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I. Einleitung

I.1 Arthrose

I.1.3 Klassifikation, Ätiologie und Pathogenese

Nach ätiologischen Gesichtspunkten erfolgt die Klassifikation in primäre und sekundäre Arthrosen [Mitchell, N.S. et al. 1977]. Die primären Arthrosen, deren Ursache unbekannt ist (idiopathisch), werden unterteilt in lokalisierte Arthrosen mit singulärem Gelenkbefall und generalisierte Arthrosen mit dem Befall von mehr als drei Gelenkregionen [Altman, R. et al.

1986]. Als Auslöser vermutet man ein Zusammenspiel genetischer, nutritioneller, hormoneller und altersabhängiger Prozesse. Sie manifestieren sich meist erst im fortgeschrittenen Alter.

Von einigen Autoren werden die Polyarthrosen als selbständige Krankheitsgruppe interpretiert, da sie sich in ihren Eigenschaften stark von den übrigen Arthroseformen unterscheiden [Hackenbroch, M.H. 2002].

Die in der Regel oligoartikulär auftretenden sekundären Arthrosen sind Folgen bestimmter Grundkrankheiten und weisen in der Vorgeschichte einen für einen degenerativen Gelenkprozess prädisponierenden Faktor auf, eine sogenannte präarthrotische Deformität oder Präarthrose [Hackenbroch, M. 1943]. Sie führen vorzeitiger zu Beschwerden als die primären Arthrosen.

Arthropathien sind der Arthrose nahe stehende Gelenkerkrankungen, die im weiteren Krankheitsverlauf in sekundäre Arthrosen münden.

Tab. I-1 fasst die möglichen Ätiologien der Arthrose zusammen:

Tabelle I-1 Ätiologie der Arthrose [modifiziert nach Reichel, H. 2000]

Ätiologische Gruppe Ursache

Entzündliche Genese Rheumatoide Arthritis

Juvenile rheumatoide Arthritis Lokale Arthritis

Metabolische Genese Alkaptonurie

Diabetes mellitus

Endokrine Genese Akromegalie

Hypothyreose Hyperparathyreoidismus

Gerinnungsstörung Hämophilie

Gelenkdeformitäten und –inkongruenzen Posttraumatische Kongruenzstörungen Postarthritische Kongruenzstörungen

Osteochondrosis dissecans Aseptische Knochennekrosen

Meniskektomie

Sonstige mechanische Genese Genu varum/valgum/recurvatum Sub-/Luxationen Chronische artikuläre Instabilität Unbehandelte Meniskusläsionen

Beinlängendifferenzen

Kompensatorische Überbelastung (Funktions- störungen der Nachbargelenke, Arthrodesen,

Klumpfuß, nach Amputation etc.) Unphysiologische Entlastung bzw. Immobilisation

Neurogene Genese Tabes dorsalis

Diabetische Neuropathie Syringomyelie

Periphere Nervenläsion (Charcot Gelenk)

Osteopathien Morbus Paget

Kollagenosen Marfan-Syndrom

Ehlers-Danlos-Syndrom

Endemische Arthrosen Kashin-Beck-Krankheit

Zwar gibt es manifeste Risikofaktoren, aber keiner sollte isoliert betrachtet werden, da erst ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren zur Auslösung einer Arthrose führt. Eine starke Gelenkbelastung ist ein möglicherweise ursächlicher, aber alleine nicht ausreichender Faktor [Reichel, H. 2000]: Ein intensiv gebrauchtes und ansonsten gesundes Gelenk erträgt bis ins hohe Alter große Belastungen, wenn die initiale mechanische oder enzymatische Knorpelläsion ausbleibt. Es entwickelt sich lediglich das sogenannte Altersgelenk [Hackenbroch, M.H. 1979; Rutishauser, E. et al. 1955] mit typischer diffuser Demineralisierung und schmerzfreier enggradiger Bewegungseinschränkung ohne sichere klinische oder radiologische Arthrosezeichen. Auch die biochemische Zusammensetzung des Knorpels im Altersgelenk ist eine andere als in arthrotisch veränderten Gelenken [Grushko, G. et al. 1989; Venn, M.F. 1978]. Es handelt sich bei der Arthrose um mehr als einen Alterungsprozess. Es ist davon auszugehen, dass jahrzehntelang auf den Knorpel einwirkende mechanische Belastungen und Umweltfaktoren bei vorliegender genetischer Prädisposition [Dieppe, P. 1995] oder präarthrotischer Deformität die Gelenkeinheit dekompensieren lassen.

Haglund beschrieb bereits 1923 die Arthrose als Endstadium nach diversen artikulären Vorerkrankungen [Haglund, P. 1923]. Allgemein anerkannte oder diskutierte Risikofaktoren sowie die Pathogenese der Arthrose zeigt Abb. I-1.

Gesicherte Kenntnisse über die Rolle genetischer Faktoren liegen noch kaum vor, diskutiert werden u. a. Mutationen des Typ 2 Pro-Kollagen Gens (COL2A1) auf Chromosom 12 [Knowlton, R.G. et al. 1990; Palotie, A. et al 1989], ein Polymorphismus des Vitamin D- und Östrogenrezeptors sowie eine Veränderung der Genregion des Chromosoms 2, die für Fibronectin, den Interleukin-8 Rezeptor und die α-2 Kette des Kollagen Typ 5 kodiert [Sowers, M. 2001; Woitge, H.W. et al. 1999]. Eine von Loughlin et al. durchgeführte Studie konnte allerdings keine Assoziation dieser Gendefekte mit einer Prädisposition für Arthrose nachweisen [Loughlin, J. et al. 2000].

Generell erkranken Frauen häufiger an einer Arthrose – dies gilt als gesichert für die Polyarthrose der Finger und die (bilaterale) Gonarthrose [Adams, P.F. et al. 1992; Davis, M.A. et al. 1989; Hughes, S.L. et al. 1995]. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der postmenopausalen Hormonumstellung. Am Hüftgelenk erkranken dagegen Männer nach radiologischen Kriterien früher und häufiger. Sie haben aber kaum öfter als Frauen unter Hüftschmerzen zu leiden. Kaukasier scheinen häufiger von der Arthrose, zumindest von der

des Hüftgelenkes, betroffen zu sein als amerikanische Indianer, Afrikaner und Asiaten [Sun, Y. et al. 1997].

Abbildung I-1 Risikofaktoren (RF) und Pathogenese: Bei günstiger RF-Konstellation entwickelt sich ein Altersgelenk, bei ungünstiger Konstellation entsteht ein Circulus vitiosus im pathogenetischen Ablauf der Arthrose.

Studien zum Einfluss eines erhöhten Körpergewichts auf die Entwicklung einer Arthrose kamen zu widersprüchlichen Ergebnissen. Vermutlich führt eine Gewichtsreduktion bei bereits bestehender Gonarthrose der Frau zu einer Verbesserung der Beschwerden und möglicherweise zu einer Verzögerung der Progredienz [Felson, D.T. et al. 1992]. Eine Diät ist am effektivsten in Kombination mit Physiotherapie und verbessert Knieschmerz und Gelenkfunktion [Messier, S.P. et al. 2004]. Die „Ulm Osteoarthrose-Studie“ [Günther, K.P. et al. 2002] wies einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Übergewicht und bilateraler Gonarthrose nach, während bei Patienten mit Coxarthrose kein signifikanter Zusammenhang bestand.

Die gesamte funktionelle Einheit des Gelenkes bestehend aus Knorpel, subchondralem Knochen, Synovia, Synovialis, Kapsel-/Bandapparat und Muskelmantel, das

„Artikulationsorgans“ [Otte, P. 2000], ist in den Krankheitsprozess mit einbezogen. Die zentrale Rolle in der Pathologie der Arthrose spielt jedoch der hyaline Gelenkknorpel, der die knöchernen Gelenkkörper überzieht. Hierbei handelt es sich um eine nur wenige Millimeter dicke, jedoch hochdifferenzierte Gewebeschicht. Die Chondrozyten stellen den einzigen zellulären Baustein dar. Sie sind in die extrazelluläre Matrix, die über 90 % des Gewebevolumens ausmacht, eingebettet. Gefäße, Nerven und Lymphbahnen fehlen [Pullig, O. et al. 2001; Swoboda, B. et al. 1996]. Ernährt wird der Knorpel durch die Synovialflüssigkeit oder Synovia, eine klare, viskose Flüssigkeit. Es handelt sich um ein Dialysat des Blutserums, das reich an Hyaluronsäure ist. Dieses spezifische Sekretionsprodukt wird von den Synoviozyten der Gelenkkapsel, die die Synovialis (Synovialmembran) formen, gebildet. Die Synovia dient der Gelenkschmierung und Ernährung des hyalinen Knorpels.

Eine Kapselschädigung gleich welcher Art kann ihre Produktion beeinträchtigen. In der Synovialmembran gebildete Entzündungsmediatoren schädigen die Knorpelmatrix und können so die Entstehung einer Arthrose fördern. Motor des stetigen Substrataustausches über die Diffusionsstrecke Synovialisgefäße, Synovia und Knorpel ist die intermittierende Kompression mit kontinuierlicher verformender „Massage“ durch physiologische Belastung und Bewegung. Extreme Zustände, Überbelastung ebenso wie Immobilisierung, können irreversible Schädigungen zur Folge haben.

Hauptmatrixbestandteile sind die für die Festigkeit des Knorpels verantwortlichen Kollagene, v.a. Typ-II-Kollagen, und die Proteoglykane, v.a. Aggrekan, die für die hydroelastische Verformbarkeit sorgen. Die Kollagene bilden ein hochorganisiertes Fasernetz, in das

Proteoglykane und kleine nicht-kollagene Matrixproteine eingelagert sind. Die Proteoglykane sind in ihrer Struktur mit einer „Flaschenbürste“ vergleichbar, deren Stiel von einem Protein und deren Borsten von Polysaccharidketten gebildet werden. Durch Bindung an Hyaluronsäureketten über das „link protein“ bilden sich anionische Aggregate mit hoher Wasserbindungsfähigkeit. Es entsteht ein starker osmotischer Druck, der zu Wassereinlagerung und der prallelastischen Struktur des Knorpels führt.

Entsprechend den biomechanischen Anforderungen (Stützfunktion, Druckkompensation, Nährstofftransport, Signalübertragung) sind die Kollagenfibrillen in der Vertikalebene zonenspezifisch angeordnet [Pullig, O. et al. 2001]: Nämlich parallel zur Knorpeloberfläche in der superfiziell liegenden Tangentialschicht und senkrecht zur Knorpeloberfläche in der mittleren und tiefen Knorpelzone (Übergangs- bzw. Rädiärzone). In der mittleren und tiefen Zone sind die Chondrozyten von einer perizellulären Matrix umgeben, die aus einem korbartig angeordneten Geflecht aus Kollagenfibrillen besteht.

Kennzeichen der Arthrose ist der kontinuierliche Knorpelverlust, der auf einem Ungleichgewicht zwischen Belastung und Belastbarkeit des Knorpels beruht. Dieses Missverhältnis kann primär mechanisch oder metabolisch initiiert sein. Bei der mechanisch bedingten Induktion führt eine pathologische Spannungsverteilung zur lokalen Überlastung und zum Überschreiten der Toleranzschwelle des Knorpels. Die enzymatisch bedingte Knorpelzerstörung basiert auf einem Überwiegen kataboler Stoffwechselvorgänge. Es lassen sich vermehrt proteolytische Enzyme (Kollagenasen, Stromelysine, Gelatinasen, Aggrekanasen), die von den Chondrozyten [Sokoloff, L. 1982] und den Zellen der gereizten Synovialis [Puhl, W. et al. 1978] gebildet werden, nachweisen. Beide Mechanismen führen zur Zerstörung der Chondrozyten und Freisetzung weiterer degradierender, proteolytischer Enzyme, die einerseits die Knorpeldegeneration fördern (sekundäre Knorpelläsion), andererseits eine Reizung der Synovialmembran verursachen (Detritussynovitis).

Ohne therapeutisches Eingreifen resultiert ein Circulus vitiosus aus anhaltender Entzündung mit progredienter Knorpelzerstörung (Abb. I-1). Schließlich endet ein anfänglich oberflächlicher Proteoglykanverlust mit der Freilegung des kollagenen Netzwerkes [Sokoloff, L. 1980], was einen vermehrten Einstrom von Wasser und Makromolekülen nach sich zieht. Nach dieser anfänglichen Knorpelerweichung entstehen Spalten und Fissuren, die bis zur subchondralen Knochengrenzlamelle reichen können. Als Reaktion des Knorpels auf

die veränderten biomechanischen und physikalischen Eigenschaften verbreitert sich die „tide mark“, die Grenze zwischen dem eigentlichen Knorpel und dem verkalkten Knorpel am Übergang zum Knochen [Howell, D.S. 1980].

Knorpel ist ein bradythrophes Gewebe, das aufgrund seiner Avaskularität und des langsamen Stoffwechsels auf Schäden kaum mit regenerativen Prozessen antworten kann. Die sogenannte Brutkapselbildung stellt den Versuch der Chondrozyten dar, durch Proliferation die Synthese extrazellulärer Matrix zu steigern und den Knorpelverlust zu kompensieren [Dustmann, H.O. et al. 1978]. Dies gelingt aber nur in quantitativ unzureichendem Maß. Bei Eröffnung des subchondralen Markraumes wird der Knorpel zwar in seiner Menge vollständig durch sich chondroid umwandelndes Granulationsgewebe ersetzt, doch ist dieser Ersatzknorpel qualitativ minderwertig und erliegt auf Dauer der Degeneration [Otte, P. 1974].

Bei überwiegend enzymatischer Genese fehlen die beschriebenen Reparationsvorgänge. Es kommt dann zu raschem Knorpelverlust ohne morphologische Anpassungen. Schließlich liegt der subchondrale Knochen bloß. Das Reiben der Gelenkkörper führt zu fortschreitender Deformität. In den Randzonen der Gelenke entstehen Osteophyten, wahrscheinlich im Rahmen enchondraler Osteogenese. Vermutlich reduzieren diese Exostosen im Sinne einer Abstützreaktion durch Vergrößerung der Auflagefläche den auf das Gelenk einwirkenden Druck und führen gleichzeitig durch Einschränkung der Beweglichkeit zu einer Ruhigstellung des Gelenkes. Der subchondrale Knochen reagiert mit Sklerosierung (Spongiosaverdichtung) auf den dauerhaft pathologisch erhöhten Druck und mit Bildung subchondraler Zysten und Pseudozysten als Ausdruck umschriebener Nekrosen [Zacher, J. et al. 2001]. Die Kapselfibrose und Verformung der Gelenkkörper schränken die Beweglichkeit immer weiter ein, so dass es im Spätstadium zur fibrösen, selten zur knöchernen Einsteifung des Gelenkes kommt [Debrunner, A.M. 1994]. Einige der beschriebenen morphologischen Veränderungen sind in Abb. I-2 schematisch dargestellt.