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Das Kompetenzstufenmodell zu den Bildungsstandards im Bereich Lesen im Fach

interdisziplinärer Kooperation

4 Die Entwicklung integrierter Kompetenzstufenmodelle .1 Bildungspolitische Hintergründe der Entwicklung integrierter

4.3 Das Kompetenzstufenmodell zu den Bildungsstandards im Bereich Lesen im Fach

Um beispielhaft illustrieren zu können, was die Entwicklung integrierter Kom-petenzstufenmodelle inhaltlich konkret bedeutet, möchten wir nachfolgend die drei unteren Stufen (Ia bis II) des iKSM für den Hauptschulabschluss und den Mittleren Schulabschluss für den Kompetenzbereich Lesen und die Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf die Stufen des iKSM vorstellen. Für die drei ausgewählten Kompetenzstufen wird beschrieben, welche Anforderungen jeweils als zentral und prototypisch erachtet werden können (vgl. IQB 2014).

4 Der Bereich des Regelstandards ist jeweils grau hinterlegt.

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Kompetenzstufe Ia: Lokalisieren und Wiedergeben prominenter Einzelinformationen5

Schülerinnen und Schülern auf der untersten Kompetenzstufe gelingt es, Einzel-informationen im Text zu lokalisieren und zu verarbeiten. Dies wird vor allem dann bewältigt, wenn diese Informationen in strukturell einfachen und kurzen Texten auffällig platziert sind, etwa wenn sie grafisch hervorgehoben wurden oder zu Beginn oder am Ende von Absätzen stehen. Darüber hinaus können vereinzelt zentrale Einzelinformationen auf der Basis von bereits vorhandenem Welt- und Sprachwissen miteinander verknüpft werden. Bei strukturell einfachen und kurzen Texten gelingt auf dieser Kompetenzstufe auch die Identifizierung des Textthemas, sofern die Bearbeitung dieser Aufgabe durch ein geschlossenes Format erleichtert wird. Längere, komplexere Texte können hingegen auf dieser Kompetenzstufe lediglich auf das Vorhandensein einzelner Informationen hin durchsucht werden, der Aufbau lokaler Kohärenz gelingt jedoch noch nicht.

Schülerinnen und Schüler auf dieser Kompetenzstufe bewältigen überwiegend Aufgaben, bei denen sie aus vorgegebenen Antwortmöglichkeiten die richtige Ant-wort auswählen müssen, wobei die Distraktoren der gesuchten Information über-wiegend nicht ähneln. Seltener gelöst werden Aufgaben, die Kurzantworten – z. B.

Zahlen, Daten, Eigennamen und einzelne Wörter – erfordern, sowie Aufgaben, bei denen Antworten eigenständig formuliert werden müssen.

Schülerinnen und Schüler auf dieser Kompetenzstufe verfehlen deutlich die Vorgaben, die in den Bildungsstandards der KMK im Bereich Lesen festgelegt sind. Dies gilt sowohl für die Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss als auch für die Bildungsstandards für den Mittleren Schulabschluss. Die Kom-petenzstufe Ia beschreibt dementsprechend ein Leistungsniveau, auf dem auch das Bildungsminimum im Sinne des Mindeststandards noch nicht erreicht wird.

Kompetenzstufe Ib: Benachbarte Informationen miteinander verknüpfen

Schülerinnen und Schüler auf Kompetenzstufe Ib sind in der Lage, lokale Kohärenz zwischen benachbarten und für das Textverständnis zentralen Einzelinformationen aufzubauen. Verstreute Einzelinformationen können in wenigen Fällen miteinander verknüpft werden, sodass der Aufbau globaler Kohärenz ansatzweise gelingt.

5 Die Beschreibungen der Kompetenzstufen entstammen dem unter https://www.iqb.

hu-berlin.de/bista/ksm verfügbaren Dokument: „Integriertes Kompetenzstufenmodell zu den Bildungsstandards für den Hauptschulabschluss und den Mittleren Schulab-schluss im Fach Deutsch für den Kompetenzbereich Lesen – mit Texten und Medien umgehen“ (IQB 2014).

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Die Schülerinnen und Schüler können weniger prominent platzierte Infor-mationen in strukturell komplexeren Texten lokalisieren und verarbeiten. Bei zentralen und prominenten Einzelinformationen gelingt ihnen dies auch dann, wenn diese Information in paraphrasierter Form vorgegeben wird. Einfache In-ferenzleistungen (Schlussfolgerungen), die zum Beispiel auf das Handlungsmotiv eines Protagonisten in erzählenden Texten oder auf das zentrale Textthema eines Sachtextes abzielen, können dann bewältigt werden, wenn die Bearbeitung der Aufgabe durch ein geschlossenes Format erleichtert wird. Für das Textverständnis zentrale Inhalte können in Kurzantworten oder im offenen Format sinngemäß wiedergegeben werden.

Die Leistungen der Schülerinnen und Schüler, die diese Kompetenzstufe erreichen, entsprechen noch nicht dem mit den Bildungsstandards der KMK definierten Niveau. Dies gilt sowohl für die Bildungsstandards für den Hauptschul-abschluss als auch für die Bildungsstandards für den Mittleren SchulHauptschul-abschluss.

Da aber einfache Verknüpfungen des Gelesenen und einfache Inferenzleistungen bereits gelingen und die Fähigkeit zur Wiedergabe zentraler Informationen in eigenen Worten bereits gegeben ist, wird der Mindeststandard für den Haupt-schulabschluss auf dieser Stufe erreicht.

Kompetenzstufe II: Informationen miteinander verknüpfen und Textstrukturen erfassen

Schülerinnen und Schülern auf Kompetenzstufe II gelingt es, mehrere aufeinan-derfolgende Einzelinformationen aus strukturell komplexeren, längeren Texten miteinander zu verknüpfen. Durch den Aufbau lokaler Kohärenz werden hier darüber hinaus komplexere Inferenzleistungen (Schlussfolgerungen) bewältigt, die zum Beispiel das Schließen auf etwaige Verhaltensmotive der Figuren bei erzählenden Texten oder das Erfassen zentraler Sachtextaussagen ermöglichen.

Darüber hinaus können Wortbedeutungen kontextuell erschlossen und Anga-ben zu Textsorten und Textstrukturen (z. B. Unterscheidung von Überschrift und Fließtext) gemacht werden, sofern dies durch ein geschlossenes Format der Aufgabe erleichtert wird.

Vereinzelt werden Aufgaben zur Erzählerfunktion bzw. Erzählperspektive lite-rarischer Texte gelöst, dies jedoch auch nur bei geschlossenen Aufgabenformaten.

Das Lokalisieren von im Text explizit genannten Einzelinformationen gelingt zunehmend auch dann, wenn ein Teil von ihnen wenig prominent platziert und für das Textverständnis nicht zentral ist. Auch Lokalisierungsaufgaben zu zen-tralen Einzelinformationen diskontinuierlicher Texte werden gelöst. Insgesamt bewältigen Schülerinnen und Schüler auf der Kompetenzstufe II mehr Aufgaben, bei denen sie ihre Antwort selbstständig formulieren müssen.

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Schülerinnen und Schüler auf dieser Kompetenzstufe zeigen Leistungen, die den Bildungsstandards der KMK für den Hauptschulabschluss entsprechen. Da-mit erreichen sie den Regelstandard für den Hauptschulabschluss. Die in den Bildungsstandards der KMK definierten Kompetenzniveaus für den Mittleren Schulabschluss werden jedoch noch nicht erreicht. Da aber komplexere Verknüp-fungen des Gelesenen und Inferenzleistungen bereits gelingen und strukturelle Merkmale erkannt werden, ist auf dieser Kompetenzstufe auch der Mindeststan-dard für den Mittleren Schulabschluss erreicht.

In den im Anhang zu diesem Beitrag verfügbaren Abbildungen A1 bis A3 werden zwei Beispieltexte sowie zu jeder Kompetenzstufe je ein Beispielitem ge-zeigt. Die Items repräsentieren verschiedene Itemformate (vgl. Abschnitt 2.2) und operationalisieren verschiedene kognitive, inhaltliche und sprachliche Anforde-rungen. Diese sind in Abbildung A1 jeweils oberhalb der Items kurz angegeben.

Verteilung auf die Kompetenzstufen

In Abbildung 3 ist die Verteilung der Stichprobe der Normierungsstudie des Jahres 2008 auf die sechs Kompetenzstufen des iKSM im Bereich Lesen insgesamt sowie für die HSA-Population und für die MSA-Population wiedergegeben. Die Angaben beziehen sich auf die Zielpopulation aller Neuntklässlerinnen und Neuntklässler unabhängig davon, ob sie den HSA oder den MSA anstreben, allerdings umfasste die Stichprobe im Jahr 2008 keine Schülerinnen und Schüler an Förderschulen.

Diese fehlen also in der Verteilung, obwohl sie Bestandteil der Zielpopulation sind, sofern sie einen Regelabschluss anstreben und in diesem Sinne zielgleich unterrich-tet werden. Insgesamt verfehlen etwa 11 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, die den MSA anstreben, und etwa 23 Prozent aller Schülerinnen und Schüler, die den HSA anstreben, den jeweiligen Mindeststandard (HSA: Stufe Ib; MSA:

Stufe II). Diese Jugendlichen benötigen mit großer Wahrscheinlichkeit zusätzliche Unterstützung, um ihre Schullaufbahn mit dem jeweils angestrebten Abschluss erfolgreich beenden zu können. Knapp 38 Prozent aller Neuntklässlerinnen und Neuntklässler mit dem Ziel MSA erreichen noch nicht Kompetenzstufe III und verfehlen damit die in den Dokumenten der KMK formulierten Erwartungen (Re-gelstandard). Dieser Anteil ist mit 55 Prozent bei den Schülerinnen und Schülern mit dem Ziel HSA noch einmal deutlich höher. Den obersten Leistungsbereich (Optimalstandard) erreichen in der Schülerschaft, die den MSA anstrebt, mehr als 6% (Stufe V), in der Schülerschaft, die den HSA anstrebt, sind dies nicht einmal 2% (Stufe IV und V). Insgesamt zeigt sich also, dass die Verteilungen der Neunt-klässlerinnen und Neuntklässler, die den HSA bzw. den MSA anstreben, deutlich gegeneinander verschoben sind. Die Schülerschaft, die den MSA anstrebt, erreicht im Mittel höhere Kompetenzstände als die Jugendlichen, die den HSA anstreben.

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Abb. 3: Verteilung der Neuntklässlerinnen und Neuntklässler insgesamt sowie differenziert nach angestrebtem Schulabschluss (HSA bzw. MSA) auf die Kompetenzstufen des integrierten Kompetenzstufenmodells im Kompetenzbereich Lesen

Stufe

Eine zentrale Botschaft dieser Verteilung ist, dass für leistungsschwächere Schü-lerinnen und Schüler, die einen Hauptschulabschluss anstreben, im Kompetenz-bereich Lesen nach wie vor ein deutlicher Unterstützungsbedarf besteht. Knapp einem Viertel dieser Schülerinnen und Schüler gelingt es in der neunten Jahr-gangsstufe bei strukturell komplexeren, längeren Texten nicht, mehrere aufein-anderfolgende Einzelinformationen miteinander zu verknüpfen (Stufe II) oder zumindest benachbarte und für das Textverständnis zentrale Einzelinformationen in Verbindung zu setzen (Stufe Ib). Die Herstellung lokaler Kohärenz als Basis von Inferenzleistungen und die Etablierung globaler Kohärenz als Grundlage eines globalen Textverständnisses sind kaum möglich. Da mit 23% ein verhältnismäßig großer Anteil der Schülerinnen und Schüler, die einen HSA anstreben, den gesetz-ten Mindeststandard nicht erreicht, könnte die Frage aufkommen, ob möglicher-weise die für die Erreichung der Mindeststandards gewählten Grenzwerte zu hohe Kompetenzerwartungen widerspiegeln. Dies kann sowohl aus bildungswissen-schaftlicher als auch als fachdidaktischer Sicht verneint werden. Ein wesentliches Argument ist hier unter anderem, dass die Grenzwerte so gewählt wurden, dass im unteren Leistungsbereich eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den Stufen-beschreibungen des integrierten Kompetenzstufenmodells für die Sekundarstufe I und den Stufenbeschreibungen für die Grundschulpopulation erkennbar wird.

Schülerinnen und Schüler, die einen Hauptschulanschluss anstreben, sollten also in Hinblick auf ihre Lesekompetenz zwischen den Kompetenzen der Grundschul- und der MSA-Population verortet werden. Hierfür ist ein gewisses

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niveau hinsichtlich der gewählten Cut-Scores erforderlich, das nicht unterschritten werden sollte.

5 Interdisziplinäre Kooperation als Herausforderung