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Die Unruhe des italienischen Dissidententums in der Schweiz, dargestellt am Beispiel ausgewählter Biographien ausgewählter Biographien

Im Dokument Lutherische Metaphysik im Streit (Seite 61-64)

A. Der Sozinianismus – Gestaltwerdung und Lehrbegriff 1. Italien im Reformationsjahrhundert

3. Die italienischen Häretiker in der Schweiz 1 Historische Rahmendaten 1 Historische Rahmendaten

3.3 Die Unruhe des italienischen Dissidententums in der Schweiz, dargestellt am Beispiel ausgewählter Biographien ausgewählter Biographien

3.3.1 Gribaldi, Matteo Mofa

Gribaldi265 (1505? - 1564) hatte Jura bei Mariano Sozzini d.J. studiert und auf diesem Wege Bekanntschaft mit Lelio und dessen Brüdern geschlossen. Er unterrichtete in Perugia, in Padua und an mehreren französischen Universitäten, unter anderem in Grenoble. Er war begütert und erwarb spätestens 1535 das im bernischen Pays de Gex, 30 Kilometer von Genf entfernt gelegene Schloß Farges. Von der Verurteilung Servets erfuhr er in Padua, seinem damaligen Lehrort, wo Lelio Sozzini sein Gast war. Gribaldi protestierte gegen die Hinrichtung Servets durch eine anonyme 'Apologia pro Serveto', die er in handschriftlicher Form nach Basel gebracht hatte, wo sie von Curione korrigiert wurde. "Die kurze Schrift verteidigt Servet, klagt Calvin an und bezeichnet die Toleranz als die Mitte des Evangeliums."266 In Genf gab er im September 1554 in der Kirche der Italiener seine kritischen Ansichten über die Trinität offen zu erkennen. Nach Padua zurückgekehrt wurde die Inquisition auf ihn aufmerksam. Auf Anregung Amerbachs267 bot Herzog Christoph von Württemberg ihm einen Lehrstuhl an der Universität Tübingen an. Auf dem Weg dorthin begegnete Gribaldi Calvin im Sommer 1555. Calvin verweigerte den Gruß mit der Begründung, er "wolle nicht mit Konventionen anfangen, bevor man sich nicht in der Lehre geeinigt habe."268

In Tübingen war seine Lehrtätigkeit derart erfolgreich, dass Melanchthon empfahl, man solle Gribaldis wegen in Tübingen Jura studieren. Auf Betreiben der Genfer, denen zu Ohren gekommen war, dass Gribaldis Ideen sich in Polen verbreiteten, aber auch auf kritische Äußerungen Vergerios und die Intervention des Bruders von Herzog Christoph hin, Graf Georg von Mömpelgard, musste sich Gribaldi 1557 vor dem Herzog verantworten. Der Herzog verlangte daraufhin von Gribaldi ein Bekenntnis zum

261 Cantimori (Häretiker), S. 193.

262 Vgl. im Anschluss S. 50 (zu Gribaldi).

263 Dazu unten S. 58.

264 Cantimori (Häretiker), S. 194.

265 Vgl. dazu auch Williams (Radical Reformation), S. 622-627 und Cantimori (Häretiker), S. 193-203 (Kap. 19: Gribaldi in Genf und seine rationalistische Kritk an der Trinitätslehre; seine Berufung nach Tübingen;

sein Prozeß und sein Weggang von Tübingen).

266 Welti (Italien), S. 97.

267 Bonifatius Amerbach (1495/Basel – 1562/Basel) war ein stark durch die antike Moralphilosophie (Prinzip der aequitas, Billigkeit) geprägter Vertreter der humanistischen Jurisprudenz. Der Freund und Vertraute Erasmus' von Rotterdam wurde durch Martin Bucer für die Reformation gewonnen, zu der er sich dann ab 1534 öffentlich durch seine Teilnahme am Abendmahl bekannte.

268 Welti (Italien), S. 98.

athanasianischen Credo269. Gribaldi floh, verfolgt auch durch einen Prozess, den der Rat Berns im Jahr 1558 gegen ihn angestrengt hatte, schließlich nach Farges; seine in Tübingen zurückgelassenen Papiere wurden untersucht. Eine Analyse seiner Schrift 'Religionis christianae progymnasmata' zeigt, dass er "einem Tritheismus anhing, der letztlich im Dienste eines emanatistischen Monotheismus stand."270 Gribaldi wurde in Farges verhaftet und unterschrieb ein orthodoxes Glaubensbekenntnis. Dieses Glaubensbekenntnis, mit dem Gribaldi versuchte, sich als geläutert darzustellen, überbrachte Lelio Sozzini persönlich dem akademischen Senat von Tübingen; er blieb aber verdächtig, denn sein Glaubensbekenntnis galt als unaufrichtig. Gribaldi hielt sich danach bis zu seinem Tod in Farges auf.

3.3.2 Gentile, Valentino

Valentino Gentile271 (unbekannt - 1566) ist ein antitrinitarischer Freund Gribaldis. Er kam 1557 aus Italien nach Genf. Im Mai 1558 verlangte Calvin, wie erwähnt, von allen Mitgliedern der italienischen Kirche die Zustimmung zu einem 'streng' trinitarischen Glaubensbekenntnis. Gentile zögerte zuerst mit der Unterschrift, unterschrieb aber dann doch. Später wurde er wegen Thesen zur Gotteslehre denunziert, die in vertrauter Formulierung bei den Sozzini wiederkehren: Allein der Vater sei Gott, und dieser habe seine Gottheit auf den Sohn übertragen; grundsätzlich müsse man "eine qualitative Präeminenz Gottes über Christus fest()legen"272. Die Trinitätslehre aus der Schrift zu belegen sei unmöglich, da in der Bibel verbaliter nichts von Trinität, Person, Essenz oder Hypostasen stehe. Im Verhör unterwarf Gentile sich erneut, floh aber aus Genf nach Farges zu Gribaldi. Bald danach verbreitete Gentile seine alten Ideen wieder. Er ging nach Lyon, wo er eine kurze Schrift mit dem Titel 'Antidota' zu veröffentlichen suchte. In dieser polemisierte Gentile Punkt für Punkt gegen das Trinitätskapitel von Calvins Institutio. Zur Veröffentlichung gelangte ein antitrinitarisches Glaubensbekenntnis, das Gentile in Lyon drucken ließ. Auf die Publikation des Glaubensbekenntnisses erfolgte eine scharfe Widerlegung Calvins. Die 'Impietas Valentini Gentilis' (Genf 1561), die auch andere Schriften Gentiles einbezog, verfolgte die Absicht, Gentiles theologische Position gegenüber Katholiken und Protestanten zweifelsfrei als Antitrinitarismus zu markieren.

Calvins Schrift ließ es Gentile angezeigt erscheinen, sich einen anderen Aufenthaltsort zu suchen. So ging er im Sommer 1563 von Farges nach Polen in die Umgebung von Biandrata. Von dort wurde er durch die 1564 vom Reichstag von Piotrkow erlassene Erneuerung des Edikts von Parczow vertrieben273 und zog Anfang 1565 über Mähren und Österreich wieder ins Pays de Gex zurück. Dort verlor er sich in phantastischen und illusionären Vorstellungen. Er lud alle protestantischen Theologen Frankreichs und Savoyens zu einer Disputation über die Trinität ein. Diese Disputation sollte unter der Vorgabe stattfinden, dass der Verlierer hingerichtet wird. Gentile wurde erneut verhaftet, diesmal durch die bernischen Behörden. Er versuchte, sich nicht als Gegner der Trinität, sondern als Bestreiter von Calvins unrichtiger Interpretation der Trinität darzustellen und auf diese Weise den latenten theologischen Gegensatz zwischen Bern und Genf auszunutzen. Das war jedoch ein nutzloses Unterfangen. Gentile wurde u.a. der Lästerung der Trinität, der Verleumdung der reformierten Kirchen und des Eidbruchs angeklagt und schuldig gesprochen. Ohne dass großes Aufsehen entstanden wäre, anders als noch gut zehn Jahre früher bei Servet, wurde Gentile im September 1566 in Bern enthauptet.

269 Zu den Umständen der Untersuchung s. Welti (Italien), S. 98.

270 Welti (Italien), S. 98. Inhaltswiedergabe und theologische Bewertung seiner Schrift bei Cantimori (Häretiker), S. 200-203.

271 Vgl. dazu auch Williams (Radical Reformation), S. 635-638 und Cantimori (Häretiker), S. 216-221 (Kap. 20: Valentino Gentile und sein Genfer Prozeß).

272 Welti (Italien), S. 98.

273 Vgl. unten S. 90.

3.3.3 Biandrata, Giorgio

Eine eminent wichtige Person für den Verlauf der Geschichte des italienischen und später des polnischen Antitrinitarismus ist der Mediziner Giorgio Biandrata274 (1515-ca. 1590).

Biandrata wandte sich 1542, als mehrere Mitglieder seiner Familie aus Italien auswanderten, nach Polen. Dort wurde er der Leibarzt der polnischen Königin Bona, einer Italienerin, der Gemahlin Sigismunds. Die gleiche Stellung hatte er bei der Witwe des Fürsten Zapolya in Siebenbürgen inne. Von 1554-1556 lehrte er, nun berühmt geworden, in Pavia, wurde aber durch die Inquisition zur Flucht gezwungen und siedelte 1556 nach Genf über. Dort verhielt er sich anfänglich ruhig und bekleidete eine hohe Position in der italienischen Gemeinde, war er doch als Arzt geschätzt. Seine ersten Zweifelsfragen richtete er an Celso Martinengo, den Pfarrer der reformierten italienischen Exilgemeinde, über die Gottheit Christi. Martinengo durchschaute die Motivation und die antitrinitarische Stoßrichtung der Fragen und wies Biandrata ab. Nachdem dieser Ende 1556 das Bürgerrecht von Genf erhalten hatte, begann er nun, auf solche Weise abgesichert, seine Fragen direkt an Calvin zu stellen. Calvin antwortete geduldig, obwohl er das intellektuelle Spiel des Italieners durchschaute und diesem auch vorwarf. Zum Bruch kam es aber erst,

"als Biandrata einen völlig undiplomatischen Schritt von ihm verlangte, nämlich die Verurteilung aller von ihm (= Calvin) abweichenden Lehren."275 Biandrata floh zu Gribaldi nach Farges, ging von dort nach Bern, hielt sich aber auch in Zürich und Basel auf;

schließlich wich er im Herbst 1558 nach Polen aus. Dort wurde er zum Vorsteher der kleinpolnischen reformierten Gemeinden ernannt276. 1563 berief ihn Johann Sigismund Zapolya II., der ihn als den Leibarzt seiner Mutter kennengelernt hatte, an seinen Hof.

Unter seinem Einfluss wurde in Siebenbürgen das antitrinitarische Bekenntnis, für kurze Zeit freilich nur, staatlich legitimiert. Neben Fausto Sozzini ist er der wichtigste Italiener der antitrinitarischen Bewegung in Polen.

274 Vgl. dazu auch Williams (Radical Reformation), S. 634f. und 658-661 sowie Cantimori (Häretiker), S.

203-216 und S. 301-311.

275 Welti (Italien), S. 100.

276 Über die Geschichte des Bruches zwischen der reformierten Ecclesia Maior und der antitrinitarischen Ecclesia Minor und Biandratas Rolle dabei vgl. unten S. 88f.

4. Lelio Sozzini

Im Dokument Lutherische Metaphysik im Streit (Seite 61-64)

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