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Kollektivismus, Individualismus und soziale Exklusion

In einer interkulturellen Studie von Fiske & Yamamoto (2005) wurde argumentiert, dass Menschen aus allen Kulturen soziale Exklusion als negativ erleben, die Reaktionen auf die Exklusionserfahrungen jedoch kulturspezifisch sind (Fiske & Yamamoto, 2005, zitiert nach Williams, 2007a). Fiske & Yamamoto (2005) sind der Ansicht, dass das Bedürfnis nach Zu-gehörigkeit universell unter Menschen ist, fügen jedoch hinzu, dass es je nach Kultur unter-schiedlich geäußert wird. Dabei unterscheiden sie zwischen einer sicheren und einer weitge-henden Zugehörigkeit („belonging securely versus belonging widely“), was mit der Dimensi-on Kollektivismus/Individualismus und Interdependenz/Independenz gleichgesetzt werden kann. Die sichere Zugehörigkeit ist nach den Autorinnen typisch für Japaner und durch die Erwartung von lebenslangen Beziehungen und einer vorsichtigen Neutralität gegenüber Fremden charakterisiert. Die weitgehende Zugehörigkeit hingegen ist typisch für Amerikaner, welche von Beziehungspartnern gegenseitige, flexible Autonomie erwarten und Fremden ge-genüber unmittelbar positiv gestimmt sind (Fiske & Yamamoto, 2005). Aufgrund dieser The-orie führten Fiske & Yamamoto (2005) eine Studie mit japanischen und amerikanischen Stu-dentInnen durch, in welcher diese dazu angehalten wurden, per Computer, eine angeblich neue Bekanntschaft einzugehen. Dabei bekamen die ProbandInnen die Aufgabe sich kurz per

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Video vorzustellen und sich anhand eines Fragebogens zu beschreiben. Daraufhin sollten sie das Video ihrer „neuen Bekanntschaft“ evaluieren. Auch die ProbandInnen selbst bekamen Rückmeldung über ihr Video. Eine Hälfte bekam ein negatives, und die andere ein positives Feedback. Daraufhin sollten die ProbandInnen angeben, ob sie ihre Bekanntschaft für einen weiteren Teil der Untersuchung akzeptieren. Eine Faktorenanalyse der Impressionsitems des Fragebogens, trennte diese in die Faktoren: Wärme, Kompetenz und Kompatibilität. Gemäß der Theorie bestätigte sich, dass Amerikaner auf allen drei Faktoren positiv gegenüber ihrer Bekanntschaft gestimmt waren, bevor sie positives oder negatives Feedback erhielten. Die japanische Stichprobe hingegen zeigte einen niedrigeren Score auf dem Faktor Kompatibilität, was bedeutet, dass sie einer neuen Bekanntschaft und deren Akzeptanz ihnen gegenüber mit Vorsicht begegnen. Bei der amerikanischen Stichprobe bewirkte das negative Feedback, dass die Impressionen über ihre Bekanntschaft in allen drei Aspekten sanken, was bedeutet, dass sie einer neuen Bekanntschaft zwar positiv begegnen, diese Positivität aber wieder eingestellt ist, wenn ihr Gegenüber negativ reagiert. Bei der japanischen Stichprobe sank nach negativem Feedback nur der Impressionsaspekt „Wärme“. Dies impliziert, dass sie Einstellungen gegen-über Fremden neutral halten. Anfänglich ist die Kompatibilitätseinschätzung gering und sie bleibt unter negativem Feedback neutral. Weiters konnte in dieser Studie nachgewiesen wer-den, dass die amerikanischen ProbandInnen das Feedback (ob positiv oder negativ) sehr ernst nahmen, die japanischen ProbandInnen hingegen, das Feedback als neutral oder nicht valide beurteilten. Diese Erkenntnisse sprechen dafür, dass Individualisten, aufgrund ihrer weitge-henden Zugehörigkeit zu anderen Personen, durch diese auch mehr verletzt werden können als Kollektivisten, welche Fremden generell neutral bis skeptisch begegnen. Die Ergebnisse dieser Studie sind außerdem stimmig zu Triandis‘ (2001) und Hofstedes (1980, 1991) For-schung, welche postuliert, dass Kollektivisten stärker als Individualisten zwischen Eigen- und Fremdgruppe differenzieren und der Eigengruppe die höchste Priorität zuschreiben.

Ein interdependentes Selbstkonzept inkludiert Beziehungen und Gruppenmitgliedschaften als einen Teil des Selbst (Gardner et al., in press). Diese können als Ressource dienen, wenn das Bedürfnis nach Zugehörigkeit (z. B. durch eine Zurückweisung oder soziale Exklusion) er-höht ist (Gardner et al., 2005b). Gardner, Knowles & Jefferis (in press) und Gardner und Kol-leginnen (2005b) haben in ihren Untersuchungen überprüft, ob solche interdependenten Selbstkonzepte als Puffer für die negativen Konsequenzen sozialer Exklusion dienen können.

Dazu verglichen sie Personen, bei denen die Ressource der sozialen Beziehungen stark

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prägt ist und welche einen guten Zugriff darauf haben mit Personen, die diese Ressourcen nicht besitzen. Genaugenommen verglichen sie also interdependente mit independenten Per-sonen. Nach einer erlebten Zurückweisung oder Misserfolgserfahrung bekamen die Proban-dInnen die Aufgabe ihr Selbstkonzept zu beschreiben. ProbanProban-dInnen, welche mehr kollektive- und Beziehungskonstrukte nannten, gaben nach der erlebten Zurückweisung an, einen positi-veren Affekt zu haben als Personen, die mehr independente Konstrukte nannten (Gardner et al., in press; Gardner et al., 2005b).

In einer weiteren Untersuchung der oben genannten Annahme wurden hoch interdependente ProbandInnen ins Labor gebeten und erlebten entweder eine Zurückweisung, einen Misserfolg oder eine neutrale Erfahrung und wurden daraufhin entweder entmutigt oder ermutigt, gespei-cherte soziale Beziehungen zu aktivieren. Dies geschah durch Priming auf entweder ein inde-pendentes oder ein interdeinde-pendentes Selbst. ProbandInnen, welche vor der Aktivierung des interdependenten Selbst entmutigt wurden, zeigten nach der Zurückweisung negativere Stim-mung und einen niedrigeren Selbstwert. ProbandInnen, welche darauf geprimt wurden das interdependente Selbst zu aktivieren, unterschieden sich nach entweder einer Zurückweisung oder einer neutralen Erfahrung nicht in der Stimmung und im Selbstbewusstsein voneinander (Gardner et al., in press; Gardner et al., 2005b). Die Ergebnisse dieser Studien sprechen dafür, dass die interdependente Sicht des Selbst, Menschen vor den negativen Auswirkungen sozia-ler Exklusion schützen kann.

Gardner und Kolleginnen (in press) gehen allerdings auch davon aus, dass ein Priming auf das interdependente Selbst nach einer Zurückweisung gar nicht notwendig ist um die gespeicher-ten Ressourcen zu aktivieren, sondern, dass die Aktivierung implizit (also auch ohne Priming) stattfindet. Erleben die ProbandInnen eine Misserfolgserfahrung sollte keine automatische Aktivierung des interdependenten Selbst erfolgen. Dazu wurden den ProbandInnen Wörter und Nicht-Wörter auf einem Bildschirm präsentiert („lexical decision task“) und sie mussten entscheiden, welches eines ist und welches nicht. Einige der Wörter bezeichneten interdepen-dente Konzepte (z. B. „wir“, „uns“) und andere indepeninterdepen-dente (z. B. „ich“, „mich“). Interde-pendente ProbandInnen erkannten in der Exklusionsbedingung mehr interdeInterde-pendente Wörter als ProbandInnen in der Misserfolgsbedingung, was bedeutet, dass interdependente nach einer Zurückweisung tatsächlich mehr Zugänglichkeit zu ihrem interdependenten Selbst haben.

Dieses schützte sie in dieser Untersuchung vor negativer Stimmung und einem negativen

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Selbstwert. Gardner et al. (in press) überprüften auch die Annahme, dass ein interdependentes Selbst die durch soziale Exklusion hervorgerufene Aggression der ProbandInnen puffern könnte. Hierfür wurden interdependente und independente ProbandInnen wieder entweder einer Misserfolgs- oder Exklusionsbedingung zugeteilt. Interdependente ProbandInnen der Exklusionsbedingung zeigten weniger Aggression als jene der Misserfolgsbedingung. Die Autorinnen fanden zudem heraus, dass das Selbstkonzept an sich, keine Effekte auf die Stim-mung, kognitive Leistung und Aggression hat, ein interdependentes Selbst aber in Zeiten so-zialer Bedrohung als Schutz gegen die negativen Konsequenzen soso-zialer Exklusion fungieren kann (Gardner et al., in press).