschichte der Kriminalitätsstatistiken. Stellten im 18.

Jahrhundert die Statistiken zunächst ein reines Kontrollinstrument über Arbeitsnachweise der Organe der Rechtspflege und Justizverwaltung dar, entwickelten sie sich mit der Zeit zu Prognose- und Messinstrumenten.467 Dies führte zu einer zunehmenden Verschiebung der Datenerhebung an den Entstehungszeitpunkt von Kriminalität heran - von der Vollzugstatistik hin zur Verurteiltenstatistik und schließlich über die PKS zur Dunkelfeldforschung.468

Da es vor dem Hintergrund der Wirksamkeitsanalyse ausgewählter staatlicher Bekämpfungsinstrumente Ziel ist,469 ein möglichst aussagekräftiges Bild über die Wirtschaftsdelikte zu zeichnen, wird im weiteren Verlauf der Arbeit die PKS unterstützend herangezogen, auch wenn diese nicht völlig fehlerfrei ist. Als Problem ist an dieser Stelle anzuführen, dass aufgrund des großen Dunkelfeldes nur wenige belastbare statistische Aussagen möglich sind. Auch der Umstand, dass es sich bei Wirtschaftsdelikten um Kontrolldelikte handelt, erschwert eine Analyse sowie eine realistische Bewertung. Somit sind zusätzlich zur PKS ergänzende Informationen erforderlich, um eine exakte Einschätzung der Kriminalitätsrealität vornehmen zu können. Die PKS gibt keinerlei Auskunft darüber, ob beispielsweise bei einer Steigerung der Fallzahlen ein tatsächlicher Anstieg oder eine Zunahme der Anzeigebereitschaft oder aber eine Intensivierung der Kontrollen ursächlich ist.

467 Vgl. Heinz, W. (1977): S. 93-110.

468 Vgl. Steffen, W. (1993): S. 13.

469 Siehe hierzu Kapitel 7.2.

Aufgrund ihrer Stellung in Ebene 3 ermöglicht sie jedoch die größte Annäherung an die Kriminalitätsrealität, zumal sie als einzige Statistik eine differenzierte Darstellung der Wirtschaftsdelikte und explizit von Insolvenzkriminalität im engeren Sinn vornimmt.

Zu diesem Schluss kommt auch Steffen, indem er argumentiert, dass insbesondere die Beurteilung der Kriminalitätslage und Kriminalitätsgefährdung – wenn auch nur sehr eingeschränkt – lediglich mit der PKS möglich ist, da nur in ihr auch Straftaten unabhängig von ihrer Aufklärung und Aburteilung erfasst werden.470 Alle anderen Kriminalstatistiken befassen sich seiner Meinung nach nur mit Teilaspekten der Kriminalität, auf welche die Behörden als Instanzen und Institution reagieren und lediglich die entsprechenden Arbeitsnachweise erbringen.471

Als ungeeignet erweisen sich demnach die Rechtspflegestatistiken, da sie entweder wie die Staatsanwaltschaftsstatistik keine deliktische Differenzierung bei den Wirtschaftsdelikten vornimmt oder wie bei der Strafverfolgungsstatistik ein Ausweis an Wirtschaftsdelikten gänzlich fehlt. Zudem werden die Erhebungen nicht flächendeckend für alle Bundesländer erhoben und weisen daher einen erheblichen Mangel an einer ausreichenden Anzahl von Datensätzen auf, die eine verlässliche Aussage über den Anteil wirtschaftskrimineller Handlungen nicht erlauben. Diese Schwäche durch Hochrechnungen auf das gesamte Bundesgebiet zu kompensieren, erscheint angesichts der erheblichen Differenzen zwischen den Bundesländern als wissenschaftlich nicht exakt. Somit kann nicht einmal einwandfrei festgestellt werden, wie viele Wirtschaftsdelikte von den Staatsanwaltschaften in der BRD bearbeitet werden, tiefergehende Analysen scheiden gänzlich aus. Die Strafvollstreckungs- und Vollzugsstatistiken scheiden schon aufgrund ihrer Stellung in der Ebenenfolge und ihrer ungenügenden Inhalte aus.

In der Gesamtschau kommt auch Spengler472 zu diesen Ergebnissen. Gemessen an der Auswertbarkeit der Statistiken ist nach Spengler die Gesamtsituation zum Phänomen der Wirtschaftsdelikte sehr dürftig:473 Wie er darlegt, macht derzeit eine Untersuchung des Effektes von Strafe und Strafverfolgung auf das Gesamtphänomen der Wirtschaftskriminalität und deren Teilbereiche auf Grund der fehlenden Koordination

470 Vgl. Steffen, W. (1993): S. 13.

471 Vgl. Steffen, W. (1993): S. 15.

472 Vgl.Vortrag von Spengler, H. am 27.06.05: BKA, Wiesbaden 2005.

473 Spengler, H. (2005): S. 18 ff.

der relevanten Statistiken (PKS und Strafverfolgungsstatistik) nur wenig Sinn. Die Daten in den hier aufgeführten Statistiken sind wegen der unterschiedlichen Zielstellungen nicht vergleichbar. Sie untermauern jedoch den Hinweis der PKS, dass bei Zoll und Staatsanwaltschaft Informationen zu Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität vorliegen, die der Polizei nicht bekannt sind. Um beispielsweise feststellen zu können, welche Strafen verhängt wurden, ist die Strafverfolgungsstatistik (StVStat) heranzuziehen. Diese enthält jedoch nur die Gesetzesnorm und die Anzahl der danach Verurteilten (z.B. bei § 263 I StGB im Jahr 2001 - 61.358 Verurteilte). Da es keine spezielle Norm für Wirtschaftsstraftaten gibt, ist eine Gesamtbetrachtung der Wirtschaftsstraftaten in der Strafverfolgungsstatistik nicht möglich, d.h. eine Vergleichbarkeit zwischen StVStat-Daten und PKS-Daten ist ebenfalls nicht gegeben.

Zudem werden in den Nebengesetzen des StGB (Hier finden sich einige Delikte, die den Wirtschaftsstraftaten zuzuordnen sind.) und in der StVStat die Wirtschaftsstraftaten nur unzureichend aufgeschlüsselt. Eine Abschreckungsanalyse (abschreckungsvariable PKS-Daten und bzw. oder Aufklärungsquoten) scheitert z. B. daran, dass die Aufklärungsquoten bei Wirtschaftskriminalität insgesamt sehr hoch sind und wenige Variationen aufweisen.

Somit steht fest, dass ein anderer Ansatz zur Generierung aussagekräftiger Nutzenindikatoren gewählt werden muss, die es erlauben, im Rahmen der Abschreckung bzw. Generalprävention den Individualnutzen potenzieller Täter und rechtstreuer Bürger zielgerichtet zu beeinflussen. So könnte beispielsweise im Rahmen der Dunkelfeldforschung der Fragestellung nachgegangen werden, ob eine informelle Sanktionierung (z. B. die Medienberichterstattung, Informationboards oder alternative Strafformen) Einfluss auf deren Nutzenkalkül hat.474

Ein weiterer Ansatz, zur Überprüfung der Abschreckungswirkung staatlicher Instrumente wäre eine Überprüfung des Einflusses von Gesetzesinitiativen (z. B.

Aufwertung von Ordnungswidrigkeiten zu Straftatbeständen oder Anhebung der Strafmaße) auf die Kriminalitätsentwicklung.475

474 Zur ausführlichen Analyse der informellen Sanktionierung, siehe hierzu Kapitel 7.3.2.

475 Hier können z. B. das 10-Punkte-Programm für den Anlegerschutz oder die Neue Insolvenzordnung genannt werden.

Um festzustellen, in welchem Umfang die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen tatsächlich die individuellen Nutzenkalküle beeinflussen und in letzter Konsequenz zu einer Gemeinwohlsteigerung führen, bedarf es der Befragung der Individuen, deren Nutzen eine Beeinträchtigung erfährt. Dies sind primär, bei der hier untersuchten Wirtschaftskriminalität, die Unternehmen selbst.

Im Vorfeld der Konstruktion des Befragungsinstruments erscheint es angezeigt, das Phänomen der Insolvenzkriminalität in der Literatur aufzuarbeiten.