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Thema 2: Konflikte in familien und abgrenzung von häuslicher gewalt: Hier waren die Kinder aufgefordert, Streit in familien von gewalt abzugrenzen

2. Deutscher Kinderschutzbund (DKSB) Ulm: „Gegen Gewalt an Kindern – Gemeinsam für mehr Kinderschutz bei häuslicher Gewalt“

8.5 Konnten die Projekte ihre Ziele erreichen?

Bei der evaluation einer Maßnahme ist es sinnvoll, zwischen Wirkung und Wirksamkeit zu unterscheiden. Wenn wir nach der Wirkung fragen, erhalten wir aussagen über jede auswirkung, erwünschte wie unerwünschte, vorhergesehene und nicht antizipierte (vgl. Rottleuthner, 1987). Wirkung bedeutet, einen Zustand verändert zu haben, ob dies in die gewünschte Richtung geschehen ist, bleibt vorerst offen. neben den interven-tionen und angeboten der Präventionsprojekte können eine Vielzahl anderer – mögli-cherweise unerkannt bleibender – faktoren an der Wirkung des Projekts beteiligt sein, z. B. Konflikte in der Klassengemeinschaft oder mit einer Lehrkraft, andere themen, die im unterricht bearbeitet wurden, oder die art und Weise, wie das Projekt in der Schule bzw. Klasse eingeführt wurde. auch Probleme im umfeld der Schule und der familien können sich auswirken. die frage nach der Wirksamkeit ist die nach der Zielerrei-chung der Maßnahme. um diese zu prüfen, reicht es nicht aus, die ergebnisse der Vorher-Befragung und der nachher-Befragung pauschal miteinander zu vergleichen, es entsteht auf diesem Weg nur ein allgemeiner Überblick. Weil es möglich ist, dass – im Sinne der Wirkung – Kinder auch zuerst richtige bzw. gewünschte einstellungen angeben, die dem Projektziel entsprechen, und diese im Lauf der Zeit dann aber in eine unerwünschte Richtung ändern, muss der Lernerfolg – die Wirksamkeit – sorgfältig untersucht werden. der Vergleich führt zu Hinweisen sowohl auf unvorhergesehene Wirkungen als auch auf die erwünschte Wirksamkeit der Präventionsarbeit.

Projekt Ja

nach Projekt

Nein nach Projekt

Kommt darauf an nach Projekt

„gemeinsam für mehr Kinder-schutz bei häuslicher gewalt“, Psychologische Beratungsstelle Ravensburg

66,2 % 03,2 % 30,6 %

Prävention häuslicher gewalt bei

Kindern, dKSB, ulm 71,4 % 11,4 % 17,2 %

„Zoff off, gemeinsam gegen häus-liche gewalt“, Caritas Zentrum

Waiblingen 83,2 % 06,0 % 10,8 %

„Starke Mädchen – starke Jungen“,

„PfunzKerle e. V.“, tübingen 41,9 % 23,3 % 34,8 %

Von großer Bedeutung ist natürlich, dass Kinder nicht nur bereit sind, sich an eine Person um Hilfe zu wenden, sondern dass sie in ihrem umfeld auch wissen, wer eine solche Person sein könnte. Bei den angaben hierzu waren die unterschiede zwischen den Projekten nicht groß (vgl. tab. 31). erfreulich viele Mädchen und Jungen gaben in allen Projekten an, dass sie wissen, wer ihnen im notfall helfen könnte (im durch-schnitt sind es 82,8 %). die Kinder in tübingen hatten eine weniger klare Vorstellung, wer ihnen helfen könnte. Kenntnisse des Hilfesystems zu vermitteln, war hier jedoch – wenn auch kein Hauptziel – ein wichtiges Ziel, das offenbar hinter anderen inhalten zurückgetreten war. für die anderen drei Projekte war diese Vermittlung ein Hauptziel, das weitgehend eingelöst wurde. die Kinder in ulm hatten fast alle eine konkrete Vor-stellung von ansprechpersonen für sich selbst, obwohl sie sich eher zögerlich geäußert hatten, ob Kinder generell mit anderen Personen über die gewalt zu Hause sprechen sollten.

[ teil 2 „endlich kommt jemand und macht etwas“ – Schulische Prävention häuslicher gewalt in Baden- Württemberg ]

Wenn Eltern sich schlagen, macht das Kindern nichts aus: Bereits in der Vorher-Befra-gung waren die Kinder mehrheitlich davon überzeugt, dass gewalt zwischen eltern für Kinder eine Belastung darstellt. in der nachher-Befragung war das Bild noch eindeuti-ger: nur noch acht Kinder sahen kein Problem. diejenigen, die anfangs kein oder kaum ein Problem sahen, haben fast alle ihre Meinung geändert (vgl. tab. 36 im anhang).

Lehrkräfte geht das nichts an: anfangs waren 99 Kinder der ansicht, dass es sich bei häuslicher gewalt um ein privates Problem handele, das Lehrkräfte nichts angehe. in der nachher-Befragung hatte sich das Bild verschoben, nur noch 37 Kinder blieben bei dieser Meinung, allerdings blieb den Lehrkräften gegenüber eine gewisse Zurückhal-tung bestehen. diejenigen, die anfangs überzeugt waren, es ginge Lehrkräfte nichts an, änderten mehrheitlich ihre ansicht. die eher Zweifelnden wechselten mehrheitlich zu „stimmt gar nicht“. Lehrkräfte wurden somit nach den Workshops als ansprechper-sonen bei häuslicher gewalt eher in Betracht gezogen (vgl. tab. 37 im anhang).

Interessant sind auch die Ergebnisse zu zentralen Fragen der Hilfesuche:35 den Mäd-chen und Jungen das Hilfesystem bekannt zu maMäd-chen und die Barrieren dorthin abzu-bauen, gehörte zu den wichtigen Zielen der Projekte. dazu ist erforderlich, dass Kinder bereit sind, über ihr Problem zu sprechen. Wie in der Vorher-Befragung war diese frage zunächst für Kinder allgemein und später für die Kinder persönlich gestellt worden.

Sollten Kinder mit anderen darüber reden? deutlich mehr Kinder teilen die ansicht, dass Kinder im falle häuslicher gewalt sich anderen mitteilen sollten. diejenigen, die schon in der Vorher-Befragung dafür waren, dass Kinder mit anderen über die gewalt zwischen ihren eltern reden sollten, blieben mehrheitlich bei ihrer Meinung (vgl. tab.

38 im anhang). diejenigen, die in der Vorher-Befragung der Meinung waren, Kinder sollten nicht mit anderen darüber reden, rückten mehrheitlich davon ab. dies kann als Lernerfolg bezeichnet werden. Kinder, die sich anfangs skeptisch zur frage des darüber Redens verhalten hatten, blieben mehrheitlich bei ihrer abwägenden Haltung, wobei 33 zu Jasagern wurden und sieben zu den neinsagern wechselten. auch dies kann als positives ergebnis im Sinne einer Zielerreichung betrachtet werden.

Wenn es dir passieren würde, würdest du mit jemanden sprechen? das erleben häuslicher gewalt nicht als Privatsache und rein familiäres thema zu sehen, sondern Kindern zu vermitteln, dass sie Mut fassen und sich an Vertrauenspersonen wenden sollen, falls sie selbst mit gewalt zwischen ihren eltern konfrontiert würden, gehörte für alle Projekte zu den erklärten Zielen. Bei der frage an die Kinder, ob sie selbst mit jemandem sprechen würden, wenn es ihnen passieren würde, blieben sie verhältnis-mäßig oft bei der ursprünglichen Haltung (vgl. tab. 39 im anhang). es gab aber auch hier Bewegung: diejenigen, die anfangs sagten, sie würden mit jemandem sprechen, blieben fast alle (83) bei dieser Haltung. nur drei wollten es nach den Präventions-workshops nicht mehr tun und 13 sagten jetzt „es kommt darauf an“. diejenigen, die vorher angaben, mit niemandem reden zu wollen, entschieden sich später mehrheit-lich dafür, es doch zu wagen und sieben machten es von den umständen abhängig.

diejenigen, die anfangs meinten, es käme auf die umstände an, sagten danach mehr-heitlich sie würden doch mit jemandem reden wollen, während sechs lieber nicht mehr reden wollten und 17 bei ihrer abwägenden Haltung blieben. auch hier zeigt sich überwiegend ein positiver Lernerfolg nach den Präventionsprojekten. die Mädchen und Jungen waren mehrheitlich der ansicht, dass sie mit jemandem sprechen sollten, wenn sie diese gewalt miterleben. die Projekte haben ihr Ziel weitgehend erreichen können.

Verständnis von häuslicher Gewalt: ein großteil der Pilotprojekte hatte sich das Ziel gesetzt, den beteiligten Kindern ein klares Verständnis von häuslicher gewalt zu vermitteln. Vor Beginn der Präventionsworkshops konnte gut ein Viertel der in den vier ausgewählten Projekten befragten Mädchen und Jungen den Begriff richtig zuordnen, die restlichen fast dreiviertel verstanden darunter etwas anderes als gewalt in der Be-ziehung der eltern. durch die Workshops haben die Kinder mehrheitlich dazugelernt.

Anzahl %

Vorher und nachher richtig 43 27,4

„Verlernt“: Vorher richtig, nachher falsch 05 03,1

Vorher und nachher falsch 18 11,5

Lernerfolg: Vorher falsch, nachher richtig 91 58,0

Gesamt 157 100,0

Von den Mädchen und Jungen, die den Begriff der häuslichen gewalt schon vor ihrer teilnahme an den Präventionsprojekten als gewalt zwischen erwachsenen in inti-men Beziehungen / Partnerschaften richtig einordnen konnten, gaben nur einzelne am ende ein falsches ergebnis an und nur 11,5 % der Kinder, die anfangs falsch lagen, blieben bei einer falschen definition. Über die Hälfte hat im Laufe des Präventions-projekts eine richtige definition erlernt, was bedeutet, dass 85,4 % der Mädchen und Jungen am ende der Präventionsprojekte ein korrektes Verständnis der Begrifflichkeit hatten. insofern haben die Projekte, die in die Befragung einbezogen wurden, dieses Ziel weitgehend erreicht.

die nachbefragung zu den thesen, die die Haltung der Kinder und ihren Wissenstand zu häuslicher gewalt deutlich werden lassen, zeigen ebenfalls eine positive Verände-rung, die dem Ziel näher kommt, ihnen den Weg zu unterstützung zu eröffnen bzw. zu erleichtern.

Gewalt zwischen Eltern kann in jeder Familie vorkommen: Hier zeigte sich ein deut-licher Zuwachs an Wissen über die Verbreitung häusdeut-licher gewalt (vgl. tab. 33 im an-hang). diejenigen, die bereits anfangs der ansicht waren, dass gewalt zwischen eltern kein Problem spezifischer familien ist, blieben bis auf einzelne ausnahmen bei dieser feststellung. diejenigen, die skeptisch waren, sind nun mehrheitlich überzeugt, dass es stimmt, und auch die wenigen Kinder, die vorab davon ausgingen, dass diese aussage falsch sei, änderten fast alle ihre Meinung.

Es ist eine Sache der Familie und geht andere Leute nichts an: deutlich mehr Kinder sahen häusliche gewalt nach den Präventionsworkshops nicht mehr als eine Sache, die nur innerhalb der familie thema sein darf. dies vergrößert ihren Handlungsspiel-raum bei der Hilfesuche erheblich (vgl. tab. 34 im anhang).

Häusliche Gewalt ist verboten. Man kann die Polizei rufen: es gab in der nachher-Befragung kaum noch Kinder, die nicht verstanden oder akzeptiert hatten, dass häusliche gewalt verboten ist und in diesen fällen die Polizei zu Hilfe gerufen werden kann. diejenigen, die schon anfangs über die Strafbarkeit häuslicher gewalt Bescheid wussten, blieben auch in der nachher-Befragung mehrheitlich bei dieser Position. die eher Zweifelnden haben überwiegend ihre Meinung positiv verändert (vgl. tab. 35 im anhang).

35 Die Veränderungen zwischen der Vorher- und der nachher-Befragung erreichen statistische Signifikanz (Chi-Quadrat = 0,000).

die Befragungsergebnisse fielen je nach Konzeption und Zielsetzung der Präventions-projekte unterschiedlich aus. die Mädchen und Jungen haben nicht in allen Projekten gleiches bzw. gleich viel gelernt und ihre Haltungen überdacht und geändert. die ergebnisse können als ausgangspunkt für eine kritische Reflexion der Präventions-arbeit und eine Weiterentwicklung der Konzeptionen genutzt werden. Begonnen werden muss mit einer kritischen Betrachtung der Zielsetzung von Präventionspro-jekten. Sind Ziele nicht auf die Vermittlung von Kenntnissen zu häuslicher gewalt und den Möglichkeiten der Hilfesuche zugespitzt, dann bleibt das thema häusliche gewalt diffus, es fehlt an konkreter Wissensvermittlung. das gleiche kann passieren, wenn das thema so in allgemeine gewaltprävention eingebettet ist, dass es kein eigenes Profil bekommt.

auf der Basis dieser Befragung von Kindern können nur aussagen zu den ausgewähl-ten fragestellungen gemacht werden. Sie beziehen sich ausschließlich auf die thema-tik gewalt in der Beziehung der eltern und ausschließlich auf den kognitiven Bereich.

Ob die Mädchen und Jungen auf andere art und Weise – z. B. im emotionalen Bereich – von den Präventionsprojekten profitierten und / oder zu anderen facetten der ge-waltproblematik ihre Haltung veränderten und an Wissen gewannen, kann mit dieser untersuchung nicht beantwortet werden. Weitere forschung müsste untersuchen, ob die emotionale Beteiligung der Kinder einen kompetenzorientierten präventiven effekt jenseits der informationsorientierten ebene entfalten kann.

Weißt du, wer dir helfen könnte? am ende der Präventionsworkshops hatten mehr Kinder als vor Beginn eine Vorstellung davon, wer ihnen selbst im notfall helfen könn-te. diesem Ziel näherten sich die Projekte deutlich an. Kinder, die bereits zuvor eine Vorstellung hatten, wer ihnen im falle einer Konfrontation mit gewalt zwischen ihren eltern helfen könnte, blieben bei dieser aussage (vgl. tab. 40 im anhang). am ende sag-ten nur zehn von ihnen, dass sie es nun nicht wissen. umgekehrt gaben die Kinder, die anfangs keine angaben zu Hilfspersonen machen konnten, danach in großer anzahl eine solche Person an. auch hier sah die Befragung ein wichtiges Projektziel erreicht.

8.6 Fazit

die auswertungen der Vorher-Befragung und nachher-Befragung sowie der Vergleich der ergebnisse beider Befragungen zeigen überwiegend einen erfolg der evaluierten Präventionsprojekte. die Schülerinnen und Schüler haben in erheblichem Maße ge-lernt. dass sie selbst das Projekt als ein Modell des Lernens sehen, ist eine Bestätigung dafür, dass Schule ein geeigneter Rahmen für diese Präventionsarbeit ist.

die Kinder haben mehrheitlich ein Verständnis von häuslicher gewalt als einer gewalt in intimen Beziehungen erwachsener erworben und wissen, dass diese gewalt un-recht und strafbar ist. Mehrheitlich haben sie die Haltung angenommen, diese gewalt nicht als reine Privatsache oder als familiengeheimnis anzusehen, sondern sie wissen, dass sie andere Personen oder institutionen ansprechen und sich Hilfe holen dürfen.

im Rahmen einiger Projekte sind ihnen institutionelle anlaufstellen und unterstüt-zungsangebote vorgestellt worden oder sie haben sie in ihrer Stadt im Rahmen von info-Rallyes besucht. Sie haben Kenntnisse über das Hilfesystem erworben und informationen in form von Scheckkarten mit telefonnummern oder informationsbro-schüren bekommen. die Kinder haben auf diesem Weg an Handlungsmöglichkeiten bezogen auf hypothetische Situationen häuslicher gewalt gewonnen. Ob diese zum tragen kommen, falls sie tatsächlich mit gewalt zwischen ihren eltern konfrontiert werden, kann diese untersuchung nicht beantworten.

erfreulich ist, dass die große Mehrheit der Mädchen und Jungen sagen kann, an wen sie sich selbst in einer Situation häuslicher gewalt wenden würden. Überwiegend würden sie Personen ihrer familie und ihres näheren sozialen Bezugsrahmens anspre-chen. institutionen wie Polizei, Jugendamt oder Schulsozialarbeit sind in der Rangfolge der möglichen ansprechpartner aber gestiegen. Besondere Sorge müssen die Kinder bereiten, die angeben, keine ansprechperson oder Vertrauensperson in ihrem umkreis zu haben. Hier gilt es, weitere Strategien zu entwickeln, wie deren Situation verbessert werden kann. Lehrkräfte so auszubilden, dass sie Vertrauensperson sein können, wäre eine Möglichkeit. die Befragung zeigt, dass die Lehrpersonen an akzeptanz bei Kindern gewonnen haben. Hier kann weiter angesetzt werden. der einbezug von Lehrkräften und Schulsozialarbeit in die Präventionsworkshops sowie aufklärung für Schulperso-nal und eltern sind initiativen, die den präventiven ansatz über die Zielgruppe der Kin-der hinaus in ihr soziales umfeld und in die institution tragen. Hier geht die am Kind orientierte Prävention in strukturelle Prävention (Kavemann & grieger, 2006) über.

9.

Schlussfolgerungen