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Da die Lyme-Borreliose eine Multiorganerkrankung ist, können die klinischen Symptome sehr vielfältig sein. Sie betreffen hauptsächlich die Haut, das periphere und zentrale Nervensystem, die Gelenke, sowie das Herz und die Augen. [5,26]

Es ist möglich, dass Frühmanifestationen der Erkrankung (Stadium 1 und 2) spontan ausheilen oder in seltenen Fällen in eine chronische Infektion mit charakteristischen Spätmanifestationen (Stadium 3) übergehen. [6]

Die Klinik der Lyme-Borreliose lässt sich in drei Phasen einteilen. In eine frühe lokalisierte Phase, in eine frühe disseminierte und in eine späte disseminierte Phase (persistierend bis progredient). [16]

Hat man sich mit dem Erreger infiziert, muss man nicht in jedem Fall alle Stadien der Erkrankung durchlaufen, wie es bei anderen stadienhaft verlaufenden Krankheiten der Fall ist. Es ist durchaus möglich, dass der Erkrankte ohne Entwicklung vorausgegangener Manifestationen mit einem fortgeschrittenen Stadium beginnt. Das Durchlaufen aller drei Phasen ist eher die Ausnahme. Die Intervalle zwischen den einzelnen Stadien können unterschiedlich lange dauern.

[5]

4.3.1 Stadium 1 (Frühmanifestation; lokal)

Das klassische Erythema migrans (Wanderröte) kann sich im typischen Fall wenige Tage bis Wochen nach der Infektion bilden. [6] Im Normalfall tritt es an der Stelle des Arthropodenstiches auf. Ein kleiner Prozentsatz der Infizierten entwickelt es an einer anderen Stelle (Fernerythem). [5] Es ist eine von der Eintrittsstelle ausgehende und in die Umgebung vordringende konzentrische Hautrötung (von blass bis intensiv rot) mit zentraler Abblassung. [6] Die Größe ist beträchtlichen Schwankungen unterworfen. Meistens weisen die Erytheme einen Durchmesser zwischen 8 und 20 cm auf. [14]

Die Wanderröte ist die häufigste Manifestation und tritt in ca. 80% der Fälle auf.

Die Hauterscheinung kann unbehandelt ausheilen. Die Infektion geht in 10% der Fälle in ein Stadium 2 über. Die Charakteristika des 2. Stadiums können auch auftreten, ohne dass zuvor ein Erythema migrans wahrgenommen wurde. [6]

Manchmal können auch zwei oder mehrere Hautläsionen auftreten. Dies deutet auf eine frühe systemische Verbreitung des Erregers hin. [12] Im Allgemeinen gilt das Erythema migrans als eine selbstlimitierende Erkrankung. Dennoch sollte sofort mit einer Antibiotikatherapie begonnen werden, um das Risiko einer Dissemination zu vermindern. [14]

Abbildung 14: Erythema migrans (Wanderröte)

Atypische Hautrötungen können ebenfalls vorkommen. Sie sind aber schwieriger zu diagnostizieren. Neben unspezifischen Allgemeinsymptomen wie Fieber, Müdigkeit, Myalgien, Lymphknotenschwellung und Kopfschmerzen ist das betroffene Hautareal überempfindlich und schmerzhaft. [6]

Vom Erythema migrans ist differentialdiagnostisch die unspezifische Arthropodenstichreaktion zu unterscheiden. Am Einstichsort der Zecke kann es zu einer allergischen Rötung von wenigen Millimetern bis 2 cm kommen. Diese Reaktion tritt sofort auf und klingt innerhalb weniger Tage wieder ab. Sie ist eine entzündliche Reaktion auf den Zeckenspeichel. Das Erythema migrans hat im Vergleich dazu eine Latenzzeit von mindestens drei bis vier Tagen und ist in jedem Fall therapiepflichtig. [5,14,16]

4.3.2 Stadium 2 (Frühmanifestation; disseminiert)

Im zweiten Entwicklungsstadium verlassen die Erreger den Bereich des Zeckenstiches und verteilen sich im Körper. Das häufigste klinische Erscheinungsbild der disseminierten Infektion ist in Europa die lymphozytäre Meningoradikulitis5, das sogenannte Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom6, eine klassische neurologische Manifestation der Lyme-Borreliose. [6,16]

Das Krankheitsbild mit polyradikulären, quälenden und anhaltenden Schmerzen, besonders in der Nacht, kann zwei bis zwölf Wochen nach dem Zeckenstich auftreten. In der Folge kann es zu Lähmungen und Gefühlsstörungen kommen.

Patienten, die unter einer spinalen Meningoradikulitis leiden, zeigen oft Hirnnervenausfälle, vor allem des N. facialis (7. Hirnnerv) (Meningoradiculitis spinalis et cranialis). Normalerweise zeigen Kinder keine radikuläre Symptomatik, jedoch ein- oder beidseitige Fazialisparesen7 und Meningitiszeichen (Meningoradiculitis cranialis).

Seltener manifestieren sich im Stadium 2 multiple Erytheme und das Borrelien-Lymphozytom. Dieses tritt bei Kindern bevorzugt am Ohrläppchen und bei Erwachsenen an der Mamille auf. Weniger oft ist es im Nackenbereich lokalisiert.

5 Meninges = Hirn- und Rückenmarkhäute; Radikulitis = Entzündung der Wurzeln der Spinalnerven

6 Bannwarth-Syndrom = nichteitrige , lymphozytäre Meningoradikulitis mit Beteiligung des peripheren Nervensystems

[6,17] Es tritt wesentlich seltener auf als das Erythema migrans, in nur etwa 5%

der Fälle. Das Borrelien-Lymphozytom kann, wenn es an der Stelle des Zeckenstiches auftritt, Ausdruck der frühen lokalisierten Phase sein. Meistens ist es aber dem 2. Stadium zuzurechnen. [5] Es handelt sich dabei um eine Flüssigkeitseinlagerung in der Haut. Überwiegend bestehen die Infiltrate aus Lymphozyten. Es bilden sich solitäre (selten multiple) bläuliche oder rote Knoten, die bis zu mehrere Zentimeter groß werden können. [14,17]

Abbildung 15: Lymphozytom am Ohrläppchen

Häufig kommt es im 2. Stadium auch zu wandernden und zum Teil heftigen Muskel- und Gelenkschmerzen.

Bei Schwangeren kann es im Zuge der Dissemination der Borrelien zu einer transplazentaren Übertragung des Erregers kommen. Obwohl das Risiko gering für eine pränatale Infektion ist und eine intrauterine Erkrankung als Folge einer Borrelieninfektion noch nicht mit Sicherheit nachgewiesen ist, sollte jede Manifestation der Lyme-Borreliose behandelt werden. [6]

4.3.3 Stadium 3 (Spätmanifestation; disseminiert)

Charakterisiert ist das 3. Stadium durch einen chronisch-progredienten Krankheitsverlauf. Die Erstinfektion kann Monate bis Jahre zurückliegen. Am häufigsten ist der Bewegungsapparat betroffen, die sogenannte Lyme-Arthritis. Sie äußert sich in Form von Mono- und Oligoarthritiden der großen Gelenke der unteren Extremitäten, die schubweise oder chronisch verlaufen können. Das Kniegelenk ist vor allem bei chronischem Verlauf betroffen. Es entwickeln sich ausgeprägte Gelenkergüsse.

Chronisch erkranken kann auch die Haut (Acrodermatitis chronica atrophicans;

ACA) und sehr selten das Nervensystem (progressive Enzephalomyelitis). [6,26]

Bei der Acrodermatitis chronica atrophicans, handelt es sich um eine chronisch-progressive (stufenweise fortschreitende) Hauterkrankung, die hauptsächlich an den Extremitäten auftritt. Sie verläuft in zwei Stadien. Nach einem entzündlich-ödematösen Stadium geht sie in ein atrophisches über. [27] Der Übergang verläuft fließend. Er kann innerhalb weniger Wochen, aber auch über Monate bzw. Jahre ablaufen. Die entzündliche Periode ist eine Folge der Erregerdissemination und wird eher dem Stadium 2 der Erkrankung zugeordnet. In dieser Phase sind die Veränderungen der ACA noch reversibel. Die folgende atrophische Zeitspanne wird dem Stadium 3 der Lyme-Borreliose zugeordnet und ist durch eine antibiotische Therapie nicht mehr zu heilen. Ob eine Spontanheilung der ACA im 2. Krankheitsstadium vorkommt oder sie immer in ein Stadium 3 übergeht, ist noch nicht bekannt. [14] Die Haut wird durch Atrophie8 der Epidermis und Dermis dünner, wodurch die subkutanen Gefäße deutlich hervor treten. Zusätzlich kommt es zum Verlust der Hautanhangsgebilde. Die verminderte Talgsekretion führt zur Trockenheit der betroffenen Hautstellen. [5] In den meisten Fällen ist nur eines der beiden Beine betroffen. Kinder sind selten von der ACA betroffen. [16]

Die klinischen Manifestationen an den einzelnen Organen der verschiedenen Stadien sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1

Organ/Organsystem Frühmanifestation (Stadium 1):

Lokalisierte Infektion, Tage bis Wochen nach Zeckenstich Allgemeine Symptome Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Krankheitsgefühl

Haut Erythema migrans

Augen Konjunktivitis Bewegungsapparat Arthralgien

Organ/Organsystem Frühmanifestation (Stadium 2):

Disseminierte Infektion, Wochen bis Monate nach Zeckenstich Haut Multiple Erytheme, Borrelien-Lymphozytom

Nervensystem Meningoradikulitis (Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom):

- spinalis - cranialis

- cranialis et spinalis Meningitis, Meningoenzephalitis Bewegungsapparat Myalgien, Arthralgien, Arthritis (selten)

Herz Karditis, atrioventrikulärer Block

Augen Konjunktivitis, Keratitis, Papillenödem, Chorioretinitis, Neuritis N.

optici

Organ/Organsystem Spätmanifestation (Stadium 3):

Persistierende Infektion, Monate bis Jahre nach Zeckenstich Haut Acrodermatitis chronica atrophicans

Nervensystem Polyneurophathie, chronische Enzephalomyelitis Bewegungsapparat Chronische Arthritis

Fettdruck: häufigste Manifestationen

[Vgl: Hahn Helmut, Stefan H. E. Kaufmann, Thomas F. Schulz, Sebastian Suerbaum, Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie, 6. komplett überarbeitete Auflage 2009, Springer Verlag, S.385]

4.3.4 Weitere Manifestationen der Lyme-Borreliose

4.3.4.1 Kardioborreliose

Zu einer Manifestation am Herzen kommt es relativ selten, im Gegensatz zur Lyme-Borreliose der Haut, des Bewegungsapparates und des peripheren und zentralen Nervensystems. In Europa sind 0,4-4% der Patienten davon betroffen.

Es kann zu entzündlichen Veränderungen der Herzwand in Form einer Peri-, Myo- oder Pankarditis kommen, aber auch zu Störungen im Reizleitungssystem. [5,14]

Diese äußern sich durch AV-Block, Vorhofflimmern, Tachykardien oder ventrikuläre Extrasystolen. [26] Die Karditis kann wenige Tage bis Monate nach einem Erythema migrans oder dem Zeckenstich auftreten. Zur Diagnose der Lyme-Karditis müssen andere Myokarditiserreger (Influenza-Viren, Zytomegalie- oder HIV-Viren) ausgeschlossen werden. [14] Im Normalfall zeigt eine ausgeheilte Lyme-Borreliose keine Herzbeschwerden. [16]

4.3.4.2 Ophthalmologische Manifestationen

Im Rahmen einer Infektion mit Borrelia burgdorferi tritt eine Erkrankung der Augen meistens im 2. Stadium auf. Betroffen können alle Teile des Auges sein. Die Symptome äußern sich in Form einer Konjunktivitis, Keratitis, einem Papillenödem oder einer Chorioretinitis. Ophthalmologische Symptome sind aber eher selten.

Der Erregernachweis in den Augenstrukturen beim Menschen beschränkt sich auf Einzelfälle. [4,6,16]

4.3.5 Das Post-Lyme-Syndrom

Bei zeitgerechter und adäquater Behandlung mit Antibiotika im 1. und 2. Stadium kann davon ausgegangen werden, dass die Prognose der Lyme-Borreliose auch im Langzeitverlauf gut ist. Eine Heilung in den ersten beiden Stadien dauert lange, vor allem im 2. Stadium kann sie durchschnittlich 1 bis 2 Jahre dauern. Im 3.

Stadium dagegen kann keine Heilung mehr erwartet werden. Man spricht hier von einer Besserung.

Werden Lyme-Borreliose Patienten mit Antibiotika therapiert, ist eine Heilung nicht garantiert. Bei manchen Erkrankten bleiben Beschwerden bestehen oder es stellen sich andere Beschwerden ein (Symptomwandel). Sie leiden unter psychischen Problemen wie Spannungszustände, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Depressionen aber auch an Muskel- und Gelenkschmerzen. Diese Beschwerden sind nichtinfektiöse Folgeerscheinungen und sprechen auf eine Antibiotikatherapie nicht an. Das Beschwerdebild ist sehr komplex und die Symptome dominieren individuell. Auch unterliegen die Kombinationen der Symptome keiner Gesetzmäßigkeit. [3,14] Wie häufig das Post-Lyme-Syndrom tatsächlich vorkommt, ist noch nicht bekannt. [41]

Der Begriff Post-Lyme-Syndrom blieb lange Zeit umstritten. Heute wird der Begriff von allen Fachleuten weltweit anerkannt. Man versteht darunter ein eigenständiges, nicht infektiöses chronisches Beschwerdebild. Es ist eine Spätfolge (Stadium 3) einer vor sechs bis zwölf Monaten durchgemachten akuten Infektion (Stadium 1 oder 2).

Das Beschwerdebild des Post-Lyme-Syndroms unterscheidet sich von Symptomen des Stadiums 1 und 2. Ein sogenannter Symptom- und Organwandel hat stattgefunden. Dies ist ein markanter Unterschied im Gegensatz zum Stadium 3 der Lyme-Borreliose (chronisch). Hier sind Organe betroffen, die auch schon im akuten Stadium 2 betroffen waren, z. B.: führt eine akute Lyme-Arthritis zu einer chronischen Arthritis. Dass dem Post-Lyme-Syndrom keine Auseinandersetzung des Immunsystems mit den Borrelien zu Grunde liegt, wird heute generell angenommen. [14]

„Die heute wichtigste Hypothese ist, dass B. burgdorferi in der akuten Krankheitsphase immunologische und neurohormonale Prozesse getriggert hat, welche trotz antibiotischer Beseitigung oder Reduzierung der Bakterien persistierende Schmerzen, neurokognitive Beschwerden, Müdigkeit, etc.

unterhalten.“ (Satz Norbert, Klinik der Lyme Borreliose, 2009, S. 502, s. Abschn.

13.5)

Es wird eine symptomatische Therapie je nach Beschwerden empfohlen. Wenn bisher noch keine intravenöse antibiotische Therapie mit Ceftriaxon durchgeführt wurde, so wird die Gabe von 2g i.v. für 21 bis 28 Tage empfohlen oder Penicillin 4x5 Mio. E i.v. für 21 bis 28 Tage. [14]