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Thema 2: Konflikte in familien und abgrenzung von häuslicher gewalt: Hier waren die Kinder aufgefordert, Streit in familien von gewalt abzugrenzen

2. Deutscher Kinderschutzbund (DKSB) Ulm: „Gegen Gewalt an Kindern – Gemeinsam für mehr Kinderschutz bei häuslicher Gewalt“

8.3 Ergebnisse der Vorher-Nachher-Befragung

Vier Wochen nach abschluss der Präventionsprojekte sollten die insgesamt 226 Kinder (137 Mädchen und 89 Jungen) mit nachher-fragebögen befragt werden (vgl. Kap. 4.2).

Zusätzlich zu den vergleichend angelegten fragen wurde erhoben, wie sie die Präventi-onsworkshops einschätzten und an welche inhalte sie sich erinnerten.

8.3.1 Akzeptanz der Präventionsworkshops

die ergebnisse können Schulen ermutigen, offensiv und gelassen das thema häusliche gewalt aufzugreifen. die Projekttage und Workshops wurden von den Kindern gut angenommen und die thematik war in ihren augen keine, über die nicht gesprochen werden kann. den meisten Kindern haben die Präventionsworkshops sogar Spaß gemacht. nur acht Kinder (3,5 %) sagten, dass ihnen die Workshops „nicht so gut“

gefallen haben. Sorgen von Projektdurchführenden, sie könnten die Kinder mit der thematik belasten oder überfordern, bewahrheiteten sich nicht. dies wird durch ein weiteres ergebnis der nachher-Befragung gestützt: Mehrheitlich (88,6 %) begrüßten sie es ganz dezidiert, dass ihnen die gelegenheit gegeben wurde, sich mit (häuslicher) gewalt zu befassen, sich damit auseinanderzusetzen und darüber zu lernen:

„Dann kann man wissen, wenn man es schon einmal erlebt hat, ob es dann, wenn sich die Eltern streiten, schlimm ist oder nicht so schlimm.“

„Dass man weiß, dass es nicht nur in meiner Familie Streit gibt, sondern auch in anderen Familien.“

„Dass man mal was darüber erfährt.“

„Weil wir aussprechen konnten, was wir fühlen.“

„Er hat deutlich mit uns darüber gesprochen“.

die meisten schätzten vor allem die praktischen Hinweise, wie sie sich in Situationen häuslicher gewalt verhalten und wo sie Hilfe finden könnten, andere betonten allge-mein den informationsgewinn, andere eher die aussprachemöglichkeit.

Bis auf elf Kinder hatten alle zu Hause von dem Projekt erzählt. einzelne erlebten es als gut, dass sie mit ihren eltern darüber reden konnten und auf unterstützung und Verständnis trafen. als positiv strichen sie hervor,

„dass die Mama mir zugehört hat, als ich das erzählt habe“,

„dass mein Vater alles erklärt hat“,

„dass Mama und Papa dann wussten, was ich gelernt habe“,

„dass die Mama nicht geschrieen hat“.

Was war nicht so gut? Jene acht Kinder, die angaben, dass sie etwas nicht so gut fanden, thematisierten nicht allein die emotionale Belastung durch die auseinander-setzung mit häuslicher gewalt, sondern nutzten hier die gelegenheit, ihren gewalt

Tabelle 19:

Warum glaubst du, möchten manche Kinder nicht darüber reden?

(Vergleich Vorher-nachher-Befragung) Tabelle 18:

Einstellungen zu häuslicher Gewalt (Vergleich Vorher-nachher- Befragung, n=200)

Gesamt vorher (N=200)

% Gesamt

nachher (N=200)

% Verände-rung

Weil sie angst haben, dass die anderen…

… dann schlecht über das Kind

und seine eltern denken 112 56,0 110 55,0 - 1,0 %

… es weitererzählen 111 55,5 108 54,0 - 1,5 %

Weil sie denken, dass das

niemand etwas angeht 74 37,0 36 18,0 - 19,0 %

Weil sie angst haben, dass die anderen …

… etwas tun, das das Kind

nicht möchte 31 15,5 51 25,5 + 10,0 %

… das Problem nicht verstehen 19 9,5 23 11,5 + 2,0 %

… nicht helfen 16 8,0 29 14,5 + 6,5 %

… dem Kind nicht glauben 13 6,5 22 11,0 + 4,5 %

… etwas anderes 8 4,0 10 5,0 + 1,0 %

Lehrkräfte wurden aber etwas stärker als zuvor als mögliche ansprechpartner in Betracht gezogen. es waren weniger als 20 %, die auf dem Standpunkt beharrten, Lehr-kräfte ginge so etwas nichts an. Kaum Veränderungen zeigt die analyse der annah-men, warum es für Kinder schwierig sein könnte, mit Lehrkräften über häusliche ge-walt zu reden (vgl. tab. 20). die Befürchtungen wurden aber dezidierter geäußert. die Kinder äußerten sich in der nachher-Befragung häufiger als bei der Vorher-Befragung, warum Kinder es schwierig finden könnten, mit Lehrkräften über häusliche gewalt zu sprechen. dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Befürchtungen, die Kinder ha-ben, in den Workshops thematisiert wurden und den befragten Mädchen und Jungen nun klarer sind. dass sich die ergebnisse nicht grundsätzlich von denen der Vorher-Befragung unterscheiden, ist mit großer Wahrscheinlichkeit damit zu erklären, dass die Projekte den Lehrkräften keine zentrale Rolle zugewiesen hatten. dies sollte sich im Verlauf des Projekts umkehren (vgl. Kap. 7.4), der Bedeutungswechsel konnte sich jedoch in diesen Befunden noch nicht abbilden.

Stimmt

Vorher zu Nachher

Stimmt eher nicht Vorher zu

Nachher

Stimmt gar nicht Vorher zu

Nachher gewalt zwischen eltern kann

in jeder familie vorkommen + 18,7 % - 14,3 % - 4,4 % es ist eine Sache der familie

und geht andere Leute nichts

an - 40,8 % + 15,6 % + 25,2 %

Häusliche gewalt ist ver-boten. Man kann die Polizei

rufen + 25,3 % - 16,7 % - 8,6 %

Wenn eltern sich schlagen, macht das den Kindern

nichts aus - 0,4 % - 7,0 % + 7,4 %

Lehrkräfte geht das nichts an - 23,6 % + 3,2 % + 20,4 %

die annahmen, die die Mädchen und Jungen hatten, warum Kinder nicht über häusli-che gewalt reden wollen, haben sich präzisiert (vgl. tab. 19). es waren deutlich weniger Kinder, die in der nachher-Befragung ganz allgemein antworteten, Kinder würden nicht darüber reden wollen, weil es niemanden etwas anginge (- 19 %). doch nach wie vor war die größte Befürchtung die vor sozialer Stigmatisierung, die mit gewalterle-ben einhergeht, dass andere schlecht über das Kind und seine familie denken bzw.

dass sie es weitererzählen könnten. daran änderten die Workshops nichts. gewachsen ist zudem die angst, dass etwas gegen den Willen der Kinder unternommen würde und sie nicht mehr einbezogen würden (+ 10 %). erwartungsunsicherheit (Seith 2006a), die schon die Zürcher Kinder sehr beschäftigte, konnte auch durch die Workshops nicht merklich abgebaut werden. Hierauf sollten künftige angebote stärkeres augenmerk richten.

[ teil 2 „endlich kommt jemand und macht etwas“ – Schulische Prävention häuslicher gewalt in Baden- Württemberg ] [ teil 2 „endlich kommt jemand und macht etwas“ – Schulische Prävention häuslicher gewalt in Baden- Württemberg ]

Tabelle 21:

Mit wem könnten die Schüler über Gewalt reden?

(Vergleich Vorher- und nachher-Befragung) Tabelle 20:

Manche Kinder finden es schwierig, mit Lehrern darüber zu reden.

Was glaubst du, wieso?

(Vorher-nachher-Vergleich, zwei gründe konnten angekreuzt werden)

einfach nicht so einfach schwierig

Gesamt

nachher Veränderung Gesamt

nachher Veränderung Gesamt

nachher Veränderung

Mutter 43,0 % + 0,6 % 29,6 % - 6,3 % 27,4 % + 5,7 %

Vater 26,1 % - 1,8 % 37,8 % - 2,7 % 36,0 % + 4,4 %

Schwester / Bruder 59,0 % + 10,3 % 26,3 % - 0,5 % 14,7 % - 4,2 %

großeltern 60,8 % + 6,4 % 30,2 % + 3,9 % 9,0 % - 4,6 %

freunde / freundinnen 38,3 % + 10,7 % 47,7 % + 11,3 % 14,0 % - 14,9 %

Lehrkräfte 33,6 % + 11,7 % 48,4 % + 13,3 % 18,0 % - 16,6 %

Sorgentelefon für Kinder 50,9 % + 21,1 % 31,7 % + 1,4 % 17,4 % - 14,6 %

Schulsozialarbeit 40,5 % + 23,8 % 40,9 % + 4,1 % 18,6 % - 15,6 %

Polizist / Polizistin 45,9 % + 24,0 % 32,7 % - 9,4 % 21,4 % - 8,0 %

Jugendamt 41,5 % + 24,4 % 33,2 % - 3,6 % 25,3 % - 12,4 %

Beratungsstelle (für Kinder) 60,2 % + 28,6 % 24,9 % - 11,1 % 14,9 % - 8,8 %

Weil sie... Gesamt

vorher (n=192)

Gesamt vorher

%

Gesamt nachher (n=197)

Gesamt nachher

%

Verände-rung

... dann etwas tun, das

man nicht will 97 50,5 112 56,9 + 6,4 %

... dann schlecht über die

familie reden 74 38,5 87 44,2 + 5,7 %

... nur für den unterricht

da sind 53 27,6 42 21,3 - 6,3 %

... einem nicht glauben 34 17,7 35 17,8 + 0,1 %

... einen dann bevorzugen 31 16,1 44 22,3 + 6,2 %

... einen dann schlecht

behandeln 19 9,9 21 10,7 + 0,8 %

anderes 18 9,4 17 8,6 - 0,8 %

Bei der frage nach möglichen ansprechpartnern für Kinder bei häuslicher gewalt war eine positive entwicklung zu sehen. es zeigte sich, dass durch die Präventionsprojekte bei den Kindern deutlich die ansicht gewachsen ist, dass sich Kinder bei häuslicher gewalt an außenstehende wenden können. den Vater anzusprechen wird nach wie vor als schwierig eingeschätzt, alle anderen Personen und einrichtungen haben in der Kategorie „einfach ansprechbar“ dazu gewonnen. Besonders stark haben institutio-nen wie Beratungsstellen (+28,6 %), die Polizei und das Jugendamt (jeweils +24 %) an akzeptanz gewonnen. auch Lehrkräfte wurden nun von einem drittel als ansprech-personen für Kinder gesehen. Schulsozialarbeit, die anfangs kaum eine Rolle spielte, wurde nun von über 40 % als Personen genannt, die anzusprechen eher einfach ist.

Offenbar wurde hier ein neuer eindruck von deren aufgaben vermittelt. großeltern und geschwister hatten nach wie vor die Position als am ehesten zugängliche Ver-trauenspersonen inne.

Tabelle 23:

Wenn du mit jemand sprechen würdest, mit wem?

(Vergleich Vorher- und nachher-Befragung, offene frage, Mehrfachantworten) Tabelle 22:

Wenn es dir passieren würde, würdest du mit jemandem darüber sprechen?

(Vergleich Vorher- und nachher-Befragung)

auch in der nachher-Befragung stellen die großeltern die wichtigsten ansprech-partner dar, wenn es um die Kinder selbst geht (vgl. tab. 23). familienangehörige zusammengefasst rangieren an erster Stelle, gefolgt von freundinnen und freunden.

Hier wurden überwiegend eigene freunde und freundinnen genannt, in einzelfällen aber auch „die nette freundin von meiner Mutter“. Häufig wurde auf „beste“ oder

„allerbeste“ freundinnen und freunde Bezug genommen, einige wurden mit namen benannt „mein bester freund Johannes“ oder es wurde ausgeführt „mit meiner besten freundin, sie würde es verstehen“. genannt wurde auch „mit meiner Mutter, weil ich ihr vertrauen kann und sie nicht leicht wütend wird“. familie und nahes soziales um-feld machen erwartungsgemäß den größten teil der ansprechpersonen aus. Lehrkräfte und die Polizei behielten ihren Platz 5 bzw. 6. das Jugendamt erfuhr durch die Projekte offensichtlich einen Vertrauenszuwachs.

einige der befragten Kinder deuteten einen Prozess des abwägens an, der bei familien angehörigen beginnt und danach außenstehende einbezieht: „Mit Verwand-ten und Oma und Opa, wenn es ganz schlimm ist mit der Schulsozialarbeiterin“ oder

„zuerst mit meinem Bruder, dann mit meiner tante und dann zur Polizei“. Vier Kinder waren ausgesprochen optimistisch und gehen davon aus, dass sie im notfall mit

„allen“ sprechen könnten.

Konkrete Person mit namen 8 12

Projekt / Projektträger 9 8

Sozialamt 9

-Sorgentelefon - 11

„Mit eigentlich allen“ - 12

Schulsozialarbeit - 13

Computer - 13

Wie hat sich die einschätzung der eigenen Handlungsmöglichkeit verändert?

die weitergehende frage war wie bereits in der Vorher-Befragung, ob die befragten Mädchen und Jungen sich selbst in einer entsprechenden Situation häuslicher gewalt an jemand anderes wenden und darüber sprechen würden. der anteil der Kinder, die sich sicher waren, dass sie mit jemandem sprechen würden, wenn sie selbst mit gewalt in der Beziehung ihrer eltern konfrontiert würden, war von 50 % auf 68,6 % gestiegen.

im unterschied zur Vorher-Befragung, bei der ein fünftel angab, dass sie nicht mit je-mandem darüber reden würden, waren es nach abschluss der Präventionsworkshops unter 10 % Kinder, die sich gegen das Reden entschieden haben.27

Zudem waren es auch weniger Kinder, die ihre eröffnung an andere Personen von den umständen abhängig machen würden. Offenbar konnten im Rahmen der Prä-ventionsprojekte Befürchtungen reduziert werden. gut ein Viertel (vorher) bzw. ein fünftel (nachher) der befragten Kinder wollte die entscheidung, ob sie mit jemandem sprechen würden, von den umständen abhängig machen; einige äußerten sich dazu, worauf es ihnen dabei ankommt. die Präventionsprojekte haben offenbar zur Klärung beigetragen, denn die antworten der Kinder in der nachher-Befragung konzentrieren sich auf zwei zentrale aspekte. Voraussetzung dafür, dass Kinder sich anvertrauen, ist und bleibt ein Vertrauensverhältnis28:

„Ich würde nicht mit allen sprechen.“

„Es muss eine Person sein, die es nicht weitererzählt.“

„Ich würde es nur tun, wenn ich dem, dem ich das erzähle, vertrauen kann.“

„... ob er mir auch richtig zuhört.“

„Vielleicht mit meiner Freundin. Die Eltern sind geschieden und sie erzählt mir viel über den Streit in der Familie.“

aber auch die abgrenzung, ob es sich um eine Situation handelt, die so ernst ist, dass man sie mit anderen besprechen sollte, beschäftigte die Kinder: Wann ist der Punkt erreicht, an dem es legitim ist, sich nach außen zu wenden? Wann ist eine auseinan-dersetzung noch in Ordnung? „Ob es ein heftiger Streit ist oder ein leichter“, „ob es sehr schlimm ist oder noch geht“, „wenn es ganz schlimm ist und es Verletzungen gibt“, „wenn es ganz schlimm ist, dann darf ich was sagen“, „wenn sie sich noch nicht schlagen, nur schimpfen, dann noch nicht“.

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27 nur wenige Kinder machten Angaben dazu, warum sie es nicht sagen würden (n=19). Die ge-ringe Anzahl der antwortenden Kinder lässt nur sehr begrenzte Schlüsse aus dieser Gegenüber-stellung zu. Dennoch ist die Tendenz interessant.

Die Sorge, dass andere weitererzählen würden, was Kinder ihnen über häusliche Gewalt anver-trauen, wurde durch die Präventionsprojekte bei einigen Kindern reduziert. Auch ist bei einigen die Angst vor Konsequenzen gemindert worden.

Dieser Aspekt sollte im Rahmen weiterer quali-tativer Forschung genauer geklärt werden.

28 Wie auch in der Vorher-Befragung antworteten Kinder auf die Frage, wie Kinder allgemein sich verhalten sollten, öfters damit, wie sie selbst sich verhalten würden.

[ teil 2 „endlich kommt jemand und macht etwas“ – Schulische Prävention häuslicher gewalt in Baden- Württemberg ] [ teil 2 „endlich kommt jemand und macht etwas“ – Schulische Prävention häuslicher gewalt in Baden- Württemberg ]

Tabelle 25:

Habt ihr über Streit in der Familie gesprochen?

(Vorher-nachher-Vergleich, auf Projekte bezogen, n=218) Tabelle 24:

Weißt du, wer dir helfen könnte?

(Vergleich Vorher-nachher-Befragung)

8.4 Vorher-Nachher-Befragung differenziert nach Konzeption der