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1 Einleitung

1.2 Kombiniert kieferorthopädisch-chirurgische Therapie

Dentofaziale Anomalien stellen für Patienten sowohl funktionell als auch ästhe-tisch kompromittierende Krankheitsbilder dar. Bei der Indikationsstellung für eine kombiniert orthodontisch-chirurgische Therapie liegt daher das Augenmerk nicht nur auf der Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes, sondern auch auf der Beseitigung kraniomandibulärer Dysfunktionen und der Verbesserung der Abbeiß- und Kaufunktion. Nahezu alle Dysgnathien können heute konservativ, also rein kieferorthopädisch behandelt werden – vorausgesetzt, die Behandlung wird recht-zeitig begonnen und die Compliance des Patienten ist gegeben. Nur in sehr schweren Dysgnathiefällen mit kieferorthopädisch nicht beeinflussbarem Kiefer- bzw. Schädelwachstum ist eine kieferorthopädisch-chirurgische Kombinationsthe-rapie mit chirurgischer Verlagerung des bzw. der zahntragenden Kiefersegmen-te(s) erforderlich. Eine operative Korrektur mit begleitender kieferorthopädischer Behandlung kann aber auch dann sinnvoll sein, wenn die kieferorthopädische Therapie nicht rechtzeitig begonnen, durch ungünstige Wachstumsschübe negativ beeinträchtigt oder wegen fehlender Patientencompliance nicht erfolgreich abgeschlossen wurde (Schopf 2000).

1.2.1 Ablauf der kieferorthopädisch-chirurgischen Therapie

Die kombiniert kieferorthopädisch-chirurgische Therapie gliedert sich in folgende drei Phasen:

1) Präoperative orthodontische Dekompensation 2) Umstellungsosteotomie (chirurgischer Eingriff)

3) Postoperative orthodontische Feineinstellung der Okklusion.

Ziel der präoperativen kieferorthopädischen Behandlung ist es, kongruente Zahnbögen zu schaffen und die Zähne achsengerecht auf den jeweiligen Kiefer-basen einzustellen. Abhängig vom Umfang der erforderlichen Maßnahmen, nimmt die präoperative kieferorthopädische Behandlung zirka 12 bis 24 Monate in Anspruch. Da skelettale Dysgnathien häufig von Anomalien der Zahnstellung im Sinne eines Kompensationsmechanismus begleitet sind, müssen diese Kompen-sationsmechanismen präoperativ orthodontisch zurückgeführt, also dekompensiert werden. Dies bedeutet in vielen Fällen, dass die Anomalie zunächst verstärkt wird.

Grundsätzlich werden alle orthodontischen Zahnbewegungen mit festsitzenden kieferorthopädischen Apparaturen durchgeführt, die während des gesamten Behandlungszeitraumes, also auch während der Operation, im Mund des Patienten verbleiben.

Abb. 4:

Therapiesimulation im Artikulator:

Kieferorthopädisches Set-up in der Oberkieferfront und Modelloperation im Unterkiefer (aus Fuhrmann 2002)

Die Umstellungsosteotomie ist die eigentliche Therapie der skelettalen Anomalie und wird in der Regel erst nach Abschluss des Gesichtsschädelwachstums

durch-geführt, um so einem postoperativen Rezidiv vorzubeugen. Bei Mädchen endet das Wachstum in der Regel bereits mit 16 Jahren, bei Jungen etwa zwei Jahre später. Durch die Umstellungsosteotomie ist es möglich, das mobilisierte Kiefer-segment dreidimensional zu verlagern und mit hoher Präzision in der präoperativ mittels Modelloperation (Schwestka-Polly et al. 1999) oder Computersimulation (Schendel und Jacobson2009) ermittelten Position zu fixieren.

Abb. 5:

Profilbild einer mandibulären Retro-gnathie zu Beginn der Therapie

Abb. 6:

Profilbild mit harmonischen skelettalen Relationen zum Abschluss der Therapie

Um die im Rahmen der Modelloperation errechneten Verlagerungsstrecken auf den Operationssitus übertragen zu können, werden präoperativ interokklusale Splinte aus Polymethylmethacrylat (PMMA) angefertigt, die sowohl intraoperativ als auch postoperativ zur Lagesicherung der verlagerten Kieferbasen beitragen.

Nach einer sechswöchigen Heilungsphase erfolgt wieder eine orthodontische Phase von sechs bis 12 Monaten, in der die letzten okklusalen Feineinstellungen durchgeführt werden. Ziel ist die Einstellung einer stabilen Okklusion, die am zuverlässigsten einem Rezidiv vorbeugen kann (Dannhauer und Krey 2009).

1.2.2 Komplikationen von Umstellungsosteotomien

In der Literatur sind im Zusammenhang mit der kieferorthopädisch-chirurgischen Kombinationstherapie zahlreiche Vorteile genannt worden. Zu diesen Vorteilen zählen die Verbesserung der Kaufunktion (Karabouta und Martis 1985, White und Dolwick 1992, Zarrinkelk et al. 1996), die Prävention parodontaler Erkrankungen (Schultes et al. 1998), der verminderte Gesichtsschmerz (Magnusson et al. 1986, Magnusson et al. 1990, Rodrigues-Garcia et al. 1998) und ein verbessertes ästhetisches Erscheinungsbild (Tucker 1995, Cheng et al. 1998, Altug-Atac et al.

2008, Islam et al. 2010). Dennoch muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Umstellungsosteotomien Wahleingriffe sind, die mit einer Reihe von Komplikatio-nen assoziiert sein könKomplikatio-nen.

Hinsichtlich der Le Fort I Osteotomie des Oberkiefers sind die möglichen intra- und perioperativen Komplikationen von Kramer et al. (2004) ausführlich beschrieben worden. Sie untersuchten die Komplikationen von 1000 konsekutiven Patienten, bei denen ein kieferchirurgischer Eingriff zur Verlagerung des Oberkiefers durch-geführt worden war, und unterschieden anatomische, hämorrhagische, septische und ischämische Komplikationen. Als anatomische Komplikationen wurden nach dem chirurgischen Eingriff Deviationen des Nasenseptums (1,6 Prozent), eine fehlende Verknöcherung des Osteotomiespaltes (0,8 Prozent) und Fehlpositionen der Maxilla (0,2 Prozent) beobachtet. Eine hämorrhagische Komplikation lag definitionsgemäß immer dann vor, wenn zusätzlich zur präoperativ gewonnenen Eigenblutspende Erythrozytenkonzentrate von Fremdspendern verabreicht werden mussten, um den operationsbedingten Blutverlust zu kompensieren. Transfusio-nen von Fremdspenderkonzentraten waren in 1,1 Prozent der Fälle erforderlich.

Zu den septischen Komplikationen zählten Abszedierungen (0,5 Prozent) und Sinusitiden im Bereich der Kieferhöhle (0,6 Prozent). Ischämische Komplikationen beinhalteten zum einen Nekrosen der verlagerten Kiefersegmente (0,2 Prozent) und zum anderen gingivale Rezessionen (0,8 Prozent).

Eine vergleichbare Studie ist für die sagittale Spaltung des Unterkiefers von Teltzrow et al. (2005) veröffentlicht worden. Diese Autoren untersuchten die perioperativen Komplikationen von 1264 konsekutiven Patienten und berichteten von postoperativen Infektionen (2,8 Prozent), iatrogener Schädigung des

N. alveolaris inferior (2,1 Prozent), Deformierung oder Fraktur des Osteosynthese-materials (1,4 Prozent), exzessiven Blutungen (1,2 Prozent) und partieller Fazialis-schwäche (0,6 Prozent). Die Inzidenz gingivaler Rezessionen wurde in dieser Untersuchung jedoch nicht erwähnt.

Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die Bildung eines Mukoperiostlappens zur Rezessionsbildung führen kann (Velvart und Peters 2005, von Arx et al. 2007, 2009, Deschner et al. 2009). Da auch in Case Reports ausgeprägte gingivale Rezessionen nach Umstellungsosteotomien beschrieben worden sind (Yeo et al.

1989, Omnell et al. 1994, Gardner 2007), stellt sich die Frage, ob Umstellungs-osteotomien ein erhöhtes Risiko für gingivale Rezessionen darstellen und wenn ja, welche Maßnahmen getroffen werden können, um dieses Risiko zu minimieren.

Der nächste Abschnitt befasst sich daher mit der Definition, der Ätiologie und den Risikofaktoren gingivaler Rezessionen.