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Die Konfliktlage im Jahr 1578 - Entwicklung des Unitarismus in Polen bis zum Auftreten Fausto Sozzinis Auftreten Fausto Sozzinis

Im Dokument Lutherische Metaphysik im Streit (Seite 102-107)

A. Der Sozinianismus – Gestaltwerdung und Lehrbegriff 1. Italien im Reformationsjahrhundert

6. Die reformatorische Bewegung in Polen

6.5 Die Konfliktlage im Jahr 1578 - Entwicklung des Unitarismus in Polen bis zum Auftreten Fausto Sozzinis Auftreten Fausto Sozzinis

Es sollte sich erweisen, dass die Ecclesia Minor ihre dogmatische 'Geschlossenheit' lediglich aus der Ablehnung des kirchlichen Dogmas gewann. Abgeschlossen war die dogmatische Entwicklung noch lange nicht.

Bis zum Auftreten von Fausto Sozzini zersplitterte die Ecclesia Minor in Fragen der Gotteslehre, der Christologie bzw. der Anbetung Christi, aber auch in Fragen des sozialen Lebens und der Taufpraxis, in einzelne sich radikalisierende Gruppierungen. Verstärkt wurden diese Sonderungen durch den Druck, der kirchlich und politisch gegen die Ecclesia Minor aufgebaut wurde.

Trotz ihrer dogmatischen Dissense war die Bewegung aber weiterhin attraktiv und vor allem gestaltungskräftig. Dies wird durch die Gründung von Rakow im Jahr 1569 dokumentiert, einer Tat von herausragender Bedeutung für die Bildung der kirchlichen Gemeinschaft der Ecclesia Minor.

Gründer der Stadt war der tolerant-reformierte, zum Antitrinitarismus hinneigende Magnat Jan Sieninski. Er benannte die Stadt nach dem Familienwappen seiner Gemahlin (rak=Krebs). Die auf unbearbeitetem Land gegründete Ansiedlung wuchs bald zur Stadt und erblühte als theologisches Zentrum; es herrschte Gütergemeinschaft. Das reformierte Element trat bald in den Hintergrund, da die Stadt zum Sammelort der Antitrinitarier wurde. Nach Williams vollzog sich in Rakow ein antitrinitarisches, täuferisches 'kommunalistisches' Experiment unter der Führung von Gregor Pauli431.

Die Entwicklung der 'praesozinianischen' Gemeinde nahm nach der Gründung Rakows einen raschen Aufschwung: In den 70er Jahren verbreitete sich das Gedankengut der Ecclesia Minor verstärkt auch in

429 Die Synode war geprägt von Disputationen und Kontroversen: Auf Seiten der offiziellen reformierten Kirche standen Sarnicki und Tretius, auf Seiten der Radikalen die Prediger Stanislas Lutomirski

(Superintendent), Gregor Pauli (als Anführer), Georg Schomann und die für die spätere Geschichte der

präsozinianischen Gemeinde bedeutenden polnischen Adligen Johann Niemojewski (Nemojevius) und Nicholas Sienicki.

430 Beleg bei Williams (Radical Reformation), S. 668.

431 Vgl. dazu Williams (Radical Reformation), S. 698-703 ("communal experiment").

höheren Kreisen, adlige Mitglieder der Ecclesia Maior verkauften ihre Güter und wechselten in das radikale Lager über432. Als zweites Zentrum neben Rakow etablierte sich das in Entsprechung zu Rakow gegründete Luclawice.

Ab 1575 gab es eine Buchdruckerei in Rakow, nachdem Alexius Radecke seine Offizin von Krakau nach Rakow verlegt hatte.

Einige Fortschritte gelangen auch bei der Klärung und Vereinheitlichung der Lehre. 1574 wurde mit Druckort noch in Krakau der erste Rakower

"Katechismus" als Glaubensbekenntnis veröffentlicht433, die "Catechesis et confessio fidei, coetus per Poloniam congragati, in nomine Jesu Christi, Domini nostri crucifixi et resuscitati". Sein Autor war Georg Schoman, der 1572 getaufte Laienälteste der Gemeinde. Vom schlicht negierenden Antitrinitarismus war die Gemeinde zur 'positiven' Formulierung durchgedrungen, dass Christus sein dreifaches Amt als Mensch und als adoptierter Sohn Gottes versehen hat434. Insgesamt aber ließ die allgemein-unpräzise Ausdrucksweise im Katechismus die Lehrdifferenzen in der Anhängerschaft unentschieden.

Im Folgenden werden die wichtigsten Lehrauseinandersetzungen innerhalb der Ecclesia Minor ansatzweise vorgestellt435, um einen Eindruck von den dogmatischen Divergenzen und der Aufgabe, die vor Fausto Sozzini liegen sollte, zu vermitteln.

6.5.1 Tauffrage

In der Tauffrage436 dominierte von 1565 an die streng täuferische Partei. In Entsprechung zu dem spiritualistischen Charakter der neugegründeten Gemeinde wurde 1570 als wichtigster Ritus der Gemeinde die öffentliche Erwachsenentaufe durch Untertauchen eingeführt - der Täufling sollte im Untertauchen der Welt sterben und im Auftauchen mit Christus im Glauben auferstehen. Ungeklärt blieb jedoch, ob der rituelle Vorgang als ein effektives oder demonstrativ-allegorisches Geschehen zu verstehen sei. Im Extrem standen programmatische 'Eintaucher'437 gegen solche, die die Unterlassung der Taufhandlung forderten, da sie als bloßer äußerer Ritus für das Heil des Christen ohne Bedeutung sei; zusätzlich zu diesen Gruppen gab es auch noch Befürworter der Kindertaufe. In der Mitte der 1570er Jahre flammte die Kontroverse heftig auf; eine verbindliche Lehrklärung wurde vor Fausto Sozzinis Auftritt nicht erreicht.

6.5.2 Amtsverständnis

In der Frage der Begründung des Amtes war die Haltung in den Anfangsjahren typisch spiritualistisch: ein Amtsverständnis im Sinn des übertragenen Amtes gab es nicht; Inspirierte, auch Unordinierte, wurden als

432 Williams (Radical Reformation), S. 697 und 693.

433 Dazu etwa Williams (Radical Reformation), S. 703-707.

434 Bei Williams (Radical Reformation), S. 703-706 Referat der Inhalte.

435 Vgl. dazu Williams (Radical Reformation), S. 685-707 (Chapter 27: The Antipedobaptist, Anti-Nicene Minor Church, 1565-1572) und S. 733-763 (Chapter 29: Sectarianism and Spiritualism in Poland, 1572-1582).

436 Zur Taufkontroverse vgl Williams (Radical Reformation), S. 757-763.

437 Etwa der Adlige Johannes Niemojewski (1526/1530-1596), ein wichtiger Apologet der Bewegung.

Orakel des Gotteswillens anerkannt. Dagegen stand das durch Budny repräsentierte konservative Element. Er wandte sich gegen die Auflösung der Ordnungen im Gegenüber von Kleriker und Laien.

6.5.3 Obrigkeit und politisches Amt

Von besonderer Brisanz war das Problem der Haltung der Ecclesia Minor zur sozialen und politischen Ordnung. Betroffen waren in erster Linie ihre adligen Mitglieder, tangierte doch diese Frage die aus der Mitgliedschaft in der Schlachta überkommenen Verpflichtungen gegenüber dem Staat438. Hier geriet die Gemeinschaft unter starken äußeren Druck, als adlige Polnische Brüder die Teilnahme am sogenannten Livornischen Krieg (1569-1572) mit Hinweis auf ihren prinzipiellen Pazifismus verweigerten. Aber auch innerhalb der polnischen Brüderschaft riss der Konflikt Gräben auf, da sie auch aktive Soldaten, etwa einen General Cikowski, zu ihren Mitgliedern zählte. Die Spannungen entluden sich in der Kontroverse über den Schwertgebrauch (1572-1575), die die Ecclesia Minor fast zerrissen hätte.

Als Wortführer standen sich auf der einen Seite die radikal kommunitarischen Pazifisten Pauli und Czechowicz und auf der anderen Palaeologus und Budny als Vertreter der konservativ-staatsbejahenden Haltung gegenüber.

Im August 1572 verfasste Jacob Palaeologus die in ihrer Ausrichtung konservative "Defensio verae sententiae de magistratu politico": Es sei die selbstverständliche Pflicht des Christen, am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Der griechische Dominikaner Jacob Palaeologus (ca. 1520 auf Chio – 1585/Rom) vertrat seit Beginn der 1550er Jahre öffentlich eine humanistisch-universalistische Erlösungslehre.

1559 floh er vor der Inquisition aus Rom. Zuerst hielt sich Palaeologus ab 1562 in Mähren auf, 1573 ging er nach Siebenbürgen (Kolozsvár), von wo er durch Biandrata vertrieben wurde. 1574 war er in Heltau, wo er eine allegorische "Disputatio scholastica" verfaßte, in der er historische Personen Religionsfragen diskutieren ließ. Von ihm stammt auch die Catechesis Christiana, ein Kompendium der antitrinitarischen Theologie. Andere Werke dieser Periode, wie etwa 'De providentia, De peccato originali, An omnes ab uno Adamo descenderint?' (1573), zeigen ihn als umfassend gebildeten Theologen. 1575 siedelte er erneut nach Polen über, ohne sich weiter an theologischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Später ging er nach Mähren, wo er 1581 auf Befehl des Bischofs von Olmütz verhaftet wurde. 1585 wurde er in Rom als abtrünniger Dominikaner exekutiert. Stanislas Kot hält ihn für den originellsten und kühnsten Denker der antitrinitarischen Bewegung439.

Für die pazifistische Mehrheit der polnischen Brüderschaft in Rakow antwortete Gregor Pauli noch 1572440: Da sich für den Christen politische Rücksichtnahme auf irgendwelche Zeitumstände verbiete, sei ein radikaler Pazifismus geboten441. Paleologus' Antwort vom August 1573, die argumentationsstärkste Schrift der Kontroverse, war eine

438 Vgl. zu dieser Frage in Gottfried Schramms Forschungsüberblick 'Antitrinitarier in Polen, 1556-1658', BHR XXI (1959), S. 473-511 die Seiten 504-505.

439 Kot, Stanislaw: Socinianism in Poland. (Transl. from the Polish by E.M. Wilbur) Boston 1957, S. 53.

440 Pauli, Gregor: Adversus Jacobi Palaeologi de bello sententiam Responsio. Rakow 1572.

441 Ein Nebenproblem entstand natürlich dann mit der Behauptung, der Bann der Rakower sei intolerant;

dazu Kot (Socinianism), S. 56-60.

Generalwiderlegung der Rakower Position442. Unterstützung für seine Haltung fand er bei Budny und Stanislas Budzinski, der explizit gegen Pauli politische Rücksichtnahme empfahl.

6.5.4 Haltung gegenüber nicht-christlichen Religionen

Eine weitere Kontroverse entstand über die Frage der Toleranz gegenüber nicht-christlichen Religionen443. Budny und Palaeologus444 befürworteten eine universalistische Toleranz zwischen allen Glaubensgemeinschaften.

Ihnen gegenüber standen wiederum Czechowicz und Gregor Pauli, welche die Superiorität des Christentums, besonders der eigenen Gemeinschaft, herausstellten und daraus auch den Auftrag ableiteten, missionarisch tätig zu werden.

6.5.5 Gotteslehre und Christologie

Schließlich hatten sich auch hinter der Fassade der einmütigen Ablehnung der kirchlichen Trinitätslehre in der Gotteslehre und Christologie drei Fraktionen gebildet: Erstens gab es eine Gruppe von Tritheisten, die weiterhin, nun aber in äquivoker Weise, das nizänische Vokabular nutzten und Vater, Sohn und Hl. Geist als drei selbständige ewige Personen von göttlicher Natur verstanden. Dieser Auffassung entgegen standen die Ditheisten, die den Hl. Geist nicht als Person betrachteten; ihre Gotteslehre bzw. Christologie war von arianischer Tendenz, sofern sie von der 'untergeordneten Präexistenz' Christi sprachen445. Eine konsequent unitarische Gruppe verneinte die wesentliche Gottheit Christi und damit seine Präexistenz. Das Dasein des wesentlichen Menschen Jesus beginnt mit seiner Geburt; dieser Mensch ist seit seiner Erhöhung göttlich zu verehren446. Die noch radikaleren 'Non-Adoranten', die besonders unter den transsylvanischen Unitariern und in der Litauer Brüderschaft stark vertreten waren, leugneten Christi göttliche Art und Anbetungswürdigkeit überhaupt.

Diese letzte Gruppe wurde zwar vom Gros der Antitrinitarier bekämpft, besaß jedoch unter ihren Führern mit dem Litauer Simon Budny und Franz Davidis in Siebenbürgen447 bedeutende Persönlichkeiten.

442 Paleologus, Jacob: Ad scriptum fratrum Racoviensium de bello et judiciis forensibus Responsio. Krakau 1573.

443 Dazu Williams (Radical Reformation), S. 740-743.

444 Palaeologus' wichtigste Schrift und überhaupt der bedeutendste Beitrag in dieser Frage ist sein 'De tribus gentibus', erschienen 1572 in Krakau.

445 Zu ihnen zählten einflussreiche Mitglieder der Kirche wie Gonesius, Joh. Niemojewski und Martin Czechowicz. Die ditheistische Ansicht Stanislaus Farnowskis (Farnovius) konstituierte sich mit der Synode von Skrzynno 1567 sogar als eigene Splittergruppe, die sich bis zu dessen Tod (1617) hielt. Zu den Schriften Farnovskis vgl. Williams (Radical Reformation), S. 647; im Weiteren auch S. 694 und 747.

446 Zu diesem unitarischen Zentrum zählten Gregor Pauli und Georg Schoman.

447 Zu den Ereignissen in Siebenbürgen vgl. unten S. 96-98.

6.5.5.1 Non-Adorantismuskontroverse in Polen

Die Kontroverse um die Anbetung Christi lohnt die Vertiefung448, überlagern sich in ihr doch dogmatische und kirchenpolitische Überlegungen. Die Anbetung Christi zu verneinen, folgte für die Nonadoranten konsequent aus der Ablehnung der übernatürlichen Geburt Christi. Nachdem litauische Antitrinitarier, unter ihnen Budny, Mitte der 1570er Jahre nach Rakow übergesiedelt waren, fürchteten nun die 'christozentrischen' Anführer der Kleinpolen, als Juden gebrandmarkt zu werden und damit den Schutz der 'pax dissidentium' zu verlieren. Die harsche Zurückweisung des Nonadorantismus durch die Rakower verursachte erste Friktionen zwischen der Litauer Brüderschaft und den 'christozentrischen' polnischen Brüdern in Rakow449.

Exemplarisch für diese Auseinandersetzung ist die Affaire Budny.

1574 gab Budny eine 'kritische' Edition des NT heraus; sie war von solchen Schriftstellen 'gesäubert', die nach Überzeugung Budnys allein zu dem Zweck, die philosophische Doktrin der Trinitarier zu stützen, später interpoliert wurden. Gegen dieses Vorgehen und Budnys Begründung erhob sich der Widerspruch der kleinpolnischen Ditheisten und Arianer wie Gonesius, Czechowicz oder Farnowski, die an der Präexistenz des Wortes und der Göttlichkeit Christi festhielten; Budny warfen sie vor, er sei eigentlich ein Jude. Dieser wiederum verwahrte sich gegen den Vorwurf in der Schrift "De principalibus fidei christianae articulis" von 1576450.

Budnys Nonadorantismus war unter den polnischen Brüdern nicht mehrheitsfähig;

überhaupt irrlichterte er mit seinen Lehraussagen im Randbereich des in der Ecclesia Minor dogmatisch Zulässigen: So wurde Budny zwar 1578 getauft; das befreite ihn aber nicht von dem Vorwurf, er sei ein Neo-Israelit und vertrete eine ebionitische Christologie. 1582, als sich Fausto Sozzini bereits vier Jahre in den Kreisen der Ecclesia Minor aufhielt, wurde Budny auf der Synode zu Luclawice abgesetzt, näherte sich dann später aber wieder der herrschenden Partei an.

6.5.6 Die Lage um 1578

Um ein knappes Fazit zu ziehen: 1578 war die Rakower Kolonie gespalten in die christozentrischen, sektiererischen, pazifistischen Rakowianer, denen die nonadorantistischen, staatstreuen, universalistischen Budnyisten gegenüberstanden451. Quer zu dieser Frontlinie sorgte der aristokratische Konservativismus der Mehrheit ihrer Mitglieder für zusätzliche Reibung.

Unter äußeren Druck geriet die Gemeinschaft wegen des die Staatspflichten negierenden Pazifismus mancher ihrer adligen Mitglieder; die litauische Brüderschaft zog den Verdacht des Judaismus auf sich, da sie das Abendmahl mit dem Kiddusch/Passah-Mahl identifizierte. So erhielten die Litauer in der großkirchlichen Öffentlichkeit den Schimpfnamen 'Verräter' und 'Juden', die Polen 'Arianer'.

448 Dazu Williams (Radical Reformation), S. 738-740.

449 Zum endgültigen Bruch vgl. unten S. 102.

450 Aufgrund ihres Bezuges zur Frage des Psychopannychismus gilt diese Schrift als Indiz für den Einfluß der italienischen Antitrinitarier.

451 Für die Ereignisse der Zeit von 1574 bis 1578, der Ankunft von Fausto Sozzini vgl. Williams (Radical Reformation), S. 746-749.

1579 nahmen die Rakower Verbindungen zu Fausto Sozzini auf, weil sie Bundesgenossen gegen die Budnyisten suchten. Fausto Sozzini sollte dann den Pazifismus und die Frömmigkeit der Rakower mit dem spiritualistischen Universalismus der Budnyisten verbinden und den sozinianischen evangelistischen Rationalismus als neue Synthese schaffen.

Im Dokument Lutherische Metaphysik im Streit (Seite 102-107)

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