• Keine Ergebnisse gefunden

Die Ergebnisse im metatheoretischen literaturdidaktischen Blick Nimmt man die theoretischen Modellierungen von LUK in einer

Dimensionalität literarästhetischer Verstehenskompetenz (Volker Frederking)

3.3 Die Ergebnisse im metatheoretischen literaturdidaktischen Blick Nimmt man die theoretischen Modellierungen von LUK in einer

Meta-Perspekti-ve in den Blick, zeigt sich etwas für das SelbstMeta-Perspekti-verständnis der Literaturdidaktik als wissenschaftlicher Disziplin sehr Interessantes. Denn bei einem Theorieentwurf, wie er unter 3.2 in Grundlinien skizziert wurde – detailliertere Herleitungen und Begründungen finden sich an anderer Stelle (vgl. z. B. Frederking et al. 2011) – würde eine traditionelle, rein hermeneutisch ausgerichtete Literaturdidaktik ste-hen bleiben, das Konzept zur Diskussion stellen und zu unterrichtspraktiscste-hen Modellierungen ansetzen. Für eine empirisch forschende, d. h. evidenzorientierte Literaturdidaktik endet hier hingegen lediglich die 1. Phase des Entwicklungs-prozesses, die disziplinäre. Es schließt sich die 2. Phase, die interdisziplinäre, an (solange es noch keine eigene deutschdidaktische Expertise in hochwertiger quan-titativer Forschung gibt) – und damit der Übergang von der Theoriebildung zur empirischen Theorieprüfung. In diesem Sachverhalt treten exemplarisch Merk-male jenes Paradigmenwechsels innerhalb unserer Disziplin ins Blickfeld, die mit der empirischen Wende verbunden sind. Denn eine empirische Theorieprüfung ist innerhalb der Literaturdidaktik etwas qualitativ Neues – empirische Grund-lagenforschung in fachspezifischer Perspektive. Diese kann Ausgangspunkt für empirische literaturdidaktische Anwendungsforschung sein – wie in unserem For-schungsprojekt zur ästhetischen Kommunikation im Literaturunterricht ÄSKIL gezeigt werden konnte (vgl. Albrecht/Hornberger 2014; Brüggemann/Frederking 2015; Drewes/Albrecht 2014; Frederking et al. 2012b, 2015).

Iris Winkler and Frederike Schmidt - 978-3-631-69285-1

Stellt schon die Verbindung von Theoriebildung und empirischer Theorie-prüfung im Rahmen der Literaturdidaktik ein Novum dar, erschließen sich mit den Ergebnissen der empirischen Erhebungen in LUK I und den sich daraus ergebenden Konsequenzen noch weitaus bemerkenswertere Aspekte. Dies gilt schon für die Beantwortung der ersten Forschungsfrage. In allen drei von der DFG geförderten Phasen des Projekts ist sie immer wieder mit untersucht worden – und jeweils haben die gewonnenen Daten deutliche empirische Hinweise darauf ergeben, dass literarisches Textverstehen tatsächlich eine eigene, von allgemeiner Lesekompetenz bzw. faktualem Textverstehen zu unterscheidende Teilkompetenz darstellt (vgl. auch Frederking/Roick/Steinhauer 2011, Frederking et al. 2012a;

Meier et al., im Druck; Roick et al. 2010, 2013; Roick/Henschel 2015) – ein Beispiel für den möglichen Wandel der Literaturdidaktik von einer glaubensgestützten zu einer evidenzorientierten Disziplin.

Für die Weiterentwicklung des disziplinären Selbstverständnisses sind die Befunde zur zweiten Forschungsfrage aber noch interessanter. Die literaturdi-daktischen Mitglieder des LUK-Teams waren sich nämlich aus theoretischer Perspektive relativ sicher, dass sich alle drei modellierten Teildimensionen lite-rarischer Verstehenskompetenz empirisch abbilden würden – die beiden von Eco abgeleiteten Teildimensionen des Semantischen und des Idiolektalen ebenso wie die auf Basis mehrerer Theorien entwickelte Teildimension des Kontextuellen.

Allerdings war uns bewusst, dass es aus literaturtheoretischer Sicht auch durchaus plausibel ist, Kontexte den anderen beiden Kompetenzdimensionen zuzurechnen, weil diese entweder eine semantische (z. B. Autorbezug) oder eine idiolektale (z. B. Gattungsbezug) Prägung aufweisen.

Die Ergebnisse der Modellprüfung sollten hier Klärung bringen (vgl. dazu im Detail Frederking/Roick/Steinhauer 2011; Frederking et al. 2012a; Roick et al.

2010). Verglichen wurden durch Item-Bündelung zunächst ein eindimensiona-les Modell, bei dem alle entwickelten Items undifferenziert unter einer Kompe-tenzdimension subsumiert wurden, mit dem favorisierten dreidimensionalen LUK-Modell aus semantischem, idiolektalem und kontextuellem Bereich und an-schließend mit einem zweidimensionalen LUK-Modell, bei dem die Kontextitems der semantischen und der idiolektalen Dimension zugeordnet wurden. Für die Modellanalyse ist die Deviance, ein Maß zur Erfassung der Modellgüte, von ent-scheidender Bedeutung. Dabei gilt: Je geringer die Deviance, desto besser bildet das Modell die empirischen Daten an. Die Deviance liegt beim dreidimensionalen Modell bei 38918.96 und damit fast 30 Punkte unter dem eindimensionalen Mo-dell. Das dreidimensionale Modell zeigt also tendenziell eine bessere Anpassung an die Daten als das eindimensionale Modell. Eine noch bessere Passung zeigt

Iris Winkler and Frederike Schmidt - 978-3-631-69285-1

allerdings das zweidimensionale Modell. Die Deviance beträgt hier 38905.28 und bewegt sich damit noch einmal 13 Punkte unter dem dreidimensionalen Modell.

Dies deutet von empirischer Seite darauf hin, dass ein zweidimensionales Modell dem dreidimensionalen Modell überlegen ist. Mit anderen Worten: die seman-tische bzw. idiolektale Prägung der Kontexte scheint schwerer zu wiegen als der Sachverhalt, dass es sich um textexterne Aspekte handelt (vgl. Frederking/Roick/

Steinhauer 2011; Roick et al. 2010).2 So tritt mit den ermittelten Befunden ein für eine literaturtheoretische Meta-Reflexion interessanter Modellfall ins Blickfeld:

eine fachdidaktische Theorie wird empirisch überprüft und eine theoretische Frage – ob ein zwei- oder ein dreidimensionales Modell besser passt – empirisch

‚geklärt’.3 Eine solche Theorieprüfung auf empirischer Basis ist innerhalb von Na-turwissenschaften, Medizin oder Psychologie die Regel, für die Literaturdidaktik stellt sie eine als durchaus paradigmatisch zu verstehende Wende dar. Diese wäre ohne interdisziplinäre Zusammenarbeit nicht möglich gewesen.

2 Allerdings deuten neuere Untersuchungen, die insbesondere im Rahmen der dritten Projektphase vorgenommen wurden (vgl. Meier et al., im Druck), darauf hin, dass neben dem Semantischen und dem Idiolektalen weitere Subfacetten berücksichtigt werden müssen, um Kompetenzanforderungen des literarischen Textverstehens dif-ferenziert zu beschreiben.

3 Aus literaturdidaktischer Sicht besteht im Hinblick auf den kontextuellen Bereich aber noch weiterer Forschungsbedarf, da einige Items trotz des mehrstufigen Item-Entwicklungsverfahrens (Aufgabenentwicklung, Aufgabendiskussion und erste Auf-gabenrevision, Cognitive Lab und zweite AufAuf-gabenrevision, Pilotierung und dritte Aufgabenrevision) aus theoretischer Perspektive Optimierungsbedarf aufweisen. Im Rahmen des LUK Projektes konnte dieser Aspekt allerdings aus antragsstrategischen Gründen zunächst nicht weiter verfolgt werden.

Der weitere Forschungsbedarf im Hinblick auf die Kontext-Dimension ist allerdings nicht als Indikator für eine potenzielle oder tatsächliche Unzuverlässigkeit quantita-tiver empirischer Forschung misszuverstehen. Die quantitativen Methoden sind das Beste, was die Wissenschaft bislang zu bieten hat, weil sie eine Annäherung an Evi-denz ermöglichen (Pant 2014). Allerdings ist angesichts der erkenntnistheoretischen Grenzen wissenschaftlicher Gewissheit (vgl. dazu das Popper-Zitat in der in Abschnitt 2.1 angeführten Textstelle) die in der empirischen Bildungsforschung verbreitete Rede von der ‚Evidenzbasierung’ bzw. ‚Evidenzbasiertheit’ missverständlich, weshalb ich selbst die Bezeichnung ‚Evidenzorientierung’ für zutreffender halte und vorschlage, von einer evidenzorientierten empirischen Forschung im Bereich der Fach- bzw. Li-teraturdidaktik zu sprechen.

Iris Winkler and Frederike Schmidt - 978-3-631-69285-1

4 Inter-Disziplinäre Herausforderungen II: Empirische Überprüfung bzw. Validierung des Konstrukts (Sofie Henschel)

Im vorangegangenen dritten Abschnitt wurden zwei zentrale Forschungsfragen des Projekts, die die Struktur des literarischen Textverstehens betreffen, aufgewor-fen und aus einer literaturdidaktischen Perspektive reflektiert. Insbesondere die zweite Forschungsfrage, die auf die Untersuchung der internen Struktur des lite-rarischen Textverstehens abzielt, setzt voraus, dass mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, dass für das Verstehen literarischer und nicht-litera-rischer (faktualer bzw. expositonicht-litera-rischer) Texte (teilweise) unterschiedliche Kom-petenzen benötigt werden. Unter Bezugnahme auf die Theorie der ästhetischen Semiotik (vgl. Eco 1999) wurden aus literaturdidaktischer Perspektive zunächst theoretische Verstehensanforderungen beschrieben, durch die sich das literari-sche Textverstehen auszeichnen könnte. Dies erfolgte nicht in Abgrenzung zu kognitiven Verarbeitungsprozessen, die für das nicht-literarische (expositorische) Textverstehen kennzeichnend sein könnten. Aus welchen theoretischen Grün-den eine getrennte Betrachtung von Kompetenzen zum Verstehen literarischer und nicht-literarischer (faktualer) Texte überhaupt sinnvoll und angemessen sein sollte, ist anhand der dargestellten literaturdidaktischen Argumentationslinie, die primär texttheoretisch ansetzt, aus einer erziehungswissenschaftlich-psychologi-schen Perspektive nicht unmittelbar erkennbar.

Auch stellen die angesprochenen Ergebnisse der strukturellen Analysen, über die auszugsweise in Abschnitt 3 berichtet wurde, noch keine ausreichend verläss-liche Grundlage dar, um mit hinreichender Sicherheit von einer zweidimensiona-len Struktur des Textverstehens ausgehen zu können (vgl. Roick/Henschel 2015).

Tatsächlich liefern Ergebnisse struktureller Analysen, wie sie im dritten Abschnitt berichtet wurden, nur eine erste Stützung für die angenommene Mehrdimensio-nalität. Die Spezifität der identifizierten Kompetenzfacetten, also des literarischen und nicht-literarischen bzw. faktualen Textverstehens, muss aber unbedingt durch weitere Studien gestützt werden, um eine Grundlage für Analysen zu schaffen, die eine genauere Untersuchung der internen Struktur des literarischen Textver-stehens (also semantisch vs. idiolektal vs. kontextuell) sinnvoll erscheinen lassen.

In Abschnitt 3 wurden bereits erste Ergebnisse zu Strukturanalysen berichtet, die die Dimensionalität des literarischen Textverstehens betreffen. Damit war die im-plizite Annahme verbunden, dass literarisches und expositorisches Textverstehen zwei voneinander unterscheidbare Kompetenzfacetten darstellen. Ob eine solche differenzierte Betrachtung aus theoretischer und empirischer Sicht plausibel bzw.

angemessen ist, wurde im LUK Projekt anhand eines mehrstufigen Verfahrens

Iris Winkler and Frederike Schmidt - 978-3-631-69285-1

untersucht. Nachfolgend wird in Auszügen veranschaulicht, wie komplex ein Va-lidierungsprozess aus erziehungswissenschaftlich-psychologischer Perspektive ausfallen sollte, um die zweidimensionale Kompetenzstruktur des Textverstehens (literarisch vs. faktual) zu prüfen, die die Voraussetzung für die weitere Erforschung der Struktur und Verarbeitungsprozesse des literarischen Textverstehens darstellt.

4.1 Theoretische Annahmen und empirische Befunde